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Deutschland ist im Wechselfieber. Neue Regierung, Delling moderiert die „Tagesthemen“, Boris hat ne Neue, die Börse wird wieder bejubelt. Alle manchen alles anders, Mann, äh, Frau oder Memme? Das ist in diesen Zeiten die Frage. Auch in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt.

Nachdenklich lässt Junior Consultant Tanja-Anja die Samstagsausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Frühstückstisch sinken. „PR-Mädels in der Freundlichkeitsfalle“ ist der Artikel überschrieben. Es geht um Frauen als Berufskommunikatoren. Zu lieb seien die, meinen Wissenschaftler, zu nett und auch zu schlecht bezahlt. Noch einmal liest sie den letzten Absatz, während ihre Zähne gedankenverloren einen Löffel Low-Fat-Frühstücksflocken zermahlen:

„Wer sich als „nettes PR-Mädel“ zu lange auf dem stereotypen Frauenimage als „begnadete Kommunikatorin“ ausruht, läuft Gefahr, so die Studie, in eine „Freundlichkeitsfalle“ zu tappen. „Insbesondere Frauen mit Managementambitionen in den PR müssen sich der enorm karrierehinderlichen Wirkung dieser spezifischen sozialen Kategorisierungen im Berufsfeld Public Relations bewusst sein“, sagt Professor Romy Fröhlich.“

„Recht hat sie“, murmelt Tanja-Anja. Noch einmal kommt ihr das blasse Gesicht der Praktikantin Julia vor die Augen. Völlig aufgelöst war sie, wollte aber nicht sagen warum. Doch jedem war klar: Senior Consultant Lars musste Schluss gemacht haben. Warum? Darüber rätselte Tanja-Anja fast jeden Tag mit Senior Consultant Sabine.

Julia auf jeden Fall hat Urlaub genommen, höchst ungewöhnlich für eine Praktikantin. Doch der Chef konnte ihr blasses Gesicht mit den tiefen Rändern unter den Augen wohl auch nicht mehr sehen.

Grübelnd holt Tanja-Anja sich einen weiteren Kaffee, die billige Maschine tut sich schwer mit dem Aufschäumen der Milch. „Wir Frauen sind zu schwach“, sagt Tanja-Anja laut. In der Scheibe des Küchenfensters sieht sie ihr Ebenbild im Bademantel, die blonden, langen Haare verstrubbelt, ungeschminkt. „Es muss sich etwas ändern“, setzt sie nach, auch wenn sie niemand hört.

Will sie nach oben kommen, muss sie hart werden. Nein, nicht hart, „tough“ ist das richtige Wort. So wie Alexandra, die verhasste neue Senior Consultant. Die ist „tough“. Tanja-Anja greift zu Papier und Füller, eine To-Do-Liste muss her:

– Weg mit der Urban Street Wear, her mit dem figurbetonten Kostümchen. Nur noch hohe Hacken, keine Sneakers mehr.

– Bei Starbucks kein Latte Macchiato mehr, diese Mädchenversion des Kaffees, sondern extra stark gebrühter Schwarzer. So wie Alexandra, die immer den gleichen Spruch bringt: „Stark und schwarz, so wie ich meine Männer liebe.“

– Kein Höflichkeiten mehr bei Gesprächen mit Journalisten. Kurz, schnell, präzise auf den Punkt. Und wenn die was nicht abdrucken wollen, haben sie halt Pech gehabt.

– Bei jedem Meeting mindestens einen Redebeitrag.

– Unkonventionell denken, auch Ideen liefern außerhalb des Gewöhnlichen.

– Gehaltserhöhung fordern. Mit Kündigung drohen. Oder besser gleich Beförderung zum Senior Consultant.

– Schlagfertige Bemerkung überlegen, wenn der Chef mich mal wieder vorstellt als „talentierte Nachwuchskraft“.

Stark fühlt sich Tanja-Anja am Mittag. Nein, nicht stark, „tough“. Mit Tüten von Kostümen, Blüschen und hochhackigen betritt sie das Starbucks, in dem sie verabredet ist mit Dirk, einem Freund aus Schulzeiten.

„Soll ich Dir einen Latte mitbringen?“, fragt er auf dem Weg zur Theke. „Nein“, antwortet Tanja-Anja mit tiefer gelegte Stimme, „einen schwarzen Kaffee. Den mit dem extra bold Geschmack.“

Während Tanja-Anja versucht nicht das Gesicht bei jedem Schluck des bitteren, kenianischen Koffeeintransporteurs zu verziehen, berichtet Dirk von seinen Problemen im Job. Filialleiter eines kleinen Ablegers der Hypo-Vereinsbank ist er. „Wir versuchen mehr Versicherungen zu verkaufen. Unfallversicherungen. Aber wie willst Du Kunden darauf ansprechen?“ Dirk verstellt seine Stimme: „Ah, Frau Koslowski, sind sie eigentlich auch schon mal von der Trittleiter geglitten?“ Der Banker seufzt: „Und kosten darf es natürlich auch nichts. Du machst doch PR. Was würdest Du einem Kunden raten?“

Nachdenklich gleitet Tanja-Anjas Blick hinab auf die Tüten, „tough sein“, denkt sie selbst, „tough, tough, tough“.

Langsam stellt sie ihre Tasse ab, ihre Stimme nimmt einen betont geschäftsmäßigen Klang an. „Normalerweise würde Dich so ein Rat viel Geld kosten. Aber wegen der alten Zeiten will ich mal nicht so sein.“ Sie streckt sich, streicht mit beiden Händen über ihre Jeans. „Du musst was Guerilla-Marketing-mäßiges machen. Wie wäre es, wenn Du einfach eine Krücke auf die Taschenablage am Schalter legst. Und wenn ein Kunde bemerkt, dass die einer vergessen hat, können Deine Leute das als Einstieg nehmen.“ Dirks Augen werden groß. „Genial!“, jubelt er.

In der Mittagspause am Montag begutachtet Tanja-Anja ihr erstes toughes Werk. Perfekt. Auf der Ablage, in Kniehöhe der Kunden liegt eine graue Krücke. Berauscht vom Erfolg eilt sie hinaus. Fast wäre sie dabei noch mit einer Rollstuhlfahrerin zusammengestoßen.

(Vielen Dank an Christiane Link für die Vorlage)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen


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