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Toronto ist eine Stadt der enttäuschten Erwartungen, kommt ein Reisender zum ersten Mal in das Finanzzentrum Kanadas. Bei mir war das im Jahr 1998, Anfang Dezember und ich hoffte auf kitschige Weihnachtsdeko, Shoppingrausch und mit Handglocken ringende Weihnachtsmänner an jeder Ecke.
Doch so ist Kanada nicht. Die Flitter-Leuchtkugeln in den Einkaufszentren waren zurückhaltend, Weihnachtsmänner sah ich nur einen und so richtig metropolig ist die Stadt auch nicht. Denn was der Torontonian Rush Hour oder Stau nennt, würde einen New Yorker veranlassen, zu fragen, ob irgendwo eine Straße gesperrt ist ? weil so wenig los ist.

Toronto ist anders, eben kanadisch. Nichts symbolisiert das besser als der einheimische Starbucks-Konkurrent Second Cup: Jede Filiale ein wenig anders, mal gibt es bequeme, ausgesessene Sofas, dann veralberte Filmplakate mit Kaffeesprüchen wie ?Gone with the Grind?.

Obwohl es natürlich vorzuziehen ist, das Frühstück in Form herzhafter und lunchüberbrückender Form

in einem jener Traditionsläden einzunehmen, die atmosphärisch irgendwo zwischen Edward Hopper und Paul Newman schwanken, wie dem „Senators“.

Das ist nicht spektakulär und nicht staunendmachend, sondern einfach sympathisch, angenehm, ruhig.
Zu sehen gibt es einiges, aber nicht überwältigend viel, wenn man die Stadt fünf Tage lang besucht, fährt man gutgewissig heim – man hat nichts wesentliches verpasst.

Der CN-Tower war mal das höchste freistehende Gebäude (wie viele architektonisch Höchstleistungskategorien gibt es eigentlich?), die Waterfront ganz nett, der Finanzdistrikt bei Nacht eindrucksvoll, weil in fast allen Gebäuden das Licht anbleibt (Umwelt-Säue, diese Kanadier), ein paar Museen und das Casa Loma, die 100-Zimmer-Ex-Residenz des einst größten Wirtschaftsmagnaten des Landes, Henry Mill Pellat – das wars eigentlich schon. Die Stadt ist kein Dorf, aber doch couchkuschelig nett, statt bodendeckender Fauna wird hier Zierkohl an die Straße gepflanzt.

Ach ja, und Eishockey. Mir ist ein Land ja sympathisch, das schon auf seinem Geldschein den Nationalsport preist.

Wer im knallkalten Winter in die Stadt kommt, kann den Teenagern auf der Eisfläche am Rathaus zuschauen, so wie hier einst Fußball, trifft man sich dort zum Hockey. Auch die Hockey Hall of Fame, ist eine durchaus unterhaltsame Angelegenheit.

Vergangene Woche nun war ich wieder in Toronto, dienstlich, für zwei Tage. Und auch acht Jahre nach meinem ersten Besuch stellte sich das alte Sofort-Wohlfühl-Gefühl ein, vielleicht auch weil ich mir das gewünscht hatte.

Wenn da nicht diese kleinen Irritationen gewesen wären. Die vielen Baugruben, an denen ich zunächst achtlos vorbei ging. Die Maklerschilder und Unmengen von Immobilienanzeigen in den Zeitungen, das Heer glasiger Appartementhochhäuser. Eine neue Generation will nicht mehr weit draußen in der Unendlichkeit der Einfamilienhäuser wohnen, die Touristen nur im Anflug auf die Stadt mitbekommen. Sie wollen dem Nachtleben nahe sein, den gastierenden Musicals und den Sportarenen. Und deshalb wird mal protzig, mal luftig, mal bauhausig nach oben gebaut.

Oder die Nachrichten, natürlich lokalfixiert, wie in den USA. Jede Nacht ein, zwei, drei Schießereien oder Verfolgungsjagden, davon war 98 noch nichts zu hören. Sogar der Verkehr erreicht auf den Expressway Richtung Vororte echte Stauqualitäten.

Es sind nur Kleinigkeiten, sicher. Doch auch die Torontonians spüren etwas. Einer meiner Gesprächspartner, in der Stadt geboren meint: ?Das Selbstbewusstsein der Kanadier hängt immer noch sehr stark daran, dass es hier angenehmer und schöner ist, als in den USA. Doch was wird passieren, wenn wir eines Tages erkennen, dass das nicht mehr so ist??


Kommentare


Rosa 7. November 2006 um 9:27

Aber Toronto ist doch immer noch anders. Sie lassen die ganze Nacht das Licht an, trennen aber zumindest auf der Straße ihren Müll. Mitten in der Stadt gibt es Behindertenparkplätze und Fahrradständer. Und zumindest im Herbst auch noch Leute, die wirklich mit dem Rad über die Yonge Street fahren. Und so gelassen können Amerikaner gar nicht werden, oder? Die Hoffnung bleibt.

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