„What’s the worst that could happen?“, fragt Dr. Pepper seine Kunden in Großbritannien. So mancher mag angesichts des höchst gewöhnungsbedürftigen Geschmacks der Limonade aus dem Hause Coca-Cola antworten: „Eine Dose von dem Zeug“ – aber darum geht es nicht.
Das Schlimmste, was Dr Pepper – oder jeder anderen endverbraucherorientierten Marke – heute in Sachen Marketing passieren kann ist ein Dienstleister mit mangelhaftem Internet-Wissen aber dem Gefühl, total hipcoolarschmäßiggeil zu sein, dazu ein Schüsschen Political Correctness gepaart mit dem Auftauchen einer erzürnten Person die in der Lage ist, sich Gehör zu verschaffen. Und darauf folgend der Einstieg klassischer Medien.
Genau das ist Coca-Cola UK hier passiert. Mit dem Ergebnis, das der Konzern nun zwischen die Fronten geraten ist. Auf der einen Seite sind da empörte Mütter, die um das Wohl ihres Nachwuchses fürchten – auf der anderen Seite enttäuschte Menschen, die Dr. Pepper künftig unter „humorlos“ verbuchen, vielleicht gar unter „rückgratlos“.
Aus einer netten Kampagne wird ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht macht – mit einigen Lehren für alle Menschen, die digitales Marketing betreiben.
Alles beginnt mit einer guten Idee: Über eine Facebook-App erlauben es Dr.-Pepper-UK-Fans, dass die Brausemarke ihre Statusmeldungen übernimmt. Das Programm im Hintergrund wählt aus einer großen Datenbank von Sprüchen aus, darunter Sätze wie „Lost my special blankie. How will I go sleepies?“ oder „What’s wrong with peeing in the shower?“ Das kann man lustig finden, muss man aber nicht. Viel zu selten kommen Unternehmen und Werbeagenturen beim Versuch, lustig sein zu wollen auf die Idee, echte Comedy-Autoren zu beauftragen. Auf jeden Fall wird unter allen Teilnehmern Geld verlost, magere 1000 Pfund sind der Höchstpreis – immerhin wird der einmal wöchentlich verabreicht.
Ein weiterer Spruch, der auftauchen kann, lautet: „I watched 2 girls one cup and felt hungry afterwards“. Für all jene, die nicht wissen, was das bedeutet: „2 Girls 1 Cup“ ist ein eher ekliges Softporn-Video mit Fetischcharakter, das es bis zu Wikipedia geschafft hat. Für gefühlte fünf Minuten im Herbst 2007 waren der heißeste Scheiß auf Youtube Videos von Menschen, die dieses Video zum ersten Mal anschauten. Das sah dann ungefähr so aus:
Hier nun setzt die beschränkte Sicht der Dinge von Seiten des Dienstleisters ein. Der heißt – kein Scherz – Lean Mean Fighting Machine. Auch das ist nur gefühlte 3,48 Minuten lustig. Vermutlich sind alle die Kreativen dort bei Facebook. Und reden mit ihresgleichen. Was sie übersehen ist das ganze, große Bild. Denn: Facebook hat ein Mindestteilnahme-Alter: 13 Jahre. Das heißt: Unternehmen, die bei Facebook aktiv werden wollen, müssen sich darauf einstellen, dass theoretisch auch 13-Jährige davon etwas mitbekommen. Und noch schlimmer: Dass Eltern von 13-Jährigen mitbekommen, dass die 13-Jährigen etwas mitbekommen. Zumindest sollten sie sich bewusst sein, dass es auch eine Altersbeschränkungs-Funktion bei Facebook gibt.
Genau das unterscheidet Facebook von einem anderen Dr.-Pepper-Kampagnen-Instrument. Am 1. April tanzte ein Cheerleader bei Chatroulette und gab auch dort Zweideutiges per Schild von sich. Bei der Häufigkeit männlicher Geschlechtsorgane im Rahmen dieses Videokarussells dürfen wir davon ausgehen, dass auch die tanzende Dame manch unansehnliches zu sehen bekam. Nur: Das sahen in diesem Moment nur diese beiden Seiten -und in das finale Video ist es nicht eingeflossen:
Zurück zu Facebook.
Sie können sich denken, was passierte: Die 2-Girls-1-Cup-Statusmeldung landet im Facebook-Profil einer 14-Jährigen. Die war im Herbst 2007 11 oder 12 – und weiß natürlich nicht, was das gewesen sein soll. Also googelt sie es – kann das Video aber nichts sehen weil in Kinderfilter aktiv ist.
Es folgt: der Auftritt der Mutter. Der fällt die Statusmeldung des Nachwuchses ins Auge – woraufhin sie sich die Suchhistorie des Browsers ansieht um zu schauen, ob Töchterlein geschaut hat. Ob letzteres nicht ein gewisser Vertrauensbruch ist, dürfen die Pädagogen entscheiden.
Halten wir aber fest: Der Tochter ist kein Unheil geschehen. Und vergessen wir auch nicht, dass 14-Jährige heute wie gestern durchaus Kontakt mit Pornos haben. Es ist die elterliche Pflicht, über solche Themen zu reden. Häufig genug aber passiert das nicht.
Die Mutter ist trotzdem (mit Recht) sauer – und beschwert sich bei Dr. Pepper. Das Unternehmen braucht anscheinend viel zu lange um zu begreifen. Einige Mails gehen hin und her, behauptet die Mutter. Dann das Entschädigungsangebot: eine Nacht in London und Karten für ein Musical. Der bewusste Satz wurde aus der App genommen und wir dürfen davon ausgehen, dass das gesamte Vokabular des Programms durchkämmt wurde.
Was aber hat Coca-Cola geritten, nicht auch die Reisekosten zu übernehmen? Warum schrillten nicht sofort die Alarmglocken bei der Kombination „Teenager plus Porno“?
Je länger das Unternehmen die verärgerte Mutter hinhält, desto größer wird ihr Ärger. Und das ist nie gut
So wettert Muttern auf der Mutter-Seite Mumsnet über die Musica-Karten:
„Fat lot of use to me, we live in Glasgow.“
Das bricht eine Diskussion los, die mangels Community-Management von Seiten Mumsnet außer Kontrolle gerät. Es geht nicht mehr darum, was passiert ist, es dominiert allein die Vorstellung einer Minderjährigen vor einem ekligen Porno.
Dann zieht Coca-Cola die Notbremse: Die Facebook-Kampagne wird abgebrochen.
Alles vorbei und gut und gegessen?
Denkste.
Denn es gab offensichtlich verdammt viele Menschen, die das Teil lustig fanden. Und die regen sich jetzt auf:
Coca-Cola sitzt damit zwischen allen Stühlen. Möglicherweise wird es ja auch noch eine Rüge von Seiten der Verbraucherschützer geben.
Trotzdem dürfen wir, die wir uns für diese Themen interessieren, uns bedanken. Für ein schönes Lehrbeispiel, bei dem am Ende ein paar Regeln für den Hinterkopf bleiben:
1. Wisse genau, wen Du auf einer Plattform errreichst.
2. Wer gewagt sein will, weil er es für cool hält, muss den Gegenwind von Menschen ertragen, die sich verletzt fühlen.
3. Wenn ein Kunde gewisse Worte miteinander in Verbindung bringt, dann reagiere schnell. Solche Kombinationen können zum Beispiel lauten: „Kinder & Sex“ oder „Drogen & Harmlos“.
4. Ideen gehören nicht abgewürgt – aber bis ins Detail ausgefeilt.
Und schließlich – das gilt nicht nur in diesem Fall, sondern generell:
5. Wenn ein Kunde mit Recht verärgert ist, ist die Zeit des Pfennigfuchsens vorbei.
Kommentare
Facebook: Wie man’s nicht machen sollte | .:snext_blog:. 19. Juli 2010 um 19:20
[…] kurz ein Link rübergeworfen in den Blog von Thomas Knüwer, der hier das Dilemma beschreibt, in das sich “Dr. Pepper” auf Facebook begeben […]
Johannes M. Schäfer 20. Juli 2010 um 10:47
Auch wenn dies mit Sicherheit keine tatsächliche Lösung für die Problematik gewesen wäre bzw. ein großer Teil der Zielgruppe dadurch ausgeschlossen worden wäre, so hätte man die Facebook Seite über die Alterseinschränkung für Minderjährige (Facebook Funktion) verbergen können und dadurch auch die Kampagne. Somit hätte zumindest die Möglichkeit bestanden, die Inhalte für Volljährige weiter bestehen zu lassen – wodurch zumindest bei dieser Zielgruppe kein Frust entstanden wäre.
All dies ändert natürlich nichts an dem eher schlechten Krisenmanagement der Marke…
Fundstücke vom 20.07.2010 « daniel rehn – digitales & reales 20. Juli 2010 um 12:01
[…] Dr. Pepper auf Facebook – das Schlimmste, was passieren konnte Die Zutaten: der Versuch cooler und lustiger zu sein, als man ist, eine nicht ganz bis zum Ende durchdachte Idee sowie nicht berücksichtigte Eventualitäten. Der Katalysator: die Eigenheiten der gewählten Plattform und ihrer Nutzer im Social Web. Das Ergebnis: eine komplett gegen die Wand gefahrene Kampagne für eine Marke, die nun zwischen allen Stühlen sitzt. […]
hpz 20. Juli 2010 um 19:05
Zur two-girls-one-cup-Geschichte MUSS noch diese Arbeit hier erwähnt werden. Ein Brüller.
http://infosthetics.com/archives/2010/04/2_girls_one_cup.html
(Ich habe das betreffende Video nicht gesehen, das muss ich auch gar nicht.)
Marc 20. Juli 2010 um 22:25
Ich wundere mich ja, warum ich als Dienstleister weiß, dass man eine Diskussion mit dem Kunden eher verliert als gewinnt. Aber warum wissen das nicht die Leute, die Marketing und Verkauf gelernt haben oder dafür engagiert werden.
Curt Simon Harlinghausen 21. Juli 2010 um 7:48
Vielen Dank für den ausführlichen Artikel.
Ich glaube nicht, dass es einer Agentur
gelingt alle Eventualitäten im Vorfeld
abzuwägen, da die Vielfalt mit der Grösse
der Fangemeinde wächst. Aber zumindest
sollte man im Rahmen einer solchen
Kampagne darauf vorbereitet sein und
weitsichtig reagieren.
Social Media ist ein Geben und Nehmen.
Auffallend ist, dass es recht viele Cases
aus UK gibt. Gute, wie auch schlechte
Beispiele.
Egon 21. Juli 2010 um 7:53
Hilfe! Recherche! Dr. Pepper hat nichts mit Coca-Cola zu tun!
Und das ist was anderes als dass!
Andreas 21. Juli 2010 um 8:35
Vielen Dank für diesen Beitrag und die detaillierte Aufbereitung der gesamten Affaire. Jetzt kenne ich mich aus – auch was „2 Girls und 1 Cup“ betrifft. 😉
Thomas Knüwer 21. Juli 2010 um 8:41
@Egon: Selber Recherche!
Dr. Pepper gehört zwar zu Snapple hat aber Vertrieb und Marketing an Coke abgegeben, im Ausland sogar die Abfüllung. Somit ist Snapple zwar der Rechteinhaber, die gesamte Verantwortung für das Geschäft liegt in UK jedoch bei Coca-Cola, die dafür Anteile am Umsatz abgeben.
Sebastian 21. Juli 2010 um 8:56
Sehr schön, erst die einen vergraueln und dann die übrig gebliebenen verärgern! Wenn sie die Kampagne schon beenden, sollten sie das öffentlich machen und ihr Logo austauschen. Jetzt ist Gelegenheit für entsprechendes Krisenmanagement – ach, ich vergaß: Da gab es ja schon Musical-Karten….
Social Media-Kampagne mit Pornoclip-Anspielungen? Keine gute Idee… | BlogHaus.org 21. Juli 2010 um 10:38
[…] tummeln… Ein sehr guter Beitrag über die Historie dieser verunglückten Aktion findet sich hier. Bitte durchlesen und Lehre daraus […]
Roger 22. Juli 2010 um 7:11
Entweder habe ich etwas überlesen, nicht kapiert oder die Frage ist tatsächlich berechtigt: Aber was bitte hat Dr. Pepper davon, wenn in den Status irgendwelcher Leute Quatsch steht (der nicht wirklich lustig ist, das sei aber mal bei Seite gelassen), dies aber ohne irgend einen Link oder Ähnliches zu Dr. Pepper selbst?
Thomas Knüwer 22. Juli 2010 um 8:37
@Roger: Das muss man im Gesamtkonzept sehen. Dr. Pepper will als verspielt, gewagt und jugendlich rüberkommen. Und natürlich ist die Übergabe der Statusmeldungen eine Form von kleinem Nervenkitzel.
Die Grundidee hätte ich auch für nicht so toll gehalten – wenn sich nicht jetzt so viele melden, die die Sache cool fanden. Offensichtlich also hat Dr. Pepper einen Nerv getroffen. Und das ist ein Marketing-Erfolg. Pardon, es wäre einer gewesen.
facebookmarketing.de | Credits, Null Blog, Infografik: The Business Behind Facebook, Die Überhitzung eines Trends… (Kurzmitteilungen 33) 12. August 2010 um 14:38
[…] Dr. Pepper auf Facebook – das Schlimmste, was passieren konnte Dr. Pepper Facebook “What’s the worst that could happen?”, fragt Dr. Pepper seine Kunden in Großbritannien. So mancher mag angesichts des höchst gewöhnungsbedürftigen Geschmacks der Limonade aus dem Hause Coca-Cola antworten: “Eine Dose von dem Zeug” – aber darum geht es nicht. […]
“Trink ‘ne Coke mit …”: Wenn die Community zu kreativ wird | daniel rehn – digitales & reales 17. Juli 2013 um 15:29
[…] hat Coca-Cola bereits vor drei Jahren Erfahrungen mit zu kreativen Fans gemacht, als eine Kampagne für Dr. Pepper mit ähnlichem Ansatz und Nutzer-Freiraum dermaßen aus dem Ruder …. Der Kontext, in dem man sich damals bewegte, war zwar ein gänzlich anderer, und doch, man hätte […]