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Ist es zu spät, mit 37 sein Leben zu ändern. Weg vom Journalismus? Und einfach Zukunfts- und/oder Trendforscher werden? Gestern auf der Internet-Konferenz Next07 habe ich mich wieder einmal gefragt, ob ich den falschen Beruf gewählt habe. Zukunftsforscher hätt ich werden sollen. Oder wahlweise Trendforscher. Dazu braucht es ein wenig mehr Studium, „einen MBA in irgendwas mit Medien“, wie der Moderator Nils Müller von Trend One ankündigte.

Einen MBA in Irgendwasmitmedien ist also eine der Zugangsvoraussetzungen zum Beruf des Zukunftsforschers. Zweite ist ein unerschütterlicher Glaube an den eigenen Glauben. Nehmen wir nur Gregor Hochmuth von Hasso Plattner Ventures, der zwar eigentlich „Entrepreneur in residence“ (zu deutsch: kriegt Büro von jemand bezahlt, der es sich leisten kann) ist, aber auf der Next07 manirierte Visionen vortragen durfte. Werbung vor oder nach Internetvideos funktionierten nicht, sagte er, „fragen sie mal die bei Burda“. Vielleicht wäre es eine gute Idee, gewesen, hätte er die bei Burda mal selbst gefragt. Einer von denen bei Burda, Heiko Hebig, nämlich wies ihn darauf hin, dass bis zu 15 Sekunden lange Werbung vor oder nach Videos durchaus kein Problem seien. Wobei er mit dem Satz „Der Trend geht zum Siebensekünder und das pre- und postroll“ einen der einprägsamsten Neuzugänge in Sachen Buzzword Bullshit Bingo rausließ.

Hieran merken wir schon: Der Zukunftsforscher muss nicht nur Glauben, sein Glaube darf auch keinesfalls durch die Sammlung hinderlicher Fakten entstanden sein.

Dafür steht auch Norbert Bolz, der die Next07 eröffnete. „Leserbriefe sind überhaupt nicht interaktiv“, wetterte er gegen Zeitungen. Und dass Redakteure sich keine Gedanken darüber machten, was in Leserbriefen steht. Stimmt nur leider nicht. Fast jeder Journalist, den ich kenne, setzt sich mit Leserbriefen auseinander. Nicht immer schreibt er zurück (was ich für unabdingbar halte), aber eine böse Kritik durch einen seriös auftretenden Schreiber juckt fast jeden.

Bolz aber hält ja ohnehin Medienmenschen für „links bis halblinks“. Hat er so gesagt. Und dass der Großteil der Next07-Teilnehmer am liebsten die „Süddeutsche Zeitung“ liest. Nun gut, da wir nichts empirisches haben, widmen wir uns lieber Bolz Meinung über erfolgreiche Blogs. „Ein Blog“, hat er gesagt, „mit abertausenden Lesern verwandelt sich zum Massenmedium zurück, weil bei einer solchen Masse von Lesern Kommunikation unmöglich ist“.

Und so fragt man sich, welche abertausendfach gelesenen Weblogs der Blog-Bolz wohl so liest. In Deutschland zumindest hat nur das Bildblog die Kommentare abgeschaltet. Und das am meisten verlinkte (laut Technorati) Blog der Welt, Engadget, lässt ebenso Kommentare zu wie Gizmodo und Techcrunch. Nur Boing Boing ist da außen vor. Die Behauptung ist also ebenso Blödsinn wie Bolz Meinung: „Blogs werden zu Briefen – und die werden ja auch oft nicht gelesen.“ Ich kenne niemand, der persönliche Briefe nicht liest. Nur Werbebriefe wirft man weg – ebenso wie Werbeblogs.

Eine der großen Thesen des Norbert Bolz ist es, dass Blogs ein Sieg des Laienwissens über das Expertenwissen sind. Vielleicht stimmt das ja. Ein Indiz dafür könnte sein, dass Bolz für einen Vortrag über das Internet bezahlt wird.

Die „Süddeutsche Zeitung“ widmet ihr heutiges Streiflicht unabhängig von der Next07 ebenfalls den Trendforschern. Sie schreibt (leider nicht online zu haben):

„Trendforscher ist ein feiner Beruf. Man braucht vor allem eine große Klappe und die Bereitschaft, allerhand Unsinn, der einem beim Rotweintrinken einfällt, mit Entschiedenheit vor einer Kamera oder im Kulturteil des Spiegel zu vertreten.“

Oder eben vor Podiumspublikum. So wie Nils Müller von Trendone. Er sagte in Hamburg: „Das Internet wurde ja auch erst vor 13 Jahren erfunden“ den hörbaren Einwurf „Sicher, von Al Gore“ hat er wahrscheinlich nicht verstanden. Mutmaßlich bezog er sich auf den ersten grafikfähigen Browser. Der wurde vor 14 Jahren vorgestellt.

Müller aber ist schon eine wahre Spürnase. Er erkannte, dass es langsam langweilig wird mit diesem 2.0 und so philosophierte er bereits über die Medien 3.0. In denen sollen Mensch und Maschine verschmelzen, was er anhand eines Logos verdeutlichte, in dem ein Männchen wie wir es aus den Olympia-Sportartenzeichnungen kennen, in einen Monitor hereingezogen wird, so als sei dies eine Skizze für den wegen Finanzierungsschwierigkeiten nie gedrehten Horrorstreifen „Angriff der Killermonitore“.

3.0, das soll das „Jump in“-Web werden, mit lauter 3D-oder zumindest 2,5D-Anwendungen, wobei selbst mir als Mathematikhasser nicht ganz klar ist, wie so eine halbe Dimension aussieht. Vielleicht wie ein Mitglied der „Enterprise“ wenn der Beamer mal wieder kaputt ist und sich nur die Hälfte der Körpermolküle auf dem anvisierten Planeten materialisieren. Allerdings machte ich mir dann doch Sorgen um die Gesundheit von Müller. Stress und so, ist ja nicht gut fürs Herz. Denn Müller prophezeite eine Flut virtueller Welten à la Second Life: „Das ist bald wie bei Tchibo: Jede Woche eine neue Welt“. Es werden harte Zeiten für ihn, denn schon eine Züricher Bar mit neuer Lichttechnik ist für ihn ein „Microtrend“. Was zeigt, worin sich Journalisten und Zukunftsforscher unterscheiden: Bei Journalisten heißt es „Zwei Beispiele sind ein Trend, drei eine Welle“. Für die Orakeler reicht schon ein Beispiel zum Trend.

Weil es vielleicht so stressig ist, das Leben und Arbeiten eines Zukunftsforschers Tuh Point Oh, blieb Norbert Bolz auch der Abschlussdiskussion fern. Oder wie Sinner-Schrader-Mann und Organisator (und hier sei ein Lob eingefügt: guter Job!) Mark Pohlmann sagte: „Herr Bolz konnte nicht überredet werden, der Absprache Folge zu leisten.“ Vielleicht war gerade eine neue Welt entstanden. Oder er musste noch einen Brief nicht lesen.


Kommentare


Julius 4. Mai 2007 um 17:20

Gut, und als nächstes möchte ich gerne was über \“Think Tanks\“ lesen.

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Katrin 4. Mai 2007 um 17:20

zitat: \“Ein Blog\“, hat er gesagt, \“mit abertausenden Lesern verwandelt sich zum Massenmedium zurück, weil bei einer solchen Masse von Lesern Kommunikation unmöglich ist\“. /zitatende

In diesem einen Punkt hat Bolz _theoretisch_ vielleicht gar nicht so Unrecht, und zwar in dem Sinne, dass bei einem entsprechenden Kommentaraufkommen von Abertausenden die halbwegs intensive, bidirektionale Kommunikation mit den Lesern zum Aufwand würde, der tatsächlich nicht mehr zu bewältigen ist. Was übrigens genau der Grund ist, warum im Bildblog die Kommentare abgeschaltet sind. Bei Engadget halten sich die Kommentare so beim ersten Draufschauen ja völlig im Rahmen ? was, wenn da mal pro Post 200 Kommentare reinlaufen?

Ansonsten aber: Ja, schwache Leistung. Schade um die Zukunft.

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Thomas Knüwer 4. Mai 2007 um 17:27

Also den Spruch kenne ich schon lange. \“Alte Journalistenweisheit\“, würd ich sagen.

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medienblogger 4. Mai 2007 um 17:45

\“Also den Spruch kenne ich schon lange.\“

Problematisch wirds immer dann, wenn ein Chefredakteur meint, an einem ganz großen Trend dranzuseien und der Redakteur dann Leute überreden muss, diesen Trend zu bestätigen:

\“Hallo Herr Müller, sie als unser Anzeigenkunde, sagen sie mal, so aus ihrer Sicht als Reisebüroleiter: Die Deutschen reisen diesen Sommer ja so viel wie noch nie, gell?\“

\“Na klar\“

Am nächsten Tag Titel-Aufmacher:

\“Pfälzer/Sachsen/Brandenburger im Reisefieber\“

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weltherrscher 4. Mai 2007 um 19:35

doch wieder witze mit namen?

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Q-BEE 4. Mai 2007 um 19:37

\“Vielleicht wäre es eine gute Idee, gewesen, hätte er die bei Burda mal selbst gefragt.\“

Warum sollte ausgerechnet Burda in dieser Frage glaubwürdiger sein? Die leben ja schließlich davon. Es ist nur natürlich, dass die das optimistischer sehen.

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Alexander 4. Mai 2007 um 20:56

Second Life ist nicht 3D, nicht mal 2,5D. Zumindest auf meinem Bildschirm. Da ist es immer 2D. Damit aber immerhin auch nicht 1,75D. Ich bin aber auch nur ein Mathematiklaie.

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Cator 4. Mai 2007 um 20:58

Wieso \“Leben ändern\“? Sie SIND Zukunftsforscher, drucken sie sich einfach neue Visitenkarten. Außerdem machen sie doch schon lange \“was mit Medien\“.
Man muss übrigens auch nix mit Medien machen, ich finde es spannend(*) genug was auf der Umweltebene gerade abläuft und wohin die Entwicklung unserer Welt so in den nächsten 50a geht. Selbst 10a ist schon extrem schwer abzusehen, aber es wird nicht schöner…

(*)zu depressiv/zum Verzweifeln

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marcel weiss 4. Mai 2007 um 21:15

\“3.0, das soll das \“Jump in\“-Web werden, mit lauter 3D-oder zumindest 2,5D-Anwendungen\“

Hat er das wirklich so gesagt?
Als \’Web3.0\‘ wird eigentlich meist das semantische Web bezeichnet. Das wiederrum ist aber selbst für Technikbegeisterte so einfach nicht zu erklären. (Es geht grob um maschinenlesbare Texte, microformats und so).

Wenn er da wegen der 3 einfach auf 3D springt weil er das Andere vielleicht gar nicht versteht, dann, ich weiß nicht wie ich das nennen soll, das ist schon ein wenig unfassbar. Um nicht zu sagen absurd offen zur Schau gestellte Inkompetenz im eigenen Fach. Im Quadrat. Oder vielleicht sogar hoch 3.

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Detlef Borchers 4. Mai 2007 um 21:44

\“Entrepreneur in Residence\“ wurde auf der Next07 für meinen Geschmack noch getoppt von \“Curator of the digital library\“, vulgo Web-Admin.

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derherold 4. Mai 2007 um 22:46

Daß im Blog Laien- über Expertenwissen triumphieren kann, ist nicht falsch, hängt aber damit zusammen, daß Blogs (noch) keine (Medien-)Macht hinter sich versammeln, die einem erlauben könnte, \“Herrschaftswissen\“ oder gar existenzgefährdende Informationen zu präsentieren.
Im übrigen \“vergißt\“ Bolz, daß Journalisten – wie auch diverse Hochschuldozenten\“ – es mit \“Fachwissen\“ nicht immer so genau genommen und stattdessen \“Interpretationsstärke\“ eingesetzt haben.
Trendforscher ? Nix Neues – von Gerd Gerken bis zu diesem komischen Typ aus FaM gab es in den vergangenen 15 Jahren einige, die schamanenhaft aus dem nicht vorhandenen Kaffeesatz gelesen haben …

Im übrigen: mit 37 sollte man sich auf die Übernahme des Postens des Chefredakteurs vorbereiten – irgendetwas hast Du wohl bei Deiner Karriere falsch gemacht. 😉

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Hayo Iversen 4. Mai 2007 um 23:37

Zukunfts- und Trendforschung? Dafür war die next07 wohl der falsche Ort. Eine liebevoll und gut organisierte Veranstaltung mit sicherlich einen hohen Spaßfaktor (Lokation, Wetter und dem einen oder anderen guten Vortrag sei dank!), aber ansonsten leider nur eine schöne Momentaufnahme des deutschen Status Quo in Sachen \“Web 2.0\“. Der Blick über den eigenen Tellerrand und in die Zukunft fehlte weitgehend, ebenso wie eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen. Die Programmpunkte beschränkten sich weitgehend auf
Eigenpräsentationen der Vortragenden, im Fernsehen verpflichtet das zur Einblendung von \“Dauerwerbesendung\“. Schade, denn sicherlich war mehr als genügend Know-How und Erfahrung vor Ort.

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lupe 5. Mai 2007 um 15:24

Die Zukunft erforschen, ist eine feine Sache, die Zukunft voraussagen eine andere. Deshalb ist es vergeudete Zeit, solchen Forschern zuzuhören.
Etliche Wirtschaftsforscher sind ja auch Zukunftsforscher und können nicht einmal für ein Jahr voraussagen, wie sich die Wirtschaft entwickelt.
Außerdem wäre das Leben stinklangweilig, wenn jeder wüsste, was er in der Zukunft zu erwarten hat.

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Don Alphonsiìo 5. Mai 2007 um 16:17

Passt doch alles prima zu Sinner Schrader, ich weiss gar nicht, was Du hast. Wenn ich hier in Italien in die widerlichste Borze Veronas gehe, darf ich mich auch nicht ueber die Salmonellen wundern.

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IvD 5. Mai 2007 um 18:26

Erlauben Sie einen Versuch, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen.

1) Trend- oder Zukunftsforscher ist vor allem eine Marketinglabel, meist der/einer Unternehmensberatung. Dass dieses Label ? und natürlich auch mangels irgendeiner standardisierenden Vermessung ? missbraucht wird, ist ein nahezu unvermeidbar. Auch die Medizin ging durch ein Jammertal der Scharlatanerie.
2) Dass dieses Label als solches aber ?in die Welt? kam, hat einen Grund: Mit Moore?s Law im Nacken funktioniert die überkommene Sicht auf Strategie immer weniger. Strategie heute ist eine Art ?(wohlüberlegten) operativen Lavierens?, weil das technologisch getriebene Änderungstempo die Halbwertzeit von Strategie so dramatisch verkürzt hat. In dem Label wird also zunächst vor allem die offenkundige Notwendigkeit reflektiert, Strategie um die Sicht auf die plus/minus vorhersehbaren Ergebnisse technologischer Entwicklung zu erweitern.
3) Wir sind Zeitgenossen einer Welt, in der der ?technologische Fortschritt?, zumindest insofern er mit der Digitalisierung assoziiert ist, in den USA stattfindet, vielleicht bald in Indien, vielleicht alsbald auch in China. In Deutschland schauen wir zu und kopieren erfolgreiche Modelle ? mit… Jahren … Verzug. Digitale Innovation findet nicht statt. Berater ziehen, mit und ohne Zukunftslabel, seit Jahr und Tag über Land und predigen dem Land die Notwendigkeit und die Bedingungen von ?Innovation?. Besonders die Medien sträubten und sträuben sich, von ihren gewachsenen Vorstellungen abzulassen. ?Warum soll ich mir das antun?? zählt noch zu den milderen Zitaten aus meiner Sammlung.
4) Beraterschelte ist ? gewiss immer wieder auch berechtigt ? vor allem aber wohlfeil. Irgendein Neid ist im Spiel, Unverständnis, Affekte vielleicht. Die Zukunftsforscher leiden obendrei an ihrem höchssteigenen Handicap: der Zukunft. Wollen sie sich nicht blamieren, bleiben sie so sehr im Allgemeinen, dass alles Künftige locker darunter passt; oder sie suchen sich eine Prognose von ?sehr grosser? Reichweite: war sie richtig, haben sie es ?schon 19xx vorhergesagt?, kommt es anders, erinnert sich niemand. Das gibt es, und es ist richtig das zu kritisieren, ja, zu denunzieren! Was mich aber besonders stört, ist das Ressentiment, ist der pauschale Charakter dieser (Zukunfts-) Beraterdiskriminierung; natürlich, weil ich betroffen bin. Weil ich mir in dieser Diskussion nicht selten wie ein Aussätziger vorkomme.
5) Aber auch, weil ich fest davon überzeugt bin, dass die Gesellschaft, jeder Einzelne und jedes einzelne Unternehmen, die ?grossen Bilder?, die ?freischwebenden Thesen? und auch die gründliche Verunsicherung braucht (und seien sie fehlerhaft), als Übung, als Folie des Abarbeitens, der Reibung, der ?Bewusstseinserweiterung?, um bei der Veränderung der eigenen Weltsicht Schritt zu halten, mit dem, was tatsächlich passiert.

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Dr. Dean 6. Mai 2007 um 3:38

Er bebrüllt so gern den neusten Trend
den außer ihn fast jeder kennt
Dem Manne mangelts nie an Holz:
Mit Brett vorm Kopf der Norbert bolzt

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Holmeor 6. Mai 2007 um 17:52

Woher der Neid, Herr Knüwer? -> (zu deutsch: kriegt Büro von jemand bezahlt, der es sich leisten kann)? Ihr Büro, aus dem Sie so eifernd Ihre Zensuren rundum erteilen und sich in Graphomanie üben, wird doch auch bezahlt!!! Und das HB kann es sich auch leisten…

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Dr. Dean 7. Mai 2007 um 15:19

owi peinlich: das Neid\“argument\“.

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