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Man muss mit dem Ökonom Heiner Flassbeck nicht einer Meinung sein. Konstatieren aber muss man, dass seine Vita bemerkenswert ist: Abteilungsleiter beim DIW war er, Staatssekretär im Finanzministerium und Chefökonom der UN-Tochter UNCTAD. Norbert Häring, einer der Ökonomie-Experten des „Handelsblatts“ schreibt über ihn: „Heiner Flassbeck ist ein zu Recht bekannter und auch ziemlich exponierter Vertreter des Keynesianismus in Deutschland.“

Als Buchautor ist er ein Stück weit auch von der Präsenz in Medien abhängig. Umso unwohler muss einem werden, wenn Flassbeck in seinem Blog kurz aber deutlich mit den klassischen Medien abrechnet:

Heiner-Flassbeck„Ich habe in den letzten Tagen viele Interviews in Rundfunk und Fernsehen gegeben … und bin in fast allen Fällen schockiert darüber, wie wenig die Moderatoren solcher Sendungen über die Eurokrise, den Fall Griechenland und die internationale Diskussion dazu wissen. Einer der Moderatoren hat es auch ganz explizit zugegeben, dass er all das, was ich dazu zu sagen hatte, noch nie gehört hat, und hat sich (was die große Ausnahme ist) nach der Sendung quasi für sein Unwissen entschuldigt. Nur, man muss sich vorstellen, welche Fehlinformation die Kollegen dieser Moderatoren betreiben, wenn politisch interessierte Menschen (das unterstelle ich den Moderatoren einmal) von den entscheidenden Zusammenhängen noch nie gehört haben, sondern nur die üblichen Vorurteile kennen…“

Und seine Folgerungen, beziehungsweise sein Rat, sind nicht weniger deutlich:

„Deswegen kann ich unsere Leser nur bitten, alle Menschen, die sie kennen, darauf hinzuweisen, dass man sich im Internet umfassender und besser informieren kann als bei den Leitmedien und dass man niemals unkritisch Informationen und Analysen (unsere eingeschlossen) als „die Wahrheit“ schlucken darf.“

Das schreibt kein radialer Bollerkopp, kein Revoluzzer oder Weltfremder. Sondern ein 64-Jähriger, der von zahlreichen Medien immer wieder interviewt wird. Es wird sichtbar, was auch in meinem Umfeld auffällt (und der Gesellschaft massiv schadet): Immer mehr Menschen fühlen sich nicht nur vom klassischen Medien nicht informiert – sie haben das Gefühl, desinformiert zu werden. Und dabei wird es einzelnen Medienmarken nicht helfen, die Schuld von sich zu schieben und behaupten, es seien immer nur die anderen, die Mist bauten.

Wir brauchen endlich eine selbstkritische Diskussion der Medienhäuser über ihre eigenes Tun – und eine Abwendung vom meinungsgetriebenen, fast hysterischen, Meinungsjournalismus. Das betrifft die ARD genauso wie die „FAZ“ und Griechenland-Themen genauso wie Berichterstattung über die Autobahn-Maut. Der Journalismus muss seiner, ihm in der Verfassung übertragene Sonderrolle in der Gesellschaft endlich wieder gerecht werden.

Foto: Flassbeck unter CC BY-SA3.0 


Kommentare


egghat (@egghat) 9. Juli 2015 um 15:10

Der Link zu Flassbecks Blogeintrag ist falsch.

http://www.flassbeck-economics.de/mein-interview-im-zdf-und-drei-anmerkungen/

(Und natürlich ist Flassbeck ein linker Revoluzzer. Der hat für Lafontaine gearbeitet. Das war quasi der deutsche Tsipras. Der war links. Was ja in diesen neoliberalen Zeiten ausreicht, um gleich als linksradikal abgestempelt zu werden …
Links ist in Deutschland der Arbeitnehmerflügel der CDU und alles links davon ist radikal 😉 )

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Tim 9. Juli 2015 um 15:41

„Endlich wieder gerecht werden“? Wann waren denn die Journalisten zuletzt Kenner der Sachlage? Politischer Journalismus versteht sich doch in Deutschland vor allem als Verlautbarungsjournalismus. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, daß die Berichterstattung zu den Euro-Vorbereitungen in den 90ern von besonders tiefgründiger Analyse geprägt war. Insbesondere öffentlich-rechtliche Journalisten verstehen ihre Aufgabe vor allem darin, die Meinungen derjenigen Gruppierungen wiederzugeben, die in den Rundfunkräten sitzen (besonders peinlich wirkt das im Deutschlandfunk, der sich selbst ja für die Meßlatte hält). Ob ein Politiker schon hundertmal Quatsch erzählt hat oder nicht, spielt keine Rolle.

Was mir fehlt, sind Journalisten mit Haltung. Von denen gibt es viel zu wenige. Was es hingegen viel zu oft gibt: Journalisten mit erkennbar geringem Interesse am jeweiligen Thema und offensichtlich mangelnder Einarbeitung.

Insofern muß ich Flassbeck hier ausnahmsweise zustimmen. Auch wenn nicht mal Keynes heute noch Keynesianer wäre. 🙂

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Tilman 9. Juli 2015 um 16:14

Bin immer wieder erschreckt in meinem VWL Studium, dass für viele Studierende eine Aussage zu wirtschaftlichen Themen als „richtig“ oder „wahr“ angesehen wird, nur weil sie in der FAZ, Zeit oder im Handelsblatt steht. Über den Tellerrand rausschauen ist leider selten …

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hardy 9. Juli 2015 um 21:06

na ja. also ich höre ihm ja schon seit jahren zu (kann man ja schön auf meiner tv3.radio.pod seite nachgucken), wenn der dlf ihn zum interview bittet und habe ein herz für ihn, aber da knallt er gerade ein bißchen durch mit seinem „auf mich hört ja keiner“. wenn ich das sage, hat das den sound von selbstironie, wenn er es gerade tut, den von „mimimimimi“.

tut mir leid, das sollte er mal ein bißchen tiefer hängen oder sich angucken wie das mit dem lucke und dem, was ich mittlerweile das „AFDsydrom“ nenne, geendet ist: erst übt man kritik, wahrscheinlich sogar zt. berechtigt, dann kommen die vollidioten, die davon nur hören, was sie hören wollen … und am ende war man nur kanonenfutter für die kreischer und schreier.

http://hinterwaldwelt.blogspot.com/2015/06/eine-lanze-fur-walter.html

warum ist sich heute eigentlich keiner mehr so recht der verantwortung bewusst, wenn man im öffentlichen raum den mund aufmacht?

flassbeck jedenfalls bedient gerade eher die ullfkotte-klientel und das ist mir, als einem, der ihn mag, ziemlich unangenehm …

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Axel Schwinger 9. Juli 2015 um 22:07

Und hier kann man sehen wen er meinthttp://www.google.de/search?q=heiner+flassbeck+interview&safe=off&tbm=nws&oq=heiner+flassbeck+interview&gs_l=mobile-heirloom-serp.12…0.0.0.21482.0.0.0.0.0.0.0.0..0.0….0…1c..34.mobile-heirloom-serp..0.0.0.YVZZuYbXsBE

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jensbest 10. Juli 2015 um 0:48

Journalisten mit Haltung sind die eine schöne Notwendigkeit. Viel grundlegender offenbart sich nun, dass Journalisten genügend Bildung und ausreichend Basis-Fachwissen mitbringen müssen, um wenigstens die zentralen Kontexte zu verstehen, die geschichtlich, poliitsch, gesellschaftlich und interdisziplinär bei einem Thema auf den Umfang der für Verstehen und Einordnen notwendigen Informationen einwirken.
Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es solche Journos auch durchaus in Deutschland und auch bei vielen der kritisierten kommerziellen und öffentl-.rechtl. Redaktionen gibt, nur leider wird oft einer irgendwie notwendigen „Ausgeglichenheit“ oftmals neben den kompetenten Journo eben ein williger und ungebildeter Propaganda-Schreiber an die Feder gelassen, ab und an sitzen solche Propagndisten auch in Führungspositionen, was wiederum zu einem Verlust an Qualität durch strukturelle Gewalt führt. Es wird Zeit einige Zöpfe abzuschneiden.

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Klaus Jarchow 10. Juli 2015 um 8:04

In den Redaktionen reüssieren heute die ‚Spin-Doktoren‘, nicht die Journalisten. Ich nenne nur mal den Altenbockum bei der FAZ, Uli Dönch beim ‚Focus‘ oder Dorothea Siems bei der ‚Welt‘. Unter vielen anderen. Was soll denn ein aufstrebender Journalist machen, wenn er unter solch einer Führung auch Erfolg haben will?

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Yannik 10. Juli 2015 um 13:16

Die taz hat im April eine Bilanz ihrer Arbeit vorgelegt, in der ziemlich selbstkritische Stellen enthalten sind:

„Leider gibt es ständig auch wichtige Themen, die wir vernachlässigen: Weil alle Redakteure schon mit anderen Themen beschäftigt sind, weil der Platz in der Zeitung fehlt, weil die Zeit fehlt, weil die zur Recherche notwendigen Reisen den Etat sprengen würden. Täglich fallen uns dutzende Themen auf, die eigentlich dringend an die Öffentlichkeit gehören. Wie viele weitere Themen es gibt, die uns nicht auffallen, die man aber bei besserer Suche finden könnte, mag man kaum schätzen.“

„taz-Redakteure verdienen etwa ein Drittel bis die Hälfte unter Tarif. Auch viele Verlagsmitarbeiter verdienen unter Tarif. Es gibt viele Mitarbeiter, vor allem ohne volle Stelle und/oder mit Familie, die aus finanziellen Gründen auf Nebenjobs angewiesen sind. (…) Das niedrigste real in der taz gezahlte Gehalt lag 2013 bei 1.853,84 Euro brutto im Monat.“

„Da es keine systematische Erfassung der
Arbeitszeit gibt, existiert auch keine Erfassung von Überstunden. “

„Die taz ist dadurch geprägt, dass nach wie vor unternehmensweite Regeln und Vorgaben zu vielen Bereichen fehlen. Außerdem sind Verantwortlichkeiten nicht immer klar definiert.“

„Über wesentliche Fragen – zum Beispiel die langfristige Weiterentwicklung des Geschäftsmodells in einem sich radikal ändernden Markt, die inhaltliche Ausrichtung der taz, die Personalpolitik und da insbesondere die Lohnerhöhungen – gibt es keinen Konsens in der taz.“

„Wir beauftragen Trägerdienste, die nachts die Zeitungen an unsere Abonnenten zustellen. (…) Es ist jedoch bekannt, dass die Austräger in der Regel weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen.“

„Soziale Kriterien spielten bei der Auswahl der Druckereien keine Rolle.“

„Unternehmensweite Richtlinien existieren meistens nicht – und wenn sie existieren, werden sie nicht immer eingehalten.“

„Dennoch werden Entscheidungen in der taz tendenziell eher von Männern als von Frauen getroffen, da Männer oft offensiver für ihre Forderungen und Interessen eintreten.“

„Die gesetzliche Quote zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen wird von der taz deutlich verfehlt. Statt den rechnerisch vorgeschriebenen 13,42 Menschen mit Behinderungen beschäftigen wir nur 5 (37 Prozent des Solls). Die taz zahlt daher eine Strafabgabe.“

„Die vom Betriebsverfassungsgesetz geforderte vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen
Geschäftsführung und Betriebsrat besteht faktisch nur sehr eingeschränkt.“

http://blogs.taz.de/hausblog/2015/04/28/gemeinwohlbilanz/

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Hendrik 13. Juli 2015 um 13:07

Unbegreiflicherweise gibt sich auch die ARD immer mehr dem zeitgeistigen Hecheln nach dem neuesten Bild, dem neuesten Statement, gleich wie inhaltsleer es sein mag hin und opfert die ehedem vorhandene „Erklär-Kompetenz“ dafür. Das war jetzt die zweite Woche in Folge beim Weltspiegel zu beobachten. Hier gibt es seit einiger Zeit die Tendenz, den Programmablauf an aktuellen Geschehnissen auszurichten. So jetzt zwei Mal zu „Griechenland“, beide Male gab es zu eigentlich nichts Neues zu berichten, beide Male folgte ohnehin ein Brennpunkt–das Exempel für puren newsgeilen Journalismus.

Am Weltspiegel besticht ja eigentlich gerade das Unaufgeregte, NICHT der bloß atemlos abzubildenden Aktualität verpflichtete, sondern auf Hintergründe und Erklärungen abstellende. Für diejenigen, die das sinnentleerte Aufsagen von Vermutungen und Altbekanntem vor einer Fototapete (Akropolis, Weißes Haus, Ratsgebäude Brüssel) á la Brennpunkt schätzen, gibt es diese ja — bedauerlicherweise mit inflationärer Tendenz.

Warum diese Nichtigkeiten nun unbedingt ca. 60 Minuten vorher auch noch im Weltspiegel versendet werden müssen, man begreift es nicht. Genau das kann doch jeder — jeder Sender, jede Website, jede Zeitung mit ihren ähnlich überflüssigen „Live-Tickern“. Die Qualitäten über die nur die ÖR, insbesondere die ARD, verfügen, werden dabei vernachlässigt.

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