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„Verflucht noch mal, was ist das denn“, schimpft Senior Consultant Alexandra lauthals durch das Großraumbüro der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Doch ihr Ruf geht unter ihm allgemeinen Aufstöhnen der Kollegen. Denn mit einem Schlag geht nichts mehr, informationstechnologisch gesehen. Die Bildschirme zeigen ein gefrorenes Bild, Mauszeiger zeigen zwar noch, zucken aber nicht mehr. Und dann schiebt sich langsam ein Tiger ins Bild und faucht so laut, als gelte es klarzustellen, dass er nicht nur der König des Dschungels sondern auch der König der Stadt ist, an deren Rand die kleine PR-Agentur liegt. Nach zehn Sekunden ist der Spuk vorbei. „Was war das denn?“, ruft Senior Consultant Sabine. Niemand weiß es. Doch es scheint, als laufe jetzt wieder alles normal. Und auch Sabine tippt deshalb weiter an ihrem Konzept. Nachdem die Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Naturdarm so wunderbar gelaufen war, hatte sie nämlich die Idee für ein neues Journalisten-Geschenk. Wurstbriefe.

Lassen sich in allen möglichen Formen herstellen und erfreuen die Redaktionen sicher. Ein Handy zum Beispiel für die IT-Leute. Und einen Schmetterling für die „Brigitte“-Schreiberinnen. Aber warum nicht auch für andere Leute, das gemeine Volk? Sabine skizziert einen Businessplan für den Wurstkarten-Online-Shop.

Für solche Dinge hat der Chef schlagartig keine Zeit mehr. „Choomischä Anruf, wolle Sie spräche sofoaht“, radebrecht seine bulgarische Sekretärin Polia. Neugierig lässt er den Anrufer durchstellen, aus Imagegründen nimmt er aber nicht sofort ab, sondern lässt den Anrufer zunächst in der Warteschleife, um Beschäftigtheit zu simulieren.

Über eine Minute lang muss sich der Unbekannte mit den schönsten Firmensongs aus der Feder der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt beschäftigen.

Seit neuestem gehört auch der mitreißende Air-Berlin-Song dazu, an dem Junior Consultant Tanja-Anja ihren neuen Hang zum Optimismus austoben durfte:

„Flugzeuge im Bauch
Im Blut Kerosin
Kein Sturm hält sie auf
Uns’re Air Berlin
Die Nase im Wind
Den Kunden im Sinn
Und ein Lächeln stets mit drin
Air Berlin“

Dann geht der Chef endlich dran. Eine verzerrte Stimme sagt: „Wie hat ihnen denn meine kleine Schmusekatze gefallen?“
Der Chef stutzt. Dann sagt er: „Ich glaube, Sie sind falsch verbunden? Sie möchten das Tierheim?“
„Nein, ich will Dich, Fettsack. Sag bloß, Dir ist nichts aufgefallen?“

Natürlich nicht, denn der Chef hat seinen Computer nur selten im Blick.
„Dann guck Dir mal Deinen Bildschirm an“, quäkt die Stimme. Um im selben Augenblick hat auch der Chef sein Tiger-Erlebnis.
„Was soll das? Wenn ich dich zu packen kriege…“, brüllt er.

Doch die Stimme bleibt kalt und ruhig. Die Forderung des Anrufers ist klar: Die kleine PR-Agentur soll einen Teenager groß rausbringen. 16 Jahre soll er alt sein und ist angeblich der jüngste Firmengründer Deutschlands.

„Und wenn nicht?“, fragt der Chef mit gespielter Selbstsicherheit, denn alles was mit Computern zu tun hat, ist ihm fremd, ja wirkt sogar Angst einflößend.
„Dann lösche ich Eure gesamten Datenbestände. Also?“

Der Chef überlegt. Warum eigentlich nicht? Ein 16-Jähriger mit einer Firma ist ja gar nicht so übel. Damit würde die kleine PR-Agentur auch eine neue Community erreichen. Würde eine gewisse Street Credibility bringen. Gerade erst, bei einem Geschäftsessen in Hamburg, hatte ihm das doch dieser eklige Multimedia-Berater mit der Brüll-Stimme erzählt.

Also sagt er zu. Natürlich soll nicht zu viel Kapazität hinein fließen. Und es darf niemand etwas mitbekommen von seinen Leuten. Also schickt er Junior Consultant Tanja-Anja mit Praktikantin Julia nach Dreieich zum 16-jährigen Gründer von Tiger Design. „Kann nichts schief gehen. Die beiden merken garantiert nichts“, murmelt er zu sich selbst.

Tun sie tatsächlich nicht. Ein paar Tage später geht das Ergebnis an die Presse:

„Von wegen Perspektivlosigkeit: Sechzehnjähriger startet mit Werbeagentur erfolgreich in die Selbstständigkeit

Seine Altersgenossen spielen Fußball, planen Disco-Besuche und schlafen an den Wochenende so richtig aus. Nicht so Sven Franzen: Der Sechzehnjährige trifft sich an den Nachmittagen mit Kunden, entwickelt an den Wochenenden Corporate Designs und denkt über neue Akquisitions-Strategien nach. Es ist noch nicht lange her, da startete der 16-jährige Schüler aus Dreieich mit seiner Firma TIGER.DESIGN (www.tiger-design.de) in die Selbstständigkeit.
Damit ist er seit 10 Jahren der jüngste Firmengründer in Hessen. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und knapper Ausbildungsplätze wagt sich der junge Unternehmer zwischen Schulunterricht und Hausaufgaben in den Konkurrenzkampf mit etablierten Firmen.

Seine Selbstständigkeit wurde erst möglich, nachdem viele Hürden genommen
wurden: Ausführliche Gespräche mit der Industrie- und Handelskammer waren notwendig. Und auch die Justiz musste bemüht werden ? für die Erteilung einer ?partiellen Vollgeschäftsfähigkeit?, die es dem Minderjährigen erlaubt, rechtsverbindliche Geschäfte einzugehen.

Sven Franzen hat sich hohe Ziele gesteckt: Überall dort, wo digitale Technik als Kommunikationsmedium auftaucht, will TIGER.DESIGN zur Stelle sein, um die neuen Medien fachgerecht in die Kommunikationsstrategie zu integrieren. Hierfür bietet der junge Unternehmer ein erstaunlich breites Spektrum von Dienstleistungen: Corporate Design und Werbestrategien stehen ebenso auf der To-do-Liste wie Imagebroschüren, Logo-Entwicklung und Kreativ-Meetings.

Schon nach kurzer Zeit konnte TIGER.DESIGN einen veritabeln Kundenstamm gewinnen, die Strategie des Sechzehnjährigen scheint aufzugehen: Man darf gespannt sein, was der Dreieicher Gymnasiast in den nächsten Jahren aus seiner Firma machen wird.“

Da hatten die beiden doch wirklich gute Arbeit geleistet. Einem Teenager mit Web-Kenntnissen gleich noch strategische Fähigkeiten unterzujubeln ? so viel Chuzpe muss man mitbringen, denkt der Chef nachdem er den Text sieht. Und dass von den Kundenreferenzen die meisten auf ein Gewinnspiel verweisen ? „Merkt doch keiner.“

Allein: Schreiben mag darüber niemand. Das fällt dem Chef nicht weiter auf, er hat die Sache schon wieder verdrängt.

Eine Woche später aber macht sein Monitor plötzlich „Plong Plong“. Und nochmal, diesmal drängender: „PLONGPLONGPLONG“, so als ob jemand von innen an die Bildschirmscheibe klopft.

Der Chef sieht von der jüngsten Ausgabe des „Golf Magazin“ auf. Er sieht eine Hand, ähnlich der des Esso-Tigers, die in der Tat von der Windows-Oberfläche aus zu klopfen scheint. Dann schiebt sich der bekannte Tigerkopf ins Bild: „Ich bin sehr böse“, brummt er.

Mit einem Schlag wird der Monitor weiß und ein Text erscheint: „Niemand berichtet über Tiger-Design! Ändern Sie das!“ Hektisch hackt der Chef auf die Escape-Taste, die kennt er wenigstens. Der Bildschirm schaltet sich aus, aus dem PC steigt unangenehm in der Nase stechender Rauch auf.

Das Herz des Chefs schlägt schneller: „Kann alles kaputt machen, der Typ. Müssen ihn in die Presse kriegen.“

Eiligst ruft er Tanja-Anja und Julia in den gläsernen Konferenzraum. Erwartungsvoll schauen ihn die beiden an. Gerade, als er ansetzen will zu sprechen, durchfährt es denn Chef: Wenn er zu viel Druck macht, bekommen seine Leute mit, dass etwas nicht stimmt. Das wäre nicht gut. Nein, er muss das selbst erledigen.

„Wollte nur schauen, wie schnell ihr einsatzbereit seid. Sehr gut. Sehr schnell. Weitermachen!“, sagt er und eilt hinaus. Tanja-Anja tippt mit ihrem Zeigefinger gegen die rechte Stirn, als der Vorgesetzte fort ist.

Doch was kann er ändern? Was muss er schreiben? Street Credibility, Street Credibility, Street Credibility zieht es vor seinem inneren Auge vorbei. Und dann hatt er den genialen Einfall. Eine winzige Änderung nur, dann klappt es. Und so bekommen die Medien eine Woche nach der ersten Mitteilung die zweite über Tiger-Design. Und diesmal, da ist der Chef sicher, werden sie das Thema aufgreifen. Denn nun hat die Mitteilung echte Street Credibility:

„Sechzehnjähriger startet mit Werbeagentur erfolgreich in die Selbstständigkeit

Am Wochenende ausschlafen, große Partys feiern oder einfach mal relaxen ? das scheint für viele die ?Jugend von heute? zu sein. Auch der Sechzehnjährige Sven Franzen ist immer für ein ?Chill-Out? zu haben, doch meist trifft er sich an den Nachmittagen mit Kunden, entwickelt Corporate Designs und denkt über neue Marketing-Strategien nach…“

(Vielen Dank an Stefanie Berg und Axel Postinett)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christmas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut


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