Es gibt Termine, die machen das Leben nicht schöner. Zum Beispiel gestern die Anhörung des Bundesverfassungsgerichtes zum Thema Sportwetten. Am Ende ging es den Richtern wie den Journalisten. Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde hatte schon eine Viertelstunde lang seine Unterlagen aufeinander geschichtet und wie zum Aufspringen bereit die Hände um die Ränder der Akten gelegt. Doch immer noch wurde geredet.
Selten habe ich Journalisten so oft seufzen gehört wie gestern bei der Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Sportwetten. Es ist einer der Termine, bei denen wir Journalisten wissen: Es kommt nichts neues dabei rum, aber man muss trotzdem da sein.
Und da waren fast alle. Der Saal war voll, oben auf der Pressempore blieb fast kaum ein Platz frei. Das änderte sich mit der Zeit, Stunde um Stunde wanderten mehr Kollegen nach unten, in den kargen Presseraum wo ein Kaffee aus der Kanne zum Selbstbedienen 50 Cent (Saubere Gewinnspanne, liebe BVerfG-Kantine) kostet und man zumindest akustisch dem Geschehen folgen kann.
Nun besteht ja vom Amtsgericht bis zum Landgericht die Kunst von Juristen darin, durch das Weglassen von Fakten oder dem Drehen interpretierbarer Sachverhalte das Geschehen zu Gunsten ihres Klienten zu beeinflussen. An einem Bundesverfassungsgericht unter der Leitung einer imposanten Persönlichkeit wie Hans-Jürgen Papier aber, da sollte es doch gewaltiger zugehen, oder? Da wird um juristische Interpretationen mit rhetorischem Donner gekämpft, da treten Menschen ans Rednerpult, die den Werten der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sind.
Sollte man meinen.
Ist aber ganz anders.
Die Anhörung bewegte sich oft auf plattem Niveau, munter wechselten sich leicht nachweisbare Fehlinformationen mit wilden Spekulationen ab. Gelegentlich hatte ich wenigstens den Eindruck, die Richter durchschauen das Spiel. Zum Beispiel, als Bryde die Behauptung, der staatliche Wettanbieter Oddset wolle nur den Spieltrieb kanalisieren, mit der Frage konterte, ob Slogans wie „Wer nicht spielt hat schon verloren“ nicht doch eher der schlichten Neukundengewinnung dienten. Der Bevollmächtigte der Bayerischen Landesregierung (zu der Oddset gehört) erntete auch herzliches Gelächter, als er allen Ernstes behauptete: „Das ist keine Werbung im eigentlichen Sinne sondern dient der staatsrechtlichen Aufgabe zur Information über das Angebot.“
Oder als der Klägerin der Kragen platzte, weil Oddset behauptete, in jeder Lottoannahmestelle gebe es Informationsfolder zum Thema Spielsucht. „So was hab i in Minga noch nie gsehen“, sagte sie. Antwort Papier: „Vergriffen, wahrscheinlich.“
Zusammen mit einem Kollegen von AP habe ich in der Mittagspause mal nachgefragt: In der Tat hatte die Annahmestelle in der Nähe des Gerichts solch ein gefaltetes Flugblatt – ein Stück Recyclingpapier ohne Fotos, ohne Grafiken. Nur ja nix hübsch machen, sonst liest es noch einer.
Nach sechs Stunden Verhandlung plus zwei Stunden Mittagspause meinte einer der Richter zu den staatlichen Wettangeboten: „Also, ein bisschen Ablassphilosophie ist schon dabei. Der Staat zieht Nutzen aus etwas, das er verdammt.“
Wenigstens das Schlusswort der Klägerin entschädigte für den zähen Tag im Gericht. Erst wollte sie gar nichts sagen, dann trat sich resolut ans Pult und erklärte: „Sehens, i klag jetzt seit 1997. Aus Respekt vor dem Gericht hab ich noch keine einzige Sportwette angenommen, sondern nur Pferdewetten. Und deshalb bin ich mittlerweile in den roten Zahlen.“ Selbst einer der Richter applaudierte.
Mehr zu diesem Thema auch bei Michael Terhaag, der auch die Bilder zur Verfügung stellte.
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