Skip to main content

Zu den Plänen des Londoner „Daily Telegraph“ fällt mir erstmal nur ein Kommentar ein: Wow! Vor ein paar Tagen habe ich schon mal den Stellenabbau des britischen „Daily Telegraph“ kritisiert. Die nehme ich auch nicht zurück. Nun aber muss ich den „Telegraph“ aber auch loben: für seinen Wagemut. Denn was „Guardian“-Medienredakteur Roy Greenslade von seinem ersten Besuch im neuen Hauptquartier des Konkurrenten berichtet ist beeindruckend: ein riesiger Großraum, dessen Tischordnung an den Produktionsprozess angepasst ist; multimediale Plattformen mit Produkten, die an die Lesegewohnheiten angepasst sind; und Journalisten, die alles können.

Doch genau hier ist der Haken:

„For the journalists, this means that there will be no split of functions between print and web. And, in addition to providing text, they will also transmit audio and video for podcasts and vodcasts. And many staff are already building their new skills, appearing on camera to read their own scripts – downloaded on to a self-operated auto-cue – and cutting their own footage after barely an hour’s training.“

Klingt das nicht toll? Zu schön, um wahr zu sein? Es ist zu schön, um wahr zu sein. Denn Journalisten sind nicht alle gleich. Der eine ist ein begnadeter Rechercheur und toller Schreiber – kriegt aber vor einem Mikrophon keinen geraden Satz raus. Andere sind charmante Kamera-Säue, ihre Texte aber lesen sich wie Grundschulaufsätze. Daran ändern auch Trainings wenig. Es gibt Anlagen, die einen für diesen oder jenen Medienbereich prädestinieren.

Nur ein kleiner Teil einer Redaktion wird also in der Lage sein, diesen multimedialen Anforderungen zu genügen. Noch dazu sind die Erwartungen an den Vertreter einer Redaktion eben höher, als an einen Hobby-Podcaster/-Blogger/-Vlogger. Wenn ein Profi sich verhaspelt ist das ein Grund zur Häme, bei einem Amateur ist es sympathisch.

Und dann der Zeitfaktor: Ständig Output zu produzieren ist ja nett. Nur braucht es für den Output vorher eben Input, eben den Rohstoff Information, ausgegraben beim Handwerk namens Recherche. Und Recherche braucht Zeit, will sie gut und tief sein. Nicht jeder Gesprächspartner ruft sofort zurück, nicht jede Pressestelle kann stante pede ein Telefoninterview organisieren (wie gestern die der Süddeutschen Klassenlotterie bei meiner Recherche – großes Lob an Frau Pabst von der SKL).

Soll das Modell des „Telegraph“ in so weitem Ausmaß funktionieren, wie dies versprochen wird, muss eine Grundvoraussetzung wohl erfüllt sein: das klassische amerikanische Redaktionssystem.

Dieses unterteilt in Reporter, Schreiber und Redakteure. Die Reporter sammeln die Fakten ein, die Schreiber polieren und sortieren, die Redakteure passen an. Übernehmen die Redakteure oder die Schreiber auch das Formen der Multimedia-Inhalte, wird der „Telegraph“ gewinnen. Vielleicht nicht mit allen Produkten (einer PDF-Zeitung gebe ich keine große Chance), aber doch mit vielen.

Für Deutschland ergibt sich daraus aber ein generelles Problem: Dort sehen sich Journalisten eben als Voll-Journalisten, die recherchieren und schreiben und gezwungenermaßen redigieren. Für sie wäre das US-System eher unbefriedigend.


Kommentare


Stefan Fries 8. September 2006 um 22:30

Gerade bei Hörfunk und Fernsehen wird allerdings heutzutage zunehmend darauf Wert gelegt, dass die Journalisten nicht nur recherchieren und schreiben können, sondern ihre Texte auch gut selber präsentieren können. Wer diese Fähigkeiten nicht vereint, hat heute kaum noch eine Chance, ein Volontariat in Hörfunk oder Fernsehen zu bekommen.

Wird hier jedoch noch Wert darauf gelegt, die Menschen zu Voll-Journalisten innerhalb ihres Mediums auszubilden, so experimentieren manche Sender schon mit der Bimedialität. Dabei soll ein und derselbe Journalist dasselbe Thema für zwei, möglichst drei Medien aufbereiten: nämlich für Fernsehen, Hörfunk und Internet.

Dies führt jedoch zu großen Problemen: nicht nur die Herangehensweise an ein Thema ist für jedes Medium anders, auch die Aufbereitung, die Auswahl der relevanten Aspekte, die Gesprächspartner.

Hier liegt das eigentliche Problem: Man versucht, Geld zu sparen, indem jede Mediensparte nur noch von einem Journalisten bedient wird, dem Journalisten selber entstehen dadurch jedoch unüberwindbare Probleme. Von der zusätzlichen Zeit mal abgesehen, denn der Multimedia-Journalist kann alle drei Medien nur nacheinander bedienen, während drei einzelne dies parallel können.

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*