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Geht es um Internet und Technologie, so scheint kein Gesetz zu bizarr und weltfremd zu sein, um nicht in Deutschland doch beschlossen zu werden. Vergangene Woche verschärfte der Bundestag den so genannten „Hackerparagraphen“ – obwohl mehrere Experten davor warnten, obwohl auch der Bundesrat Bedenken hat. Ich vermute, die meisten Bundestagsmitglieder haben gar nicht recht gewusst, was sie da beschließen.

Denn die schlampige Formulierung des Gesetzes könnte theoretisch Netzwerk-Administratoren vor Gericht bringen, die testen, ob ihr Netz sicher ist. Man stelle sich den Hersteller kugelsicherer Westen vor, der nicht testen darf, ob diese kugelsicher sind. Im Extremfall gerät sogar der Chef in Bedrängnis, der seiner Sekretärin sein Passwort durchtelefoniert, damit die etwas nachschauen kann. Mehr dazu gibt es hier und hier bei Netzpolitik.

Und nun droht eine weitere Abstrusität, wenn auch von geringerer Bedeutung. Die deutsche Nationalbibliothek soll nämlich in das Internet-Zeitalter geführt werden. Und weil alle Druckwerke dort eingesammelt werden, soll das auch mit Online-Publikationen passieren.

Unter diese Archivpflicht könnten auch Weblogs fallen. Details werden derzeit noch in den Gremien erarbeitet, wie mir der Nationalbibliothekssprecher gestern erklärte. Deshalb lässt sich noch nicht genau sagen, was herauskommt.

Wahrscheinlich aber ist, dass nicht-private Weblogs gezwungen werden sollen, ihre Texte zu archivieren und in regelmäßigen Abständen an die Nationalbibliothek zu senden. Beim Bildblog, bestätigte mir der Sprecher, sei das eine sehr realistische Vision.

Und wieder einmal regiert das Web 0.0. Denn dass Weblog-Texte ständig verändert, korrigiert, verbessert, manchmal auch getilgt werden, ist für eine Institution, in der Bücher und Zeitschriften verstauben anscheinend nicht vorstellbar. Und noch viel extremer ist die Frage, was denn nun „private Blogs“ sind. Ist dies eine Frage der Geldeinnahme? Bedeutet die Teilnahme an Google-Adsense-Anzeigen dann eine Archivierungspflicht? Sind es die Inhalte? Dann müsste Frau Nuf ihr Weblog vielleicht nicht archivieren, die gleichen Texte in Buchform aber schon.

Ein Denkfehler macht Schule: Die neue Technologie soll sich dem überkommenen Konstrukt beugen, statt das System zu überdenken, werden bizarre Regeln geschaffen. Hauptsache, die Nationalbibliothek hat was zu archivieren. Und die Politiker müssen sich keine Gedanken machen, wie man eine Institution einstellt – obwohl das sinnvoller sein könnte.


Kommentare


Cem Basman 31. Mai 2007 um 15:23

Das erinnert mich an ein Vorhaben, dass ich vor zwei Jahren verantworten durfte: Der Textcontext eines sehr sehr grossen Intranets mit Gesetzestexten und Durchführungsverordnungen, die täglich zu ungeplanten Zeitpunkten im Gesamtbestand verändert wurden, musste aus gesetzlichen und aus revisionsgründen im KONTEXT archiviert werden. Das stellte uns mitten im Projekt vor fast unlösbare Herausforderungen. Die Anforderung kam recht spät im Projekt. Ich halte die Archivierung von Weblogs, die untereinander und mit anderen online Contentpartikeln dynamisch verlinkt sind, für fast aussichtslos. Höchstens exemplarisch aus historischen Gründen bzw. Anschauungsgründen.

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www.kapitalmarktexperten.com 31. Mai 2007 um 15:30

Ich bin ja – als sehr aktiver Blogschreiber – erschüttert über das, was Sie da schreiben (müssen). Sollte dieser Blödsinn tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, würde ich zwar weiter kräftig Bloggen, das wie und wo dann aber nochmal kräftig überdenken. Hoffentlich setzt sich so ein Bürokratenmüll nicht tatsächlich durch.
VG
www.kapitalmarktexperten.com

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Sec 31. Mai 2007 um 16:48

Ich weiss garnicht, was ihr habt. Das ist doch eine tolle Idee! Ich brenne gerne alle s halbe Jahr meine Webseite auf CD und schick sie denen…. Wenn die sie dann auch aufheben 🙂
Wenn die sich nicht mal ganz schnell umentscheiden, sobald sie mit Datenträgern geflutet werden 🙂

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Torsten Matthes 31. Mai 2007 um 16:52

Wie, jedes halbe Jahr? Ich finde, das sollte man täglich machen. Am besten mehrfach. ? Tolle Sache!

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Mathias Bank 31. Mai 2007 um 20:03

Ja, da hat unsere Politik mal wieder gezeigt, dass sie nicht ganz auf dem Laufenden sind. Ich hab deshalb vor einigen Tagen eine offene Mail an die technischen Ansprechpartner der deutschen Nationalbibliothek geschickt (offene Mail an die deutsche Nationalbibliothek). Bisher hat aber noch keiner geantwortet.

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FF 1. Juni 2007 um 22:17

Das Ganze hat schon einen sinnvollen Grundgedanken: Das erbrachte geistige Wissen irgendwie der Nachwelt zu erhalten. Das hat nichts mit Schäuble oder 1984 zu tun wie wieder mal im Heise-Forum sogleich vermutet wurde. Und auch nichts mit überbordender Bürokratie oder Web 0.0.

Sie publizieren hier für die Öffentlichkeit aus einer publizistischen Tätigkeit heraus. Was also liegt dem Gedanken grundsätzlich entgegen ihre heutigen geistigen Ergüsse auch den Menschen in 50 oder 70 Jahren noch zugänglich machen zu wollen, wenn Sie schon längst tot sind und der Blog gelöscht, oder das Handelsblatt eingestellt.

Die technische Frage ist natürlich eine ganz andere und komplizierte, aber sie wird sich lösen lassen. Vielleicht nicht perfekt, aber irgendwie wird es funktionieren. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Und ihr Vorschlag die Deutsche Nationalbibliothek zu schließen ist, mit Verlaub, einer der dümmsten Vorschläge die ich in letzter Zeit gehört habe. Wollen Sie unser digitales Erbe etwa alleinig dem Google-Chache überlassen?

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