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Als Freund des Marketing möchte man verzweifeln angesichts der Musikindustrie. Denn welche andere Branche versucht schon, ihre eigenen Abnehmer zu schlachten? In der Journalistenschule war ich immer der Markeeeeting-Fuzzi. Zumindest für unseren Schulleiter Ferdinand Simoneit. Das „e“ wusste er dabei auf minutenlange Dimensionen zu ziehen. Recht hatte er ja, an der Uni war Marketing einer meiner beiden Schwerpunkte. Der andere hieß Umweltmanagement und damals frisch gegründet. Eine Zeiterscheinung, sicher. Aber eine gute Denkschule. Denn dort wurden wir auf kybernetisches ? oder für den Westfalen: vernetztes ? Denken getrimmt. Und das half auch wunderbar bei der Dimension des Marketing, die damals im Vordergrund stand: der langfristigen, strategischen nämlich.

Inzwischen hat sich vieles getan, auch in Sachen Marketing an der Uni Münster. Dort ist man näher ans Tagesgeschäft der Unternehmen gerückt, operative Instrumente wie Direktmarketing stehen im Vordergrund, nachdem ein deutlich jüngerer Professor den Lehrstuhl übernommen hat.

Es ist ein Zeichen der Zeit, dass langfristiges und vernetztes Denken an Bedeutung verliert im Wirtschaftsleben. Maßnahmen, Produkte, Kampagnen müssen funzen – sofort. Und so ist das Denken manches Marketing-Entscheiders inzwischen so vernetzt wie die Kreidelinie, auf der alkoholverdächtige Autofahrer einst der Polizei laufenderweise ihre Nüchternheit demonstrieren mussten, und so langfristorientiert wie die Lebensplanung einer Eintagsfliege.

Womit wir bei der Musikindustrie wären.

Die müsste in diesen Tagen, Wochen, Monaten überbrodeln vor Kreativität. Schon immer handelte ihr Geschäft davon, Gemeinschaften zu erschaffen, Kunden über ein, zwei Jahre bei der Stange zu halten, bis das nächste Album des geliebten Künstlers erscheint, und neuen Musiker durch den seidenen Umhang des Geheimtipps einen höheren Status zu verschaffen, als sie ihn oft verdienen.

Für jeden dieser Bereich ist das Internet wie geschaffen. Allerdings ist das Verhältnis der Musikproduzenten zum Netz ähnlich der Liebesaffäre, bei der ein Partner den anderen gleich in der ersten Woche betrügt: Selbst wenn er das nicht wieder tut ? das Unterbewusstsein bleibt immer misstrauisch. Das Web, so zetern die Musikmanager noch immer, hat ja angefangen mit dem Streit. Weil es die schöne, teure Musik kostenlos als Datei verteilte. Das Argument, solche eine Form der Piraterie habe weniger etwas mit Diebstahl zu tun, als mit dem schlichten Wunsch nach einer anderen Darreichungsform der Produkte, wollen sie nicht hören. Ginge es nach der Musikindustrie, gäbe es noch heute keinen Ipod.

Misstrauen und plattes Kurzfristdenken aber sind kein Fundament für Marketing. Denn daraus entsteht Angst. Und Angst fressen Geist auf. Die erste Mücke versucht man wegzuschlagen, kommt der Mückenschwarm, wird daraus ein hektisches Herumwirbeln ohne Chance, die Mücken zu erlegen. Am Ende liegt der Mensch entkräftet am Boden und wird von den Mücken zum Streuselkuchen gestochen.

Diesem Status nährt sich die Musikindustrie.

Ihre Kunden sind ihre Feinde. Und statt mit ihnen Geschäfte zu machen, schlägt die Musikindustrie drauf. Man mag eigentlich kaum glauben, nach wem sie haut: Dem Musikfan, zum Beispiel, der im Internet begeistert von einer neuen Band berichtet und auf ein wackeliges Video verlinkt. Oder der, der kurze Musikstücke online stellt, versehen mit euphorischen Kommentaren über jenen Künstler, von dem noch nie jemand was gehört hat. Die Teenager, die sich Songs greifen und vor einer Webcam Karaoke machen.

Der Irrsinn feiert Party in der Branche der schönen Töne. Wer glaubt, dass solche Fans den Verkauf der eigenen Produkte verhindern, der hat kein Vertrauen in seine Produkte. Wie schön ließen sich hier Marketingkampagnen entwerfen. Ein Karaoke-Wettbewerb für Teenager, zum Beispiel ? mit der Möglichkeit, jeden Song direkt im Netz zu kaufen. Oder die Förderung von Musikfreunden, die besonders lesenswert über Neuigkeiten schreiben. Was gäbe es für eine Überraschung im Netz, wenn sich die neue Band bei solch einem begeisterten Fans melden würde, um sich zu bedanken? Wie begeistert würde er dann schreiben, wie groß wäre die Ausstrahlung ins Netz hinein, dass die Stars Kontakt aufnehmen? Warum nicht Videos mit verminderter Tonqualität zum Weiterversenden freigeben ? glaubt irgendjemand, dass sich die Musik dadurch schlechter verkaufen würde?

Schon auf solch simple Ideen kommt niemand in der Musikindustrie. Sicher, das Internet wird wahrgenommen. Aber dann werden platte PR-Kampagnen inszeniert wie jene um Sandi Thom. Die englische Sängerin soll angeblich durch die Teenager-Plattform Myspace hoch gekommen sein ? die Suchfunktion von Myspace entlarvte die platte Lüge.

Und so entfernt sich die Musikindustrie immer weiter von ihren Kunden, führt gar Krieg gegen sie. Sie gleicht einem Zombie mit Kettensäge in der Hand, bereit zum letzten Massaker. Denn vielleicht ist es jenen Flachdenkern noch gar nicht aufgefallen: Wenn Künstler sich über das Internet selbst vermarkten können, ihre Musik ohnehin nur noch Datei ist und nicht mehr CD ? wer braucht dann noch die Musikindustrie?


Kommentare


Björn Eichstädt – Storyblogger 20. Juni 2006 um 12:43

Das ist schon wirklich traurig, was da abläuft, da geb ich Dir recht. Vor allem kommt man sich als Besitzer von wirklich sehr vielen originalen Tonträgern und großer Musikfan schon verschaukelt vor, wenn die Information über neue Musik auf einmal ein Verbrechen sein soll. Hat eigentlich schonmal jemand den Vergleich angestellt, dass früher das \“Reinhören\“ im Plattenladen ja schließlich auch nichts gekostet hat?

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Andreas Berg 20. Juni 2006 um 13:04

Hey, da sprichst Du mir aus der Seele. Noch schlimmer als die Musikindustrie finde ich nur noch die Filmindustrie, die jedem Kinobesucher oder DVD-Käufer brühwarm erzählt, dass man mit dem, was er gleich sieht, ja auch mal was illegales machen könnte. Und allein wegen dieser Möglichkeit fühlt sich der Kinobesucher schlecht und bedroht.

Die Musikindustrie macht\’s ähnlich, nur hat sie nicht ganz so die Mediengewalt wie die Filmindustrie.

Die \“Un-CDs\“, die die Musikindustrie produziert, sind ein Ausdruck der geschilderten Hilfs- und Ahnungslosigkeit.

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Falk 20. Juni 2006 um 13:41

\“Schon auf solch simple Ideen kommt niemand in der Musikindustrie.\“

Doch – aber derzeit noch nicht an den Stellen, wo es die breite Masse der Menschen auch wahrnehmen würde. 80% des Umsatzes in Deutschland generieren nicht mal eine Handvoll Firmen. Aber über 50% der Veröffentlichungen kommen von den restlichen 20%. Das ist das eigentliche Problem in meinen Augen.

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björn 20. Juni 2006 um 14:42

leider gottes ist diese abwehrhaltung auch bei vielen indepentent-labels festzustellen. der paradigmenwechsel in deren denkweisen vollzieht sich leider gottes sehr sehr langsam. unterhalte dich mit labels/künstlern über websites und du hörst immer nur \“irgendwas mit flash, irgendwas verspieltes\“ (o-ton). das es auch um zugänglichkeit der inhalte geht wie auch die obengenannten gewünschten darreichungsformen, interessiert nicht. man konnte sich ja jahrelang auf der hype-plattform ausruhen, die konsumenten sollten eben brav bezahlen.

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Ulrich der Tauscher 20. Juni 2006 um 15:06

Interessant wird es zu sehen, wie die Musik-Industrie auf Hitflip reagieren wird. Dort kann man sich für 99 Cent ein komplettes Album ertauschen statt sich für den selben Betrag ein einzelnes Lied runterzuladen. Und das ganze auch ncoh absolut legal, da nicht Dateien sondern CDs getauscht werden.

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Anne 20. Juni 2006 um 20:55

Erst wenn der letzte Kunde vertrieben wurde, liebe Musikindustrie, werdet ihr feststellen, daß man unverkaufte CDs nicht essen kann.

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Ernst 20. Juni 2006 um 22:33

Die Kreidelinie gibt es heute noch.

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triple6 21. Juni 2006 um 2:13

Vieleicht sollten die Damen und Herren der Major-Label mal wieder Qualität produzieren, anstatt flachgeistigen Müll immer wieder aufzuwärmen. Oder hätten sie dann zu wenig Zeit zu jammern?

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GHLing 21. Juni 2006 um 7:50

Das traurige an der Geschichte ist ja, wie so oft, das diese \“Ausfälle\“ (Ich freue mich immer noch, wenn die MI vor Gericht ihre Verluste gegenüber eines bösen Filesharers vorrechnen muss) zuerst die Bands treffen.
Die Manager & Bosse, die das ganze Geld einstecken und für diese Entwicklung zumindest eine große Mitschuld haben, werden auch weiterhin ihre Kohle scheffeln. Es werden wohl eher gute Bands aussterben, als das diese Herren ihr Gehalt kürzen würden.
Arme Welt.

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frank 21. Juni 2006 um 8:23

Der Künstler will allleine seine Musik weltweit vertreiben? Ohne CD und ohne Musikindustrie? Nur in einem Musicstore seiner Wahl?

Daran wird der Musikboss erst glauben,w enn er als letzter das Licht in seiner Firma ausmacht.

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Björn Eichstädt – Storyblogger 21. Juni 2006 um 10:31

@GHLing: Aber nicht, wenn wir das Zeug von denen einfach nicht mehr kaufen. Solange es noch genug Konsumenten für den ganzen Plastikmist gibt, nun gut. Aber dann müssen eben die anderen auch in die Offensive gehen. Und das Internet bietet derzeit die Möglichkeiten wohl mehr als je zuvor.

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Jochen 21. Juni 2006 um 10:57

Aber ganz schuldlos sind auch Musikschaffende an der Situation nicht. Man kann immer noch sagen: Nein, unter den Bedingungen unterschreib ich keinen Vertrag. Wer seine Urheber- und Leistungsrechte komplett abgibt, braucht sich später nicht zu beschweren, daß Fans durch Abmahnungen oder andere Dinge, die der Musiker nicht in der Hand hat, vergrault werden. Es gibt einige Künstler, die Ihre Rechte behalten (z.B. Beginner) und nur begrenzt an Plattenfirmen (z.B. zur Distribution und Produktion der Musikmedien) weitergeben und somit verhindern, daß Plattenfirmen unkontrolliert agieren können.

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Weltherrscher 21. Juni 2006 um 11:16

die musikindustrie ist einfach nur noch ein sehr sehr trauriges thema geworden.

und das image der mi ist soooo tief am boden, dass jetzt endlich auch alternative vertriebswege gefunden werden können.

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