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Eine Binsenweisheit des Aktienmarktes besagt, dass Kleinanleger immer zu spät, gern am tiefsten Punkt eines Kursverlaufs, aussteigen. Dies hänge damit zusammen, dass wir Menschen positive Nachrichten sehr gerne hörten, negative dagegen nicht. Und deshalb blickten Anleger nicht genug hin, wenn der Preis eines Papiers fällt. Ich weiß nicht, ob das wissenschaftlich noch immer haltbar ist, früher jedenfalls wurde dies so kolportiert – wenn jemand dafür auch noch eine verlinkbare Studie hat, würde ich mich über einen Hinweis freuen.

zeitungen

Genau dieses Verhalten ist derzeit in einem ganz anderen Bereich unserer Gesellschaft zu beobachten. Der Journalismus ist ein Beruf im extremen Wandel, verbunden mit fürchterlich schlechten Nachrichten für seine Angehörigen: Kaum eine Woche vergeht derzeit ohne neue Horrorzahlen von Verlagen, kaum eine ohne Abbaurunde in einem der Medienkonzerne. Nun können Journalisten oberflächlich wenig für wegbrechende Anzeigenerlöse. Doch den digitalen Wandel mitgestalten, ihren Arbeitgebern Impulse liefern und sich selbst so fit machen, dass im Moment des Arbeitsplatzverlustes Alternativen zur Verfügung stehen – das könnten sie. Nur: Sehr, sehr viele wollen sich darüber keine Gedanken machen – und das gilt für Onlinejournalisten wie für die anderen.

Nehmen wir nur die Situation bei der „Süddeutschen Zeitung“. Nach Informationen der „Zeit“ sollen sich dort leitende Print-Redakteure gegen den Aufstieg von Online-Chef Stefan Plöchinger in die Gesamtchefredaktion stemmen. Angeblich sei er zu selbstbewusst und trage Kapuzzenpullover. Das allein ist im Jahr 2014 bemerkenswert bei einem Blatt mit massiven wirtschaftlichen Problemen, bei dem angeblich eine zweistellige Zahl von Redakteuren gesucht werden oder wurden, die ein Abfindungsangebot annehmen. Offensichtlich glauben sie, alles werde besser, wenn nur keine Onliner kämen.

Dies griff Harald Staun, der Medienredakteur der „FAS“ auf und schrieb jenen verhängnisvollen Kurztext, der zu einer Flut von Online-affinen Autoren im Hoodie auf Twitter führte:

Es brach eine Debatte los, die sich nicht sonderlich von der unterschied, die der „Spiegel“ vor gerade einmal acht Monaten losgetreten hatte. Damals suchte Cordt Schnibben nach der Zukunft der Zeitung – und viele der Argumente, die damals ausgetauscht wurden, tauchen nun wieder neu auf. Fast immer geht es nach dem Motto: Es gibt zwei Fronten in Redaktionen und das ist nicht gut. Die Printler sind die alten Arroganzlinge, die Onliner die neuen Arroganzlinge. Beide sollten doch schön miteinander arbeiten, was bemerkenswerterweise jede Redaktion tut, in der eine solche Debatte dann abgedruckt oder online gestellt wird: „Wir sind schon toll, macht es uns nach.“ Print würde ja auch nicht sterben, das sei doch klar sichtbar, also bleiben wir doch ruhig und arbeiten friedlich weiter. Und diese Debatte über den Journalismus der Zukunft, die sollte man deshalb gar nicht führen.

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Ein Beispiel für diese Argumentation ist die „Zeit“. Dort verfassten der geschätzte Online-Chefredakteur Jochen Wegner und der stellvertretende Print-Chefredakteur Bernd Ulrich 12 Thesen in diese Richtung. Schon die Autorenwahl zeigt, wieviel Gewicht der Text hat: Online schreibt der Chef, Print schickt den Vize. Wo aber ist Print-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo? Eines ist sicher: Er befindet sich die meiste Zeit hunderte von Kilometern entfernt von seinen Online-Redakteuren. Er in Hamburg, die in Berlin. Das war einmal anders, doch Online zog um in die Hauptstadt. Sicherlich aber wird bei der „Zeit“ sehr viel enger zusammen gearbeitet, seit man sich nicht mehr persönlich begegnet.

Was Wegner und Ulrich schreiben ist kuscheliger Konsens unter Ausblendung der schlechten Nachrichten.

Zum Beispiel bezichtigen sie Online und Print der Arroganz. Das finde ich bemerkenswert, denn ich habe viele Online-Redakteure kennengelernt – darunter aber nur sehr, sehr wenige arrogante. Vielmehr leiden viele eher unter mangelndem Selbstbewusstsein im Auftritt. Wären sie so arrogant wie behauptet: Hätten sie nicht längst eine gleichwerte Bezahlung fordern müssen? Oder einen Tarifvertrag? Tatsächlich kenne ich zu viele Online-Journalisten, die ihre Print-Götter anhimmeln und beschleimen, schließlich hegen sie einen Traum: So zu werden wie diese. Dann nämlich wären sie besser bezahlt für einen weniger stressigen Job und besäßen einen Tarifvertrag (zumindest so lange, bis ihr Arbeitgeber sich der Tarifflucht hingibt). Sie könnten überlegtere Artikel schreiben und müssten nicht mehr Bildgalerien basteln und Liveticker tippen.

Print sterbe nicht, schreiben Wegner und Ulrich. Stimmt. Nur Tageszeitungen, die krepieren gerade. Sehr, sehr viele Redakteure ohne Online-Kompetenz stehen auf der Straße – und sie sind erst der Anfang, da kommen noch mehr. Im Gegenzug werden Online-Redakteure sowohl in Unternehmen wie bei neuen News-Angeboten der Huffington Post Deutschland gesucht. Nur: Online wird weiter deutlich schlechter bezahlt. Rein logisch ist das logisch, schließlich sind die Gewinnspannen geringer. Und dass sie geringer sind, ist genauso logisch logisch, denn aus dem Oligopol Print wurde das Polypol Online – entsprechend sinken die Monopolrenditen. Nur hilft das nicht jenen Redakteuren, die Familien zu ernähren und Hypotheken zu bezahlen haben.

Onlinejournalisten seien auch Journalisten, schreiben die Zeit’ler. Recht haben sie.

Aber.

Onlineredaktionen sind durchgängig jünger besetzt und jünger bedeutet in aller Regel „weniger erfahren“ und „weniger vernetzt“. Während in klassischen Redaktionen (zumindest früher) Autoren arbeiteten, die sich in eines oder wenige Themengebiete reinfrästen und somit Fachwissen und Kontakte aufbauten, werden in vielen Online-Redaktionen Themen zuvorderst nach dem Dienstplan verteilt. Natürlich gibt es auch Online Spezialisten, doch sie machen prozentual einen geringeren Anteil aus als in einer Zeitungsredaktion. Hinzu kommt die Kostensituation: Viele Redakteure, die Online-Angebote betreuen, kommen kaum raus zum recherchieren. Oder sie sind gar Freelancer, die 200,- Euro am Tag erhalten (ja, auch einige der großen News-Seiten zahlen diesen Hungerlohn für 8 Stunden im Großraumbüro).

Das heißt nicht, dass sie einen schlechten Job machen oder unmotiviert sind. Heraus kommt jedoch Fließbandjournalismus. Vorhersehbare Langeweile mit dem einzigen Ziel der Klick-Hatz.

Es fehlt dann häufig genug auch an Führung: Durch jene Kluft zwischen Print und Onlinejournalisten sowie dem ständigen Zeitdruck nehmen ältere Kollegen die Jüngeren nur selten an die Hand und prägen sie. Dabei geht es nicht ums Nachmachen dessen, was die vorherige Generation tut, sondern um Reflexion des eigenen Berufs.

Die wäre dringend nötig, wie auch Mario Müller-Dofel beim ABZV schreibt:

„37 Prozent der Deutschen vertrauen Journalisten. Oder anders herum: 63 Prozent der Deutschen misstrauen uns. Damit landeten wir im Vertrauensranking auf Platz 29 von 32 abgefragten Berufen. Viertletzter!..

Dazu passt eine  Studie des Erich-Brost-Instituts, die deutsche Medienmacher im europäischen Vergleich als Schlusslicht in Sachen Kritikkultur sieht: Mehr als ein Drittel der befragten deutschen Journalisten kritisiert nie oder fast nie andere Journalisten, und zwei Drittel werden von Kollegen oder Vorgesetzten nie oder fast nie kritisiert. „Obwohl deutsche Journalisten regelmäßig Politiker und Manager in die Mangel nehmen, sind sie unerfahren darin, den kritischen Blick auf sich selbst zu richten“, resümieren die Studienautoren. Wenn es zu Kritik kommt, dann vor allem zwischen Online- und Printredakteuren. Und die mutiert in den Redaktionen auch noch zu destruktiver Rivalität. Das ist auch deshalb fatal, weilkonstruktiver Dissens nachweislich motivierend und qualitätsfördernd wirkt.“ 

Es gäbe so viel zu diskutieren im Journalismus. Von strategischen Fragen wie der Neuordnung der Medienkonzerne zur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, von ethischen Grundsätzen (siehe dazu auch Stefan Niggemeier) bis Moralthemen, von neuen technischen Möglichkeiten bis zu schnöden Fragen wie der Strukturierung von Artikeln bei laufendem Nachrichtengeschehen. Vieles davon ist allerdings verbunden mit schlechten Nachrichten und dem höchst Eingeständnis, dass in Zeiten disruptiven Wandels Bequemlichkeit eher weniger zu finden ist.

Dabei halte ich nichts von Wegners und Ulrichs Behauptung, niemand wisse, wie die Zukunft aussieht. Natürlich weiß das niemand. Aber man kann sich informiert Gedanken machen. Die Behauptung „alle Prognosen der Onliner“ hätte sich als falsch erwiesen ist sogar von Boulevardniveau durchdrungen. Alle also haben behauptet, Print und TV sterben? Nein, haben sie nicht. Es sind solche dummen Plattitüden, die dafür sorgen, dass wir in der Debatte um Medien nicht vorankommen.

In diesem Wandel bekleiden Redaktionen derzeit fast immer die Rolle des stillen Beisitzers, des Übersichergehenlassers oder auch des Schlachtviehs. Gelegentlich gibt es mal eine Demo dann, wenn alles schon zu spät ist. Fast schon aktiv ist es da, Verleger aus der Vergangenheit zu „echten Verlegern“ zu verklären. Entsprechend niedrig ist der Stellenwert von Journalisten in Verlagskonzernen. Schon 2006 berichtete „W&V“:

„In der Verlagsgruppe Bauer kursierte vor einiger Zeit ein Bonmot, das die Wertschätzung verdeutlichte, die das Zeitschriftenhaus Journalisten zuteil werden ließ. Wer Redakteure brauche, heiß es im Verlag, müsse nur ein Seil über die Hamburger Mönckebergstraße spannen. Passanten, die darüber stolperten, ließen sich problemlos in jeder Redaktion einsetzen.”“

An dieser Haltung dürfte sich bis heute wenig geändert haben. Warum auch? Weil die Redakteure so schön schweigen?

Das größte Problem des deutschen Journalismus ist seine Weigerung, über seine Zukunft zu streiten. Wer Debatten führt, muss sich ganz schnell diffamiert sehen als jemand, der sowieso immer nur behauptet das Print stirbt (und ja, ich kenne genau das sehr gut). Als Beispiel hier ein Tweet von einem anderen Frankfurter Allgemeinen, Claudius Seidl:

Damit steht er vermutlich auf einer Seite mit dem Kollegen Harald Staun. Der machte eine Woche nach seiner Diffamierung Stefan Plöchingers einen eher peinlichen Rückzieher, behauptete, dies sei doch irgendwie ironisch gemeint gewesen und schließt seine Augen vor eventuellen schlechten Nachrichten:

„Ich kann mich täuschen, aber dem Journalismus der Zukunft, glaube ich, würde es guttun, wenn er sich nicht so viel mit dem Journalismus der Zukunft beschäftigte.“

Ich behaupte Staun täuscht sich. Gewaltig.


Kommentare


Links vom Rhein, 3. April 2014 | Hendryk Schäfer 3. April 2014 um 8:46

[…] Jour­na­lis­ten müs­sen end­lich strei­ten – Herr Knüwer schreibt Beden­kens­wer­tes zur Print-Online-Zeitungsdebatte. […]

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Markus Hesselmann 3. April 2014 um 13:05

Erlaube mir, frech noch auf diesen Beitrag hinzuweisen. http://www.tagesspiegel.de/medien/digitale-welt/journalismus-mit-und-ohne-kapuze-print-und-online-das-hinterletzte-gefecht/9685336.html

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It’s not (just) the economy, stupid! Über Qualitätsjournalisten und Geschäftsmodelle im Publishing | Digitale Tanzformation 24. Juni 2014 um 12:58

[…] Doch damit nicht genug. Nicht nur zwischen Journalisten und Nicht-Journalisten gibt es Befindlichkeiten, auch zwischen vielen Journalisten selbst läuft es mitunter nicht besonders reibungslos. Die mediale Demarkationslinie verläuft dabei quer durch alle Redaktionen; und die Protagonisten, die eigentlich die Treiber von Veränderung und Innovation sein sollten, verschanzen sich im analogen oder digitalen Schützengraben. […]

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CARTA — Journalisten müssen endlich streiten 21. Juli 2014 um 12:56

[…]   Crosspost von Indiskretion Ehrensache […]

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