In diesem Wochen verwandelt sich jeder Marketing- und Werbemensch auf ein Niveau, das die menschliche Rasse seit den Tagen des Neandertalers nicht mehr kannte. Kaum fragt Chef oder Kunde nach Ideen, brabbelt es aus schaumgeifernden Mündern: WeeeeÄÄÄMM. Auch auf der Cebit. Ich bin ja auch ein Freund des Fußballs. Aber man kann wirklich alles übertreiben. Zum Beispiel auf der Cebit. Früher begegnete da den Besuchern vieles Witziges in Sachen Werbung und Marketing. Heute begegnet ihnen – Fußball.
Hostessen sind nicht mehr in elegante und männeraugenfreundlich knapp gehaltene Kostüme gewandet, sondern in wadenverunstaltende Fußballtrikots gestopft, die hochhackigen Schuhe ersetzt durch tiefstollige Kick-Treter. An jedem zweiten Stand darf auf irgendwelche Torwände getreten werden.
Wenn irgendwo, wie bei Intel, für schnelle Datenleitungen geworben wird, dann mit Formel 1 – oder Fußball.
Und die meisten Plakatwände sind gefüllt mit Kickern, bei Samsung gibt es Chelsea, bei Benq Siemens Real Madrid und bei LG Klinsis Jungs – wobei die Differenz zwischen sonnigem Trainer-Grinsen und grimmigem Kahn-Blick heute wohl als fast prophetisch bezeichnet werden darf:
„Fußball, wir müssen was mit Fußball machen“, hecheln deshalb ideenlose Marketing-Menschen und pappen einfach Bälle auf Motive, egal ob es passt oder nicht. Zum Beispiel der Prozessorhersteller, dessen Kombination von Kolibri und Slogan „Run longer, run faster“ angesichts der beschränkten Laufmöglichkeiten des Vogels schon bizarr wirkt, der aber nun auch noch einen Fußball draufsetzt, der das armet Tier einem baldigen Hirntod durch Zerquetschen nahe bringen dürfte.
Alles so Ballaballa in Hannover, selbst Foto- und Computerzubehörhersteller wie Hama versuchen sich als inoffizielle WM-Ausstatter:
Fehlt nur noch ein WM-Fanartikelstand. Ach nein, den gabs ja zwischen Halle 3 und 4, wo sich das internationale Publikum überzeugen konnte, dass die offiziellen Produkte von bemerkenswerter Langeweile, Humorlosigkeit und minderer Qualität durchwirkt sind:
Auch so manche Beutelratte (Ausstellerjargon für Tüten- und Werbegeschenke abgreifende Privatbesucher)
wurde erfasst vom Ball-Delirium und griff zu den von Sun ausgegebenen Luftbällen, die dann den ganzen Tag im krampfhaften Würgegriff über das Gelände geschleppt wurden:
Was umsonst ist, wird halt mitgenommen, egal ob auf der Cebit oder jeder anderen Messe. Selbst wenn daheim sicher die Frage aufkommt, was zum Teufel man mit solch einem dauerhaft nicht überlebensfähigen Edel-Luftballon anstellen soll.
Und weil es umsonst ist, bleibt man auch stehen, wenn es rhythmische Sportgymnastik bei Schwarzlicht zu sehen gibt…
… oder der unerträgliche Goleo-WM-Song im Playback durch die Halle wummert:
Und was ist mit den Frauen? Dem Geschlecht, dessen Fußball-Interesse bekanntermaßen deutlich unter dem ihrer Lebenspartner liegt? Für die gabs neue Handys. Das pinke Razr ist ja nicht neu, aber jetzt ziehen alle hübsch puschelig nach:
Manches Modell allerdings sieht mehr aus wie das Mobiltelefon dauergewellter Campingplatzabonnentinnen:
Wer solch ein Handy besitzt, der gibt eine ebenso traurige Figur ab wie Barbara Schöneberger. Früher moderierte sie ein ansatzweise kultige Talkshow, heute gibt sie bei der Telekom die Gewinnspiel-Tante:
Was es zu gewinnen gab? WM-Karten.
Irgendwas positives muss aber doch auch zu sehen gewesen sein, oder?
Ja, doch. Zum Beispiel einen Computerhersteller namens Shuttle, der mir bisher unbekannt war. Er hatte eine ganz schlichte Idee: Stellen wir doch einfach mal schön designte Computer und Monitore her – es ist ihm gelungen:
Auf diesen Bodenkleber hat übrigens jeder in der Gangway Richtung Eingang geschaut:
Und natürlich die wunderbar leichte Selbstironie der Hannoveraner. Die Besucher im örtlichen Programmheft mit der Behauptung erfreuen, die Stadt besitze ein „unwiderstehliches Flair“. Solche Witze verstanden bislang nur die Cebit-Gäste, die es bis zum Kröpcke geschafft haben. Damit aber alle etwas von diesem feinen Humor haben, hat sich der Stadt-Fanartikelshop auf dem Messegelände ein Äquivalent einfallen lassen. Über dem Eigenlob…
kreist eine Fledermaus:
Kommentare
Vielreisender 13. März 2006 um 14:50
Wer Hannover kennt, wird das bestätigen:
„Nichts ist doofer als hannover“.
blogjunkie 13. März 2006 um 15:45
Wer so viel reist, kann uns derartige Kalauer wohl ersparen…
„Was soll ich in New York – ich war schon zweimal in Hannover“ – Arno Schmidt 😉
Heiko 13. März 2006 um 16:52
Ich frage mich, wo der nette Herr neben Frau Schöneberger gerade hinschaut. Aufgrund der Qualität/Auflösung der Aufnahme nur zu erahnen ….
Knut 13. März 2006 um 19:53
Barbara S.,hat sie nicht das unsägliche Girlscamp moderiert?
Wg. Shuttle: Die Firma nicht zu kennen ist schon fast eine Bildungslücke. Wenn ich mich recht erinnere, dann hat Schuttle das Marktsegment der Small-Form-Factor (SFF) Barebones eigenhändig geschaffen und ist dort Marktführer. Ich wette, daß Handelsblatt-Archiv kennt die Firma. Wenn nicht, dann ist dem HB eine Erfolgsgeschichte entgangen.
Cator 14. März 2006 um 23:10
In Ergänzung zu Knut:
(Verzeihliche) Wissenslücke, Herr Knüwer. Auch die TFT sind nämlich schön designt UND praktisch. Falls da keiner so rumstand: Die lassen sich nämlich auch einfach auf die Seite legen. Außerdem haben die in der c’t ziemlich gut abgeschnitten.
Hat natürlich alles dementsprechend einen Preis… :-/
Lutz 15. März 2006 um 22:08
Herr Knüwer geht halt nicht mehr auf LAN-Parties. Von den Fans solcher Veranstaltungen sind Shuttle-Rechner heiß begehrt. Shuttle selbst macht neuerdings auch auf Wohnzimmer … mal sehen, ob sie in diesem Markt auch einen solchen Erfolg haben werden.
tknuewer 16. März 2006 um 8:45
Also zum Bildungskanon zählt Shuttle nun wirklich nicht. Aber mit besserem Marketing könnten die erheblich wachsen. Der Erfolg von Apple, Ipod inklusive, beweist, dass Menschen bereit sind für optisch ansprechende Geräte bei gleicher oder besserer Qualität einen deutlichen Preisaufschlag hinzunehmen.
olpo 20. März 2006 um 13:51
naja wers nur zum kröpke schafft …