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Wo sie auftauchten, waren sie nicht zu übersehen. Junge Männer in schwarzen Hoodies, die Kapuzen tief in der Stirn, schwarze Hosen, Springerstiefeln.

Mr Robot SXSW

Was in Deutschland als Aufmarsch Rechtsradikaler oder Fußball-Ultras wahrgenommen würde, ist im Rahmen der SXSW in Austin (der größten Digitalkonferenz der Welt) klar als Marketingaktion identifizierbar, die dem Kunden mutmaßlich mit der Vor-Vokabel Guerilla verkauft worden ist.

mr robotDoch wer war dieser Kunde? Das blieb im März noch angenehm rätselhaft. Zu oft kämpfen solche Aktionen ja mit der Ängstlichkeit ihrer Erdenker. Einerseits soll es cool und hip und überraschend sein, was da passiert, andererseits soll der Finanzier der Aktion leicht erkennbar sein. Dafür hat er ja bezahlt. Der Empfänger aber erkennt die Absicht und ist verstimmt: Es ist zu einfach, um interessant zu sein. Bei der SXSW war das anders. „Mr. Robot“ wurde propagiert, zum Beispiel durch die aufgesprühten Buchstaben im Foto oben. Auch wurden Visitenkarten verteilt mit der Web-Adresse whoismrrobot.com, auf der man seine E-Mail hinterlassen konnte. Die Site: ohne Bilder, nur Text, scheinbar eine Programmierkonsole. Aber sonst? Kein Absender.

Natürlich ließ sich mutmaßen: Entweder es handelt sich um ein dystopisch angelegtes Entertainment-Format – also Film, Serie oder Spiel – oder um ein Startup aus dem Security-Bereich. Erst beim Film-Festival, kurz nach dem Interactive-Teil der Konferenz, wurde die Identität von „Mr. Robot“ enthüllt: eine TV-Serie für den Kanal USA Network. Die Präsentation der ersten Folge im Rahmen des Festivals schlug mächtig ein: Die Serie gewann den Festival-Preis im Segment Serien.

Und mit was? Mit Recht.

In der vergangenen Woche schaute ich mich rauschhaft durch die 10 Teile der ersten Staffel.

Das liegt maßgeblich an Rami Malek in der Hauptrolle. Als persönlichkeitsgestörter Hacker Elliot Alderson schwebt er in düsterer Intensität durch die Straßen, meist gekleidet in jenem schwarzen Hoodie und zunehmend durch Drogen befeuert. Er arbeitet als IT-Sicherheitsspezialist für einen Dienstleister, dessen größter Kunde E Corp ist, der mächtigste Konzern der Welt. Mit einem Mal kontaktiert ihn ein Hacker-Kollektiv namens fsociety, das genau diesen Konzern zu Fall bringen will. Was stringent beginnt, verwandelt sich in eine Geisterbahn mit intensivsten Charakteren, durch die Alderson in immer höheren Tempo irrt. Es ist ein düsteres Szenario, bei dem irgendwann nicht mehr klar ist, wer gut ist oder böse, ja nicht mal, wer eigentlich existiert und wer eine Wahnvorstellung ist.

Binge-Watching ist angesagt, obwohl „Mr. Robot“ auch Schwächen hat: Alderson spricht mit einem imaginären Freund, der natürlich der Zuschauer ist – dieses Stilmittel sollte seit „House of Cards“ niemand mehr verwenden, weil Kevin Spacey es auf alle Zeiten perfektioniert hat. Auch die überzogene Machtkonstellation der E Corp, die noch dazu mit vollem Namen Evil Corp heißt, ist einfach ein Tick zuviel. Trotzdem: Wer ein Herz für Geek-Kultur hat, wird nicht abschalten können.

Für mich steht die Serie sinnbildlich für das, was im deutschen Fernsehen zu oft falsch läuft: die Unterforderung des Zuschauers.

„Mr. Robot“ überfordert eher. Denn wer überhaupt kein Gefühl für Technik hat, wird es schwer haben. Beispielhaft dafür ist die Verwendung eines Raspberry Pi im Rahmen eines Hacks. Was der ist, das muss sich der unkundige Zuschauer schon selbst ergooglen oder erwikipediaen. So geht es mehrfach. Egal ob Drogen oder IT-Sicherheit: Die Autoren setzen darauf, dass der Zuschauer gewisse Vokabeln kennt oder in der Lage ist, sie zu recherchieren. Die Kernzielgruppe wurde während der Laufzeit der Serie auch spielerisch bei der Stange gehalten. Jede Woche gab es einen Newsletter, scheinbar versandt von der fsociety, der zu einem Eignungstest als Hacker einlud – inklusive Datenschutz-Lektionen und Kritik an der NSA. Und immerhin: Das waren nicht ganz so einfache Spielchen, die es zu absolvieren galt, definitiv eine Abwechslung zu den billigen Adress-Einsammelspielchen deutscher Sender.

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Während deutsche TV-Produktionen fast immer darauf abzielen, ALLE zu erreichen, will „Mr. Robot“ das definitiv nicht. Und das macht die Serie so hoch attraktiv für die, die sich erreicht fühlen.

Es ist ein Konzept, das wir aus dem Content Marketing kennen. Auch dieses funktioniert nur, wenn man sich zu Beginn eine durch Interessen segmentierte Zielgruppe sucht und sie mit Inhalten versorgt, die auf Augenhöhe angelegt sind und/oder ihr das Gefühl geben, verstanden zu werden. Content Marketing für die Allgemeinheit funktioniert nicht.

Deutsche TV-Sender scheinen weiter allein durch die Einschaltquote getrieben. Doch die ist ein Massen-Maßstab: Wer sich allein an ihr ausrichtet, will Everybody’s Darling sein und wird zum Depp. Natürlich haben die Amerikaner es einfacher: Durch ihr Pay TV-Konstrukt müssen sie weniger auf eine hohe Durchschnitts-Einschalterzahl achten und können mehr experimentieren. Auch die Weitervermarktung ist einfacher, schließlich können englischsprachige Serien und Filmer quer über den Globus vermarktet werden.

Doch ist das eine Erklärung? Viel wahrscheinlicher scheint mir doch, dass die Angsthasigkeit der entscheidenden Redakteure die Langeweile und Piefigkeit deutscher Bewegtbildproduktionen erklärt. Auch Fernsehsender bräuchten eine Kultur des Scheiterns, in der dann aber wenigstens etwas gewagt werden darf. Klar, es gibt kleinere Hoffnungsschimmer wie „Weinberg“ auf TNT Serie. Doch solch eine Serie ist doch eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Die konstante Unterforderung des Zuschauers ist im deutschen Fernsehen die Regel. Und so verhält er sich wie Kinder, die in der Schule unterfordert werden: erst Ärger machen, dann passiv wegdrehen – und dann nicht mehr erscheinen. Selbst analogste Menschen in meinem Freundeskreis schauen einen großen Teil ihres Bewegtbildkonsums bereits heute via Netflix, Amazon Prime oder iTunes.

USA Network gab übrigens die zweite Staffel von „Mr. Robot“ in Auftrag, bevor die erste Folge überhaupt zu sehen war. Sagen Sie das mal einem deutschen TV-Redakteur.


Kommentare


Netz-TV 18. November 2015 um 9:16

Immer auf die armen „Redakteure“. 🙂 Sie werden im bestehenden System der Anstalten doch genau deswegen befördert, weil sie sind wie sie sind. Und für den “ privaten“ Teil des deutschen Fernsehens sind Serien für spitze Zielgruppen schlicht kommerzieller Wahnsinn. Die brauchen Werbeumfelder, also Reality und Casting. Als Aktionär will ich Senderchefs, die nach Blockbustern wie „Shopping Queen“ suchen und ihre (sehr) teure Arbeitszeit nicht mit Nerdkram vergeuden. Wer bei uns anderes Fernsehen will muss andere Grundlagen schaffen.

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roland 22. November 2015 um 11:22

Mr. Robot ist in der Tat eine der besten Serien, die ich seit längerem gesehen habe.
Nebst der Tatsache, dass viele der größeren Blockbuster inzwischen für Pay-TV produziert werden, ist auch der wesentlich größere (englischsprachige) Markt ein Faktor. Wer dafür produziert hat nicht nur 300 Mio US Bürger, sondern auch viele weitere potentielle Abnehmer in anderen Ländern. Soweit würde eine deutsche Produktion vermutlich nie denken.

Im Übrigen fand ich ein Statement von Netflix sehr interessant: sie haben in diversen Ländern weltweit nach Ideen für Serien geforscht, auf der Suche nach einem Skript, dass nicht nur in dem Land gut funktionieren würde, sondern auch in vielen anderen Märkten. In fast allen Ländern haben sie solche Skriptideen gefunden, nur nicht in Deutschland. Da wäre die Qualität der Ideen anscheinend nicht ausreichend für einen Export gewesen. Irgendwie auch bezeichnend, oder?

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kpunktnull auf der SXSW in Texas 7. März 2016 um 14:33

[…] mit Geeks und Influencern in Kontakt zu kommen wie im vergangenen Jahr die empfehlenswerte TV-Serie „Mr. Robot“, die wenige Wochen später zum großen Hit wurde. In diesem Jahr wird die Produktionsfirma der […]

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SXSW 2016 I: Der Zirkus ist zurück in Austin 22. März 2016 um 10:15

[…] Fiction. Außerdem reagiert die Popkultur heute schneller auf gesellschaftliche Entwicklungen. Die Hacker-Serie “Mr. Robot”, zum Beispiel. Vergangenes Jahr war sie via Guerilla Marketing omnipräsent in Austin. Der Erfolg: ein Erfolg. Die […]

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Erik 15. April 2017 um 19:13

Danke für den Tipp, schaue mir die Serie an diesem Osterwochenende an – bin gerade bei Folge 4. Großartig soweit!

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Erik 27. April 2017 um 8:34

Hi Thomas, du schreibst:
„Alderson spricht mit einem imaginären Freund, der natürlich der Zuschauer ist – dieses Stilmittel sollte seit „House of Cards“ niemand mehr verwenden, weil Kevin Spacey es auf alle Zeiten perfektioniert hat.“
Das sehe ich anders – In House of Cards wendet sich KS direkt an den Zuschauer – das geht auf Brechts Stilmittel im Epischen Theater zurück. Mit der direkten Anrede wurde der Betrachter aus der Illusion gerissen und sollte reflektieren.
Bei Elliot ist es ganz anders. Er redet mit jemanden, der Zuschauer weiß aber gar nicht genau, mit wem (er sagt z B. „I created you“ ohne dass man weiß, wer das „you“ ist). Was es damit auf sich hat, löst sich erst am Ende der ersten Staffel – so halbwegs auf – aber der Witz daran ist es gerade den Zuschauer zu irritieren.
Anyways, vielen Dank für den Tipp zu dieser großartigen Serie, hat mir sehr viel Spaß gemacht, das zu schauen!

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