Das Video-Format Ehrensenf wird das Reich von Spiegel Online verlassen. Eingestellt wird es wohl nicht, auf der eigenen Homepage machen die Ehrensenfer weiter.
Nun kann man über Ehrensenf insgesamt denken, was man mag – ich persönlich finde das Format auch weiterhin recht nett gemacht -, der Fall zeigt aber, wie sehr deutsches Angstdenken die Web-Szene an der Weiterentwicklung hindert – und wo der Unterschied liegt zwischen Germany und den USA. Denn Ehrensenf und Spiegel Online haben eine große Chance vertan. Gerne würde ich Ihnen, liebe Leser, die Abschiedssendung von Ehrensenf bei Spiegel Online zeigen. Eingebunden und zum Abrufen bereit, so wie das bei den meisten Videoplattformen der Fall ist.
Kann ich aber nicht. Weil weder Spiegel Online noch Ehrensenf auf seiner Homepage das zulassen. Somit kann ich nur schnöde verlinken. Erfahrungsgemäß wird aber nur der weitaus kleinere Teil von Ihnen diesem Link folgen. Weitaus mehr würden den Startknopf für ein Video betätigen, das zumindest ist meine Erfahrung aus drei Jahren bloggen.
Videos werden durch die Möglichkeit des „embedding“ – also das Einbettens, wie der Niederrheiner sagt – ultimativ weiterreichbar. Und das erhöht erheblich die Nutzerzahlen, so die Inhalte interessant sind. Spiegel Online und Ehrensenf aber fuhren ein System, mit dem sie diktatorisch entscheiden wollen, wo die Zuschauer ihre Sendung sehen.
Niemand wird wohl ernsthaft behaupten wollen, dass dies den aktuellen Nutzergewohnheiten im Web entspricht. Die Menschen gewöhnen sich daran, Inhalt dort zu bekommen, wo sie diese haben möchten. Natürlich läuft dies konträr zum den gewohnten Verhaltensweisen klassischer Medien. Die haben Angst, Kunden zu verlieren.
Und noch etwas: Spiegel Online behauptet tapfer, Ehrensenf sei ein Videoblog. Ist es aber nicht, zumindest nicht auf der Seite von Spiegel Online. Denn bloggen bedeutet eben auch kommunizieren. Kommentare aber gibt es nicht, nicht einmal, so ich das richtig sehe, einen RSS-Feed. Ehrensenf auf Spiegel Online ist ein Video-Format – nicht mehr.
Immerhin: Mehr Funktionen gibt es auf der Homepage von Ehrensenf. Dort darf dann auch kommentiert werden. Nur laufen die Kommentare in umgekehrter Reihenfolge auf, der jüngste steht oben. Und somit kann beim besten Willen keine Diskussion entstehen.
Nun also kickt der Spiegel Ehrensenf raus. Angeblich hat das nichts mit den Nutzerzahlen zu tun:
„“Mit den Abrufzahlen hatte das nie etwas zu tun“, äußerte Spiegel-Online-Chefredakteur Rüdiger Ditz gegenüber zoomer.de. „Es ging immer um den Kultcharakter.““
Faktisch dürften die Abrufzahlen enttäuschend gewesen sein – und das kann niemand verwundern. Ehrensenf war gefangen wie ein Braunbär in einem Erdmännchengehege. Wer Reichweite will, muss dort sein wo die Nutzer sind – und nicht darauf hoffen, dass die Nutzer dort anlanden, wo man sie gerne hätte.
Schade. Hier hätte die Möglichkeit bestanden, ein nicht immer hervorragendes, aber doch gut gemachtes Video-Format mit hoher Reichweite und einem gutem Image zu veredeln. Und so vielleicht mehr Mut zu machen in Deutschland, um sich am spannenden Thema Video zu versuchen. Nun aber werden Medienhäuser eine gute Ausrede haben, sich nicht um unabhängige Videoproduzenten kümmern zu müssen. Wenn schon die Kombination Spiegel Online – Ehrensenf nicht funzt, was dann?
In den USA ist das anders. Nehmen wir nur einmal das von mir sehr geschätzte Videoblog Wallstrip. Pardon, Wallstrip:
Ja, Wallstrip kann man einbinden. Und man kann die Episoden kommentieren. Und abstimmen. Und es gibt eine Community. Der Inhalt wird zum Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation. Und natürlich ist Wallstrip auch über Dienste wie Itunes abonnierbar – Ehrensenf nicht.
Nun ist es aber nicht so, dass Wallstrip allein vor sich hinvideoen würde. Im vergangenen Jahr wurde das Startup Teil von CBS – für 5 Millionen Dollar. Trotzdem hat sich nichts am Auftreten geändert. So werden die Videos auch weiterhin von Blip TV vermarktet. Diese Plattform aggregiert Videos und versieht sie mit Werbung. Chefin Dina Kaplan war auf dem letzten DLD-Kongress in München. Mehrere der Videoproduzenten, erzählte sie, hätten fünfstellige Einnahmen – pro Monat. Wallstrip zählt wohl dazu, bestätigen wollte sie dies aber nicht.
All das, übrigens, könnte Spiegel Online schon vor einiger Zeit zu denken gegeben haben. Schließlich berichtete New-York-Korrespondent Marc Pitzke im Januar 2007 ja über Wallstrip. Und selbstverständlich band Spiegel Online eines der Videos ein. Wollte die „New York Times“ heute über Ehrensenf oder über das Video-Format von Matthias Matussek berichten, gäbe es diese Möglichkeit nicht.
Kommentare
lvgwinner 2. Oktober 2008 um 10:55
Gut rausgearbeitet. Genau das ist der Punkt. Und an den kommt man immer und immer wieder wenn man mit Leuten die im Web Gestaltungsmacht haben, aber leiderleider die neuen Möglichkeiten im Internet nicht verstehen. Es ist geradezu tragisch wie dabei tolle Chancen, die kaum bis gar keine Zusatzkosten verursachen würden, vorüberziehen lässt.
Jörg 2. Oktober 2008 um 12:03
\“Spiegel Online behauptet tapfer, Ehrensenf sein [sic!] ein Videoblog. Ist es aber nicht, zumindest nicht auf der Seite von Spiegel Online. Denn bloggen bedeutet eben auch kommunizieren. Kommentare aber gibt es nicht […]\“
Und Anke Gröner et al. \“bloggen\“ etwa nicht? Da sind nämlich auch keine Kommentare erlaubt.
\“Kommunikation\“ muss nicht zwangsläufig zweiseitig sein, Herr Knüwer. Sollte Ihnen als Berufskommunikator, der für ein Printmedium schreibt (in dem per se auch keine Kommentare möglich sind), eigentlich klar sein.
Johann Bauer 2. Oktober 2008 um 12:34
Es ist zum Heulen. Aber Ehrensenf hatte schon in der Vergangenheit eine Closed-Door-Politik in bezug auf RSS. Bis auf die Kooperation mit dailyme.tv gab es ausserhalb der Seite bislang keine Chance auf die wirklich gut gemachten Sendungen. Nun ist auch noch SPON weg, nach Polylux im echten Fernsehen stirbt wohl nun auch ein weiteres innovatives Format. Mist…
bosch 2. Oktober 2008 um 12:55
@Jörg: Über Kommentare kann man streiten (beim BILDblog kann man auch nicht kommentieren), aber alles, was keinen RSS-Feed anbietet, kann man definitiv nicht als Blog bezeichnen. Insofern feiert auch Matussek gerade völlig zu unrecht \“seinen hundertsten Blog\“.
In Sachen Reichweite hätte man bestimmt mehr reißen können: sollen sie doch – von mir aus – am Anfang ein paar Sekunden Werbung einblenden und dann das Einbetten ermöglichen. Das wäre ein praktikable Lösung.
peter neumann 2. Oktober 2008 um 15:19
Und ich freue mich, dass das Zitat von Rüdiger Ditz von zoomer.de stammt – und nicht von einem Mediendienst oder gar Spiegel Online.
Ugugu 2. Oktober 2008 um 15:54
Ehrensenf, da war doch mal was? Bis zum heutigen Tag bin ich nicht mehr über diese Sendung gestolpert, seit diese (damals ein Hype) beim Spiegel eingebunden wurde.
Patrick 9. Oktober 2008 um 19:21
Ehrensenf hatte von Anfang an ein Vermarktungsproblem. Das hat sich bis heute anscheinend nicht geändert.
Embedded Videos mit kurzer Vorschaltwerbung wären wohl besser. Allerdings scheitert Ehrensenf wohl nicht speziell an der Distribution, sondern an den ausbleibenden Werbekunden – hört man so.
Da ist wohl die kultig anmutende, fahrige Profilunschärfe eines solchen Projektes (was wenn überhaupt dessen Charme ausmacht) wohl gleichzeitig auch die Ursache, dass man damit keine Werbekunden gewinnen kann.
Merke: lieber Tastaturen und iPods in die Kamera halten 🙁
Fabio 13. Oktober 2008 um 23:24
@bosch: am Anfang ein paar Sekunden Werbung einblenden und dann das Einbetten ermöglichen
&
@Patrick: Allerdings scheitert Ehrensenf wohl nicht speziell an der Distribution, sondern an den ausbleibenden Werbekunden – hört man so.
Ich hatte mal gehört, dass es eher an der Technik lag. Bei irgendeiner Zuständigkeit war nicht angekommen, dass man Werbung in die Inhalte einbauen kann. Deswegen wurde / wird auf die Krüppellösung mit den vorgeschalteten, separaten Clips gesetzt. Noch ist die Chance ja nicht verspielt, einfach mal einen offiziellen Podcast-Feed anzubieten…
NormCast 14. Oktober 2008 um 0:27
Hmmm… als jemand, der mittlerweile doch schon seit knapp vier Jahren Podcasts produziert, haette ich hoechstwahrscheinlich zum Ende einer solchen \“Aera\“ ein eventuell-bedeutungsschwangeres (und laengeres) Schlusswort gesucht (und hoffentlich gefunden).
Ob das gut bzw. passend gewesen waere, das sei dahingestellt. In diesem Fall waren die verwendeten Vokabeln anscheinend von beiden Seiten her recht duenn gesaeht, zumindest aber in dieser \“Ehrensenf\“-Folge. Nun denn, es bleibt nur, Glueck zu wuenschen!
Nebenbei erwaehnt und leicht \“off topic\“: Eine nette Parallele fand ich in der kurzen Metallica-Bemerkung des Ehrensenf-Beitrags wieder, denn ueber eine aehnliche Problematik habe ich mich kuerzlich auch mal aufgeregt bzw. ausgelassen, siehe
http://www.normcast.de/musik/audiotische-gleichschalterei/
Gruss aus Guetersloh
Norman
Abacus 14. Oktober 2008 um 9:37
Vielleicht lag es auch einfach daran das (zumindestens am Anfang) die Auflösung der Videos auf der Ehrensenf Seite einfach viel besser waren als auf SPON.
Dazu kommt ja noch das man auf der Seite von Ehrensenf alle Links aus der Sendung zum Mitverfolgen unter dem Video stehen, was zumindestens bei der einen Sendung die ich mal bei SPON geschaut habe nicht der Fall war.
In einer Zeit wo viele ihre ehemals so gepriesenen RSS-Reader wieder einmotten weil sie merken das Quantität eben Qualität nicht ersetzt und lieber wieder den formatierten Text direkt auf den Seiten selber lesen, ist es doch der finale Todesstoß wenn man diese Sendung aus ihrem Umfeld reißt und in einen austauschbaren Videopodcast verwandelt.
ovoss 15. Oktober 2008 um 17:52
Nachdem der Spon-Ex-Chef seine Abneigung gegenüber Blogs ja immer deutlich geäußert hat sind die jüngsten Entwicklungen doch geradezu revolutionär: Es gibt einen US-Wahlkampfblogger und Sven Regener darf auch mal wieder. Und bei beiden kann mann sogar kommentieren – im angeschlossenen Forum, wenn man angemeldet ist. Das ist doch schon fast Web1.2
Jennifer 22. Januar 2009 um 17:09
Was ist ein Blog?
Bis jetzt bleibt das hier recht diffus und es wird mit unterschiedlichem Maß gemessen. Ehrensenf ist kein Videoblog, aber aus einem ganz anderen Grund. Videoblog kommt von Weblog und das wiederum von WorldWideWeb und Logbuch – also ein Logbuch, eine Art Tagebuch, im WorldWideWeb. So ist der Videoblog ein Tagebuch in Videoform. Ehrensenf ist aber kein Tagebuch. Ein Tagebuch wird durch den Alltag und/ oder die Erfahrungen einer Person konstituiert wie eben bei Matussek oder viel klassischer bei den ganzen Bloggern auf bspw. YouTube, die sich fast alltäglich vor ihre Webcam setzen. Ehrensenf wird nicht von einem bestimmten Moderator konstituiert (Wechseln waren nun ja schon häufiger) und das Privatleben oder deren Ansichten sind nicht Inhalt von Ehrensenf. Da trifft es der Begriff Video-Format schon ganz gut, ich plädiere allerdings für Videosendung – aber der Unterschied ist nur graduell.
Kommunikation? Was ist, wie hier ja schon zu Printmedien bemerkt wurde, mit Massenkommunikation?