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Gern wird in Deutschland die Geschichte bemüht. Das ist verständlich, schließlich ist sie so in ihrer jüngeren Gesamtheit, sagen wir die vergangenen 100 Jahre, geprägt durch ein gehobenes Maß an Hässlichkeit. Weshalb denn auch Politiker immer wieder mahnen: „Wir dürfen nicht vergessen.“

Die Erinnerung ist aber nur der Anfang. Erinnerung ohne Lehren aus der Vergangenheit sind hohle Hülsen. Doch beschränken sich jene Lehren aus der deutschen Vergangenheit fast immer auf den Bereich der körperlichen Unversehrtheit. Nun ist dieses Feld natürlich ein hohes Gut. Doch ist der Grund, warum so viele Menschen in der deutschen Vergangenheit ihr Leben oder ihre Gesundheit einbüßten ihr Kampf um die Meinungsäußerung.

Jener Zusammenhang wird gern ausgespart, sprechen deutsche Politiker über die Vergangenheit. Fast klingt da eine neue Form des Feudalismus durch: Die Bürger können doch zufrieden sein, sind sie gesund, satt und sauber. Da scheint es eine generelle Tendenz zur Verachtung zu geben unter manchen Volksvertretern, erdreistet sich ein Bürger mehr zu wollen. Ein Beispiel dafür ist für mich die „Kommunikation“, die CSU-Frau Dorothee Bär jüngst via Twitter führte.

Und natürlich ist es schön, gesund, satt und sauber zu sein. Doch wissen wir eben aus der Maslowschen Bedürfnishierarchie, dass es zu den ganz normalen Bedürfnissen des Menschen zählt, weiter zu streben. Ist er gesund, satt und sauber, will er sich verwirklichen.

Doch jene Verwirklichung durch Teilhabe an der Gesellschaft, durch Meinungsäußerung und Debatte ist in Deutschland immer stärker bedroht. Die Abmahnung ist heute keine letzte Lösung mehr – sondern für zahlreiche Unternehmen die erste, kritisiert sie jemand öffentlich. Selbst die Kirche arbeitet so, wie wir im Fall des Bistums Regensburg gegen Regensburg-digital erlebt haben.

Na und, mag sich mancher sagen, dann geht man vor Gericht und der Kleine siegt. Nur ist dieser Gang vor das Gericht eben verbunden mit Zeit und Kosten. Und es kann nicht sein, dass in Deutschland, mit seiner besonderen Vergangenheit, dies der Alltag ist.

Jüngst trug sich wieder solch ein Fall zu. Der angebliche Krebsheiler Nikolaus Klehr ging gegen den bloggenden Anwalt Markus Kompa vor, weil dieser sich auf einen ARD-Beitrag bezog, der Klehr hart anging. Kompa bat um Spenden, um einen Prozess zu ermöglichen – und innerhalb weniger Tage war doppelt so viel Geld zusammen gekommen wie im schlimmsten Fall nötig.

Schon mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Anläufe, genau diese Situation von Bloggern regelmäßig zu unterstützen. Bisher ist nie etwas daraus geworden. Kompa macht nun aber Nägel mit Köpfen: Der neue Verein „Speakers Corner“ will künftig dafür sorgen, dass Prozesse um Meinungsfreiheit auch tatsächlich geführt werden können. Am Sonntag formierte sich Speakers Corner, zu den Mitmachern zählen auch Lawblogger Udo Vetter und Piraten-Chef Johannes Ponader.

Eine gute Sache. Traurig nur, dass der Gründung eines solchen Vereins überhaupt nötig ist – gerade angesichts der deutschen Geschichte.

Foto: Shutterstock 


Kommentare


“Speaker’s Corner” vertritt künftig Blogger-Meinungsfreiheit — CARTA 3. Juli 2012 um 13:20

[…] Kommentar von Thomas Knüwer […]

Antworten

Was für ein Glück das wir in einer wahren Demokratie leben 3. Juli 2012 um 17:43

Als Programmierer kann ich mich täglich fragen ob ich Abmahnungen und mir unbekannte Trivialpatente riskiere oder weiter nur harmlose Software programmiere die dann keiner benutzen will was aber nicht meine Schuld sondern die der Kunden ist. Du kannst dann also auf US-Versionen meiner Ideen warten. Mangels Ideen- bzw. mangels Pre-Crowd-Funding-Idea-Portal wo ich sowas kostenlos verschenken/vorschlagen würde damit es jemand überhaupt mal macht. Die aktuelle Idee mit den ÖPNV-Plänen wollte ich vor 10 Jahren schon für am Handy machen. Ebenso Zugradar oder Liquid-Discussion für jeden am SmarTV per Fernsteuerung usw. um nur mal einzelne aktuelle Projekte zu nennen.

Blogger kriegen jetzt ansatzweise mit, was in anderen Branchen längst üblich ist um den Markt zu kontrollieren. Ich würde nicht wieder Informatik studieren. BWLer und Juristen haben die BMWs auf dem Firmenparkplatz. Das sind rentable Berufsbilder wo man womöglich auch nicht so viel können und dazulernen muss wie bei Informatik wenn man die Berufsbilder in der Politik und deren Kinder und deren Ausbildung und Gehalt mal anschaut.

Wenn man in der Diktatur die Mafia oder den Diktator verbal kritisiert, schicken die ihre Schlägertrupps (beim Diktator ist die gängige Bezeichnung „Geheimdienst“) oder Anwälte (oder beim Diktator die Justiz aka „Polizeistaat“). Denn beides sind die linke und rechte Hand des Mafiosi und seine Grundlage während der ehrliche Steuerzahler und Arbeiter auch in einem Land ohne diese Berufsgruppen vermutlich sehr gut oder sogar besser leben könnte.

Wie man es auch von den 20jährigen Weltverbesserern/Revoluzzern und dann Scheiterern (nenn einen fürs Volk wirklich erfolgreichen Regierungswechsel) auch kennt, findet keine strukturelle Analyse statt („Kontext ist alles.“ 100 mal aufschreiben und wissen was es bedeutet) sondern man klagt lieber mal ein paar Jahre bis zum Verfassungsgericht. Das muss man zwar und das crowdzufunden ist eine gute Idee, aber andere legale konstruktive transparenz-fördernde Maßnahmen gingen zusätzlich auch.

Wie die Twitter-Meldung von heute zeigt, wird Meinungs-Kontrolle immer wichtiger.

Und wenn man siegt, haben die anderen längst bezahlt und ihre Blogs beendet. Das löst das Problem eher nicht an der Ursache.

Liste mal auf welchen Instanzen Usedsoft (heutiges EU-Urteil) gewonnen und wo sie verloren haben. Dann sollte Dir etwas klar werden was jeder Bürger dank Bildungs-Auftrag der Presse besser mal wissen sollte.

Werden einkassierte Total-Buy-Out-Klauseln von den haftenden Anwälten automatisch jedem Betroffenen mitgeteilt und die korrekte Auszahlung notariell und wirtschaftsgeprüft an alle anderen mit derselben Vertragsformulierung ausbezahlt ? Oder gibt es ein Abmahn-Verzeichnis um informiert zu werden wenn und wann und wo jemand gewonnen hat und ob man das Geld zurückbekommt und wie viele man ist ? Oder welche alternativen Konsumgüter-Firmen, Musiker oder Fotografen es auch noch gibt die Probleme nicht per Abmahnung regeln. Fair-Use-Regeln (Lizensierung oder Entfernung, Entschuldigung, Benennung und Bekennung des Content-Fehlers oder klar erkennbares Update bei Presseberichten mit falschen Aussagen über jemanden) für „böse“ Blogger die Bilder „geklaut“ oder Hintergrundmusik für Youtube „geklaut“ haben gibt es aber auch nicht. Auch da hilft der Verein nicht und wartet wie das Volk auf die großen Problemlöser die möglicherweise im Urlaub sind statt den Euro zu retten.

Wird man abgemahnt, wenn man sich öffentlich bei google+ für Anwalt X und seine Abmahnungen für Firma Y interessiert oder diesen punkt in einer 2dimensionalen Tabelle bei Facebook Liked und Followed und es davon Zähl-Statistiken gibt ?
Heise meldete am 20. Juni das laut Verbraucherschutzumfrage 6% der Bürger ab 14 (also ca. 4,3 Millionen) Bürger schon mal abgemahnt wurden. 4,3 Millionen * #-Euros sind wie viel ?
6% Betroffene scheinen für die Qualitäts-Leistungs-Presse nicht nennenswert relevant zu sein. Da wird die Verbraucherschutzministerin sicher wirksame Lösungen erbringen.

Berechtigte Probleme wie Desinformation, Unfug, Nachrede,… werden von dem Verein aber auch nicht behandelt.
Gegen Piraten gab es Kaper-Briefe. Gegen z.B. Produktfälschungen gibt es Abmahn-Beauftragungen. Sowas könnte eine Bürgercrowd oder Fotoverzeichnis inzwischen auch und sehr viel günstiger erledigen.
Guten legalen Content muss man bei Creative-Commons kriegen können. Stattdessen werden die Leute ständig verleitet, Quellen nicht anzugeben (Seminare, Diplomarbeiten,…) und z.B. Fotos, Hintergrundmusik usw. unlizensiert zu nehmen. Das Actionvideo, Heirats-Video oder Blog wird nicht schlechter von Creative-Commons oder Crowd-Finanzierten freien remixfähigen Hochzeits-Musik-Versionen welche man natürlich qr-codemäßig automatisch im Abspann benennt oder in den Icons auf dem Blog auslesbar sind.

Davon abgesehen wird man oft für irgendwas oder Teile davon doch bezahlen müssen. Oder man formuliert sehr korrekt und vermeidet jeden Fehler. Oder man wird vom Presserecht geschützt während Bürger Willie-Würstchen-Mustermann von der Korrupten Hausverwaltung existenzvernichtend verklagt wird weil er die Fehler der Hausmeister (die Verwandten des Hausverwalters) fotografisch auflistet. Oder dasselbe mit Drogenspritzen oder Schlampereien im Stadtpark macht und der Bürgermeister seine Juristen schickt… .
(Rhetorische Frage) Darf die Bloggerin die ihr Schul-Essen bewertet hatt, weitermachen oder wurde es jetzt doch untersagt ?

Wenn man also präzises Formulieren lernen muss wie es die ultimativen überlegenen Qualitäts- und Leistungs-Presse täglich erbringt, sollte man vielleicht auch Alternativen und Schemata (Wikis gibts dafür ja leider nicht) proposen. Chinesische Homophonismen sind das gängige Beispiel. Fürs Deutsche gibts auch Techniken wie negative Übertreibung und sicher weitere Ideen. Headlines („Bilanz von Hans Mustermann wieder falsch. Kurswert Pennystock.“ und Links auf Belege gehen ja leider bald vielleicht nicht mehr. Wenn man nur noch Artikel älter als 1 Jahr verlinken kann, kommen alte Fehler öfter in Erinnerung weil man für die News über neue Fehler bezahlen muss. So schlecht klingt das nicht, wenn man es passend formuliert.

Weils grade lief: Schau mal die Aussagen bei der aktuellen CNBC-TV-Werbung von „Sberbank“ wo Politiker, Manager, Professoren,… in (vermutlich Russland) auf dem Podium sitzen: Einer meinte „Leute wollen teilnehmen, wenn sie das nicht dürfen, mucken sie auf. “ „People have more Education and want participate. When they can’t they will riot.“ (nur so aus dem Gedächtnis extrem grob zitiert).

Meinungsfreiheit ist kein Recht zum Lügen oder zur Desinformation. Sondern woran man (auch am Lügendetektor) völlig 150% glaubt und die Folgen (die Mehrkosten der Expo-Weltausstellung, des Schürmann-Baus und von Stuttgart21 oder der Transaktions-Steuer-Folgen oder der Kosten fürs neue Fußball-Stadion oder dem Marktplatz aus handgeschältem Edel-Marmor der den nächsten Weihnachtsmarkt nicht übersteht) aus dem mit echter Arbeit erlangten Vermögen persönlich haftet. Dafür sorgt die Qualitäts-Presse täglich und die Fehl-Projekte gibt es schon seit Jahrzehnten nicht mehr und wenn, wird es sofort erkannt und preisgünstig korrigiert wie es die anständigen Solarfirmen vorgemacht haben und dank China-Solar-Zellen noch viel mehr Solar to the People bringen als bisher und die ersten Schrebergärten sich selber versorgen weil die Fernseher 12Volt aus der Solarzelle/Akku vertragen. Oder auch nicht…
Wenn man also keine Belege hat, formuliert man es auch eindeutig so. Sonst erlaubt man eine Kettenreaktion von immer unbelegteren Halbwahrheiten, Möchtegernwahrheiten und Unfug.

Wieso gibt es kein Hilfs-Wiki mit modernen Methoden für Oppositionelle (und deren Kommunikation) in Diktaturen ? Oder sollen wir auf die Ergebnisse und Vorschläge für IT-Projekte und Forschungs- und Förder-Projekte von Guttenberg und der EU-Kommission warten ?

Was für ein Glück das wir in einer wahren Demokratie leben und es uns allen so gut geht wie man täglich im TV sieht.

Antworten

Falk D. 4. Juli 2012 um 14:43

Wäre „Speakers Corner“ nicht eine weitere Verlängerung der Piratenpartei, wäre es brauchbar. Aktuell ist es nicht unterstützungsfähig.

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