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Die heutige Diskussion über den Deutschland-sucht-den-Superstar-Kandidaten, der bei der „Bild“ „auspackt“ ist leider ein Beweis dafür, wie weit unser Land in Sachen Medienerziehung zurückhängt. Schockschwerenot! Da werden DSDS-Kandidaten eingesperrt. Müssen vor Toningenieuren singen, und was könnte bestialischer sein, als vor Toningenieuren, TONINGENIEUREN, zu singen? Es werden sogar einzelne Szenen für die Kamera nachgestellt. Skandal, sage, äh, schreibe ich nur, Skandal!

Skandal, dass es ernsthaft Menschen gibt, die das überrascht. Es zeugt von der desaströsen Medienerziehung in Deutschland. Wobei ich Erziehung explizit nicht nur auf Kinder und Schule beziehe.

Vorletztes Wochenende weilte ich in London, gerade als die Affäre rund um die Big-Brother-Insassin, die eine andere freiwillig Inhaftierte mit indischen Wurzeln rassistisch anging. Natürlich stürzten sich auch die Boulevardblätter auf das Skandälchen. Doch nutzten die ernsthaften Medien die Gelegenheit wieder einmal, um zu demonstrieren, wie sich selbst Big Brother intellektuell verarbeiten lässt. Zum Beispiel wurde darüber diskutiert, ob es in England einen versteckten Rassismus ebenso gibt wie einen unterschwelligen Klassenhass. Vor allem aber war es vollkommen normal, wie die Produktionsweise von Big Brother als bekannt vorausgesetzt werden konnte.

In Deutschland aber lässt sich nur selten ein Medium herab, einfach mal zu erklären, wie andere Medien entstehen. Entweder man rümpft die Nase über Sendungen, die ein Millionenpublikum anziehen, oder man jubelt sie „Bild“-mäßig hoch, beziehungsweise macht sie nieder.

So kann es dann passieren, dass selbst Mitglieder der Spiegel-Online-Redaktion solche Enthüllungen als neu empfinden. Viel interessanter wäre auch die Frage, ob es zwischen RTL und „Bild“ zum Streit gekommen ist, wenn die vorher so DSDS-kuschelige Zeitung plötzlich solch eine Geschicht aufgreift.

Ich empfehle deshalb einfach mal eine Lektüre. Oder besser zwei, aber vom gleichen Autor. Ben Elton, nämlich, dessen Bücher in Deutschland leider nur rudimentär übersetzt werden. Er schrieb vor einigen Jahren einen wunderschönen Krimi über einen Mord im „Big Brother“-Haus unter dem Titel „Dead Famous“. Gerade lese ich sein jüngstes Werk namens „Chart Throb“. Worum es geht? Mauscheleien bei einem Gegenstück zu „Deutschland sucht den Superstar“.


Kommentare


DonDahlmann 30. Januar 2007 um 20:14

Naja, ich glaube nicht, dass das in vielen anderen Ländern anders aussieht. Mal abgesehen von England, wo man durch diverse Medienskandale gewissermaßen gestählt ist. Die fehlen hier einfach, denn wäre sowas mal passiert, würde die Bevölkerung wohl sensibler reagieren. Eine andere Variante, die man wohl nicht außer Acht lassen sollte: die meisten ahnen es, aber es ihnen egal. Fernsehen ist wie früher das Kino oder noch früher das Theater: man weiß, dass man eigentlich belogen wird, aber für ein paar Stunden ist es einem völlig wurscht.

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Zeitnehmer 30. Januar 2007 um 20:37

Stimmt schon, manchmal hat man tatsächlich den Eindruck, dass Fernsehen in Deutschland noch als eine Art zusätzliche Bildungsinstitution wahrgenommen wird. Es wird wohl noch ein paar Skandälchen dauern, bis die Medienkompetenz dagegen ankommt. Ben Elton wird sowieso zu wenig gelesen. Gibt\’s da eigentlich mal bald ein deutsches Äquivalent zu? Oder wird das dann gleich wieder vom Kulturapparat abgewatscht…

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Chat Atkins 31. Januar 2007 um 11:11

Du meinst, \“bestialischer\“ für den Toningenieur?

«Müssen vor Toningenieuren singen, und was könnte bestialischer sein, als vor Toningenieuren, TONINGENIEUREN, zu singen?»

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Armin 31. Januar 2007 um 13:31

Jepp, Ben Elton kann ich nur allerwärmstens empfehlen.

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Matthias Schrade 31. Januar 2007 um 21:51

Danke für den Hinweis – ich kannte von Ben Elton bisher nur \“Popcorn\“, eine rabenschwarze und m.E. gar nicht mal so unrealistische Satire auf unsere liebe gewaltverherrlichende Mediengesellschaft.

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