In Sachen Internet heißt es ja oft genug: Amerika, Du hast es besser. Nach einer Woche England ergänze ich mal: Och, Vereinigtes Königreich, bei Dir isses aber auch ziemlich gut. Regelmäßige Leser wissen ja, dass ich ein Freund Englands bin. Mich sogar in Sachen Fußball zu sehr peinlichen Dingen überreden lasse. Deshalb also vorweg: Vielleicht ist das Folgende nicht hundertprozentig neutral.
Die vergangene Woche also verbrachte ich auf der Insel in einer Gegend die trotz des schrecklichen Namens Cotswolds sehr, sehr schön ist. Es ist halt alles so stilvoll da drüben, selbst Supermarkt-Hausmarken sind nicht in sterilem Weiß gehalten und brüllen „JA!“, sondern schmeicheln das Auge des Käufers. Es muss halt nicht alles, was billig ist, auch billig aussehen.
Genauso geschmackvoll gehalten sind die Zeitungen im Königreich. Vor allem der „Guardian“, für mich die schönste Zeitung Europas (sollte übrigens noch jemand Kandidaten für diesen Titel haben, freue ich mich über Fotos oder Links).
Wer den Mut hat, ein Foto täglich auf einer ganzen Doppelseite zu machen, der ist ein echtes Problem für alle bunten Magazine. Folglich gibt es in England auch kein „Stern“-Gegenstück.
Besonders bemerkenswert war aber in der vergangenen Woche, wie sehr Begriffe, wie „Weblog“ schon in den Allgemeingebrauch übergegangen zu sein scheinen. In jedem Artikel, der hier in Deutschland geschrieben wird, müssen solche Termini immer und immer wieder erklärt werden.
In England anscheinend nicht: So findet sich auf der Seite 2 des „Guardian“ an jedem Tag die Rubrik „Today on the web“. Dort gibt es, ähnlich der früher üblichen Presseschau, Ausschnitte aus Weblogs zu einem bestimmten Thema, zum Beispiel Mel Gibsons Mutation in Mad Mel.
Ja, hat auch schon mal unsere eingegangene Schwippschwägerin „News“ in Frankfurt versucht. Mit desaströsem Ergebnis: Blitzschnell war die Rubrik verbrannt, die Autoren verweigerten sich der Preisgabe von Inhalten.
In der Tat ist das Zitieren aus Weblogs für kommerzielle Zwecke (und die Dienstleistung namens Zeitung hat natürlich ein kommerziell orientiertes Fundament) problematisch. Einerseits dürfte das teilweise Zitieren rechtlich unbedenklich sein: Weblogs sind ein öffentlich zugängliches Medium. Und Zeitungen und Sender zitieren sich ständig gegenseitig.
Andererseits geht es hier um den Konflikt Engagierte Hobbyisten vs. Wirtschaft. Die Recherche läuft, wie der „Guardian“ dies handhabt.
Überraschend aber: Nirgends wird erklärt, was Weblogs sind – es wird einfach erwartet, dass die Leser dies wissen. Damit steht der „Guardian“ nicht allein da. Die BBC sieht dies ähnlich. Völlig nebenbei heißt es dann im Radio über den Moderator der nächsten Stunde „…und er hat gerade ein neues Blog gestartet“. Übrigens wird im britischen Radio noch richtig moderiert und mit dem Hörer mehr als 30 Sekunden geredet – welch krasser Gegensatz zum WDR, wo selbst WDR2 zur unbedeutenden Formatradio-Bude verkommen ist.
Auch im Fernsehen ist es nicht anders. Ein sieben- bis zehnminütiger Beitrag wurde gedreht vom Salam-Pax-Macher, jenem weltweit bekannt gewordenen Blogger in Bagdad. Mutmaßlich gedreht wurde das ganze mit einer normalen Videokamera – doch die Qualität unterschied sich nur wenig von einem Beitrag, der mit einem Kamera-Team gedreht wird (einen anderen Beitrag gibt es bereits online zu sehen) Und auch hier: keine zusätzliche Erklärung, was ein Weblog ist.
Sind die Briten also einfach technisch gebildeter – oder die Journalisten so snobistisch, dass sie nicht erklären wollen?
Kommentare
Ad Hominem 6. August 2006 um 16:33
Sind die Briten also einfach technisch gebildeter – oder die Journalisten so snobistisch, dass sie nicht erklären wollen?
Vielleicht halten die britischen Journalisten ihre Leser auch einfach bloß nicht für blöd.
Thomas Knüwer 6. August 2006 um 16:46
Stellt sich aber trotzdem die Frage: zu Recht? Wissen die Leser/Zuschauer/Zuhörer wirklich immer was ein Weblog ist? Dann wäre England wirklich ein E-Paradies.
Martin 6. August 2006 um 16:51
Und selbst wenn die Leser es nicht wissen, Texte funktionieren ja auch so. Und wenn die Texte gut sind, dann kann man ja mal nachgucken, was dieses Blogdings eigentlich ist.
Don Alphonso 7. August 2006 um 11:59
Bitte, es ist immer die Frage, wer einen wo und wie zitiert. Das Kurzzitat ist absolut kein Problem, nur sollte man vorher gefragt werden, und es sollte nicht gerade das hinterletzte, ausbeuterische Schmierblatt für U-Bahn-Abfütterung sein, dessen Chefredakteur die New Economy im Print neu erfinden will. Über alles andere kann man reden, wenn der Nehmer sich auf das Reden einlässt.
Felix Hansel 7. August 2006 um 14:24
Ich hatte bislang bei jedem Aufenthalt in England das Gefühl, dass man technologisch grundsätzlich gegenüber Deutschland ein paar Monate vorne liegt. Irgendwie bleiben die Trends aus den USA halt erst mal auf der Insel hängen und schwappen dann langsam weiter in Richtung \“Old Europe\“. Kann mir aber dennoch beim besten Willen nicht vorstellen, dass deshalb jetzt in jedem Pub in Cornwall nur noch über Blogs diskutiert wird 😉
Armin 7. August 2006 um 15:23
Der typische Guardian-Leser weiss, was ein Blog ist und muss das nicht jedes Mal aufs Neue erklärt bekommen. Und das machen die anderen UK-Journos anscheinend genauso.
Was den Titel der schönsten Zeitung Europas angeht, für mich immer noch unschlagbar: \“Die Woche\“, obwohl RIP. Die letzten Ausgaben nach dem Redesign waren einfach allererste Sahne.
marcel w 7. August 2006 um 16:39
In Deutschland ist die Medienlandschaft auch teilweise einfach nur desaströs. Siehe Radio zum Beispiel.
Was UK und die Rezeption der Technologie angeht: Liegt vielleicht auch ganz profan an der Sprache. Die USA ist da immer noch ganz vorn und ohne Sprachbarriere geht das Überschwappen von Neuigkeiten/Trends vielleicht tatsächlich auffallend schneller. Und Selbstverständlichkeiten stellen sich dann auch schneller ein.
Jemand letztens in Australien gewesen?
usw. 7. August 2006 um 22:14
\“Genauso geschmackvoll gehalten sind die Zeitungen im Königreich.\“
Ähm, da gibt\’s auch in England sonne und sonne.
Alexander 8. August 2006 um 22:18
Irgendjemand muss auch in Deutschland damit beginnen, das Wort Weblog vorauszusetzen. Zeitungsleser lernen andere Begriffe wie Katjuscha schließlich auch in ein paar Tagen.
(Und nein, ich kenne auch keine schönere Zeitung als den Guardian.)
The Stig 14. August 2006 um 12:01
Thomas, Du bist wieder mal Trendsetter. Die FAS nimmt in ihrer Ausgabe von gestern das Thema auf:
\“Es waren, im übrigen, keine \“sogenannten Blogger\“, die die Vorwürfe gegen Salem Daher aufgebracht haben, wie \“Zeit\“ und \“Berliner Zeitung\“ mutmaßten. Es waren schon ganz echte. Bei allen berechtigten Zweifeln an der Kompetenz und journalistischen Sorgfalt dieser \“Hobbyjournalisten\“: Es wäre vielleicht an der Zeit, die Internet-Autoren nicht mehr in jedem Artikel als verschrobene Computerfreaks mit exhibitionistischen Neigungen darzustellen. Noch schöner wäre, wenn man mit den obligatorischen Nebensatzerläuterungen im Stile von \“Blogger sind Leute, die\“ ganz einfach völlig aufhören würde. Natürlich weiß immer noch nicht jeder, was ein Blogger ist. Aber mit dem \“weltweiten Datennetz\“ war ja auch mal Schluß.\“
(Harald Staun, in \“Die lieben Kollegen\“, S. 27, Medien im Feuilleton am 13. August 2006)
Carsten 16. August 2006 um 15:06
\“Tevzemei un brivibai\“
\“Gemeinschaft und Freiheit\“ (so ungefähr…)
Ach! Du wunderschönes Riga mit deinem Freiheitsdenkmal! *schnüff*
Ich werd sentimental, verzeiht bitte. Aber es ist doch sooooooo schön!