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Es gibt Ideen, die bei jedem, der beruflich im Social Media Marketing tätig ist, eine reflexhafte Warnung auslösen, die da lautet: DENKDALIEBERNOCHMALDRÜBERNACH!

Dazu gehören zum Beispiel werbliche Kommentare in Blogs zu hinterlassen oder Fotos aus dem Internet einfach so zu verwenden, ohne sich über die Rechtelage klar zu sein. In diese Rubrik fallen auch Hashtag-Kampagnen, bei denen Nutzer gebeten werden, ihre Meinungen zu äußern. Zu oft sind solche Kampagnen schon vor der Wand gelandet, weil sich die Kritiker der jeweiligen Institution versammelten, zum Beispiel die Aktion der Polizei von New YorkNestlé mit #DeineFreiheit oder die Berliner Verkehrsbetriebe.

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Viel häufiger noch versanden solche Kampagnen vollständig, weil erwungene Begeisterung nun mal nicht ansteckend wirkt.

Das könnte man wissen.

Aber woher sollte das der Bundesverband der Zeitungsverleger BDZV?

Er rief den Hashtag #Meisterstück ins Leben. Die Ziele der Aktion beschreibt die Verbandsseite so:

„Täglich erscheinen in deutschen Zeitungen viele gute Artikel. Einige davon sind Meisterstücke. Sie stehen für eine herausragende journalistische Qualität und verdienen besonders viel Aufmerksamkeit. Wir geben diesen Texten ab sofort eine zusätzliche Bühne in den sozialen Medien: mit #Meisterstück, einer Kampagne des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger und dem Journalistenpreis der deutschen Zeitungen – Theodor-Wolff-Preis.

Posten oder twittern Sie die #Meisterstücke Ihrer Zeitungslektüre oder Ihre eigenen Artikel bei Facebook oder Twitter. Teilen Sie damit Ihre Freude über guten Journalismus mit Ihren Freunden, Fans und Followern – und entdecken Sie umgekehrt #Meisterstücke, die andere für Sie gefunden haben“

(Nein, bitte erwarten sie nicht, dass jener gefettete Hashtag auf der Seite des BDZV mit irgendwas verlinkt wäre.)

Der Erfolg dieser Kampagne ist nach über drei Wochen… überschaubar. Ungefähr 10 mal wurde #Meisterstueck bisher auf Twitter außerhalb der BDZV-Accounts verwendet, um auf Artikel aufmerksam zu machen – Facebook zählt magere zwei Erwähnungen.

Überraschen kann das nicht: Die Idee und die Umsetzung sind auf so vielen Ebenen amateurhaft bis unkundig, dass #Meisterstueck in Lehrbuchbeispiel liefert für eine solche Komplettversandung einer Kampagne im verzweifelten Versuch, mal  mit den coolen Kindern mitzuspielen.

Woran es lag? Hier die größten Fehler:

1. Keine eigener Reichweitenaufbau

Wenn keiner bei einer solchen Kampagne mitmachen will, braucht man zumindest eigene Präsenzen, die für ein erstes Grundrauschen sorgen. Über solche verfügt der BDZV nicht. Seine Presseabteilung pflegt betreibt eskaliert einen wilden Twitter-Account @BDZVPresse, der in eklektischer Manier alles Retweetet, was was mit Medien macht. Das ist in dieser unspezifischen Ausrichtung und Quantität keine Bereicherung für den Newsfeed der Nutzer und entsprechend kommt der Account auf magere 2.000 Follower.Es gibt übrigens einen toten Account @BDZV, der seit 2009 nicht mehr gepflegt wird. Über Twitter diesen Account zu akquirieren, um einen klaren Namen zu erhalten, darauf scheint bisher keiner gekommen zu sein. Auf Facebook exisitiert der BDZV nur in Gestalt einer Page des Theodor-Wolff-Preises mit nicht mal 400 Likes.

2. Falsche Hashtag-Wahl

Die Wahl eines Hashtags ist inzwischen so schwer, wie die Wahl eines Unternehmensnamens – denn sowohl offensichtliche URL wie Hashtags sind einfach schon vergeben. Und so war auch schon der Twitter-Account @meisterstueck vergeben, und der allgemeingültige Begriff des Meisterstücks wird nicht nur durch den Montblanc-Füller sondern auch durch einen Wein genutzt – keine gute Voraussetzung.

3. Eigene Zurückhaltung

Wer so eine Kampagne betreiben will, muss für einen gewissen Zeitraum bereit sein zur Penetranz. @BDZVPresse nutzt den Begriff bereits im April, jedoch nur wenige Male und ohne Erklärung. Am 19. Mai dann die Pressemitteilung: Doch noch immer wurden die Follower der eigenen Präsenzen nicht überschüttet mit Beispielen jener Meisterstücke. Die Unterseite der Homepage ist dürr, nirgends scheint eine richtige Aggregation – egal ob moderiert oder unmoderiert – integriert, die versammelte Meisterstücke sichtbar machen würde. Solche eine Aggregation trägt zwar die Gefahr des Missbrauchs in in sich, doch befeuert sie eben auch das Mitmachen. Und wer Angst davor hat, dass Nutzer seinen Hashtag missbrauchen, der sollte eine solche Kampagne gar nicht erst starteten (wird ja auch keiner gezwungen dazu).

Vor allem aber gab es zum Start keine Flut von Beispielen – sondern ein mageres Tröpfeln. Das sorgt nicht gerade für Bereitschaft, jenen Hashtag zu nutzen. Nur wenn Nutzer das Gefühl haben, Teil von etwas Größerem zu sein, werden sie sich auf eine solche Aktion einlassen.

_Meisterstück___MeiStueck____Twitter

4. Schlecht gemachte und noch schlechter kommunizierte Social Web-Präsenzen

Ab dem 19. Mai gingen dann ein eigener Twitter- und ein Facebook-Account live. Letzterer zählt derzeit 84 Likes, ersterer traurige 40 Follower – also niemanden. Auffällig sind die unscharfen Account- und Coverbilder. Dabei handelt es sich nicht um einen Fehler der Plattformen: Die Bilder sind einfach nicht für Facebook und Twitter optimiert worden. Ein Fehler, den viele Anfänger machen.

Mal abgesehen davon, dass solche Accounts am Anfang mit Werbung gestützt werden sollten (und sei es mit 100 Euro auf Facebook), wäre es auch eher verwunderlich, hätte jemand diese Präsenzen gefunden. Die Seite mit der Pressemitteilung erwähnt zwar den Facebook-Account – verweist auf Twitter aber einerseits auf @BDZVPresse, andererseits auf die Hashtag-Suche nach #Meisterstück.

BDZV___Meisterstück__BDZV_startet_Kampagne_für_Qualitätsjournalismus

Die Unterseite der BDZV-Homepage dagegen verschweigt beide Auftritte schamhaft. Obwohl einzelne Tweets und Facebook-Updates eingebunden sind – jedoch eben fremde.

5. Kein Mitnehmen der Kernzielgruppe

Ein Verband besitzt ein großartiges Fundament für solch eine Kampagne: seine Mitglieder. Beim BDZV ist das anders. Die digitale Rückständigkeit der journalistischen Kaste dokumentierte noch im Dezember eine Studie der Bundeswehr-Uni München: Rund die Hälfte der befragten Journalisten nutzten Social-Plattformen maximal einmal in der Woche – oder gar nicht. Und wir dürfen davon ausgehen, dass Nicht-Nutzer bei einer solchen Umfrage eher nicht teilnehmen.

Und auf die potentiell reichweitenstärksten Verbreiter darf der Verband auch nicht hoffen. Im Dezember 2015 sah die Social Web-Liebe von Verlagsgeschäftsführern und Chefredakteuren so aus (bei Henry Lübberstedt ist ein Fehler unterlaufen, er ist nicht Geschäftsführer sondern geschäftsführender Redakteur):

Chefredakteure Geschäftsführer SocialMedia3

6. Kein Einnorden der Mitgenommenen

Jene aber, die sich beteiligen, wurden anscheinend nicht vorbereitet. Das ist durchaus nötig: Man versucht reichweitenstarke Mitstreiter von der Idee zu überzeugen und gibt ihnen erste Leitplanken, damit ihre Postings einen ersten Ton setzen. Im besten Fall determinieren sie so das gesellschaftlich erwünschte Umgehen mit dem Hashtag.

Doch wer sich nur ein wenig im medial geprägten Teil des Social Web tummelt ahnt, was die „Rhein-Zeitung“ mit #Meisterstück anstellen würde: Die in Grundeinstellung von ihrer Arbeit begeisterungsbesoffene Redaktion reklamiert gleich mal ein paar #Meisterstücke für sich. Nur: Das Angebot des Blattes ist vollständiger Paid Content. Wer also klickt, muss zahlen um zu lesen. Dies wird im Social Web häufig als unhöflich empfunden, könnte vor allem aber den Eindruck vermitteln, sämtliche #Meisterstücke würden nur gegen Geld zu lesen sein. Die richtige Idee wäre gewesen, die „Rhein-Zeitung“-Mannschaft zu bitten, Eigenlob zurückzuhalten oder ausnahmsweise #Meisterstücke kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Andere Blätter verschlagworten Artikel mit jenen Hashtag, bei denen die Frage erlaubt sein muss, wie schlimm es um den redaktionellen Standard bestellt ist, wenn dies schon Meisterwerke sein soll. Beispiel: Die „Mittelbayerische“ reichte das Interview mit einer Dame ein, die seit 30 Jahren ein Café führt und das meisterstückliche Passagen von bemerkenswerter Langeweile enthält wie:

„Wie viele Stammgäste haben Sie?
Am Vormittag über 100. Abends arbeite ich nie, kenne die Zahl also nicht. Viele kommen von Anfang an. Zum Beispiel der Herr V. Der kommt jeden Tag um Punkt 10 Uhr. Das Publikum ist total gemischt. Vom Berufstätigen über die Hausfrau bis zum Rentner. Es ist nicht immer der gleiche Szenelokal-mäßige Einheitsbrei. Das wollte ich, eine Bar wie in Italien. Da werden Babysitter vermittelt, Autos verkauft und Wohnungen weiterempfohlen.“

Überhaupt tauchen einige Interviews auf, die in ihrer Belanglosigkeit das traurige Grau der deutschen Zeitungslandschaft dokumentieren. Als Beispiel sei nur ein Gespräch des „Mannheimer Morgen“ mit dem Handballer Uwe Gensheimer genannt: 08/15-Fragen, gefolgt von 08/15-Antworten.

Vor allem aber bewerben die Redaktionen nur die eigenen Werke. Im Social Web aber ist es eine Geste der Großzügigkeit, auf Interessantes auf fremden Präsenzen hinzuweisen. Mehr noch: Bei Facebook befördert solch ein Vorgehen die Reichweite. Leider zeigt sich die Lernunfähigkeit der Medienhäuser: Denn was heute im Social Web passiert, gab es schon einmal: Über eine Dekade hinweg weigerten sich die meisten Nachrichtenseiten, auf andere zu verlinken – selbst wenn es dort Exklusivgeschichten gab, die sei weiträumig zitierten. „Unser Leser gehört uns“, das war damals wirklich so zu hören.

Und nun?

Wäre es nicht schade, wenn #Meisterstück so versanden würde? Nachdem sich der BDZV so viel *HUSTRÄUSPER* Mühe in das Projekt gesteckt hat?

Nein, das wollen wir, das können wir nicht zulassen. Also ich werde #Meisterstück von jetzt an verwenden. Allerdings verlinke ich wegen des Leistungsschutzrechtes seit vier Jahren weder hier noch im Social Web auf Inhalte deutscher Verlage. Also könnte es sein, dass meine #Meisterstücke ein wenig anders ausfallen, als sich der BDZV das gedacht hat. Aber, hey, das sind doch Marginalien, oder?

Und im Social Media Monitoring steigt doch immerhin die Reichweite der Kampagne.

Also, wenn der BDZV so etwas misst.

Oh, ähm, also… Also wenn er das tut.


Kommentare


Marc Pfeil 6. Juli 2016 um 11:15

In einem Wort: #Hashtagdefizit!

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