Wer das Raubtier im Journalist erleben will, muss früh am ersten Cebit-Morgen am Eingang Nord sein: Dann geht sie los, die Hatz auf die Regierungschefin. Super. So musste es ja kommen. Erster Cebit-Tag und – Schnee.
Frierend treffen sich die Messefahrer auf den S-Bahn-Höfen Hannovers. Die einen führen Personalanwerbungsgespräche auf dem Handy, so dass jeder in zehn Meter Umkreis mitbekommt, dass der Mobiltelefonierer eine Stelle zu vergeben hat. Örtliche Hostessen erzählen sich, dass ihre WG ganz nette Messegäste hat. Die WG-Bewohner selbst sind bei Freunden untergekommen.
Auf dem Gelände selbst glitschen Lederschuhträger munter umher, selbst die ausgelegten Bastteppiche verhindern nicht das Ausrutschen. Eigentlich müsste man das wissen, aber der Mensch verdrängt ja auch unangenehme Erinnerungen aus dem Hirn.
Neulinge erkennt man daran, dass sie minutenlang vor den Areal-Wegweisern verharren, ihre Handys rauskramen und den Satz sprechen, der in den Zeiten, da Mobiltelefonie noch neu und aufregend war, jedes Gespräch eröffnete: „Ja, Du, ich bin jetzt hier.“ Nur wird er jetzt ergänzt um: „Wo muss ich denn hin?“
So mancher Stand ist noch nicht fertig, als die ersten Besucher kommen,
an anderen wird schon gebrutzelt, dass Passanten sich sorgen, die Rauchmelder könnten auslösen.
Einiges ist wie früher. Zum Beispiel die Anhäufung wolkiger Anglizismen, die das beliebte Buzzword Bullshit Bingo um neue Varianten bereichern:
Anderes hat sich verändert. Zum Beispiel ist die Gastronomie noch immer halsabschneiderisch teuer – hat qualitativ aber deutlich zugelegt. Sogar dem Zeitgeist wird gehuldigt:
Zu den bizarrsten Ritualen eines ersten Messetags zählt der Kanzlerrundgang. Und weil der zum ersten Mal ein Kanzlerinnenrundgang war, schwoll die Traube der Journalisten auf deutlich über hundert an.
Immer passiert das gleiche: Kanzlerin wird von Firmenchef begrüßt, Chef zeigt Produkt, Kanzlerin nimmt Produkt fotogerecht in die Hand und lobt Firma, Chef verabschiedet sie. Dann eilt die Regierungschefin den einen Gang entlang, der schrille Ruf „Presse“ weist selbige einen anderen entlang – damit die Journalisten nicht den Regierungsweg blockieren.
Wie ein avantgardistisches Theaterstück mitten in der Messehalle verfolgen Unbeteiligte die rennenden Block-, Kamera- und Mikrofonträger wie sie über Stände hasten, die Stirne schweißglänzend, der Atem schwer. Wer den Anschluss verliert fürchtet, den rührenden Moment zu verpassen, wenn Merkel ein Kind streichelt. Oder einen Hund. Was süßes halt. Laut schrammen sperrige Mikrohalter an Standwänden entlang, rücksichtslos werden Hostessen zur Seite gerempelt bei der Jagd nach dem besten Bild. Es fallen kollegiale Sätze wie „Ich prügel mich doch nicht mit diesem Vollpfosten.“
Zwischendurch gilt es den Bus zu erwischen, der die Strecken zwischen einzelnen Hallen überbrückt:
Die Kanzlerin selbst gibt trotzig zurück, wenn ihr etwas nicht passt. „Haben sie auch Anwendungen? Zeigen sie mal irgendwas“, giftet sie die faktenverliebten Siemens-Leute an. Telekom-Chef Kai Uwe Ricke muss sich einen sehr bösen Blick gefallen lassen, als er Merkel vor dem 3D-Bildschirm positionieren will wie ein Golflehrer seinen Zögling beim ersten Abschlag.
Und als ein Fotograf „Lachen!“ fordert, gerade als ihr Metro-Chef Körber etwas erklärt, haut sie dem Zwischenrufer „Ich lache immer erst, wenn ich etwas verstanden habe“ um die Ohren – gut, diese Lach-Reaktion kennt man ja von Kleinkindern.
Ohnehin: Die Metro scheint Merkel zu gefallen. Vielleicht weil der Konzern passend zum aufgebauten Future Store eine Mitarbeiterin mit futuristischem Haarschnitt Marke Topf-Kopf präsentierte, die bei Raumpatrouille Orion sicher eine Nebenrolle bekommen hätte. „Lassen sie mach mal ran“, sagt Merkel und schiebt einen Einkaufswagen durch die vollautomatische Kasse – und lächelt.
Bei Vodafone lacht sie auch. Worüber, werden die Journalisten allerdings nie erfahren: Der Konzern arrangierte seine Mitarbeiter zwar eindrucksvoll zum Klatschspalier und kündigte die Kanzlerin laut tönend wie einen Schwergewichtsboxer an – demonstrierte seine Kommunikationskompetenz aber durch das Fehlen von Mikrofonen. Anscheinend ist das Teil der Corporate Identity: Die Tochter Arcor machte es der Mutter nach.
Nach zweieinhalb Stunden ist die Jagd vorbei. Eine Kollegin fragt: „Wo ist eigentlich Wulff abgeblieben?“. Der Ministerpräsident hatte die Kanzlerin zwar zu Beginn begrüßt, doch irgendwo zwischen Intel und SAP ist er verlustig gegangen. Hoffentlich hat er sich nicht verlaufen.
Kommentare
Kuroi Tenshi’s darkness 10. März 2006 um 3:11
Interessante Einblicke in die Cebit bringt derzeit Thomas Knüwer im Blog Indiskretion Ehrensache an den Mann. Sehr lesenswert, wirklich, ganz ehrlich…
Und es bleibt die Erkenntnis, das sich die Kanzlerin wohl ganz gut schlägt und scheinbar der Höhe…