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Ich bewundere den Mut der Geschäftsführung und der Redaktion der US-Lokalzeitung „Capital Times“. Sie entschlossen sich, keine Zeitung mehr zu sein – und stellten den Druck ein. Stattdessen sind sie nun komplett im Internet. Bernhard Grzimek hätte wohl niemand vorgeworfen, er stehe auf den Seiten von Wilderern, weil er über deren Treiben berichtete. Wer in diesen Tagen aber mal ernsthaft einwirft, dass es schon sehr bald keine Tageszeitungen mehr geben könnte, der wird flott zu deren Gegner erklärt.

Dabei wäre es dringend geboten, sich Gedanken darüber zu machen, wie es weitergeht. Extrapolieren wir den Auflagenverlauf seit 2001, dürfte in Deutschland in rund 20 Jahren die letzte Zeitung gedruckt werden. Mutmaßlich natürlich erheblich früher, für 16,5 Zeitungen wirft keiner mehr die Druckmaschinen an. Wie Zeitungen sich wandeln müssen, dass ist hier im Blog ja häufig Thema. Jetzt geht es mal darum, was passiert, wenn das Papier verschwindet.

Wie nah dies Möglichkeit liegt, sieht man in diesen Tagen am Beispiel der „Capital Times“ aus Madison, Wisconsin. Ihre Auflage ist seit den 60ern von über 40.000 auf rund 18.000 gefallen, schreibt die „New York Times“ (gefunden bei Buzzmachine). Und deshalb zogen die Verantwortlichen nun die Notbremse: Die „Capital Times“ gibt es nur noch als Web-Seite.

Es ist ein spannendes Medienexperiment. Denn natürlich sind die Werbeeinnahmen online nicht so hoch wie in Print. Inhalte zu verkaufen wird gar nicht möglich sein. Im Gegenzug sinken die Herstellungs- und Verteilungskosten. Wie das ausgeht? Da wage ich keine Prognose.

Die ersten Online-Schritte sehen zumindest auf den ersten und in Sachen wisconsiner Interessen unkundigen Blick recht ordentlich aus. Es gibt einen stetigen Nachrichtenfluss, die Redaktion experimentiert mit Videoformaten (auch wenn die etwas ungelenk wirken). Lokale Nachrichten werden bevorzugt, in Blogs und Foren wird um Lesermeinungen geworben (manchmal etwas zu aufdringlich, für meinen Geschmack. Schön verknüpft ist auch Google Maps: Die Lokalnachrichten werden in jedem Artikel verortet, leider gibt es anscheinend aber keine Gesamtkarte.

In Deutschland gab es einen ähnlichen Versuch, leider, leider aber demonstriert er, wie schwer es ist, eine Print-Redaktion umzupolen. Jene Redakteure der „Münsterschen Zeitung“, die im vergangenen Jahr auf widerlichste Art und Weise vom Verlag Lensing-Wolff geschasst wurden, betreiben nun eine Seite namens Echo Münster.

Ich weiß nicht, wer ihnen zu diesem poppigen Design und dem leserundfreundlichen Aufbau geraten hat. Leider aber ist das Angebot in seiner jetzigen Form so traurig, wie am ersten Tag. Die meistgelesene Nachricht der vergangenen Woche kommt gerade mal auf 1200 Abrufe – das schaffen private Blogger auch ohne Probleme. Echo Münster zeugt leider von zu wenig Kenntnis über das Web und von zu wenig Mut, wirklich zu experimentieren – ein blubberiges Layout allein macht noch keinen Schwung.

Die Seite zeigt, wie schwer es ist, im Online-Zeitalter anzukommen. Und deshalb ist es einfach nötig, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wie es sein könnte, wenn die letzte Zeitung gedruckt wird.


Kommentare


Dr. Seltsam 28. April 2008 um 21:41

Und die Technik hat ja noch nichtmal richtig Anlauf genommen. Wenn elektronisches Papier soweit ist, dass man es tatsächlich mit echtem Papier verwechseln kann, dann wird sich der Trend sicherlich noch beschleunigen und so manche Szene aus dem SciFi-Film (oder aus Harry Potter) normale Realität werden.

Dies kann auch der Weg sein, mit dem die Computerfaulen nicht auf der Strecke bleiben.

Meiner Meinung nach geht diese Entwicklung aber auch zumindest zum Teil auf das Konto der Zeitungsredaktionen. Ich persönlich nutze Zeitungen nur noch als Zeitvertreib im Zug, weil sie meinen Informationsbedarf einfach nicht decken. Ich muss tagtäglich eine Unmenge an Informationsbausteinen sichten und brauche kurze, prägnante Informationen und keine langwierigen Abhandlungen. Letztere beherrschein leider immer noch die Zeitungslandschaft. Nichts gegen einen guten literarischen Stil, aber zum täglichen Lesen der Zeit oder der FAZ braucht man eine Menge Freizeit.

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Lukas 29. April 2008 um 0:39

Entweder haben die Leute, die komplett auf gedruckte Zeitungen verzichten könnten, andere Frühstücksgewohnheiten als ich oder sie können es sich leisten, alle paar Wochen die Müslischale über den Laptop zu verschütten …

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moti 29. April 2008 um 1:45

mit verlaub – ich glaube diese müslischalentheorie nicht. das wird die zeitungen nicht retten.
spritzwassergeschützte subnotebooks werden auch dort der zeitung hart zusetzen. und auch die letzte bastion, die toilette, wird fallen.

abgesehen davon, das medium papier ist einer datenbankgestützen interaktiven lösung einfach hoffnungslos unterlegen.
klar ist es früh, zeitungen für tot zu erklären. aber gewöhnt euch dran. es ist unausweichlich.

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Joe 29. April 2008 um 3:06

Ein paar medienlaesterliche Anmerkungen dazu:
In den USA gibt es nunmehr eine ausgewachsene Medien-
krise. Bei allfaelligem Interesse, google:
+newspaper revenue+
+newspaper circulation+ … und dann NEWS anklicken.
Da gibt es fortlaufend alle moeglichen Berichte aus
dem US Medienmarkt.
Gruende dafuer gibt es sicherlich viele, die schon auch mal die Suendenregister der Medien selber zu tun haben, Beispiel aus dem editor & publisher:
(die sind der eigenen Branche immer wieder erfrischend kritisch eingestellt):
Where Was Media When Sub-Prime Disaster Unfolded?
If we were long on the edge of \“disaster\“ with a \“financial nuclear winter\“ waiting in the wings, why were American news consumers among the last to know?
\“…A New York Times columnist even admitted that experts and advocates first warned them in 2001 that predatory lending practices were devastating poor neighborhoods …\“
\“.. the (NY) Times business section … and the
Washington Post … stories explained that the downfall was sparked by the use of overly complex securities designed not to be understood. …\“

Jenes Nicht – Verstehen wurde dann auch bald von
allen Seiten begierig aufgegriffen, zur eigenen
Devise gemacht. Die meisten TV stationen (auch in
Europa) machen seitdem auf diese Tour.
Die US Medienkrise ist allerdings auch ein Zeichen
dafuer, dass es sowas eine Learning-curve gibt, und
der \“Markt\“ schon auch mal lernen und reagieren kann. Good news fuer Befuerworter der Marktwirtschaft.
http://www.editorandpublisher.com/eandp/columns/shoptalk_display.jsp?vnu_content_id=1003781122

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Thomas Knüwer 29. April 2008 um 7:25

Zur Zeitungskrise in den USA hat unser Kollege Matthias Eberle auch was zu bieten: http://www.handelsblatt.com/news/Default.aspx?_p=201197&_t=ft&_b=1422436

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Tim 29. April 2008 um 16:20

Der Trend ist nicht aufzuhalten. Selbst Ippen sucht Online-Redakteure.

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Marc 29. April 2008 um 19:46

\“das medium papier ist einer datenbankgestützen interaktiven lösung einfach hoffnungslos unterlegen\“ … solange der Akku voll ist. 🙂

Da er das aber meistens sein wird, und das mit dem E-Paper als Surfbrett irgendwann funktionieren wird, sollte man sich schon Gedanken machen.

Oder eventuell die Zeitung komplett kostenlos und nur anzeigen-finanziert unter die Leute bringen? Für Wochen- und Monatsblättchen reicht es ja offensichtlich.

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Petra A. Bauer 30. April 2008 um 9:13

Auch den Brockhaus wird es künftig nur noch online geben. Dagegen mutet es geradezu putzig an, dass Bertelsmann Wikipedia drucken lassen will. Aber die Nutzerfreundlichkeit muss sich schon noch verbesser, bis digitale Zeitungen badewannen-, klo- und müslischalentauglich werden. Ist mir bisher alles noch zu unhandlich zum Schmökern.

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