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Vielleicht hätte das Schauspiel Köln irgendwo das Wort „Experiment“ verwenden sollen. In den Vorankündigungen, den Pressemitteilungen, irgendwo.

Denn mit Experimenten ist es ja so: die allermeisten scheitern. Und gescheitert ist gestern „Supernerds – ein Überwachungsabend„, den das Kölner Theater mit dem WDR und der Autorin Angela Richter konzipierte.

Die Versprechen waren groß, mutmaßlich auch hochgeschossen von beteiligten Kommunikationsabteilungen. Zitat von der Homepage des Theaters: „…interaktive TV-Sendung, 2nd screen online Auftritt und Theaterstück zugleich. Das transmediale Projekt macht deutlich, was Observierung wirklich bedeutet. Den perfekten Einstieg bietet für alle, die am eigenen Leib spüren wollen, wie sich das anfühlt, das Suddenlife Gaming.“ Schon in diesem Text verschwurbelt sich das Projekt, wie es sich dann auch im Saal verschwurbeln würde, denn tatsächlich sollte es doch wohl nicht darum gehen, weniger digital unterwegs Seienden einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sich Suddenlife Gaming anfühlt – sondern wie es ist, überwacht zu werden.

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Gestern Abend, bei der Premiere, gab es gleich drei Versionen dieses Abends. Einerseits das, was man Theaterstück nennen könnte und vollständig nur für die Zuschauer im Saal zu sehen war (zu denen ich zählte), andererseits eine Sendung im WDR-Fernsehen, moderiert von Bettina Böttinger und Richard Gutjahr, andererseits eine Hörfunk-Übertragung auf WDR3. Das Interesse war zumindest auf Twitter sehr, sehr groß. Weshalb einige Wechselwirkungen zwischen TV-Sendung und Schauspiel nicht recht funktionieren wollten – die Server brachen zusammen.

Das wäre noch zu verkraften gewesen. Doch war es diese mediale Überfrachtung, die „Supernerds“ so schwierig machte. Das Theaterstück lehnt sich an eine Richtung an, die von Kathrin Röggla populär gemacht wurde: Aus Interviews mit Personen einer spezifischen Gruppe kondensiert sie Zitate, die zu einer groben Handlung werden. Das klingt furchtbar verkopft, ist aber spannend und realitätsnah. Ihr Stück „Wir schlafen nicht“ gehört zum spannendsten, was ich je im Theater gesehen habe.

Auch „Supernerds“-Autorin Angela Richter arbeitet so. Sie traf die NSA-Whistleblower dieser Welt, von Julien Assange bis Edward Snowden. Sie kommen auf der Bühne zu Wort, umgeben von einem nicht weiter erklärten Sammelsurium aus beweglichen Figuren: Eisbär, Tünnes, Schäl, Kreuzritter, zwei riesige Bilder von Karnevalswagen mit einer Merkel- und einer Putin-Karikatur. Das verbindende Element soll „die Reisende“ darstellen, das Alter Ego von Angela Richter und fantastisch gespielt von Judith Rosmair. Sie macht sich auf den Weg zu den Whistleblowern, erzählt die Atmosphäre und das Drumherum. Die Informanten-Darsteller zitieren ihre Vorbilder. Nur: Passieren tut halt nichts, weshalb verkrampft Bewegung erzeugt werden muss, mal tanzen Reisende und Interviewter, mal muss Nebel verteilt werden, dann wieder schiebt das Ensemble irgendwelche der Requisiten-Figuren durchs Bild.

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Was fehlt: Handlung. Spannung. Gegensätze. Natürlich gibt es richtig starke Momente: Rosmair als Chelsea Manning ist zum fantastisch und düster, Nikolaus Bender als Edward Snowden intensiv. Doch wo Röggla Figuren aufbaut und agieren lässt, beschränkt sich Richter auf mutwillig in Bewegung versetzte Dokumentation. Gegensätze kommen überhaupt nicht vor, ein einzelner Soldat darf ein Friedenslied singen und wird dann verdrängt. Statt die Argumentation der Geheimdienstler in Beziehung zu setzen mit den Erkenntnissen der Whistleblower, geht es im ICE in die immer gleiche Richtung. Am Ende fährt der Zug gegen die Wand: Es bleibt ein eher wirrer Monolog der Reisenden, die derweil imaginierte Babys gebiert. Wo keine Handlung existiert, kann sie auch nicht zu einem Schluss kommen, das Finale wirkt wie eine Karikatur auf verkopftes Theater.

Doch es soll ja auch überwacht werden. Albern wirkt eine Pseudo-Sicherheitskontrolle am Eingang. Noch schlimmer: Die Handlung wird unterbrochen durch technische Experimente mit dem Publikum. Dies passiert so elegant wie die Zerteilung einer Torte mit einer Kettensäge. Mit einem Mal heißt es: So, wir wollten ihnen ja noch was zeigen. Allein: So spektaktulär ist das Gezeigte dann nicht – oder nur, wenn mit der Wahrheit getrickst wird. Die Besucher sollten nämlich vorab ihre Daten übermitteln, darunter Handynummer und Anschrift. Und so lassen die Macher alle Telefone von rechtsrheinisch wohnenden Besuchern klingeln. Oder von jenen, die in Nachbarschaften wohnen, die einem Kreditrating zugute kommen (dass eine Kreditvergabe selbstverständlich nicht allein auf Basis der Wohnlage erfolgt, muss verschwiegen werden). Von einem der Besucher wird ein ganzes Dossier produziert. Die Brücke zur traurigen Realität wird nicht betreten: Die Zuschauer bekommen nicht den Eindruck vermittelt, dass diese Daten über sie bereits gesammelt wurden, ohne dass sie diese irgendwo eintippten. Stattdessen dürfte in den Köpfen immer stecken: „Ich hab denen das ja gegeben, logisch, dass die das können.“

Diese Daten-Interventionen präsentierten gestern Böttinger und Gutjahr. In späteren Aufführungen wird es wohl eine Gutjahr-Aufzeichnung geben. Nur: Das kommt dem Abend nicht zugute, was nicht an Richard liegt. Es ist wie in einem Jugendzimmer, in dem sich ein junges Paar dem ersten Kuss nähert – ständig reißt Mama Angela die Tür auf und erinnert an die Hausaufgaben: Kinder, ihr müsst was lernen. So wirkte dann auch die hologrammartige Zuschaltung von Julien Assange: Boettinger stellte ihm Fragen, die ihm schon zig mal zuvor gestellt wurden. „Mammaaaa! Lass uns in Ruhe“, wollte ich rufen.

Ganz schwierig wird es in der Anmutung, es sei ganz einfach, jedes Handy zu hacken. Denn auf der Leinwand im Hintergrund sehen die Zuschauer die Live-Übertragung aus der Handy-Kamera eines Besuchers. Der ist ernsthaft überrascht, er sitzt zwei Plätze neben mir und behauptet, er habe sein Telefon nie aus der Hand gegeben. Hat er doch, wie mir Richard Gutjahr später verraten wird. Am Vortag wurde auf sein Gerät eine Malware installiert, als er bei den Proben anwesend war. Und genau da ist der Haken: Hacking und Überwachung werden vermischt, es wird behauptet, so etwas sei ganz einfach. Dass es schon bei iPhones deutlich schwerer wird – das fällt der künstlerischen Verkürzung zum Opfer. Vor allem aber ist es eben genau das Gegenteil von dem, wozu NSA & Co. tatsächlich fähig sind: Kameras und Mikrophone anzusteuern, ohne dass sie diese Geräte jemals in die Hand bekommen. Es ist dieses Hacking-lose Überwachen, dass so bedrohlich ist.

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Immer wieder tat sich eine große Differenz auf zwischen den eindrucksvollen Sätzen von Snowden oder Manning und den Datenspielereien, die präsentiert wurden wie die „Aktuelle Stunde“ im WDR. Letztere mochte man nicht recht ernst nehmen, was erstere dann entwertete.

Noch während der Aufführung tweete Angela Richter das hier:

Konterpropaganda für den Mainstream? Nun ja. Dazu müsste man erstmal wissen, wie viel der Mainstream überhaupt weiß – und niemand kann das wohl seriös sagen. Beispielhaft zwei Tweets des gestrigen Abends:

Es fällt schwer, eine öffentliche Meinung zu manipulieren, wenn man nicht weiß, wie die Meinung eigentlich ist. Außerdem funktioniert Propaganda eben nur, wenn sie die Menschen mitnimmt. Doch zweifele ich, ob „Supernerds“ das bewirkt. Wer sich auskennt, wird wenig Neues mitnehmen und die Datenspielereien als Spielereien erkennen. Wer sich nicht auskennt, für den öffnen sich viel zu viele offene Punkte, die vom eigentlichen ablenken: Zu weit könnten psychisch extreme Charaktere wie Chelsea Manning vom eigenen Leben entfernt sein. Doch Propaganda funktioniert eben nur, wenn eine Beziehungsebene geschaffen wird.

Viel stärker ins Herz getroffen haben dürfte das, was sich in den Wochen vor der Premiere abspielte. Jenes Suddenlife-Game erhitzte die Gemüter. Wer seine Handy-Nummer weitergegeben hatte, erhielt mit einem Mal Anrufe von unbekannten Nummern. Hob er ab, schien er dem Gespräch anderer Menschen zu lauschen. Oder erhielt eine SMS mit dem Text: „Ich bin aus China zurück. Das Treffen mit Ai Weiwei war ziemlich verrückt.“ Die „FAZ“ schrieb zu jenen Anrufen und Nachrichten tatsächlich: „Dass das „Spiel“, das sie (Angela Richter) inszeniert, bei Zuschauern, die sich „akkreditiert“ haben, auf Lebenssituationen treffen kann, so dass aus den fiktiven Schrecken reale werden, hat Angela Richter offenbar nicht reflektiert. Die Grenzüberschreitung, die sie leichtfertig in Kauf nimmt, macht die Kritikerin der Überwachung, als die sie sich geriert, zur Komplizin. Die Produktion „Supernerds“ reproduziert, was sie zu attackieren vorgibt.“

Die Passage zeigt so viel mehr über jene Äußerung von Medien nach 9/11, dass politische Satire tot ist, als die angestrengte Zitierei auf der Bühne. Denn wenn die „FAZ“ Kunst solch eine brutale künstlerische Intervention derart harsch kritisiert, muss gefragt werden, ob nach den NSA-Enthüllungen Kunst noch möglich ist.

„Experiment“. Dieses Wort hätte dem Abend gutgetan. Experimente können schief gehen, oft haben sie einen offenen Ausgang. Das heißt aber nicht, dass man aufhören sollte zu experimentieren.

„Supernerds“ ist ein Experiment. Es ist gescheitert.

Doch das hält hoffentlich weder das Kölner Schauspiel noch den WDR davon ab, weiter in diesem Feld zu experimentieren. 

Hinweis: Ich erhielt für die Premiere eine kostenfreie Pressekarte. 

PS I: Gestern hörte ich von zwei Menschen, dass sie selten bis gar nicht ins Theater gehen. Das ist schade und traurig. Denn die deutsche Theater-Landschaft ist großartig und bietet heute viele Stücke, die unmittelbar mit unserer Welt zu tun haben. Nur zwei aktuelle Beispiele aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus: „Zorn“ widmet sich der jungen, neuen Rechten und ihrer Kollision mit liberalen Eltern, „Am Boden“ einer US-Army-Drohnenpilotin. Deshalb: Bitte gehen Sie ins Theater!

PS II: Unter „Peinlich“ abzubuchen war die Twitter-Begleitung durch WDR- und Supernerds-Accounts. Der WDR behandelte das Theaterstück wie in Fußballspiel, Supernerds erging sich in Pseudo-Jugendlichkeit. Nicht alles sollte eben dem Liveticker-Wahn unterworfen werden.


Kommentare


Tim 29. Mai 2015 um 13:43

Mir geht es leider fast immer so, wenn Theaterleute irgendein aktuelles Thema aufnehmen oder formal innovativ sein wollen. Es geht fast immer schief. Das liegt nicht am fehlenden Willen, sondern oft am fehlenden Wissen. Sie begreifen viele Themen einfach nicht und kennen auch die relevanten Diskussionen nicht, so daß die Themenbehandlung überwiegend trivial wirkt. Man muß nur 2 Minuten im Netz recherchieren, schon hat man garantiert eine interessantere Behandlung des Themas. Natürlich kommt dann immer die Schutzbehauptung „Wir arbeiten für den Mainstream“, aber das kann doch nicht ernsthaft der Anspruch des teuren Subventionstheaters sein.

PS: Ich lebe in einer Stadt mit einem bundesweit gefeierten Haus.

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marco 30. Mai 2015 um 22:53

weitgehend volle zustimmung, und ich gelobe weitere theaterbesuche – nur eine ergänzung, es war etwas falsch dargestellt, was die telefon-klingel-aktion angeht (ich habe die datenanalyse gemacht): wir haben für die „kreditwürdigkeits-nummer“ mehrere faktoren kombiniert, allerdings nur exemplarisch, weil der wirkliche schufa-algorithmus nicht bekannt ist. bei uns fließt bezogen auf die plz-ebene: eigentumsquote, freies einkommen, arbeitslosigkeit und das kombinieren wir mit einem persönliche merkmal (geburtsdatum). also schon komplexer als von dir oben (und bei der premiere) dargestellt – die echte schufa-formel ist natürlich noch weitaus komplexer, aber – wie mir mal angetragen wurde – genau so aufgebaut.

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Supernerds – wie ich es erlebte | davednb.koeln 4. Juni 2015 um 16:57

[…] Nach der Premiere las ich dann natürlich auch die Berichterstattung auf Twitter und in Blogs/Zeitungen und war danach endgültig zwiegespalten, was meine Erwartungshaltung anging. Die FAZ war ja relativ positiv, Thomas Knwüer hingegen schrieb eine ernüchtertete Kritik. […]

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„Big Data“ auf der Bühne » quergewebt 5. Oktober 2015 um 17:25

[…] gewertet wurde und sich vielfach in eher effekthascherischen, technischen Spielereien erging und am Ende auf ein eher zähes Theatervergnügen hinaus lief. Nicht so das neues Projekt von Hermann Schmidt-Rahmer, das seit dem 3. Oktober im Essener […]

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