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Vor sechs Jahren, damals noch beim „Handelsblatt“, schickte mir der Campus-Verlag ein Buch als Rezensionsexemplar zu. „Marke Eigenbau – Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“, hieß es und geschrieben worden war es von Holm Friebe und Thomas Ramge, zwei Autoren, die ich sehr schätzte und schätze.

Dieses Buch aber blätterte ich recht schnell durch. Viel war da zu lesen über Maker, über 3D-Printing und Manufakturen. Und auch wenn ich den Trend zur Individualisierung der Fertigung durchaus nachvollziehen konnte: Gerade das Thema 3D-Druck erschien mir doch genauso nach am Massenphänomen wie der Glaube, Menschen würden ihre gesamte Wohnzimmereinrichtung selbst schreinern. Natürlich gibt es Leute, die das tun – aber es ist eben eine Nische.

Und nun ist klar: Ich lag so etwas von falsch.

normal 3 d druck

Seit dem Sommer ist die drupa Kunde von kpunktnull, die größte Druck-, Papier- und Verpackungsfachmesse der Welt. Für sie betreiben wir unter anderem ein englischsprachiges Blog mit aktuellen Trends und Innovationen aus diesen Sektoren. Mal abgesehen von der Innovationskraft der Print-Branche (sogar im Zeitschriftenbereich): Die Entwicklung des 3D-Drucks ist es, die mich sprachlos macht. Ich beobachte Technologie nun wirklich einige Zeit, so wie viele, die mit Commodore 64 und „Star Wars“ aufgewachsen sind. Doch seit dem World Wide Web ist mir keine Technik begegnet, die sich so rasant entwickelt und verbreitet hat wie 3D-Printing.

Noch immer sehen viele Deutsche in diesem Feld jedoch nur lustige, selbst gedruckte Plastikfigürchen. Oder jene „Mini-Me“, die manche Läden herstellen: Man wird selbst eingescannt und bekommt dann ein 20 Centimeter hohen Ebenbild aus Plastik gedruckt.

Zum ersten Mal parkte ich meinen Kopf aber bei der SXSW 2013 um. Dort präsentierten sich mehrere der Druckerhersteller. Und hier war die Rede von gedrucktem Metallstaub, aus dem sich individualisierte Prothesen fertigen lassen. Damit diese nicht nur sitzen, sondern auch optisch unauffällig sind, wird für beispielsweise der Unterschenkel auf der anderen Seite gescannt und dann spiegelverkehrt nachgedruckt.

Ein Jahr später ist 3D-Printing viel alltäglicher, als die meisten glauben. Auch in Deutschland drucken viele Zahnärzte schon selbst Implantate. Was das für die Branche der Zahntechniklabore bedeutet, dürfte klar sein. Oder wie wäre es mit einer winzigen Mittelohr-Prothese? Der PrintAlive Bioprinter verspricht dagegen, neue Haut für Verbrennungsopfer zu produzieren. 

In Boston dagegen wurde ein Baby gerettet, indem Ärzte sein Gehirn als Modell nachdruckten, um so die Operation zu trainieren:

 Ein anderes Beispiel: im Laden gedruckte Waren. Die Hochschule Niederrhein mit ihrem Textilschwerpunkt forscht bereits nach ausdruckbaren Stoffen. Und Nike ist auf dem Weg zu individualisierten Sportschuhen, die mit 3D-Druck produziert werden (Foto: Nike). nike 3d Für das Blog der drupa besuchte ich in New York Normal, ein Startup, das individualisierte Ohr-Hörer produziert. Doch es handelt sich nicht nur um ein Produkt: Normal hat das Zeug, die erste, große Endverbrauchermarke zu werden, die nicht 3D-Drucker verkauft, sondern sie verwendet.

Werden gerade für mich gedruckt: My #earholes have been conquered (and I’m proud of it). #onesizefitsnone #normal Ein von Thomas Knüwer (@tknuewer) gepostetes Foto am

Mehr dazu demnächst im Blog der drupa.

Seit Friebe und Ramges Buch hat sich auch der heimische 3D-Druck erweitert. Natürlich besteht er weitestgehend aus jenen bunten Plastikteilen. Doch entstehen auch Ideen wie die von Grace Choi: Sie glaubt, dass dekorative Kosmetik daheim gedruckt werden kann. Als Gernegutesser stehe ich der Idee, dass Essen auf diesem Weg gedruckt wird allerdings mehr als skeptisch gegenüber. Und ganz nebenbei: Es gibt einen tollen Dokumentarfilm über die Szene der Druckerhersteller. Er heißt „Print the Legend“ und ist zumindest in den USA auf Netflix zu sehen. 

Da kommt etwas, was groß werden kann. Sehr groß.Der Begriff „Industrielle Revolution“ könnte vielleicht angebracht sein, wenn General Electric Aviation beginnt, 3D-gedruckte Teile in Jet-Turbinen einbaut. Daniel Daly, Direktor des Innovation & Mentoring of Entrepreneurs Center an der Uni Alabama glaubt sogar, dass die USA als Produktionsstandort ohne 3D-Druck keine Chance hat – mit aber alle. So sagt zum Beispiel Andy Middleton (Senior Vice President und General Manager EMEA beim Druckerhersteller Stratasys):

„I think that in the next ten years we will seeing the factories of the future, where you will see production lines of 3D printin manufacturing 365 days a year, 7 days a week. We will see factories producing end user parts and products in various locations around certain geography. Distributed manufactory, instead of centralized manufacturing and distribution, we will have centralized product development, and distributed manufacturing.“

Ja, guten Morgen, lieber Maschinenbauer im Schwabenländle. Ich habe nicht den Eindruck, dass die deutsche Wirtschaft realisiert, was passiert. Sie ist nicht damit allein, glauben wir Christopher Barnatt, Futurist und Professor of Strategy and Future Studies an der Nottingham University Business School. Im lesenswerten Interview mit dem drupa-Blog sagte er:

„I’m most surprised by the extent to which many large companies still pigeonhole the technology as “rapid prototyping”, so blinding them to wider opportunities. In many ways, 3D printing technology and the possibilities it offers are advancing more rapidly than the mindsets needed to embrace them. I’m also surprised that many companies do not seem to get that they do not have to 3D print an entire product to benefit from direct digital manufacturing.“

Und:

„My own view is that, in ten years, about 20 % of products will be in whole or part 3D printed, with far more things reliant on 3D printed tooling. In ten years, millions of people will own a 3D printer. But most 3D printed products will come out of commercial facilities – hopefully fairly local ones – and a great many 3D printed items will be spare parts.

I also think that by the time 3D printing becomes truly mainstream, it will have converged so significantly with other technologies that we will have ceased to call it 3D printing.“

An diese Chancen glaubt auch die Stadt Chicago. Bürgermeister Rahm Emanuel (im Bild links) war auf der SXSW in diesem Jahr gemeinsam mit Zach Kaplan, dem Chef von Inventibles, einem Hersteller von CNC-Fräsmaschinen. „Vor der öffentlichen Bibliothek in Chicago stehen Teenager Schlange“, sagte Emanuel. Der Grund seinen die 3D-Drucker und CNC-Fräsen, die dort kostenfrei zur Benutzung stünden. Mit diesen Technologien will er die produzierende Industrie in Chicago neu definieren.

emanuel sxsw

Und Deutschland? Sicher, es gibt in den Medien, vor allem in den Wirtschaftspublikationen, immer mal Berichte. Die meisten aber werfen sich auf die Skurilitäten der Technik, zum Beispiel das Drucken von Essen oder der Debatte um gedruckte Feuerwaffen. Dabei gibt es deutsche Hersteller von 3D-Printern. Voxeljet und SLM sind sogar an der Börse. Unternehmen, die in den USA gefeiert würden, finden hier zu Lande jedoch nur Aufmerksamkeit, wenn ihr Aktienkurs abstürzt.

Währenddessen steht schon die nächste Entwicklung parat: 4D-Druck. Klingt wie ein Buzzword im Stil von Web 2.0. Tatsächlich aber ist der Begriff mit Fakten unterlegt. Es geht um das Drucken von Materialien, die sich bei einem bestimmten, physischen Impuls (zum Beispiel Wasserkontakt) verändern. So könnten sich Autoreifen beispielsweise dem Straßenzustand anpassen. Was klingt wie Science Fiction ist längst mehr als ein Gedankenspiel. (Mehr zu 4D-Printing unter diesem Link).

Bei PCAuthority gab es jüngst einen Vergleich, den sich sehr treffend finde: „3D-Printing ist für die produzierende Industrie, was Napster für die Musikbranche war“. Das heißt nicht, dass 3D-Printing alles andere hinwegfegt. Aber diese Technologie ist so disruptiv, dass sie zu tektonischen Verschiebungen in zahlreichen Branchen führen wird.

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Kommentare


Tim 18. November 2014 um 12:00

Volle Zustimmung.

Mit einer Ausnahme: Die zitierten deutschen Maschinenbauer werden von diesem Trend wahrscheinlich profitieren, da individuelle und zunehmend dezentrale Fertigung bei ihnen ja schon jetzt gemacht wird.

Schwierigkeiten werden vor allem Industrien mit zentraler Produktion bekommen, denke ich.

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Ergo 18. November 2014 um 13:46

Der Wandel mag dramatisch sein, aber den dt. Produzenten dürfte das am Ende +-0 rauskommen. Das wissen um Aufbau und Zusammensetzung von Maschinen wird wichtiger, das operative doing weniger, aber es bleibt gerade bei komplexen Apparaten extrem wichtig. Selbst wenn mir ein komplettes Flugzeug drucke muss ich es auch zusammenbauen können. Von juristischen Haftungsfragen mal ganz abgesehen.

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Ronny 18. November 2014 um 14:06

Danke für die spannenden Informationen – toller Beitrag! Spätestens bei dem 4D-Druck fiel mir die Kinnlade herunter: Ich wusste nicht, dass diese innovation zum Greifen nah ist. Bin immer wieder begeistert, was Technik so alles leisten kann.

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Sven Hansel 18. November 2014 um 14:11

„Und Deutschland? Sicher, es gibt in den Medien, vor allem in den Wirtschaftspublikationen, immer mal Berichte. Die meisten aber werfen sich …“

Da isser wieder, der Knüwersche Reflex. 😉

Im Ernst: Erst im letzten handwerk-magazin habe ich mich ausführlich über die Segnungen der 3D-Technologie ausgelassen und auch anhand mehrerer (disruptiver) Beispiele gezeigt, wie erstklassig das Ganze ist. In einem süddeutschen Betrieb ersetzt der 3D-Drucker etwa einen kompletten Kupferschmied und auch sonst sind selbst Kleinbetriebe gar nicht so hintendran. Das war btw. einer von zahlreichen Artikeln zu dem Thema dort.

Auch in den VDI nachrichten liest Dunahezu jede Woche etwas Gehaltvolles zum Thema 3D-Druck.

Überhaupt ist die Aussage, das Deutschland hintendran ist, maximal hinsichtlich der Hardware richtig (wenn überhaupt). Der VDI beschäftigt sich beispielsweise bereits geraume Zeit lang sehr intensiv mit additiven Fertigungsverfahren. Ein tolles PDF zum Status quo gibt´s kostenlos hier:http://www.vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/gpl_dateien/VDI_Statusreport_AM_2014_WEB.pdf

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Moon 18. November 2014 um 14:40

Und Deutschland? Die werden die Dinger wahrscheinlich aus Urheberrechtsgründen verbieten. Man kriegt ja nicht mal ordentliches öffenliches WLAN hin, weil die CxU die Störerhaftung beibehalten will, um dem Gott Urheberrecht zu huldigen.

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Ulrike Langer 18. November 2014 um 16:57

Guter Artikel, unterschätztes Thema. Siehe dazu auch meine Kolumne von gestern in der Rheinischen Post: http://www.rp-online.de/digitales/internet/druck-it-yourself-aid-1.4673066

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Michael Wendt 19. November 2014 um 19:53

@ Sven Hansel: Danke für den Kommentar, so muss ich ihn nicht schreiben. Nur den Smiley halte ich für falsch.

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Somaro 21. November 2014 um 12:49

Weil das Hadwerk Magazin natürlich ein Blatt der Allgemeinheit is, dass abseits von Fachthemen sich auch an die breite Masse richtet. Und auch der VDI ist ja bekannt bei den Bürgern, so oft wie man von dem Artikel bei Twitter oder in der Bahn sieht muss natürlich keiner googlen.

Falls Sie den Sarkasmus verstehen, beide gehören zu dem was Mr. Knüwer wohl mit Wirtschaftspublikationen meinte.

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egghat (@egghat) 21. November 2014 um 14:37

Ich glaube, man muss zum potenziellen Marktdurchbruch nicht viel mehr sagen als „Amazon spielt auch schon mit“:

http://techcrunch.com/2014/07/28/amazon-launches-a-3d-printing-store-with-customizable-goods/

Damit ist übrigens IMHO auch klar, dass das kein neues lokales Business wird, sondern wie die Fotoentwicklung auch zentralisiert in Groß-Labors gemacht werden wird. Vielleicht direkt im Distributionscenter von Amazon.

Das größte Problem beim 3D-Druck ist IMHO nicht die Technologie, sondern die an vielen Stellen mangelhafte Datenbasis. Meistens hat man als Endverbraucher überhaupt keine Daten, um sinnvolle Druckaufträge vergeben zu können. Es sei denn, man klaut sie. Da haben wir dann die gleiche Diskussion, wie bei Copy-Shops in den 80ern oder beim Online-Musik-Download oder oder oder.

Bin gespannt, ob es ähnlich wie bei der Software zu einem weiteren Siegeszug der Open Source Bewegung kommen wird. Kann mir das gut vorstellen, aber in Zeiten, in denen sich Autohersteller für jedes Kleinteil an einem Auto einen Designschutz besorgen können, bin ich da auch nicht sooo optimistisch. Viele Hersteller leben schließlich davon, dass sich Reparaturen nicht lohnen, Ersatzteile nicht mehr verfügbar sind und sich der Kunde ein neues Gerät kaufen muss.

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Benjamin 25. November 2014 um 12:10

@Somaro
Ja und? Es ist ja wohl kaum Otto-Normal-Bürger der für den Einsatz von 3D-Druck in deutschen Firmen verantwortlich ist. Wenn die Verantwortlichen in Entwicklung und Produktion in den Firmen diese Technologie und ihre Möglichkeiten kennen reicht dass für die Einführung in der Industrie völlig. Den selbst wenn über 3D-Druck in den großen Zeitschriften und Zeitungen 24/7 berichtet würde, es würde erst mal in der Industrie gar nichts ändern. Denn dort schreiben Leute die vom Industriealltag keine Ahnung haben, weshalb diese Berichte einfach ignoriert würden. Bei Handwerk-Magazin und VDI sieht es, eben weil Sie Fachpublikationen bzw. -organisationen sind, ganz anders aus.

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