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Vielleicht lesen Sie in naher Zukunft in der Zeitung ihrer Wahl Woche für Woche ein oder zwei Seiten über eine Branche, von der Sie denken: Och, Mönsch, muss man über die so viel schreiben? Wenn Ihnen das also passiert – wundern Sie sich nicht. Da hat sich ein Verlag von monetären Argumenten überzeugen lassen. Man kann ja nicht behaupten, dass den PR-Tanja-Anjas der Nation der Stoff für miese Machenschaften ausgeht. Leider weiß ich noch nicht, ob es der Branchenverband oder eine PR-Agentur ist, die derzeit in der Verlagslandschaft ein bemerkenswertes Angebot macht. Wüsste ich dies, würde ich denjenigen sofort öffentlich machen.

Dieses Angebot nämlich kratzt maßgeblich an der Trennung von Redaktion und Werbung und ist eine Beeinflussung der redaktionellen Berichterstattung. Es sieht so aus: Die Zeitung schreibt 16 Wochen lang, einmal pro Woche, ein bis zwei Seiten über diese Branche. Im Gegenzug werden Anzeigen garantiert. Zur Einordnung: Über diese Branche wird, mit Recht angesichts Ihrer Größe, insgesamt sehr wenig berichtet und oft ist es negativ behaftet.

Wer den Berufskommunikatoren offen gegenüber steht, der wird sie für ihre Kreativität beglückwünschen. Schließlich wird hier sauber das Problem einer Beilage – die ja auch eine Möglichkeit wäre, Geld zu investieren – umgangen. Denn eine Beilage kann in einem Handstreich vom Leser entsorgt werden. Stattdessen also wochenlange Berichterstattung im normalen redaktionellen Umfeld. Und da es wenig zu schreiben gibt über diese Branche, hagelt es Gastbeiträge, Interviews und ähnliche unkritische Formate.

Wer der Meinung ist, den Medien kommt noch eine gesellschaftliche Funktion zu, der wird diese Art der Einflussnahme dagegen verabscheuungswürdig finden.


Kommentare


Tobias Gallo 1. Oktober 2007 um 18:22

Hallo Herr Knüwer!

Freut mich, dass auch Sie diese gekauften Themen kritisch sehen. Sagen Sie mal, was muss ein Unternehmen eigentlich dafür bezahlen, dass das Handelsblatt über Finanzinnovationen, Stahl, Expo-Real, Umwelttechnik, Logistik, Leasing, Systems, MBA, Export, Global Insurance, Energie, Altersvorsorge, Off-Roader, Luxus-Hotels, Wandern – Walking – Wellness, Bayern, Wellness und Fitness, Art Forum Berlin, Frieze Art Fair, Kunstmesse München, Fiac Paris oder den Finanzplatz Luxemburg berichtet (und das waren nur die Themen im Oktober, die ganze Liste gibt es unter www.handelsblatt.com -> Mediadaten -> Mediadaten Zeitung -> Termine/Themen)? Und zwar positiv berichtet? Und den Zusammenhang zwischen den Anzeigen und der Berichterstattung nur unzureichend als Sonderveröffentlichung kennzeichnet? Und fällt ihnen auch auf, dass immer wieder die Vorstandsvorsitzenden der Unternehmen, die in einer solchen Veröffentlichung werben, auch in einem Interview die Gelegenheit bekommen, das eigene Unternehmen und die eigenen Produkte zu bauchpinseln? Kostet das eigentlich extra? Wie viele Redakteure bei Ihnen im Haus sehen das eigentlich sonst noch genauso kritisch wie Sie? Und warum gelingt es nicht, den Verlag von derlei Vermischung von redaktionellem Inhalt und Anzeigeninteressen abzubringen?

Beste Grüße
Tobias Gallo

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Lukas 1. Oktober 2007 um 18:47

Heiteres Branchenraten:
Sargausstattungszulieferer? Tierausstopfer? Halt: geringe Größe und negatives Image? Die deutsche Musikindustrie!

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niels | zeineku.de 1. Oktober 2007 um 22:24

Freiberufliche Gebührenbeauftragte?

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strappato 2. Oktober 2007 um 0:04

Pharmaindustrie?

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Leclerc 2. Oktober 2007 um 1:24

Ich glaube Herr Gallo möchte eine Rechnung begleichen …

allerdings kann man dem Handelsblatt eine grundsätzliche Nähe zu Machtzentren deutscher Wirtschaft nicht absprechen. Oder ist das doch zu pauschal?

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Thomas Knüwer 2. Oktober 2007 um 9:25

@Tobias Gallo: Beilagen gibt es auch bei uns. Es gibt aber auch eine feste Vorgabe der Chefredaktion. Anzeigen werden nicht an Inhalte gekoppelt. Wer solche Versprechen eingeht, kann sich einen neuen Job suchen.

Ich selbst war mal als Ressortleiter für diesen Bereich zuständig. Deshalb weiß ich zum einen, wie viele Unternehmen als Gegenleistung für eine Anzeige Berichterstattung in einer Beilage erwarten. Die bekommen sie bei uns nicht, außer ein Mitarbeiter begeht eine Verfehlung. Zum anderen weiß ich aber auch, dass die Kette anders herum läuft: Man macht eine Geschichte für eine Beilage und das Unternehmen überlegt sich dann erst, eine Anzeige zu schalten. Es geht den Verlagen nicht gut genug, um dann den Artikel zu kippen, oder die Anzeige abzulehnen.

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Harald 2. Oktober 2007 um 11:35

Finanzdienstleister wäre wohl eine zu große Branche. 4 Monate lang neue Geschichten aus der faszinierenden Welt der Stahl- und Aluindustrie? Tief- bis Bergbau? Fleischverarbeitung? Es gäbe so viele schöne Möglichkeiten.

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Chat Atkins 3. Oktober 2007 um 8:58

Bei aller berechtigten Häme über diesen Versuch der vereinigten Himbeertonis, good news auf dem Shopping-Wege zu erhalten – wenn aber jemand im heiteren Branchen-Spott hier meint, man könne über Sargtischler, Pharmavertreter, Kotelett-Produzenten oder GEZ-Gebühreneintreiber keinesfalls eine spannende Geschichte schreiben, dann hat er seinen Beruf verfehlt. Ein guter Text ist immer themenunabhängig …

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derherold 3. Oktober 2007 um 13:16

Ceterum censeo, es sollte mal eine ganze Artikelserie über seriöse Immobilienmakler geschrieben werden. 😉

Aber ist es wirklich so schwierig, eine \“Chinesische Mauer\“ zwischen Redaktion und Anzeigenleitung zu errichten. Als Laie denke ich mir, daß, je \“größer\“ der Name einer Zeitschrift/Zeitung, desto leichter müßte es doch sein … und selbst eine grooooße Anzeige bedeutet doch letztendlich nur \“peanuts\“.

P.S. Bitte diesen Gedanken von den selbstaufopfernden Maklern nicht vergessen !

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