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Erst am Morgen wird der bulgarischen Sekretärin Polia die Lage klar. Zwei Situationen prallen an diesem Tag aufeinander, sie als operativer Kommandostand der kleinen PR-Agentur hat kläglich versagt. Polias Stirn sinkt langsam auf das BMW-Mousepad: „Oooohhhh jääääääää“ schallt es durch das Großraumbüro. „DAS hätte nicht passieren dürfen!“, kommentiert Senior Consultant Sabine ein paar Minuten später, als Polia ihr die Lage in der Kaffeeküche erklärt hat.
„Chich waiss“, sagt Polia traurig.

Junior Consultant Tanja-Anja kommt da gerade richtig. Schwungvoll entnimmt sie dem Schrank ihre geliebte Prada-Tasse und brüht sich ihren morgendlichen Goji-Pinien-Tee auf: „Wasn los? Trauerstimmung?“

Sabine atmet tief durch: „Polia hat die Terminplanung nicht mehr im Griff. Der Chef hat heute seinen ersten Urlaubstag und sitzt jetzt im Flieger nach Thailand. Und Marcel ist wieder da – von einer Management-Schulung.“

Tanja-Anja wird blass. Zitternd setzt sie den Teebecher ab: „Marcel kommt von einer Schulung und niemand bremst ihn?“

Stumm nicken ihre Kolleginnen. Tanja-Anja muss sich auf dem Küchenmobiliar aufstützen.

„WAAAAAS?“, ruft Senior Consultant Lars aus, der gemeinsam mit Senior Consultant Alexandra das Gespräch mitbekommen hat. „Stümperin“, giftet Alexandra in Polias Richtung.

Nein, das hätte nicht passieren dürfen. Denn immer wenn Managing Partner Marcel auf einem der sauteuren Management-Seminare war, schwirrt es in seinem Kopf von Inspiration. Dann flutet er die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt mit neuen Ideen zu Abläufe, Kundenakquise und Marketingstrategie. „Cher wiaht chanz verruckt in Kooopf“, sagt Polia dann immer.

Weil Marcel die Nummer zwei in der Agentur ist, gibt es auch nur einen, der ihn stoppen kann: der Chef. „Geh mir weg mit dem Scheiß“, sagt er dann und die Sache ist erledigt.

„Wisst ihr noch beim letzten Mal? Als der Chef in der Toskana golfte? Da mussten wir eine Woche lang gemeinsam Morgengymnastik zum Firmensong machen“, erinnert sich Sabine.

„,Dienstleistung pur – das ist unsere Agentur‘ Erinner mich nicht daran“, flüstert Tanja-Anja.

„Oder als der Chef mit der Harley den Highway 1 runter fuhr? Total Quality Management…“, wirft Praktikantin Sabine den nächsten Tiefschlag ein.

„Wir haben alles so oft geprüft, dass wir keine Frist mehr halten konnten“, klagt Lars.

Alexandras Blick verdüstert sich: „Ich habe Angst.“

Eine Stunde später wirft ein vor Euphorie sprühender Marcel seine Hugo-Jacke schwungvoll in Richtung des Garderobenständers und brüllt durch den Großraum: „Morgäääähn!!! Agentur-Meeting! Jehetzt!“

Im gläsernen Konferenzraum berichtet er mit leuchtenden Augen vom Seminar mit den „Medien-Top-Dogs“. Darunter auch Axel-Springer-Vorstand Andreas Wiele.
„Wer sich selber angreift, verteidigt sich am besten – that’s what he said“, sagt Marcel: „Da ist es mir klar geworden.“

„Was?“, fragt Alexandra mit gedämpft genervtem Tonfall.

„Wir sind zu gut. Machen zu wenig Fehler. Muss sich ändern.“

Die kleine PR-Agentur schweigt. Bis auf Lars: „Soll das heißen… wir müssen… mehr…“

Marcel vervollständigt den Satz: „Fehler machen! Genau! Uns angreifbarer machen! Und wir fangen gleich an mit BMW!“

Kollektiv schlucken die Mitarbeiter. Gerade erst hat die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt den Etat geholt. Es geht darum, Internet-Nutzer für ein neues Produkt zu begeistern, Connected Drive, das den Internet-Zugang im Auto ermöglicht.

Marcel sprüht nur so vor Ideen: „Wir spammen richtig rum. Kommentar, ich will Kommentare sehen! In Weblogs! In Foren!“

„Anonym?“, fragt Lars, der sich langsam wieder fängt.

„Spinnst Du? Im Gegenteil!“, ruft Marcel.

Zwei Tage später steht das Telefon nicht mehr still in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Erzürnte Weblog- und Foren-Betreiber rufen an, andere schicken Mails, dritte gleich Abmahnungen – die Marcel flux auf die Kundenrechnung setzen lässt.

Alle Beschwerden lässt er sich vorlegen. Seitdem dringen merkwürdige Laute aus dem Büro des Chefs, das er in dessen Abwesenheit besetzt hat. „Jaaaaaaahhhh!!!“ und „Oooaaaaa, guuuut“, ruft er so laut, dass es durch die gepolsterte Tür dringt.

Dann tritt er hinaus, streckt die Arme aus und ruft: „Spürt Ihr, wie wir stärker werden? Nichts kann uns mehr aufhalten! Nichts! Und jetzt kommt der nächste Schritt. Julia hat schon die einschlägigen Kneipen der Mercedes-Arbeiter in Untertürkheim rausgesucht. Da fahren wir hin. Und machen eine BMW-Demo. Mit Trillerpfeifen und T-Shirts und Plakaten und so!“

Dazu kommt es dann aber nicht mehr. Unglücklicherweise wird Marcel Opfer eines Überfalls an diesem Abend. Der Angreifer trifft ihn mit einer Baseballkeule am Kopf, das Motiv bleibt rätselhaft.

„Macht ihn bestimmt stärker“, sagt Alexandra kühl, als die Mitarbeiter von diesem Vorfall Kunde erlangen.
„Wahrscheinlich“, meint Lars, „aber dann ist der Chef wieder da.“

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
Jack Bauer
Second Life
Markus Schächter
KPMG
Keine Re-Publica
Biblische Gärten
Der Deutsche Direktmarketing-Verband
Weihnachtsfeier
Winterdepression


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