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Ein Gespenst geht um in diesen Großraumbüros: »Facebook Fifteen«.

So viel amerikanische Pfund, geht die Legende am Hannover Quay zu Dublin, nimmt jeder neue Mitarbeiter bei Facebook in seinen ersten Monaten zu: rund 6,75 Kilo. Sonia Flynn, die Leiterin des Dubliner Facebook-Büros, nimmt lieber die Treppe. »Das mit den 15 Pfund ist kein Märchen, glauben Sie mir«, sagt sie. Und auch kein Wunder. Essen und Trinken sind im Reiche Zuckerbergs überall greifbar und gratis für die Mitarbeiter. Im Erdgeschoss liegt die große Kantine, auf jeder Etage gibt es reichlich Riegel, Chips, Süßigkeiten und eine breite Getränkeauswahl. Die Mitarbeiter sollen sich wohl fühlen und dürfen ihre Biosphäre mitgestalten, selbstproduzierte Kunstwerke zieren die Wände, alles wirkt leicht und spielerisch im größten Ableger des Unternehmens außerhalb der Zentrale.

Von hier aus werden auch die deutschen Anzeigenkunden betreut: Das sympathische, hippe und fröhliche Team sitzt unter einer schwarz-rot-goldenen Flagge und neben einem David-Haselhoff-Pappaufsteller. Allgegenwärtig sind ebenfalls die Plakate mit den Leitsätzen des Unternehmens. Einer davon: »Move fast, break things.«

Schöner Spruch. Doch in Deutschland wächst die Zahl der Anzeigenkunden, die der Meinung ist, Facebook sei einerseits nicht schnell genug und mache gleichzeitig zu viele Dinge kaputt – vor allem Kundenbeziehungen.

Es rumort unter jenen, die Facebook für Markenwerbung nutzen. »Himmelschreiende Arroganz« wirft der Inhaber einer kleinen Agentur dem Unternehmen vor: »Kunden wie wir sind Facebook völlig egal, als Agentur wirst
du komplett allein gelassen.« Dabei hat er in zwei Jahren einen hohen sechsstelligen Anzeigenumsatz gemacht.

Wer ein wenig herumtelefoniert, stößt quer durch die Branche der Digitalmarketingdienstleister auf viele, die sich ähnlich äußern. Offen aber mag das niemand tun. So unglaublich das klingt: Die Anzeigenkunden haben Angst vor Facebook, befürchten sogar eine interne Blacklist. Die Befürchtung: Wer aufmuckt, wird derartig behindert, dass er sein Geschäft dichtmachen kann.

Klingt irre? Wird verständlicher, wenn man Geschichten aus dem Alltag hört. So wollte eine Agentur, monatlicher Umsatz 20.000 Euro, gegen Rechnung zahlen. Die Bank wollte kein Kreditkartenlimit in dieser Höhe rechtfertigen; angesichts der Skepsis deutscher Finanzämter gegenüber Paypal fürchtete man den Besuch des Steuerprüfers bei solch hohen Summen. Erst nach langem Hin und Her wurde die Zahlung per Rechnung möglich. Rechnungen aber bedeuten, dass die Agentur eine interne Kreditlinie bei Facebook erhielt. Kaum überschritt die große Kampagne eines Kunden das Limit, wurde das komplette Konto der Agentur gesperrt – und damit die Kampagnen aller Kunden. »Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen, bis es weitergehen konnte«, erinnert sich der Agenturchef.

Auch technisch gibt es reichlich Mysterien. So registrieren einzelne Anzeigenkunden, die ihre Werbung auf eine Seite außerhalb Facebooks leiten, eine bemerkenswerte Zahlendifferenz. Beispiel: 1.000 Nutzer klicken die Anzeige an, das Facebook- Zählpixel errechnet auf der externen Seite 750 Ankömmlinge – ein normales Defizit, denn mancher klickt sofort weg, wenn sich eine Seite öffnet, die er nicht erwartet hat. Im gleichen Moment aber weist Google Analytics nur 250 neue Visitors auf. Ein immenser Reichweitenverlust, den bisher niemand erklären kann.

Besonders in der Kritik steht Facebooks intransparente Zweiteilung der Kunden. Einerseits gibt es die Großen, »Managed Accounts« genannt: Sie haben direkte Betreuer. Auf der anderen Seite sind die »Small and Medium Businesses« (SMB). Sie müssen ihre Anliegen in ein Online-Formular tippen »und beten, dass sich innerhalb von 48 Stunden jemand meldet«, wie einer der Unzufriedenen giftet. Die Bitte um eine aktuelle Preisliste kann schon mal vier Tage dauern, im Gegenzug werden einfachste Fragen mit PDF-Dokumenten von 8 Megabyte beanwortet.

Allein: Wer Managed Account ist und wer SMB, das ist nicht eindeutig definiert. »Mir hat man gesagt, erst ab 40.000 Euro Umsatz pro Woche gebe es einen festen Ansprechpartner«, sagt ein Mediadienstleister. »Das hängt von der Bedeutung der Marke ab – aber auch vom Umsatz und anderen Faktoren«, sagt Clive Ryan, Head of Global Marketing Solutions für den Bereich Nordeuropa bei Facebook. Präziser wird er nicht.

Diese Zweiteilung passt nicht zur Realität des Marktes. Das zeigt das Beispiel einer Agentur, die für einen sehr großen und mehrere kleine Anzeigenklienten Gelder verwaltet. Für den großen bekam sie einen eigenen Kundenaccount, die anderen sind in einem zweiten Konto gesammelt. Im Gegenzug wurde der Agentur ein Betreuer zur Seite gestellt, dem sie nun alle drei Monate eine Vorschau über die zu erwartenden Umsätze abgeben sollte. Das lässt wenig Raum für kurzfristige Entscheidungen nach unten. »Kaum waren wir einen Monat unter der Prognose, gab es eine ärgerliche Mail unseres Betreuers«, erinnert sich der Agenturchef. Dieser Betreuer war bald darauf aber nicht mehr da, es kam ein neuer, der direkt erklärte, er sei nicht zuständig – und den Kunden in die Verantwortlichkeit des SMB-Teams zurückwarf.

Schlechter Kundendienst ist in der Internetwelt nicht neu. Privatanwender haben sich längst daran gewöhnt, Twitter keine Fragen stellen zu können oder ohne konkrete Erklärung den Youtube-Account zu verlieren (wie im Falle des Drittligisten Preußen Münster, über den das IntMag berichtete). Und wer länger im digitalen Marketing arbeitet, erinnert sich an die Geburtswehen von Googles Anzeigensystem: »Das war auch kein Spaß«, sagt der Geschäftsführer einer Mediaagentur, »aber Googles Anzeigenprodukte waren nicht so erklärungsbedürftig wie die von Facebook. Und sie haben sich nicht so schnell verändert.«

So komplex sind Facebook-Buchungen, dass die Außendienstler des Netzwerks selbst den Überblick verlieren: »Wir müssen denen oft erklären, was gerade wieder neu ist – das nervt«, sagt der Digitalverantwortliche einer großen Mediaagentur. Ein anderer Agenturler ergänzt: »Letztlich musst du dir alles selbst erarbeiten. Denn wen du als Fachberater bekommst, ist Glückssache.« Immerhin: Facebook arbeitet an einer massiven Vereinfachung des Anzeigensystems: Bald soll es nur noch ein Dutzend Anzeigenformate geben.

Vielleicht sorgt diese Simplifizierung auch für Transparenz im Rechnungswesen. Der Chef einer Digitalagentur berichtet, in einem Monat habe der berechnete Betrag für Anzeigen 15 Prozent höher gelegen, als er laut Anzeigenstatistik hätte betragen dürfen. Eines Tages tauchten die Differenzbeträge in der Statistik wieder auf – kommentarlos. Andersherum kann es auch gehen: »Plötzlich tauchen Gutschriften auf – ohne dass wir wissen, warum.«

In Dublin scheint von all dem wenig anzukommen. »Wir hören nie von solchen Problemen«, behauptet Gareth Lambe, Regional Ops & Strategy Director, Facebook EMEA: »Unsere Teams haben ein sehr hohes Trainingsniveau. Es ist beunruhigend, von solchen Problemen zu hören.« Man ist geneigt, ihm seine Überraschung ebenso abzunehmen wie die seines Kollegen Clive Ryan. Auch er will von Unmut unter deutschen Anzeigenkunden nichts mitbekommen haben.

Dabei gärt es auch in den USA, glaubt man dem Marktforscher Forrester. Dessen Vize-Präsident Nate Elliott bloggte Ende Oktober einen offenen Brief an Mark Zuckerberg. Grund: Eine Umfrage unter 395 Anzeigenkunden des Social Networks brachte hohe Unzufriedenheit mit den Resultaten von Facebook-Werbung zutage. Elliott schrieb an Zuckerberg: »Erstens fokussiert sich ihr Unternehmen zu wenig auf das, was Marketer wollen: echten Austausch zwischen Unternehmen und Verbrauchern fördern … Jeder, der den Like-Button klickt, will freiwillig die Botschaften von Marken erhalten – aber im Durchschnitt zeigen sie diesen Fans nur 16 Prozent der Marken- postings. Und während ihr Unternehmen seine Werbeinstrumente und -angebote monatlich verbessert, haben sie in den vergangenen 18 Monaten wenig getan, das ungeliebte Markenseitenformat zu verbessern oder die Instrumente, mit denen diese Pages gemanagt und gemessen werden.«

Gibt es da vielleicht ein Kommunikationsproblem? Ein globales? Weiß Facebook wirklich, was seine zahlenden Kunden wünschen? Und ist es dauerhaft gesund, wenn Kunden vor ihrem Dienstleister Angst haben?

Entlarvend wird es, fragt man Clive Ryan danach, was Unternehmen tun können, die mit ihrer Facebook-Betreuung unzufrieden sind: Wen können sie kontaktieren? Für den SMB-Bereich gibt es eine solch Option anscheinend nicht. Und große Anzeigenkunden »wissen, wen sie anrufen müssen«. Ja, und wen? »Sie wissen, wen sie anrufen müssen.«

Das klingt fast wie aus einem Mafiafilm – oder nach einem Unternehmen, das mehr Fett zugelegt hat als 15 Pfund.


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