Sie ist eines der quälendsten Rituale der Wirtschaft: die Hauptversammlung. So wie gestern bei Daimler Chrysler im ICC Berlin.
In Köln gibt es eine alte Karnevalstradition, das Nubbel-Verbrennen. Immer in der Nacht zu Aschermittwoch ziehen die abgefeierten Karnevalisten dann durch die Straßen und verbrennen eine Puppe, den Nubbel, den sie beschuldigen für all ihre Sünden.
So ähnlich funktioniert die Hauptversammlung einer deutschen AG, der es gerade nicht so gut geht.
Zum Beispiel Daimler Chrysler.
Bei deren HV durfte ich gestern zugegen sein. Nun kann man zu Manager stehen, wie man mag. Wer aber einmal eine Hauptversammlung erlebt hat, der wünscht seinem schlimmsten Feind keine Veranstaltung dieser Art über der Dauer von, sagen wir mal, drei oder vier Stunden. Die von Daimler dauerte drei Mal so lang.
Denn jede HV hat den gleichen, gegen Ende immer marternderen Rhythmus. Erst kommt der Versammlungsleiter, in der Regel der Aufsichtsratsvorsitzende, und verließt die Formalien. Das ist auch gut so, denn viele sind ohnehin nicht pünktlich und so verpassen sie nichts wichtiges. Das Entscheidende wird ohnehin später wiederholt. Im Fall von Daimler handelte es sich um äußerst rotköpfigen Hilmar Kopper. Dekorative Kosmetik ist für den normalen Mann sicherlich eine Art Ehrverletzung, ein wenig Puder aber vor einem Auftritt solcher Art ist vielleicht doch angebracht. Jürgen Schrempp übrigens hatte zu solchem gegriffen.
Dann kommt der große Chef, manchmal darf auch einer der anderen Vorstände etwas sagen. Bei Daimler natürlich nicht. Da herrscht Schrempp. Und der redet nicht unbedingt mitreißend. Was selten ist bei Vorstandschefs: Er ist in der freien Rede, bei der späteren Antwort-Session, erheblich besser, eloquenter und sympathischer als im strengen vorgegebenen Korsett, das ihm sein Redenschreiber vorgegeben hat. Die Zeiten sind halt ernst, da gibt?s keine Witzchen. Bemerkenswert aber doch, dass nicht mal einer der scheidenden Vorstände verabschiedet wird, selbst Mr. Mercedes Jürgen Hubbert nicht. Dem hat man inzwischen schließlich die Schuld für die schlechte Lage zugeschoben.
Danach kommen die Aktionärsschützer und Fondsvertreter. Die sind mal mehr, mal weniger redegewandt, mal mehr, mal weniger unterhaltsam. Und deshalb brechen die ersten HV-Besucher schon mal auf. Könnte ja sein, dass das Essen knapp bemessen ist. Oder die Gratis-Kulis und Prospekte. Es gibt (zähe) Maultaschen, Bockwurst mit Kartoffelsalat, belegte Brötchen. Die Reden im Saal sind allgegenwärtig, in überzogener Lautstärke schallen sie durch das ICC. Immer unwichtiger die Redner, immer skuriler ihr Auftreten, immer bemitleidenswerter ihre Fragen. Was soll Schrempp schon sagen auf die Anmerkung, der Tisch, an dem man sich zur Rede anmeldet, sei so schwer zu finden? Oder auf die Anmerkung, dass auf dem Besucherparkplatz so wenige Mercedese stehen?
Für die Vorstände und Aufsichtsräte oben auf dem Podium ist dies die schlimmste Zeit. Sie sitzen. Und lasuchen. Und sitzen. Stunde um Stunde um Stunde.
Geübte Top-Manager schalten dann auf HV-Automatik. Der Körper ist dann steif, ein wenig nach vorn geneigt. Der Kopf darf nicht zu tief sinken ? dann glauben die Zuschauer, man schlafe. Aber auch nicht zu hoch ? das sieht sonst aus, als könne man das alles nicht mehr ertragen und sende ein Stoßgebet gen Himmel. Die Augen bleiben offen, signalisieren zuhören. In Wirklichkeit aber, arbeitet es im Hirn, geht man schon mal den nächsten Tag durch, grübelt über Absatzstrategien und Kostenstellenplanungen. Amerikanische Manager sind besonders geübt, Schauspiel gehört schließlich zur Pflicht in der Highschool. Chryslers Tom La Sorda, zum Beispiel, bewegte sich gestern so wenig ? ich mag nicht glauben, dass diese dauernde Steifheit nicht muskuläre Schäden bewirkt.
Und so krochen sie dahin die Stunden. Ich durfte um 18.30 fliegen. Die DCX-Manager mussten bleiben. So wie der Nubbel. Der kann auch nicht weg ? und er weiß: Nächstes Jahr werde ich wieder brennen.
Kommentare
marcc 7. April 2005 um 20:50
Herrn Kopper konnte sich nicht mehr schminken, weil seine Frau Brigitte die Töpfchen vor ihm geleert hatte 😉
Peter Fisch 8. April 2005 um 10:45
Prima! Dann hat sich der Stress mit dba zur nächtlichen Stunde noch gelohnt! Aber gibt es denn eine HV, die auch für den intressierten Laien Unterhaltungswert hat? Wo das Verhältnis von Show/Entertainertalent des Vorstandes und die Freak/Schwachmatentalente der Aktionäre noch stimmt, so dass sich kurzweilige Stunden ergeben?
Stimmt es eigentlich, dass Schrempp seiner Frau einen Porsche zum Geburtstag geschenkt hat – oder ist das eine n-tv-Ente?
tknuewer 8. April 2005 um 11:08
Früher gabs mal eine richtig gute HV: Stollwerck. Karnevalsartige Reden von Hans Imhoff, gepaart mit lecker Schoko – war immer toll.
Was die Schenkungen von Herrn Schrempp betrifft, kann ich leider nix sagen. Auf der HV wurde nur bestritten, dass es in Schrempps Büros in Stuttgart und München Kinderzimmer gibt.
ManU 8. April 2005 um 18:20
dieses weblog – meine abendliche Lektüre vor’m nach Hause gehen – immer wieder seeehr amüsant 🙂