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Das Stürmchen im Pesto-Glas ist klein und verdient definitiv nicht den Prolog „Shit“. Was sich aber in dieser Woche rund um den italienischen Pasta- und Pesto-Hersteller Bertolli unter den Schlagworten #pestogate und #dishstorm abspielt, ist ein schönes Lehrstück zum Thema Digitalmarketing.

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Angefangen hat alles mit einer kommentierenden Facebook-Seite. Die gehört zur Marke Bertolli, wird aber betrieben von der Hamburger Digital-PR-Agentur Orca van Loon. Sie kommentierte unter Facebook-Postings der Foodblogs Penne im Topf und Schöner Tag noch sowie unter einem Posting der Gruner+Jahr-Community Chefkoch.de in mittelauthentischem Plauderton und mit Verlinkung eines Rezeptes auf ihrer Homepage:

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Man sieht schon: Die Blogger finden das nicht so richtig toll. Womit wir bei der ersten Lehre wären:

Nur weil irgendwo Werbung möglich ist, gibt es keinen Grund, sie dort auch unbedingt zu platzieren.

Klingt irgendwie logisch. Doch weiß ich auch aus Gesprächen mit weniger digital-affinen Entscheidern, dass diese simple Erkenntnis noch nicht überall gereift ist. Vielmehr gibt es auch weiterhin Marketingverantwortliche die glauben, dass eine Facebook-Seite, die allein Werbebotschaften verbreitet, irgendeine Form von Attraktivität für Konsumenten ausstrahlt. Solche Seiten werden dann meist mit Werbung auf eine gewisse Likerzahl geschossen, niemand aber von Seiten des Unternehmens schaut ernsthaft auf die Reichweite der Postings.

Immerhin: Die Foodblogger reagierten kreativ. Sie drehten den Spieß um und kommentierten Bertollis Facebook-Postings mit ihren eigenen Rezeptlinks. Respekt – schöne Reaktion. Dabei mobilisierten sie natürlich ihre Leser und andere Blogger: Statt eines Kommentars gab es so eine dreistellige Zahl.

Es hätte aber auch anders kommen können. Zum einen sind Foodblogger insgesamt vielleicht eine etwas angenehmere Digitalspezies als beispielsweise gewisse Youtuber oder Medienblogger (Autoren eingeschlossen). Andererseits sind sie Social Media Relations-Aktionen von Unternehmen gewohnt und teilweise dafür ansprechbar. Was uns zu Lehrsatz zwei bringt:

Im Social Web beginnt Markengröße zu zählen. 

In jenen Tagen, da dieses Blog an den Start ging – das ist zehn Jahre her – wäre die Reaktion der Blogs mutmaßlich heftiger und wütender ausgefallen. Doch hat sich Klein-Bloggersdorf inzwischen zur mittelgroßen Metropole mit verschiedensten Stadtvierteln entwickelt. Und in denen der Besserverdiener geht es eben etwas ruhiger zu. Erst recht, wenn der Fehltrittige ein potenzieller Kooperationspartner ist – so wie Bertolli, eine Tochter von Unilever. Sprich: Hätte es sich hier um ein Unternehmen abseits des Food-Bereichs gehandelt, wäre die Sache vielleicht anders verlaufen.

Denn Bertolli hat auch noch Glück gehabt. Es scheint sich um eines jener Unternehmen zu handeln, das blind seinen Dienstleistern vertraut. Und wenn die keine Rück- oder Warnmeldung geben, gibt es schon mal große Überraschungen. Stern.de recherchierte die Geschichte und anscheinend wusste bei Bertolli zunächst niemand, was eigentlich los war. Die Presseabteilung wurde erst durch Journalistenanrufe auf die Situation aufmerksam. Diese Passage hat Stern.de inzwischen gestrichen, weil schließlich ein offizielles Statement kam.

Anschließend floss eine in der Social Web-Kommunikations oft zu beobachtende, aber sehr hinderliche Haltung in die Reaktion ein. Denn zu viele Entscheider halten ihre Marke für das Himmelsgeschenk an die Verbraucherschaft. Sie ziehen nicht in Erwägung, dass Menschen ihre Marke oder ihre Produkte nicht mögen, vielleicht gar substanzielle Kritikpunkte äußern könnten. Oder:

Für jeden Entscheider gilt: Seine Marke ist nicht die wichtigste der Welt (außer er heißt Tim Cook). 

Bertolli scheint so gepolt zu sein. Denn die offizielle Reaktion negiert den werblichen Ansatz der Spam-Kommentare. Gegenüber Stern.de heißt es:

„Bei den Links, die wir bei Foodbloggern gepostet haben, handelt es sich nicht um Werbelinks. Da wir zu keiner Zeit mit Bertolli-Produkten werben. Die Rezepte werden von unabhängigen Redakteuren entwickelt, die auf Honorarbasis für uns arbeiten – diese Autoren haben sogar eigene Foodblogs.“

Ja, ne, ist klar. Selbstverständlich sind jene Links werblichen Charakters (wenn nicht, dann verbrennt Bertolli nutzlos Geld). Auch ist nirgends auf der Homepage etwas von unabhängigen Redakteuren auf Honorarbasis zu lesen. Die Autoren jener Rezepte bleiben ungenannt, ebenso die Fotografen der eher mäßig gelungenen Optiken. Sprich:

Sichherausredenwollen wirkt im Social Web meist peinlich. 

Immerhin: Bertolli hat die Sache nun auch noch umgebogen. Also irgendwie…

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Das Ineinentopfwerfen von Foodbloggern mit der in diesem Kreis eher schlecht beleumundeten Seite Chefkoch.de löste noch ein kleines Nachbeben aus:

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Das zeigt:

Wer im Social Web kommunizieren will, sollte wissen wovon und mit wem er redet. 

Deshalb ja ist Content Marketing so schwer. Im Gegensatz zum breit streuenden Corporate Publishing zielt Content Marketing auf zuvor klar definierte Zielgruppen. Und wer deren Sprache nicht beherrscht, hat keine Chance auf Erfolg.

Ein Shitstorm war all das natürlich nicht. Doch es zeigt, wie weit der Weg vieler Unternehmen (und auch Dienstleister) im digitalen Zeitalter noch ist. Dabei wäre solch ein Vorfall ganz einfach zu vermeiden – mit gesundem Menschenverstand. Hätten sich die Betreuer der Facebook-Seite nur eine Sekunde zurückgenommen und gefragt, ob sie selbst als Blogger das so schön fänden, mit der Marke, die versucht unter ihrem Posting Leser anzuziehen, sie hätten dies vermutlich sein gelassen. Hätten sie sich gefragt, ob sie selbst eine so holprige Reaktion eines Unternehmens angemessen fänden, sie hätten etwas anderes geschrieben.

Der gesunde Menschenverstand hilft im Social Web nämlich ein gehöriges Stück weiter. Ich habe das auch einmal mit meiner Tante Therese verglichen, die einen kleine Laden in einer westmünsterländischen Bauerschaft führte. Die Art, wie sie Kunden behandelte ist ein Vorbild für Social Media Marketing. Und meine Tante Therese hätte niemals Blogger angeranzt, um ihnen Rezepte auf der eigenen Homepage anzudienen.


Kommentare


Mel. 27. Januar 2015 um 20:14

Was für ein schöner und ausgewogener Artikel! Ich bedanke mich beglückt für die artgerechte Klassifizierung des gemeinen Foodbloggers als eine der angenehmeren Digitalspezies. Tatsächlich ging es beim #DishStorm nicht darum, zu vernichten oder mal so richtig Stunk zu machen. Der kleine Sturm im Pestoglas sollte auf stilvolle, humorige und unterhaltsame Art zeigen, dass hier eine Grenze deutlich überschritten wurde. Ich vermute, dass die verbrannten Erde beim möglichen Kooppartner Großkonzern bei den meisten Bloggen nicht maßgeblich zur oben erwähnten „Milde” beitrug. Man plaudert bestimmt nicht aus dem Nähkästchen wenn man erwähnt, das Convenience-Produkte von Großkonzernen bei den meisten Food-Bloggern nicht sonderlich hoch im Kurs stehen. Da könnte man die Hand auch schon mal kräftig beissen, von der man partout nicht gefüttert werden will. Will aber keiner. Nur mal zwicken ist auch ganz schön. Zumindest aber unterhaltsam. Und eine Frage des Stils – wir erinnern uns.

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creezy 27. Januar 2015 um 21:32

Schön gesprochen!

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Hirnfick 2.0 » Facebook / YouTube / Blogs 28. Januar 2015 um 0:08

[…] Eure Texte gehören dann denen. Dem Mitmenschen Essensblogger – schönes Zitat auch: nur weil irgendwo Werbung möglich ist, gibt es keinen Grund, sie dort auch unbedingt zu platzieren – mag’s egal sein, er schreibt ja aus Freude am Genuss und hat sonst keine anderen […]

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d_florian 28. Januar 2015 um 9:04

Ist die Bertolli-Reaktion nicht eigentlich ziemlich souverän? Fehler macht jeder, nur nicht jeder gesteht die Fehler ein und macht daraus noch etwas Gutes wie das, was Bertolli mit den geposteten Rezepten vorhat …

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Tom 28. Januar 2015 um 10:16

Es fängt damit an, dass die am Dishgate beteiligten Foodblogs keine Hobbyveranstaltungen sind, sondern zum Zwecke der Generierung von Einnahmen betrieben werden. Daher ist die Reaktion so hart, da Bertolli von der Reichweite partizipieren will, ohne zu bezahlen. Die einzige „Lesson to Learn“ daraus sehe ich darin, dass es PR-Agenturen mal checken müssen, dass Blogs – speziell mit relevanter Reichweite – meist keine Privat-For-Fun Projekte sind, sondern den gleichen Marktmechanismen unterliegen wie andere kommerzielle Medien. Aber das sollten die Leser auch lernen…

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Ben 28. Januar 2015 um 13:37

Danke für den interessanten Artikel. Nebenfrage, rein aus Neugierde: Weshalb gilt chefkoch.de in Foodblogger-Kreisen als „schlecht beleumundet“?

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Somarrro 28. Januar 2015 um 16:44

d_florian

Also im ersten Absatz beweist Bertolli, dass sie nicht wissen wovon sie reden. Der zweite Absatz ist ok. Der dritte Absatz hingegen macht deutlich, dass sich das Unternehmen keiner schuld bewusst ist. Im Gegenteil: Der vorletzte Satz heisst doch nichts anderes als „Wir wollten eure Kommentarspalten mal für Werbung missbrauchen“.

Also wenn Sie das alles souverän nennen, hoffe ich, dass Ihre Kunden Sie wegen Ihrer schlechten Beratung nicht verklagen.

Also eine Entschuldigung wäre doch das Mindeste gewesen. Aber das ist in diesem Neuland-Internetz, in dem sich Unternehmen für unentbehrlich halten, natürlich zu viel verlangt.

Die letzten zwei Absätze von Mr. Knüwer sagen doch alles.

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Mel. 28. Januar 2015 um 19:26

Tom, ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass auch die Blogger von Hobbyveranstaltungen da so gar keine Lust darauf haben. Das liegt zum Beispiel daran, dass alle für ihre Posts gleich hart arbeiten – egal, ob der Blog teilweise monetarisiert ist, oder nicht. Und vor allem daran, dass man keine Fertigprodukte von Großkonzernen schätzt. Denn wenn der Link da ist, denken viele Leser, dass man die Produkte gut findet. Alle schwierig. Daher haben sich ja so viele Blogger mit unterschiedlichsten Bloghintergründen und -motivationen daran beteiligt. Denn gerade ein heiß geliebtes und mit viel Engagement betriebenes Hobby ist eine tolle Motivation, um richtig sauer zu werden.

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#Briefing: Warum mobile für Facebook so wichtig ist, Facebooks neue Datenschutzrichtlinie, PEGIDA-Anhänger auf Facebook, Auschwitz als Hashtag 29. Januar 2015 um 7:00

[…] mit #pestogate und #dishstorm. Welche Lehren man daraus als Werber ziehen kann, hat Thomas Knüwer aufgeschrieben [Indiskretion […]

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Lesenswerte Links – Kalenderwoche 5 in 2015 > Vermischtes > Lesenswerte Links 2015 30. Januar 2015 um 8:01

[…] Am Dienstag habe ich mich über wundersame Einträge von Menschen in meiner Facebook-Timeline gewundert. Dank Thomas´ Text kenne ich jetzt den Hintergrund: Bertolli im Pestogate – und was Digitalmarketing-Leute daraus lernen können […]

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Annette M. 30. Januar 2015 um 11:27

Hallo zusammen, eine kurze Korrektur zu der Bertolli-Seite, um die es geht. Es geht nicht um Rezepte auf der Homepage, sondern im Rezept-Blog Piazza Italia, der aufgrund seiner URL natürlich eindeutig eine werbliche Seite ist (auch wenn nicht jedes Rezept Bertolli-Zutaten hat). Andererseits sind neben dem Bertolli-Team auch andere Autoren aufgeführt: https://blog.bertolli.de/autoren/. Das Bertolli-Team hat sich übrigens unter den jeweiligen FB-Posts der Foodblogger entschuldigt. Wer mehr zur Agentur-Reaktion lesen will, klicke bitte hier bei W&V nach:..

Hinweis von Thomas Knüwer: Links auf Medienseiten sind aufgrund des Leistungsschutzrechtes zu risikoreich und werden deshalb gelöscht.

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Schmausepost vom 30. Januar 2015 – Newsletter | Schmausepost 30. Januar 2015 um 14:36

[…] Ber­tolli im Pesto­gate — und was Digitalmarketing-Leute dar­aus ler­nen kön­nen (Indis­kre­tion Ehren­sa­che) […]

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Frank 31. Januar 2015 um 15:29

Vielleicht besteht das grundsätzliche Problem einfach darin, dass Unternehmen immer wieder dem Irrtum verfallen, Social Media-Kommunikation sei bei PR-Unternehmen gut aufgehoben.
Mir hat dieser Tage eine PR-Firma ein Interview mit deren Chef und dessen Expertise zum Thema „Blogger-Relations“ vorgeschlagen. Mit den beigefügten vorformulierten, von uns zu stellenden Fragen, wurde die vermeintliche Expertise dann gleich mal ad absurdum geführt.

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Linkdump vom Mi, 28. Januar 2015 bis Mo, 02. Februar 2015 Links synapsenschnappsen 2. Februar 2015 um 10:03

[…] Bertolli im Pestogate – und was Digitalmarketing-Leute daraus lernen können […]

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Nennen wir es User- statt Blogger RelationsBastian Koch | TEAMKBX 4. Februar 2015 um 1:55

[…] als der Absender, fasst Thomas Knüwer die Problematik und die entsprechenden Learnings hier ziemlich gut […]

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