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Die Stimme klingt weiblich. Doch, weiblich. Aber sie nuschelt und ist bewusst verstellt. ?Hör Bortöls. Sie wörden ein Schroiben vom Onwalt von Sigmar Gabriel bekommen. Vörholten Sie sich donn ganz ruhig. Öntförnen Sie oinfach den beanstondeten Ortikel in Ihrem Weblog. Dos ist bösser für alle.? Klick. Aufgelegt. Praktikantin Julia nimmt den Hermès-Schal von ihrem Mund und lehnt sich entspannt zurück. Das müsste klappen. Alexandras großer Plan, der die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt zum dauerhaften Dienstleister des Bundesumweltministeriums machen soll, dürfte damit gescheitert sein. Zufrieden gießt sie sich einen Baileys ein und lässt die vergangenen Tage noch einmal vorbeiziehen und schmunzelt ? ein einziges Déjà-vu, dieses schon so lange dauernde Praktikum in der kleinen PR-Agentur.

Da hatte am Montag doch tatsächlich wieder jemand im gläsernen Konferenzraum gesessen, den irgendwie jeder kannte. Wie damals bei Jean-Remy von Matt. Und wieder wusste keiner, wer das denn nun so genau ist.

Es ist Sigmar Gabriel, der Bundesumweltminister. Schwer atmend sitzt er Managing Partner Marcel und dem Chef gegenüber. Auch Senior Consultant Alexandra ist dabei. Popbeauftrager war er mal, doch jetzt kennt ihn niemand mehr, erklärt Gabriel in leicht jammerndem Tonfall: ?Mit Umwelt kann man sich so unheimlich schwer profilieren.? Mit Internet schon eher, glaubt er eine Lücke erkannt zu haben: ?Wer in Berlin kümmert sich schon ums Internet?? Nur: Er selbst habe auch keinen blassen Schimmer davon.

?Sehr gutes Agenda-Setting? lobt Marcel. ?Internet, Web 2.0, Blogs ? das hat einen hohen Hipness-Faktor.?

?Vielleicht sollte ich auch so ein Weckplock schreiben??, fragt Gabriel.

?Falschfalschfalschganzfalsch. Anbiedern an die Szene. Nicht gut. Und die Szene mag auch nicht jeder?, fährt ihm der Chef die Parade.

Zeitgleich verdunkeln Jalousien den Konferenzraum, fährt ein Beamer aus der Deckeninstallation, während eine flackernde Lasershow in SPD-Rot die Wartezeit überbrückt. Bodennebel füllt den Konferenzraum und anschwellende, langsam in einen harten Techno-Rhythmus fallende Musik baut Spannung auf.

?Wir haben exakt das Richtige für Sie?, ruft der Chef gegen die lauter werdende Untermalung.
Marcel tritt neben eine herunterfahrende Leinwand, eine eleganter Handschwung manifestiert, dass er einen Knopf auf der Fernbedienung in seiner Rechte drück. Der Beamer wirft vier Buchstaben von oben herab, Marcel spult den auswändig gelernten Text ab:
„Sie brauchen KCSC. KCSC bedeutet: Wir pushen ein Issue selbst hoch. Ganz smooth and easy, aber higly explosive im Web. Sie stellen sich scheinbar dumm an, das Issue wird hot im Netz diskutiert. Dann machen Sie elegant die Rolle backwards und werden zum nice guy. Und damit sind sie in everybodys mouth. Angreifen, bevor der Angreifer weiß, dass er angreifen will. First Strike. Ein kommunikatives Guantanamo.“

Bei den letzten Worten sprühen zwei halbmeterhohe Pappzylinder Feuerwerksfunken bis an die Decke. Während Julia und Junior-Consultant Tanja-Anja in knappen Cheerleader-Kostümen und mit SPD-Roten Pompoms eine Runde um den Tisch laufen und mit gezwungener Fröhlichkeit skandieren: ?KEY SSII ESS SSIE! KEY SSII ESS SSIE!!?

Gabriel hustet sich den Trockeneisnebel aus der Lunge. Dann reibt er sich die Augen. Und nickt: ?Ja, klingt gut. Was haben Sie sich konkret vorgestellt??

?Wir müssen jemand finden, der Sie im Netz angeschossen hat. Am besten ein Weblog-Autor. Und dann werden sie denjenigen über ihren Anwalt abmahnen?, schaltet sich Alexandra ein. ?Sollten Sie zu einer Zusammenarbeit bereit sein, vergräbt sich unser erfahrenes Fachpersonal direkt im Web.?

Gabriel zückt einen Montblanc-Füller: ?Wo ist der Vertrag??

Das erfahrene Fachpersonal ist Julia. Immerhin hat sich auch damals bei von Matt recherchiert. Eine Woche braucht sie, bis sie auf etwas stößt. Ein Bild von Sigmar Gabriel im Weblog ?Mein Parteibuch?. Darauf hebt er den Finger und darunter steht: ?Ich will auch zu den Nutten, Herr Hartz?. Gut, das ganze stammt jetzt nicht so richtig aus dem Weblog, sondern ist schon im Jahr 2005 von jemand anders erdacht worden – doch der ist halt kein SPD-Mitglied.
?Perfekt!?, lobt Alexandra. ?Schön, dass Du Dein Köpfchen wieder von den Drogen frei bekommen hast? Dann eilt die Senior Consultant in Marcels Büro um ihm die gute Kunde zu überbringen.

Julia grübelt. Drogen? Wieso Drogen? Dann erinnert sie sich an die peinliche Sache, als sie zusammengeklappt ist. Und Alexandras ungewöhnliche Freundlichkeit an dem Tag.

Wieso sollte jemand annehmen, sie hätte Drogen genommen? Es sei denn, derjenige hätte sie selbst verab? ?DIESE SCHLAMPE!? brüllt Julia so laut, dass alle im Großraumbüro der kleinen PR-Agentur sie anstarren. ?Oh, tschuldigung, ein Freund ist gerade von seiner Freundin verlassen worden, ihr versteht schon, tschuldigungtschuldigungtschuldigung?, ruft sie und der Rest des Teams arbeitet weiter.

Natürlich wird am nächsten Morgen beim Agenturmeeting Alexandra vom Chef gelobt. Für ihren Einsatz in Sachen Gabriel. ?Wird funktionieren. Ganz sicher. Großartig! KCSC – und baff!?, ruft der Chef und schlägt mit der rechten Faust auf die flache Linke. Julias Mine verdüstert sich.

Nein, diesen Sieg wird sie Alexandra nicht überlassen. Und deshalb der Anruf beim Besitzer des Weblogs. Wenn der ruhig bleibt, wird die Sache versanden ? und Alexandra wäre die Verliererin.

Und tatsächlich: Bei ?Mein Parteibuch? tut sich nichts. Folge: Krisensitzung in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt.
?Kann doch nicht sein, dass der Bartels ruhig hält?, grummelt Marcel. ?Fängt sich doch sonst ständig Abmahnungen und freut sich drüber.?
?Vielleicht war es einfach nicht heftig genug??, fragt Alexandra. ?Müssen wir ein größeres Drohpotenzial aufbauen?
?Könnte aber sein, dass wir Gabriel dann verbrennen?, warnt der Chef.
?If he goes down, he goes down in flames. Ist doch auch was?, wischt Marcel die Bedenken zur Seite.

Kopfschüttelnd betrachtet Julia kurz darauf das zweite Schreiben von Gabriels Anwälten an ?Mein Parteibuch?.

Alexandra hat doch gewonnen. Verzweifelt aber sinkt ihr Kopf auf die Tastatur, als sie die bulgarische Sekretärin Polia durch das Großraumbüro rufen hört in Richtung des neben Alexandra stehenden Marcel: ?Chist Kurt Bäck. Will auch Sache wie Gabriel machen!?

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen


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