Ich ärgere mich. Über mich selbst. Weil ich nicht früher im Theaterstück „Breaking News“ gewesen bin, dass ich anschließend der gesamten Redaktion hier im Hause empfohlen hätte. Sollten Sie in Wien oder München leben, so gehen Sie bitte ins Theater. Also, ins Theater sollten Sie natürlich ohnehin gehen, egal, wo Sie leben.
In diesem speziellen Fall aber dreht es sich um ein Stück, dass im Juni in Wien im Rahmen der Festwochen gastiert und im Juli in der Münchener Muffathalle zu sehen sein wird. Es heißt „Breaking News“ und ich habe es leider erst am vergangenen Samstag in Düsseldorf gesehen. Leider, weil es am Wochenende zum letzten Mal hier im Schauspielhaus gastierte.
Inszeniert wurde es von der Gruppe Rimini Protokoll, dem heißesten Scheiß der Theaterlandschaft, um es mal mit Web-Szene-Sprache zu sagen. Dieses Trio inszeniert Laien – was erstmal wenig attraktiv klingt. Doch heraus kommt kein Bauernspiel-Theater, sondern wirklich Großes.
Bei „Breaking News“ stehen denn auch keine echten Laien auf der Bühne. Vielmehr sind es Profis in dem, was sie beschreiben: Neun Personen sind es, entweder Journalisten oder Übersetzer, mit verschiedener Nationalität versehen.
Zweieinhalb Stunden setzen sie sich dem Nachrichtenfluss der Welt aus – live. Die 20-Uhr-Nachrichten werden ohne Netz und doppelten Boden übersetzt und kommentiert, egal ob sie aus Saudi-Arabien kommen, aus Venezuela, Indien oder ob es die Tagesschau ist. Die nimmt sich Walter van Rossum vor, der vor einigen Monaten erst ein Buch über die Sendung verfasste.
Über all den Bildschirmen und Kabeln thront Hans Hübner, langjähriger Afrika-Korrespondent der ARD, und vermischt den hektischen Nachrichtenstrom mit der im wahrsten Wortsinne klassischen Nachrichtenübermittlung, überliefert im Drama „Die Perser“ von Aischylos.
Einmal im Stück springt jeder der Beteiligten aus der Handlung heraus und schildert, wie er Nachrichten erlebte, Teil von ihnen war oder sie überbracht hat. AFP-Kollege Andreas Osterhaus berichtet zum Beispiel von der Arbeitsweise einer Nachrichtenagentur, Hübner vom bizarren Medienauflauf bei der Landung der Amerikaner in Somalia, der Isländer Símon Birgisson erntet Lacher, weil in Island Beirut nur dann interessant wird, wenn Isländer nicht aus Beirut rauskommen, weil Norwegen seine Busse abfahren lässt.
Es war ein faszinierender, packender und höchst unterhaltsamer Abend. Er zeigte, wie unterschiedlich das scheinbar nüchterne Kriterium „Relevanz“ bei der Nachrichtenauswahl ausfallen kann. Und wie Nachrichten manipuliert werden können. Zeitgemäßer kann Theater nicht sein.
Sollte Sie die Möglichkeit haben, „Breaking News“ zu sehen – tun Sie es. Unbedingt!
Kommentare
Schnutinger 23. April 2008 um 13:36
Schöner Artikel über ein schönes Projekt! Danke dafür!
Jörg Friedrich 24. April 2008 um 12:19
Das ist gemein, so ein Projekt erst dann vorzustellen, wenn es für einen Münsteraner in unedlich weite Ferne gerückt ist. Düsseldorf wär noch gegangen, aber zum Theater-Gucken nach München? Das geht gar nicht.
Christian Eisner 24. April 2008 um 15:54
Auf der Website findet man http://www.rimini-protokoll.de/website/de/audio_video_date.html übrigens auch ein Video eines 3Sat- Berichtes zum Downloaden.