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Sollte ich nach Chicago kommen, werde ich Pizza essen gehen. Und ich werde dies bei einem Ableger von Domino’s Pizza tun. Einem von sechsen in der Stadt, deren Franchise-Nehmer Ramon DeLeon heißt. Und das nicht nur, weil ich Besucher der Marketing2Conference in Paris zu einer Gratis-Pizza eingeladen bin, wenn ich ihn vorher antwittere.

Als er die kleine Bühne der Pariser Wirtschafts-Uni ESCP betrat, nahmen ihn viele (mich eingeschlossen) erstmal nicht ernst. Das blaue, kurzärmelige Dominos-Hemd wird durch seinen Bauch zum Zelt geformt, gleichzeitig vollführte er Warmmach-Bewegungen als ginge es gleich darum, als Linebacker ein paar schwere Jungs vom Podium zu schubsen.

Die schweren Jungs blieben aus (bis auf ihn) – stattdessen schubste er das Publikum dermaßen an, dass sein Vortrag mit lauten Jubel begleitet wurde. DeLeon ist ebenso ein Vertreter des gelungenen Social-Media-Marketing wie einst meine Tante Therese. Nur: Er hat eben tatsächlich das Internet als Hebel um Kunden zu gewinnen. Da tweetet jemand, wenn die bestellte Pizza vom Foursquare-Mayor geliefert würde, wäre das perfekt – Ramon organisiert das. Im Schneesturm fragt jemand, ob Dominos die Pizzaauslieferung schafft – Ramon schafft es und veröffentlicht ein Video des Lieferboten im Blizzard. Eine schwangere Frau freut sich via Twitter auf ihr Hotelbett, bekannt aber Hunger – im Zimmer wartet eine Domino’s Pizza.

#RamonWOW ist sein Lieblings-Schlagwort auf Twitter. „Ich definiere Wow neu“, ruft er. „Sollen alle sagen, Myspace ist tot – I’m killing it on Myspace“. Und: „Ich habe keine Angst, ich habe Pizza.“

DeLeon ist ein Star geworden. Nachzulesen auch bei Fast Company. Und er war der Star der Marketing2Conference – weil er anders war als die anderen. Das soll nicht heißen, dass diese Konferenz langeweilig war – im Gegenteil. Aber sie ist eben nichts für Nicht-Wirtschafter und auch wenig für Menschen, die wenig oder kein Wissen im Bereich des Digitalen Marketings nach Paris bringen.

Und genau deshalb ist die Markting2 für mich eine Konferenz, die ich nur ungern missen möchte.

Dort sitzen in absolut unhipper Atmosphäre Menschen mit ähnlichen Sorgen. Zum Beispiel: Wie bringe ich digitale Themen, allen voran Social Media, in Unternehmen? Wie ringe ich die blockierende Rechtsabteilung nieder? Wie positioniere ich Online im Rahmen eines Konzerns?

Dabei hat sich manches im vergangenen Jahr verschoben. Der (zu) platt-provokante Titel „Social Media is dead“ zeugte zumindest von einem Wandel. Bei vielen Unternehmen sind Digital-Themen tatsächlich Alltag auf der Tagesordnung. Das bedeutet nicht, dass sie alle kundig und wendig in diesem Feld sind. Aber sie tun Digitalien nicht mehr ab und haben zumindest Botschafter der Web-Welt in ihren Reihen. „Social Media in Großunternehmen verändert sich“, sagte auch Christopher Barger, bis vor kurzem Social-Media-Mann von General Motors (und nun mutmaßlich besser bezahlt bei einer Kommunikationsberatung aktiv): „Es wird Stück für Stück in alle Unternehmensfunktionen integriert.“ Ergebnis bei seinem Ex-Arbeitgeber: „GM wird mich nicht vermissen – und das ist gut so.“

Diese Evolution kann Grundlegendes verändern. Denn noch immer glauben ja Marketing-Verantwortliche, sie bestimmten, was eine Marke ausmacht. Das war letztlich noch nie richtig – kommt aber erst jetzt mit aller Macht ans Licht. „Eine Marke ist, was die Menschen denken, dass sie ist“, sagte zum Beispiel Thomas Marzano, Creative Director Digital von Philips: „Und Social Media liefert uns die Instrumente zu sehen, was die Verbraucher von einer Marke denken.“

Die Amerikaner sind – natürlich – einige Jahre voraus. Dell hat 8000 und Ebay 16.000 Mitarbeiter in Sachen Social Media geschult, Intel hat jedem Angestellten ein 30-Minuten-Pflicht-Training verordnet. Klar, diese Unternehmen sind natürlich näher am Web als andere. Aber der Tierfutterhersteller Nutro lädt seine Leute ein, am Training teilzunehmen – anschließend dürfen sie als offizielle Botschafter für das Unternehmen sprechen.

Oder die Citibank. Deren ehemalige Social-Media-Frau Anna O’Brien berichtete von ihren Kämpfen mit der Rechtsabteilung. Die wollte jede Nachricht via Twitter vorab lesen. O’Brien ahnte, was kommen sollte und protokollierte mit. So konnte sie zeigen, dass innerhalb von vier Wochen die Antworten der Rechtsabteilung drastisch abnahmen – somit also auch die Reaktionsgeschwindigkeit. Was sich dummerweise mit dem Slogan „Citi never sleeps“ biss – und entsprechende Nutzerkommentare erzeugte. Gleichzeitig tauchte kein wirklich kritischer Fall auf. Mit der Grafik konfrontiert erhielt die Abteilung dann mehr Freiheiten.

Eine der klügsten (und einfachsten Ideen) der M2C stammte ebenfalls von Citi: Um Phishing zu begegnen gründete die Bank einen eigenen, geschlossenen Link-Verkürzungsdienst: Citi.us. Somit ist für Kunden klar: Nur Links mit diesem Anfang sind vertrauenswürdig.

Ein Trend der SXSW fand auch in Paris Widerhall: Marken mutieren zu Lieferanten von Informationen, die ihre Kunden für wertvoll erachten. „Kuratieren“ ist das Schlagwort der Stunde. Samsung-Mann Esteban Contreras machte das eben genau an den SXSW-Aktivitäten seines Unternehmens fest. Dort gab es verschiedene Kanäle, von der Homepage über Twitter bis zu einem Großbildschirm, über die Samsung Informationen weitergab, die von anderen stammten – aber vom Unterhaltungselektronikherstellerteam gefiltert wurden. Erschreckend ist dabei natürlich: Diese Aufgabe müssten eigentlich Medienhäuser erledigen.

In dieses Feld zielt auch Johnson & Johnson mit seinem Youtube-Kanal. Ein Video der Woche produziert der Konzern (Kosten: 5000 – 7000$), insgesamt erreichte der Kanal damit 3,34 Millionen Abrufe. Bringt das was? Ja, sagt der Verantwortliche Rob Helper: 93% der Betrachter wurden hinterher in irgendeiner Art und Weise aktiv;  60% kontaktierten einen Medizin-Profi, 32% kommentierten unter den Videos, 69% haben online weiter recherchiert.

Das Zuhören über das, was Kunden sagen bleibt trotz aller Kuratierei wichtig. Wie das gehen kann, zeigte Porter Gale von Virgin America (einer Airline, mit der ich jetzt aber mal unbedingt fliegen möchte). Jede Maschine ist inzwischen mit Wlan ausgerüstet. Und: Ein Drittel der Fluggäste nutzt dies (53% haben ein Laptop im Handgepäck). Das Ergebnis ist Kundenservice live. So twitterte ein Passagier aus der 1. Klasse, er habe kein Essen bekommen. Gale las es – und kontaktierte den Piloten: Das Essen kam nach. Besonders bemerkenswert: Es gibt bei Virgin America einen Sitz-zu-Sitz-Chat. Man kann jeden anderen Fluggast kontaktieren, so dieser die Anfrage annimmt. Noch viel wertvoller aber sei es, Kunden proaktiv zu erreichen. Diese Verbraucher redeten über ihr positives Erlebnis mit einer sechsmal höheren Wahrscheinlichkeit, sagte Voce-Mann Barger.

Vor allem die Unternehmensbeispiele sind es, die die M2C so wertvoll machen. Die Kompaktheit der Räumlichkeit trägt ebenfalls dazu bei. Hier geht es nicht schillernd und bunt zu, sondern bodenständig und ruhig. Leider manchmal ein wenig zu ruhig: Wie schon im vergangenen Jahr verrutschte der Zeitplan auf dramatische Art. Das ist irgendwie sympathisch – aber trotzdem ärgerlich, wenn Züge oder Flüge zu erreichen sind.

Das aber ist einer der wenigen Kritikpunkte an der Marketing2Conference, die hiermit allen Entscheidern im digitalen Marketing einfach mal empfohlen sei.

Und zum Schluss noch ein paar Zahlen und Zitate:

Nokia hat 31 verschiedene Guidelines im Zusammenhang mit Social Media. Das Basis-Papier hat 96 Seiten. Das fällt laut des Verantwortlichen unter das Motto: „Keep it simple“. Ironie war dabei nicht hörbar.

„Measures are things you can measure. ROI is a result of some of the things you can measure“ – David Armano, Edelman

„Social Media Listening funktioniert nicht, wenn man nicht weiß, was man will. Das ist wie im Supermarkt: Wenn man nicht weiß, was man kaufen will, endet man mit hunderten Produkten, mit denen man nie kochen wird.“ – Anna O’Brien, Ex-Citi

„Wenn ich über schlechte Zahlen reden muss verwende ich immer Tierbilder.“ – Anna O’Brien, Ex-Citi

„Nach unserer Erfahrung geben Facebook-Fans viermal mehr für unsere Produkte aus, als Nicht-Fans“ – Jeff Vandercruys, AB Inbev

„Sprich nicht, solange Du nicht besser bist als die Stille“ – spanisches Sprichwort, zitiert von Esteban Contreras, Samsung

Zahl der identifizierten Blogs weltweit laut Waggener Edstrom: 158.360.910

„Was passiert mit Menschen in Filmen, die einen Virus bekommen? Sie werden zu Zombies.“ –  Chris Barger zum Thema Viral

„Was passierte in „Perfect Storm“, bei den Fischern, die fischen wollten wo die Fische sind? Ihr Boot kenterte.“ – Chris Barger zu einem der plattesten Digital-Marketing-Sprüche

„Es ist gut, von seinen Fehlern zu lernen. Es ist besser, von den Fehlern anderer zu lernen.“ – Maria Erwin, Whole Foods

Und nun nehmen Sie, liebe Leser sich eine halbe Stunde Zeit – für das Video des rockenden Ramon DeLeon:


Kommentare


Ramon De Leon 31. März 2011 um 0:01

Thank You for attending the conference and your kind recap!

Herzlichen Dank!

#RamonWOW

Antworten

Die Woche in Social Media (KW 12/2011) | SocMed.de – Social Media Blog 31. März 2011 um 17:02

[…] Und hier noch das Video eines recht netten Vortrages über Social Media vom Domino’s-Pizza-Franchise-Nehmer Ramon DeLeon auf der Marketing2Conference in Paris (gefunden bei IndiskretionEhrensache): […]

Antworten

Michael Cohrs 3. April 2011 um 16:04

Ich schlage vor, dass Sie Herrn Ramon De Leon mit dem Werbekunden Ihres Blogs zusammenbringen:
http://gesundeernaehrung.nickcsteffes.com/Abnehmen/
Das nennt man dann doch win-win-Situation, oder? ;-D

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Ich mag Facebook-Firmenseiten (manche jedenfalls) | mediaman evolution // 14. April 2011 um 20:26

[…] Und wenn man sich ganz schlau anstellt, dann wird man als Pizza-Franchise Nehmer für seinen Umgang mit Facebook und Twitter berühmt und wird auf Marketing Messen nach Europa eingeladen. Und deutsche Blogger schreiben über einen. Wie zum Beispiel hier bei Indiskretion Ehrensache. […]

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