Ich bin ja der Meinung, dass Journalisten bloggen sollten, allein schon aus psychohygienischen Gründen. Denn wer ein Weblog führt, kann sich mal so richtig aufregen. Vergallopiert er sich aber in seinen Argumenten, stutzen ihn die Leser wieder zusammen. Das macht auf Dauer gelassen und einsichtig.
Die „Panorama“-Redaktion beim NDR in Hamburg bloggt nicht. Sollte sie aber. Denn in ihren Reihen gibt es zumindest eine Person, die sich in zumindest einem Fall gewaltig erhitzt hat. Und in dieser Überhitzung hat sie zu einem Mittel gegriffen, dass ich höchst problematisch finde: das Herumschicken eines persönlichen E-Mail-Verkehrs an eine große Zahl Unbeteiligter. Mein „Wirtschaftswoche“-Kollege Sebastian Matthes war ein wenig vedattert. Da fand er in seinem Mail-Postfach ein Schreiben von Volker Steinhoff, Mitglied der „Panorama“-Redaktion. Text:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Nach meiner Kenntnis sind Sie Empfänger von Rundmails von Prof. Ludwig in Hamburg, der das Projekt www.anstageslicht.de betreut.
Wenn Ihnen das trotzdem nichts sagt, brauchen Sie jetzt nicht weiterlesen.
Prof. Ludwig/www.anstageslicht.de und wir (Fernsehmagazin Panorama, NDR) kooperieren seit längerem.
Seit kürzerem wird dort eine umfangreiche – und aus meiner Sicht unseriöse – Kampagne gegen die Gebühren für ARD und ZDF geführt:
www.anstageslicht.de
=> Wächterpreis
=> Aktuelle Storys; dort runterscrollen: „schon gezahlt?“
Meinen Schriftwechsel hierzu mit dem Verantwortlichen, Prof. Ludwig, möchte ich den Interessierten unter Ihnen nicht vorenthalten: s.u.
Sollten Sie zu dem Vorgang eine Meinung haben, wären Prof. Ludwig und ich sicher daran interssiert.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Steinhoff“
Matthes kennt Ludwig bestenfalls flüchtig, Steinhoff gar nicht. Umso verwunderter las er den Schriftverkehr. Er dreht sich um eine Web-Seite, bei der mehrere öffentlich-rechtliche TV-Magazine gelobt werden sowie die Preisträger des Wächter-Journalistenpreises ein wenig mit Entstehungsgeschichte und Material angefüttert werden.
Nun hat in diesem Jahr Thomas Thiel von der „FAZ“ den Preis für eine Serie über die GEZ gewonnen. Steinhoff ärgert sich über einen Film, den Ludwig hat drehen lassen und in dem es in der Tat einen mächtigen Bock gibt: Es wird behauptet, die TV-Gebühren hätten sich seit 1975 mehr als versechsfacht, während die Inflation sich nur verzweieinhalbfacht habe. Das stimmt so nicht, die Gebühreneinnahmen haben sich versechsfacht, was sich auch durch die Wiedervereinigung und die somit gestiegene Zahl von Fernsehern und ebenso durch die Mehrzahl der Programme miterklären lässt. Der GEZ-Gebührensatz wäre der richtige Vergleichsmaßstab, hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdreifacht.
Ludwig erklärt den Patzer damit, dass in seinem Sprachverständnis klar sei, dass damit die Einnahmen der Sender gemeint seien. Trotzdem sagt er: „Nach dieser Diskussion würde man das sicher genauer formulieren“. Denn Streit wolle er gar nicht. „Wir dokumentieren nur eine Entwicklung.“
Nun wird die ganze Sache recht garstig. Denn Steinhoff nimmt die Sache irgendwie… persönlich. Zunächst schickte er eine Mail an Ludwig, in der er sich darüber wundert, dass auf der Site „Propagandamaterial g e g e n die GEZ mit entsprechenden Kommentaren gefunden.“ Die Leerstellen-Betonung deutet wohl darauf hin, dass ihm Propaganda f ü r die GEZ rechter gekommen wäre.
Weiter schreibt der NDRler:
“M.e. K e i n e gute Gesellschaft für unsere Beiträge, denn ohne die Gebühren gäbe es diese Sendungen nicht.
Wenn Ihr Euch weiter als anti-Gebühren-Propagandisten betätigen wollt, müssen wir leider die Kooperation neu überdenken. Dann muß ich auch die anderen ARD-Magazine informieren.“
Ludwig rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass er nur den Wächter-Preis dokumentiere. Und in der „FAZ“-Serie ging es nun mal um nicht ganz so saubere Vorgehensweisen seitens der GEZ. Er schließt seine Antwort-Mail ebenfalls recht unkonziliant so:
„Wenn Dir/Euch das Ganze nicht passt und/oder Ihr nicht bereit/willens seid, mal auch eine andere – vom panorama-Mainstream abweichende – Meinung zu akzeptieren, dann denke ich, sollten wir in der Tat ganz schnell darüber nachdenken, die Kooperation zu beenden. Ich kann nicht ernsthaft, geschweige denn guten Gewissens, versuchen, Studenten davon zu überzeugen, dass panorama ein absolut ernstzunehmenden Politmagazin ist, wenn die Redaktion zwar anderen immer den Spiegel vorhält, für sich bzw. ihr eigenes Genre (Öffentl.-rechtl. Rundfunk) das selbst aber völlig ausschließen möchte.“
Normalerweise lenkt jetzt einer der beiden Kontrahenten ein und versucht den Dampf rauszunehmen. Normalerweise. Steinhoff aber legt nach. Er hat sich eine „detaillierte Analyse“ von einem „Kollegen“ erstellen lassen. Wer das war, verrät er nicht, hängt aber dessen Text als Anlage an seine nächste Mail. Der Text dieser Anlage ist weit gelassener als Steinhoff:
„Die Grafik ist gleichwohl irreführend und vermittelt einen falschen Eindruck, weil die Entwicklung des Gesamtvolumens der Erträge aus Rundfunkgebühren sowohl einen Preis- als auch einen Mengeneffekt beinhaltet.“
Letztendlich werden die gleichen Punkte beanstandet: Die Einnahmen sind so sehr gestiegen durch die Wiedervereinigung, außer Acht gelassen wurde die Programmausweitung.
Nun aber wird doch mal jemand ein Friedensangebot machen, oder?
Ähm – nein.
Steinhoff nämlich verschickt jene Mail, die auch den Kollegen Matthes erreichte. Den Verteiler dafür schnappte er sich aus einer Mail von Ludwigs Institut. Bei dieser handelte es sich um die Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung, bei der auch jener umstrittene Kurzfilm gezeigt wurde. Der Verteiler dieser Einladung wurde von Studenten zusammengestrickt. Und Ludwig entdeckt, dass die eine recht großzügige Auswahl trafen: Er bekommt wegen Steinhoffs E-Mail heute viele Anrufe – oft von Menschen, die er nicht mal kennt.
Zeit also, Herrn Steinhoff zu kontaktieren. Ich telefonierte am Donnerstag mit ihm, es war ein hartleibiges Gespräch. Er fragte, wieso mich das alles denn interessiere. Und überhaupt, dies sei ja eine private E-Mail gewesen, ich solle doch auch an den Datenschutz denken. Mein Hinweis, dass schließlich er den Mail-Wechsel öffentlich gemacht habe, quittierte er mit dem Hinweis, dass der gewählte Mail-Verteiler doch von Ludwig sei, somit handele es sich um einen geschlossenen Kreis von Personen.
Dies veranlasste mich zu der Frage, ob „Panorama“ sich auch aus geschlossenen E-Mail-Verteiler raushalte. Selbstverständlich sei das nicht so, antwortete er. Aber ich müsse doch erkennen, dass meine Grundhypothese (welche auch immer das sein soll, ich hatte keine) falsch sei.
Auf seine inhaltliche Kritik angesprochen erklärte er Ludwigs Seite für „Propaganda“, es sei eine „Kampagne“. Er habe 20, 30 Texte gefunden, die sich alle gegen die GEZ wendete. Ich versuchte nachzuhaken: Ob es denn die preisgekrönten „FAZ“-Serienbeiträge gewesen sein könnten. Nein, das seien andere, behauptete Steinhoff.
Mir ist nicht erklärlich was er damit gemeint hat. Ludwigs Seite liefert Zusatzmaterial zu Thieles Beiträgen. Dieses ist größtenteils neutral. Kritisieren lässt sich ohne Frage jener Film sowie eine Grafik mit unglücklichen Gegenüberstellungen und der verwirrenden Bezeichnung der Gebühreneinnahmen. Problematisch ist auch die Überschrift einer Seite „Wie man sich wehren kann“. Deren Inhalt aber ist aus meiner Sicht nicht wirklich zu beanstanden.
Vielleicht also haben wir hier einfach einen Journalisten, der mal bloggen sollte. Zum Dampfablassen. Oder muss man diese irrwitzige Aktion als Zeichen großer Nervosität unter den Mitarbeitern der ARD werten? Vielleicht auch. Fremde Verteiler aber zum Versenden eine Schimpftirade zu nutzen – und das noch unter dem Dach des eigenen, öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers – ist äußerst mieser Stil.
Kommentare
hape 4. August 2008 um 16:40
Ich weiß nicht, was der Mann für ein Problem hat mit den Artikeln. Die Anstalten kommen doch gut dabei weg, einzig die GEZ steht als böser Bube da. Sie schickt angeblich freie Mitarbeiter aus, was sie nicht tut, weil das Sache der Anstalten selbst ist, sie verliert angeblich einen Prozess, was nicht geht, weil Prozesse Sache der Rundfunkanstalten ist. Eine sachliche Auseinandersetzung mit den Artikeln würde so viel an Fehlern hervorbringen, dass man sich fragt, wieso die Serie einen Preis gewonnen hat. Aber an sachliche Auseinandersetzungen ist bei Vertretern des Anstaltsfunks nicht zu denken, wenn\’s ums Thema Rundfunkgebühren geht.
Lukas 4. August 2008 um 17:30
Die besondere Tragweite dieses Falls kann man daran ablesen, dass Du es geschafft hast, über öffentlich-rechtliche Sender und die GEZ zu bloggen, ohne dabei auf sie einzuschlagen. Du korrigierst ja sogar noch Fehler im Bezug auf die schlechte Presse über die Gebühren.
Was hat Herr Steinhoff da nur angerichtet?
Markus 4. August 2008 um 19:52
Zumindest in Computerspielerkreisen ist die Panoramaredaktion für Ihre trotzige \“Jetzt erst recht\“ Haltung im Bezug auf Kritik (teils berechtigte / teils unberechtigte) und ihre Überheblichkeit schon seit einiger Zeit berüchtigt.
Aber zurück zum Thema: Wie konnte Herr Steinhoff eigentlich auf den kompletten Emailverteiler zugreifen ? Zumindest ich habe bislang nur Newsletter gekriegt, wo ich als Empfänger nicht der ganzen Liste antworten konnte. Oder standen da sämtliche Emailadressen ausgeschrieben im Empfängerteil ?
Mirko 5. August 2008 um 10:32
Panorama … Panorama … war das nicht dieses Magazin, das auch für diesen unsagbaren Killerspiele-Beitrag [1] verantwortlich war und unter anderem diesen seltsamen Hintergrund [2] hatte?
Ich erinnere mich noch gut an deren katastrophalen Umgang mit der Kritik [3], die sie einstecken mussten. Das war für mich der eigentliche Grund, diese Redaktion nicht mehr Ernst zu nehmen.
[1] http://www.youtube.com/watch?v=rbjpH_QgTBM
[2] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24745/1.html
[3] http://daserste.ndr.de/de-forum/thread.jspa?threadID=53&start=0&tstart=20
Journalist 27. Juli 2009 um 17:23
Guten Tag!
Panorama bloggt nun!
www.panorama.blog.ndr.de
Beste Grüße aus Hamburg-Lockstedt…