„Ich kann das Scheiß-Zeug nicht mehr sehen. Und erst recht nicht riechen!“, brüllt Managing Partner Marcel und der Wurf des gläsernen Flakons gegen die gläserne Wand des gläsernen Konferenzraums der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt demonstriert, wie frustrierend diese Nachtschicht ist. Die Stimmung wird nicht gehoben durch den unübersehbaren Riss, der sich in der Glaswand bildet, als der Duftwasserbehälter an ihr zerschellt.
„Ob das die Versicherung trägt?“, murmelt müde Senior Consultant Alexandra.
„Mir do egaal“, krakeelt Marcel weiter.
Die Stimmung ist gereizt. Denn eigentlich hatte alles gut angefangen. Coty war vorstellig geworden, der Dufthersteller, der die in Lizenz die Calvin-Klein-Parfums herstellt. Ein neuer Duft soll kommen, einer, der die Stimmung der Zeit einfängt, so wie einst „CK One“ in den 90ern. Jetzt aber soll es um die „Generation @“ gehen, um Internet und Blogs und Youtube und Google. Und dafür soll die kleine PR-Agentur den passenden Namen liefern.
Seit neun Uhr morgens sitzen sie schon beisammen, neben Alexandra und Marcel auch die Senior Consultants Sabine und Lars. Und Praktikantin Julia als Protokolantin. Sie alle haben gerötete Augen und von billigen Konferenzkeksen verklebte Zähne. Niemand hat mehr eine Idee.
„e@e“ ? kann keiner aussprechen.
„Eau de Blog“ ? zu platt.
„Trackback“ ? klingt zu retro.
„OOO“ ? Markenrechtsstreit mit Gooogle vorprogrammiert.
Jede Woche Mittwoch liefert die kleine PR-Agentur einen neuen Vorschlag, jede Woche Donnerstag, kommt die Absage. Einen Versuch habe man noch, dann sei Schluss, daran ließ Coty keine Zweifel. Ohnehin ist das Verhältnis zwischen den feinsinnigen Parfumeuren und dem hemdsärmeligen Marcel nicht gut.
„Sollen sie sich doch ihr Parfüm in den Hintern schieben“, grummelt Lars.
Marcel verharrt: „Was hast du gesagt?“
„Sorrysorrysorry, ich wollte unseren Kunden nicht beleidigen. Wichtiger Etat und so. Aber ist doch wahr.“
Kräftig haut ihm Marcel auf die Schulter: „Nein, Digger, Du hast es! Du hast den Namen.“
„Wie jetzt?“
„In den Arsch. In2u ? das ist der Name!“
Doch der neue Kunde hat Marcel auch zu denken gegeben. Beim Lunch mit dem Chef grübelt er über gegrillter Gänseleberpastete an Pistazienschaum im hippen Business-Lunch-Lokal „Buzzbiz“. „Wir müssen was machen. Web Tu-Oh. Das ist noch nicht in unserem relevant set. Weblogs zum Beispiel sagen uns doch einfach nichts.“
Der Chef nickt zustimmend, während er das letzte bisschen Fleisch aus einem Hummerbein zutzelt. „Ist was dran. Müssen zeitgemäßer werden. Mein Financial Consultant redet wieder über Investment in Dotcoms Waren da zu negativ. Volle Power ins Internet. Mach das. Ich les ja auch so viel über dieses Second Life in letzter Zeit.“
Second Life. Stimmt. Hatte Marcel auch schon was drüber gelesen. Im „Spiegel“. Fast fünf Millionen Mitglieder. Durchgeknallte virtuelle Welt. Durchgeknallt? Genau das richtige für Junior Consultant Tanja-Anja. Die war ja nicht mehr so ganz beisammen, seit der Sache mit Jobscout damals.
Also darf sich Tanja-Anja in Second Life tummeln. Ohnehin sind ihr Kundenkontakte größtenteils untersagt worden. Vor allem ihr selbstgestrickter, rot-blauer Angora-Wollmantel führte jüngst zu modischen Unstimmigkeiten. Auch ihre wöchentlich wechselnden Teeempfehlungen machen sie nicht zur beliebtesten aller Kolleginnen. Aber feuern ? das traut sich Marcel dann auch nicht, aus Angst vor der geballten weiblichen Solidarität, die ihn treffen könnte.
Schon nach wenigen Tagen ist Tanja-Anja ein begeisterter Second-Life-Fan. „Schau mal, ich habe Flüüügel“, sagt sie leicht entrückt zu Sabine im Großraumbüro der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. „Und da kommt auch Jordy McLaglen, mein virtueller Verlobter“, jauchzt sie, als ein muskelbepacktes Wesen im schwarzen Lederanzug und mit Adlerschwingen auf dem Rücken heranschwebt.
„Dein… Verlobter?“, fragt Sabine zweifelnd.
„Ja, er hat mich gestern gefragt“, kichert Tanja-Anja.
„Ähm, aber, ich meine, hattet ihr denn…?“
„Sex? Oh ja! Er ist ein fantastischer tantrischer Cyber-Liebhaber!“
Das Wort „Sex“ hat auch Marcel herbeigerufen. Interessiert schaut er zu, wie Tanja-Anjas Avatar mit Jordy sich in einem der zahlreichen Cybersex-Quartiere vergnügt. Seine Augen verengen sich, ein Zeichen, dass ihm eine Idee kommt. Wenn auch so etwas in Second Life abläuft, sagt sein Berufskommunikatorensinn, warum das Ding nur als Marketing-Instrument einsetzen?
Zwei Wochen später präsentiert er dem Chef die Überraschung. Einen neuen Kunden. Randstad Zeitarbeit. „Wir machen für die eine Second-Life-Präsenz.“
Der Chef ist begeistert: „Also Firmenpräsentation und Events und so?“
Marcel grinst böse: „Viel besser. Ich hab mir unsere Tanja-Anja so angesehen. Ist ja total darin aufgegangen, die gute. Und da habe ich mir gedacht: Solche Mitarbeiter kann doch kein Unternehmen brauchen. Macht doch süchtig, dieses Second Life. Aber woher sollen Personalchefs wissen, dass sie irgendwelche Irren einstellen, die auf Firmenkosten den ganzen Tag rumsurfen? Also habe ich Randstad vorgeschlagen, in den Stellenanzeigen auf die Second-Life-Geschäftsstelle hinzuweisen. Da kann man sich jetzt auch bewerben.“
„Und was passiert mit den Bewerbungen aus Second Life?“
„Automatisierte Absage nach zwei Wochen. Hat Lars programmiert.“
„Auf Jobsuche in virtuellen Welten
Ranstad bietet Personaldienstleistungen für Second Life
Eschborn, 15. März 2007 ? Über vier Millionen Menschen weltweit haben sich bislang bei Second Life, der virtuellen 3D-Welt im Internet, angemeldet. Es gibt kaum ein namhaftes Unternehmen, das nicht wenigstens ein dutzend Mitarbeiter damit beauftragt hat, den Weg für einen Markteintritt in das ?Zweite Leben? zu ebnen. Musiker präsentieren in Second Life ihre neuesten Platten, Fernsehsender produzieren virtuelle TV-Sendungen und Nachrichtenagenturen und Online-Zeitungen berichten über die neu-esten Meldungen aus der virtuellen Welt. Selbst Politiker nutzen die Plattform bereits für ihren Wahlkampf.
Auf rasante Art und Weise nähert sich Second Life der Realität. So benötigen die Teilnehmer, Avatare genannt, wie im echten Leben auch in Second Life einen Job, um ihr Geld zu verdienen. Die Jobver-mittlung übernimmt zukünftig das Unternehmen Randstad, das erst vor wenigen Tagen als erster Personaldienstleister eine virtuelle Niederlassung eröffnet hat. Gemeinsam mit der Universität Ams-terdam wird Randstad auf diese Weise auch einen wissenschaftlichen Beitrag zur Erforschung mögli-cher Einflüsse des virtuellen Lebens auf die Struktur der sozialen Kontakte in der Realität leisten. Darüber hinaus sollen auch mögliche Unterschiede zwischen dem Verhalten virtueller und realer Arbeitnehmer beobachtet und analysiert werden.
Interessierte Arbeitssuchende können zudem nunmehr nicht nur in eine der realen Niederlassungen kommen, sondern sich auch in der Onlinewelt über die Chancen und Perspektiven von Zeitarbeit in-formieren. Dabei hat Randstad unter http://slurl.com/secondlife/randstad/50/100/50 sowohl virtuelle als auch reale Jobs im Angebot. Diese befinden sich zwar zurzeit noch in den Niederlanden, dem Randstad-Mutterland, allerdings steht man auch in den anderen Ländern bereits in den Startlöchern. ?Nachdem weltweit Menschen ihre bisherigen Jobs an den Nagel hängen um in der virtuellen Welt ihr Geld zu verdienen, und immer mehr Unternehmen mit einer eigenen Präsenz vertreten sind, werden zukünftig auch Personaldienstleistungen in Second Life nachgefragt. Zugleich erreichen wir mit unserer virtuellen Niederlassung Menschen, die im realen Leben auf Jobsuche sind, sich aber lieber inter-aktiv über das Thema Zeitarbeit informieren möchten?, so Christine Uphoff, bei Randstad Deutschland verantwortlich für das gesamte Marketing.“
(Hinweis: Der falsch geschriebene Firmenname in der Überschrift steht so im Original)
Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:
Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
Jack Bauer
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