Arbeiten Sie in der Werbung? Lesen Sie dieses Buch! Sie arbeiten nicht in der Werbung? Kaufen Sie es trotzdem. Worum es geht? Um den Roman „Then we came to the end“ von Joshua Ferris. Der Buchladen meines Vertrauens liegt weiterhin in der alten Heimat Münster. Die Verantwortlichen der englischsprachigen Abteilungen bei Poertgen Herder beweisen seit Jahren ein bemerkenswertes Gespür für interessante Bücher – zumindest was meinen Geschmack betrifft.
Dort fand ich kürzlich einen Roman, dessen Inhalt mich interessierte und der einen guten Einstieg hatte. Denn ich bin bekennender Erstsatz-Fetischist: Wenn mich der erste Satz nicht packt, hat es ein Buch schwer.
In diesem Fall lautet der Anfang:
„We were fractious and overpaid. Our mornings lacked promise.“
Gut, ich hätte die beiden Sätze umgestellt, aber egal: Das beginnt viel versprechend – und es geht so weiter.
„Ordinarily jobs came in and we completed them in a timely and professional manner. Sometimes fuckups did occur. Printing errors, transposed numbers.Our business was advertising and details were important. If the third number after the second hyphen in a client’s toll-free number was a six instead of an eight, and if it went to print like that, and showed up in Time magazine, no one reading the ad could call now and order today. No matter they could go to the website, we still had to eat the price of the ad. Is this boring you yet? It bored us every day.Our boredom was ongoing, a collective boredom, and it would never die because we would never die.“
„Then we came to the end“ führt den Wirtschaftsroman in eine neue Ära. Denn wie auch in der Musik gibt es reichlich Werke, die dem Blaumann-Arbeiter ein Denkmal gesetzt haben. Doch fehlt es an literarisch wie musikalisch Hochwertigem, das vom Schicksal der Büroarbeiter kündet.
Dies aber tut Roman-Erstling Joshua Ferris. Und wie! Jeder, der die Zeit der New Economy miterlebt hat, wird jenes Gefühl der Unangreifbarkeit innerhalb eines Teams wiedererkennen. Dann das stärker werdende Unwohlsein, als die ersten Stellen abgebaut werden. Und schließlich jenen Fatalismus und galligen Nicht-Humor, mit dem der verbliebene Rest dem sicheren Untergang entgegenarbeitet.
„Then we came to the end“ spielt in einer Werbeagentur in Chicago, ungefähr im Jahr 2000. Mitarbeiter um Mitarbeiter muss dran glauben, „walking spanish“ nennen das die Kollegen, weil die Entlassenen durch den Flur wanken wie Seeleute, die auf einem Schiff der spanischen Armada über die Planke gehen, bis sie alle weg sind und die Agentur als „Fliegender Holländer“ aus ihren Leben segelt.
Erzählt wird nicht aus Sicht eines Einzelnen, die Rede ist immer von „wir“ – ein kollektives Teamgefühl berichtet von seinem Niedergang. Und dieser Arbeitsorganismus nimmt die Entwicklung eines Lebens: Erst unbeschwert, dann albern, ernster arbeitend und schließlich nicht mehr gebraucht, fast dementisch auf das Leben zurückblickend.
In wogenden Rhythmen erzählt Ferris das alles, mal überdreht komisch, dann tief traurig, wenn jeder einzelne erkennt, dass das Interesse des Unternehmens immer über seinem stehen wird.
Die deutsche Übersetzung ist es anscheinend gerade erschienen. Es trägt den problematischen Titel „Wir waren unsterblich“ und ich habe gewisse Bedenken ob der Übersetzung. So wird aus „walking spanish“ sehr wörtlich „spanisch den Flur runterlaufen“ – und irgendwie klingt das für mich nicht. Aber vielleicht täusche mich nur, meine Info bezieht sich auf eine Kritik des Deutschlandfunks.
Kommentare
nils 12. Juni 2007 um 15:01
das mit der deutschen übersetzung kann ich bestätigen, gestern abend fertig gelesen und irgendwie holperts. liegt daran, dass tatsächlich wortgetreu übersetzt wurde. da wird nicht nur spanisch gelaufen, sondern auch die ganze zeit gefickt, wobei die deutsche sprache ja doch etwas vielfältiger ist, was solche kraftausdrücke angeht. das buch ist aber wirklich sehr gut – nur eben auf englisch.
Felix Deutsch 12. Juni 2007 um 16:02
Danke für den Hinweis.
BTW:
Als der \“Wir nennen es Arbeit\“ Hype hochkochte, habe ich mir erstmal \“Die Angestellten\“ aus der neuen (schönen) Kracauer Gesamtausgabe gekauft und beschlossen, den Friebe/Lobo Schinken noch einige Jahre abhängen zu lassen. 😉
Prospero 14. Juni 2007 um 2:36
Mit ein Grund warum ich englisches Kulturgut nur auf englisch genieße: Neben die Sachen, die nicht zu übersetzen sind gibt es auch Dinge, die beim Übersetzen einfach ihre Wirkung verlieren, auf deutsch klingts irgendwie dann schwächer als auf englisch teilweise. (Deswegen gibts bei mir auch keine Potter auf Deutsch. Aber da gibts auch etliche Gurken… ;-))
Ad Astra