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Nach meinem Artikel über den Wutjournalismus gab es einige Kommentatoren auf Facebook und Twitter, darunter Menschen, die ich hoch ansehe, die vor solchen Kritiken warnten. In diesen Tagen der Lügenpresse-Brüller und Fake-News-Verteiler dürfe man nicht derart auf den Journalismus einprügeln.

Ich bin anderer Meinung: Man muss es sogar, so lange es Redaktionen einem derart einfach machen, ihre Arbeit auseinanderzunehmen. Nehmen wir nur aus den letzten Tagen die „Zeit“, die eine Fake News produzierte beim nicht gelungenen Versuch nachzuweisen, wie Fake News sich verbreiten. Oder die falsche Behauptung, eine Umfrage habe ergeben, dass die Deutschen Martin Schulz misstrauten. Medienkritik wird für fast zur Fingerübung. Denn Fehler nachzurecherchieren, wie die Behauptung der „Welt“, Google habe den Kampf gegen Breitbart aufgenommen, ist so schrecklich einfach geworden.

Glauben Sie nicht? Doch, doch. Die folgende Recherche hat mich gestern keine Viertelstunde gekostet (das Schreiben und Screenshotten war der eigentliche Aufwand). Diesmal geht es um aus Deutschland auswandernde Millionäre:

Dramatisch bollert das „Manager Magazin“ los:

„Es ist schon eine alarmierende Zahl, die die südafrikanische Beratungsgesellschaft New World Wealth da ermittelt hat: Nach Angaben des Unternehmens haben Deutschland im vergangenen Jahr unterm Strich rund 4000 Millionäre den Rücken gekehrt. 

Die Anzahl der besonders vermögenden Menschen, die die Bundesrepublik verlassen, ist damit laut New World Wealth binnen Kurzem sprunghaft gestiegen: 2015 waren demnach etwa 1000 Millionäre aus Deutschland ausgewandert, in den Jahren zuvor dagegen habe die Anzahl höchstens im niedrigen dreistelligen Bereich gelegen, teilt das Unternehmen mit.“

Flott springt die Huffington Post im bekannten Clickbait-Format auf:

Natürlich hat die HuffPost die Studie nicht selbst gelesen – sie schreibt einfach das „Manager Magazin“ ab. Noch hysterischer – klar, es handelt sich um eine Axel Springer-Tochter – schildert es der Business Insider:

Denn natürlich springen auch jene „Medien“ auf, denen es um Desinformation geht. Das von Russland bezahlte Propaganda-Instrument Sputnik, zum Beispiel:

Beachten Sie die kreative Verbindung des Segelschiff-Motivs mit dem maritimen Wortbild – solche Gemmen finden sich sonst nur in Anzeigenblättern.

Auch das Biedermann-Mag für die Brandstifter, Roland Tichys Online-Auftritt berichtet – immerhin schon zweifelnd:

(Nachtrag vom 3.3.: Eine Leserin macht mich gerade darauf aufmerksam, dass die Bezeichnung „Donalde“ natürlich nicht gerade von Disney-Kompetenz zeugt – schließlich hatte Dagobert die Taler. Oder sind jetzt alle Millionäre Trumps?)

Diesen kruden Text zeichnet auch aus, dass Autor Alexander Wallasch überfordert war zu erkennen, dass jene Studie von New World Wealth nicht der von ihm zitierte und in Form eines „FAZ“-Artikels verlinkte Wealth-Report ist – es handelt sich um unterschiedliche Studien.

Als ich die Meldung las, stellten sich mir zwei Fragen: Stimmt das? Und: Wer zur Hölle ist die „südafrikanische Beratungsgesellschaft New World Wealth“?

Wer ist New World Wealth?

Wer sich auf die Homepage der Beratung begibt, dem könnten gewisse Zweifel ob der Seriosität plagen:

Zum Beispiel wirken die beiden Buttons unten so, als handele es sich um eine Gruppe von Unternehmen. Tatsächlich aber verlinken die beiden weißen Felder nur auf die Seite, auf der sie auch stehen. Auch bezeichnet sich das Unternehmen aus Johannesburg zwar als Gruppe, doch findet sich nur ein einziger Mitarbeiter auf der Homepage: Andrew Amolis, der Chef-Researcher. Auch auf LinkedIn oder überall sonst im Web – es findet sich kein einziger Kollege.

Erstaunlich auch die postalische Kontaktadresse:

Klingt groß, nicht wahr? Ist es auch. Es handelt sich um eine Ansammlung von Gebäuden im Pseudo-Kolonialstil, zu den Mietern gehören prominente Namen wie die Werbeagentur Havas. Nur: Die alle geben konkretere Adressen an als nur den Industriepark. Hier das Beispiel der Firma Kaon Capital:

Nun möchte ich New World Wealth nichts Böses nachsagen: Doch in Deutschland kennt man solche unklaren Adressinformationen gemeinhin von Unternehmen, die nicht in Fleisch und Blut besucht oder von Postzustellern gefunden werden möchten.

In dieser Konstellation hege ich den bösen Verdacht, dass New World Wealth eine Ein-Mann-Firma mit einen Briefkasten sein könnte. Und selbst dieser eine Mann hat viel zu tun. Denn der Chef Researcher Andrew Amolis ist recht umtriebig. So schreibt er zum Beispiel auch Artikel für den „New Statesman„. Für den „Daily Express“ ist er außerdem ein „Investment Guru“ und der Chef von New World Wealth.

Das wäre alles natürlich kein Problem, stünde hinter ihm ein großes Team. Denn jene Studie, die das „Manager Magazin“ zitiert, ist eine verdammte Menge Arbeit:

„Nach Angaben des Unternehmens wurden für die Analyse weltweit mehrere hundert Reiche und Superreiche interviewt. Zudem gab es Gespräche mit Migrationsexperten, Vermögensberatern und Immobilienmaklern sowie Auswertungen von Visa-Statistiken, Immobilienregistern, Medienberichten und ähnlichem, so das Unternehmen.“

Zugang zu hunderten von Reichen und Superreichen – das erfordert gemeinhin auch noch eine ganze Menge persönliches Networking, denn diese Einkommensklasse gehört zu den eher Verschwiegenen. Und wieviel Zeit braucht es, derart viele Statistiken zu durchforsten, um eine globale Studie zu erstellen? Noch dazu werden diese Berichte heruntergebrochen auf Länderebenen wie Kenia, Südafrika oder Indien. Und das alles schafft jene Unternehmensberatung aus Johannesburg.

Bemerkenswert, oder?

Was uns zur zweiten Frage bringt:

Fliehen Millionäre aus Deutschland?

4000 Millionäre sollen Deutschland im Jahr 2016 verlassen haben. Das ist allerdings selbst nach der Definition von New World Wealth nicht unbedingt mit Auswanderung gleichzusetzen, denn der die Südafrikaner nehmen jene auf, die mindestens ein halbes Jahr gehen. Sprich: Der bereits gut verdienende, hochrangige Manager, der für zwei oder drei Jahre ins Ausland abgeordnet wird, hat in der Interpretation des „Manager Magazins“ seinem Land „den Rücken gekehrt„.

Allein das macht die Studie schon schwierig. Doch der größte Haken kommt noch.

Das „Manager Magazin“ berichtet:

„Nach Ansicht der Studienautoren ist die Abwanderung besonders reicher Menschen aus einem Land ein alarmierendes Zeichen, denn diese Klientel sei bei größeren Migrationsbewegungen aufgrund der hohen persönlichen Flexibilität häufig die erste, die gehe.“

Sie ahnen, was kommt, nicht wahr?

Die Zahl der Millionäre in Deutschland wird leider nicht zeitnah ermittelt (zumindest konnte ich nichts finden – freue mich aber über Hinweise).

Die Beratungsgesellschaft Cap Gemini aber veröffentlicht jene eine Reichtumsstudie, die der Tichy-Autor mit der von New World Wealth verwechselte. Für diese befragte Cap Gemini angeblich 5.200 Millionäre, die Studie scheint also einen Hauch aufwändiger als die Arbeit von New World Wealth. Cap Gemini ermittelte für Deutschland im Jahr rund 1,2 Millionen Millionäre.

Die Bundesbank schätzte die Zahl der Millionäre im Jahr 2012 auf rund 900.000:

Und wenn die Zunahme dieser Vermögensgruppe von 2011 auf 2012 sich fortgesetzt hat, dann kommen wir auf 1,1 Millionen – was erstaunlich konsistent wäre mit der Zahl von Cap Gemini.

Wenn nun 4000 dieser 1,1 oder 1,2 Millionen auswandern sind dies 0,33 bis 0,36 Prozent.

Eine Zahl, die das  „Manager Magazin“ „alarmierend“ nennt und die für den Business Insider eine „Massen-Auswanderung“ darstellt.

Die Bilder in den Köpfen derjenigen, die solch eine Meldung lesen ist klar: Die Reichen können es sich leisten zu fliehen, die schnellsten Ratten sind als erste von Bord. Hier nur ein Beispiel-Kommentar aus Facebook:

Und deshalb ist diese Meldung eben keine Petitesse. Sie befeuert die aktuelle Stimmungslage, bei jenen, die Deutschland am Abgrund wähnen. Gerade wegen dieser Stimmungslage sollte man deshalb von Menschen, die sich als Journalisten bezeichnen, erwarten, dass sie einfach mal eine Zahl suchen und anschließend den Taschenrechner, das Smartphone oder den Abakus der Redaktionsstube zur Handnehmen.

Welche Zahl ich meine? Die der gesamten Auswanderer in Deutschland:

1 Million von 80 Millionen, das macht: 1,25 Prozent.

Sprich: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nicht-Millionär aus Deutschland auswandert ist mehr als drei Mal so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass ein Millionär auswandert.

Nun mag es sein, dass New World Wealth ein großes, wunderbare Arbeit vollbringendes Team ist. Es mag sein, dass jene Studie hoch seriös und unangreifbar ist. Es ist sehr gut möglich, dass ich in meiner Rechnung einen Fehler habe. Dann bin ich gerne bereit, mich zu entschuldigen.

Nur: Die Zweifel sind offensichtlich. Und so lange es so leicht ist, mit nur einer Viertelstunde googlen, derartige Zweifel zu erzeugen, dann ist harte Medienkritik geboten – gerade in der aktuellen Zeit.


Kommentare


Carom 3. März 2017 um 22:06

Groß.ar.tig. Danke, danke, danke, dass Sie dieser speziell doofen Nummer des medialen Zirkus die Maske runterziehen.

Ich hatte die Meldung vom Massenexodus der Millionäre auch gelesen und mich gefragt, wo denn der Rahmen, die Größenordnung, die Daumenpeilung sind – und da war nichts.

Wenn Journalismus so aussieht, dann sollte man ihn wohl besser „Journalismus“ nennen.

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Der Wirtschaftsteil :: Kompakt Nr. 206 – Drei Links zum Wochenende 6. März 2017 um 14:50

[…] Und bei Thomas Knüwer kann man in aller Deutlichkeit nachlesen, wie leicht man mit geringer Recherche eine vermeintlich beeindruckende Nachricht auf ein Nichts zusammenschrumpfen lassen kann. Fliehen Millionäre wirklich aus Deutschland? Wohl eher nicht. […]

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teekay 21. März 2017 um 13:15

Der Blödsinn geht in die nächste Runde: SZ 21. März: „Milliardäre, wir brauchen euch!“
(http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/reichtum-in-deutschland-milliardaere-wir-brauchen-euch-1.3427647)-diesmal sind Zahlen aus China der Ausgangspunkt fuer Journalismus-Simulation…

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Horst Dressler 14. September 2017 um 19:57

Nachdem ich Eva Hermans Dummgeschwätz von den vielen Millionären bei Youtube gehört habe, die im Rahmen des „Bevölkerungsaustauschs“ das Land verlassen, bin ich doch sehr froh, dass es jemanden gibt, der Dinge gerade rückt. Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit, Herr Knüwer und wünsche mir, dass Sie am Ball bleiben. Ihren leicht ironischen Duktus finde ich übrigens sehr angenehm.

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David Zoller 23. Oktober 2017 um 0:23

Wenn man schon berichtigen will, dann bitte richtig. Es sind auch über 30 Milliardäre gegangen. Von denen gibts nicht so viele. Sicher ist auch, dass Deutschland als Einwanderungsland, verglichen mit der Konkurrenz, aufgrund der Steuerlast und der Sprache, unattraktiv ist. Ein Kind kann erkennen, dass dies, zusammen mit dem Niedergang des Schulwesens, den schlechten Aussichten für die Automobil- und deren Zulieferindustrie, Spaltung und Radikalisierung der Bevölkerung durch die orwellsche Presse, der demografischen Entwicklung, die zunehmenden Tendenzen zum totalitären Überwachungsstaat mit Meinungsdiktat sowie die Privatisierung und Export der Gewinne in Kombination mit der Sozialisierung der Kosten und Risiken (…undundund) schon bald in einem See von Blut und Tränen enden wird.
Die Zunahme der Anzahl Millionäre in Deutschland liegt übrigens nur an der Preisinflation von Vermögenswerten.

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Thomas Knüwer 26. Oktober 2017 um 16:31

@David Zoller: Woher haben Sie die Zahl von 30? Fun Fact: Laut „Manager Magazin“ ist die Zahl der Milliardäre auch 2017 wieder gestiegen.

Ihre Behauptung, Deutschland sei als Einwanderungsland unattraktiv basiert auf welchen Umfragen oder Statistiken?

Wenn Sie schreiben, dass ein Kind etwas erkennen könnte, dann ist das Ihre subjektive Einschätzung. Die dürfen Sie haben, es ist aber immer ein Fehler, die eigene Meinung ohne Überprüfung durch entsprechende Institutionen zum Allgemeingut zu verklären. Auch verwenden Sie Begrifflichkeiten, die doch eher aus dem Umfeld von Wutbürgern stammen, wie „Orwellsche Presse“ oder „Meinungsdiktat“. Weshalb Sie mir erlauben müssen, Ihre Meinung nicht ernst zu nehmen.

Fun Fact: Eine „Preisinflation von Vermögenswerten“ ist auch ein Begriff, der ziemlicher Unfug ist.

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