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Ausnahmsweise heute mal ein Gastbeitrag – weil ich das Thema spannend finde.

Denn Daniel Drepper kontaktierte mich. Er absolviert seit August einen zehnmonatigen Master an der Columbia Journalism School in New York und besucht dort das Toni Stabile Center for Investigative Journalism. Zuvor hat er als freier Reporter vor allem für das Recherche-Ressort der WAZ-Mediengruppe, für den Deutschlandfunk und den WDR gearbeitet.  Der 27-Jährige ist Wächterpreisträger und hat für seine Arbeit diverse Recherchestipendien bekommen. Im vergangenen Jahr zeichnete ihn das „medium magazin“ als „Newcomer des Jahres“ aus und wählte ihn unter die „Top 30 bis 30„. 

drepperSeine steile These: 

Ein einziger Satz im §52 der Abgabenordnung könnte journalistischer Innovation einen großen Schub verleihen. Die deutsche Politik sollte Journalismus gemeinnützig machen.

Klingt interessant? Dann lesen Sie weiter…

Charles Lewis war jüngst Stargast in Hamburg. Beim Scoopcamp, einer prominent besetzten Veranstaltung zu “New Storytelling”, hielt er den Eröffnungsvortrag. Lewis hat unter anderem das International Consortium of Investigative Journalists gegründet, das in diesem Jahr den weltweit größten Recherche-Scoop gelandet hat: Das ICIJ hat in Zusammenarbeit mit zahlreichen Medien die Offshore-Leaks aufgedeckt. Lewis These lautet deshalb: Investigativer Journalismus werde zukünftig aus der Zusammenarbeit von Medienkonzernen und gemeinnützigen Organisationen entstehen. Lewis wird deshalb von der dpa zitiert: „Es wird viel mehr Kollaboration geben als je zuvor.“

Damit Lewis optimistische Sicht auch in Deutschland Wirklichkeit werden kann, braucht es nur einen einzigen Satz. In der Abgabenordnung, Paragraph 52, wird definiert, wer in Deutschland als gemeinnützig anerkannt wird. Dies sind all jene, deren „Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“. Gemeinnützige journalistische Organisationen müssen bislang eine Art kleine Bildungseinrichtung sein, um von der Steuer begünstigt zu werden. Das ist aufwändig und frisst Ressourcen. Um die Situation der Medienbranche in Deutschland grundlegend zu verbessern, müssten lediglich bestimmte Arten von Journalismus in der Abgabenordnung als gemeinnützig definiert werden. Dazu sollten die zuständigen Finanzämter vor Ort Leitfäden bekommen, in denen die Voraussetzungen für gemeinnützigen Journalismus deutlich gemacht werden.

Dieser kleine Schritt könnte eine echte Revolution im deutschen Journalismus auslösen.

Spenden an lokale Blogs könnten von der Steuer abgesetzt werden – vielleicht sorgt das für den entscheidenden Schub von der Armutsgrenze hinein in die gesicherte Profitabilität. Zahlreiche neue Ideen hätten die Chance, sich durch Spenden von Stiftungen oder Bürgern zu finanzieren – die Schwelle für den Markteintritt wäre um ein Vielfaches niedriger. Journalisten könnten investigative Recherchebüros gründen und damit Verlage beliefern – ganz wie es Charles Lewis sich wünscht. Und Verlage könnten sogar direkt davon profitieren: indem sie probieren, einen Teil ihres Journalismus auszugliedern in gemeinnützige Organisationen.

Hohe Renditeerwartung sind kaum noch mit journalistischer Qualität zu vereinbaren. Was liegt da näher, als Journalismus ohne Rendite zu machen? Gemeinnützige journalistische Organisationen haben zwei große Vorteile: Sie müssen je nach Art ihrer Einnahmen keine Steuern zahlen und Unterstützer können ihre Spenden von der Steuer absetzen. In den USA arbeiten bereits Tausende Journalisten auf diese Art. Das Magazin „National Geographic“ ist gemeinnützig, auch die Nachrichtenagentur „AP“. Dazu gibt es zahlreiche lokale und investigative Journalistenbüros. Vom „ProPublica“-Newsdesk in Manhattan bis hin zum kleinen Büro in den Rocky Mountains: Allein das Investigative News Network vereint 74 Mitgliedsorganisationen, die die US-Steuerbehörde IRS als gemeinnützig nach Paragraf 501(c)3 eingestuft hat.

Die Gemeinnützigkeit hat einen weiteren Vorteil: So gegründete Büros müssen darauf achten, dass sie der Allgemeinheit dienen. Sie müssen anspruchsvollen Journalismus produzieren, der zur Bildung der deutschen Volkes beiträgt. Beispiele wären außergewöhnliche investigative Recherchen oder die Visualisierung von spannenden Daten. Diese Arbeit müssten die Büros dann so vielen Bürgern wie möglich zur Verfügung stellen. Zum Beispiel über Kooperationen mit großen und kleinen Verlagen und eine eigene Webseite.

Journalisten müssen besser werden. Und sie müssen besser darin werden, zu erklären, warum man ihre Arbeit unterstützen sollte. Leute sollen gerne Geld für Journalismus geben, zum bezahlen zwingen kann sie ohnehin niemand mehr. Teile des Journalismus sollten deshalb gemeinnützig werden. Ideal für Deutschland wären gemeinnützige Recherchebüros nach Beispiel ProPublicas. Das würde auch den regionalen Verlagen helfen.

Kontakt zum Autor: Bei Twitter, bei Facebook oder auf seinem Blog.


Kommentare


Horst 1. Oktober 2013 um 17:40

Davon halte ich genau nix. Jeder sollte in unserer Gesellschaft mit den gleichen Regeln zurecht kommen. Keine Extrawürste.
Am Ende stimmen die Politiker zu, um das übliche nichtsnutzige Kuddelmuddel zwischen Presse und Politik weiter behalten zu können.
Ich kann mir auch vorstellen, dass anschließend jede Menge anderer Berufsgruppen mit dem selben Anliegen kommen.
Klar, dies ist ein Journalismus-Blog. Und wer schreibt – bleibt.

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Hubert 1. Oktober 2013 um 18:39

Spannende Idee – doch wie mit der Gefahr umgehen, dass das Finanzamt alle Jahre die Gemeinnützigkeit prüft? Wenn diese rückwirkend gestrichen wird, weil zwischendurch eine Verwaltungsanweisung geändert wird?

Trotzdem – bitte unbedingt weiterdenken in diese Richtung!

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Carom 1. Oktober 2013 um 20:52

Das soll eine Idee sein? Gemeinnützigen Journalismus haben wir schon: Heißt ARD, ZDF etc.
Wenn ich meinen UnGEZiefer-Beitrag abdrücke und überlege, welcher Schund damit querfinanziert wird, weitab vom Alibi Journalismus, weiß ich, was ich von der „Idee“ des gemeinnützigen Journalismus halte: Ganz genau garnix.

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Ulrich Bähr 1. Oktober 2013 um 23:19

Ich halte es für ein interessantes und lohnenswertes Experiment, auszuprobieren, was passiert, wenn man die professionelle Existenz von Journalisten vom Gewinnstreben eines Verlages abkoppelt. Allerdings müsste das mit bescheidenen Ansprüchen der Journalisten einhergehen. Denn was wir uns ja wünschen, ist der „lange Atem“ in der Berichterstattung, und um den zu sichern, liegt der Weg in die Sicherung des laufenden Geschäfts durch die Abhängigkeit von Großspendern nahe. Es müsste auf jeden Fall immer „full disclosure“ geben.

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Christoph v. Gallera (@mittelhesse) 2. Oktober 2013 um 10:12

Die gleiche Richtung verfolge ich seit gut drei Jahren. Wichtig ist eines: Redaktionelle Unabhängigkeit muss auf jeden Fall gewahrt bleiben. Das muss Unterstützern klar sein und notfalls vertraglich gesichert sein (über formulierte und akzeptierte Förderbedingugen zum Beispiel. Bislang ist man wohl eher auf Mischkonstrukte aus klassischer PR, Spenden und Micropayments angewiesen. Aber selbst das muss in die Köpfe. Das Kardinalproblem ist so oder so die Illusion, gute journalistische Arbeit sei für einen Appel und n’Ei zu haben. Das Kernstück ist die nach allen Seiten offene Recherche ohne vorgefasstes Ergebnis im Kopf: Das Risiko der Recherche: Entweder es kommt dabei etwas heraus oder nicht. Beides kostet aber Geld. Das Ergebnis anschließend in ein entsprechendes Format zu bringen, ist eher eine formalistisch-technische Frage. Die wird meines Erachtens heute im Vordergrund gesehen. Davon sollte man sich verabschieden. Was an erster Stelle zählen sollte, ist Überprüfung herangetragener Fakten. Leider ist es so, dass die Glaubwürdigkeit der Medien nach einer Studie von Transparency International auch in Deutschland inzwischen leidet. Egal ob ÖR oder privat. Das Abkoppeln von wirtschaftlicher Abhängigkeit und gleichzeitige Staatsferne wäre für eine gemeinnützige Arbeit letztlich der Königsweg.

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Blog-Tipps: Parteien, Kanzlerwahl, Plagiate, | Post von Horn 2. Oktober 2013 um 13:18

[…] bestimmte Arten von Journalismus in der Abgabenordnung als gemeinnützig definiert werden. Aus: Indiskretion Ehrensache S C H L U S S P U N K T: Der Wirtschaftstext des Tages Bunz: Der Zugang zu Wissen ist das […]

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Andreas Vogel 3. Oktober 2013 um 9:04

… und dann entscheiden Finanzbeamte über die Qualität des Journalismus? Oder soll gleich noch eine neue Behörde entstehen? Zudem müsste wenn schon, dann das gesamte deutsche Stiftungssteuerrecht überarbeitet werden.

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h s 4. Oktober 2013 um 9:11

Wie schon angemerkt: wir haben das teilweise in Form des Oeffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Im Rahmen der Medienkonvergenz sollte man ohnehin die ueberkommene Unterscheidung zwischen elektromagnetischer Welle und totem Baum ausraeumen.

Es duerfte schon jetzt nichts dagegen sprechen, zB einen gemeinnuetzigen Verein fuer investigativen Journalismus zu gruenden, analog zu anderen NGOs. Einen ganzen Berufsstand in den Status der Gemeinnuetzigkeit zu heben, halte ich allerdings fuer Verfehlt.

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Christian Möller 4. Oktober 2013 um 10:30

Spannende Idee, die unter anderem auch in der deutschen Stiftungslandschaft seit längerem mit Interesse betrachtet wird, u.a. hier

http://www.stiftung-wirtschaftsethik.de/projekte/entscheiden-handeln/gespraechskreis-stiftungen-und-demokratische-oeffentlichkeit.html

http://www.stiftung-nv.de/147696,1031,111427,-1.aspx

Vor allem etablierte Medienhäuser tun sich erfahrungsgemäß jedoch schwer mit dem Gedanken.

Doch auch für jüngere, lokale oder regionale Blogs oder Medien gibt es einige Dinge zu bedenken, beispielsweise:
– Entweder gemeinnützig oder profitabel. Fragen danach, wie gemeinnützig finanzierte Geschichten verkauft werden könnten, müssten geklärt werden.

– Gemeinnützige Institutionen sind unter Umständen nicht vorsteuerabzugsberechtigt – damit würden sich eventuell die anfallenden Kosten erheblich erhöhen.

Anders als bei GEZ oder Gedanken einer „Stiftung Journalismus“ finde ich es hier aber vor allem schön, dass in diesem Modell keine neue Institution entscheidet, was Journalismus ist und was nicht (sobald die Minimalstandards für eine Gemeinnützigkeit erfüllt sind). Es wären also die Spender und Unterstützer, die sich konkret für ein Angebot entscheiden.

So oder so eine spannende Idee, über die man sich den ein oder anderen Gedanken machen kann.

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Das Digitale Quartett #48: Die Nonprofit-Gesellschaft 8. Oktober 2013 um 23:18

[…] Daniel Drepper, freier Journalist. Er absolviert derzeit einen Masterstudiengang Investigative Journalism an der Columbia School of Journalism in New York und schrieb jüngst einen Gastbeitrag hier in der Indiskretion zur Frage, ob Journalismus gemeinnützig werden sollte.  […]

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Links #53 9. Oktober 2013 um 18:29

[…] Gastbeitrag: Nur ein Satz für den Journalismus der Zukunft – Zumindest könnte es sich dabei um einen Ausweg aus der Renditefalle sein, die mehr und mehr guten Journalismus unmöglich macht. […]

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Daniel Drepper 20. Oktober 2013 um 19:05

Danke für die konstruktiven Kommentare.

Zum Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Das hat mit dieser Idee überhaupt gar nichts zu tun. Der ÖR ist ein eigenständiges System das zudem unter staatlichem Einfluss steht. Das heißt nicht, dass dort nicht auch guter Journalismus produziert wird, im Gegenteil. Aber es ist nunmal etwas völlig anderes, als das hier vorgeschlagene.

Zum Thema „keine Extrawürste“: Es geht nicht um Extrawürste. Es geht darum, dass gefördert wird, was dem Allgemeinwohl dient. Das passiert jetzt schon mit Vereinen, Kirchen, Bildungseinrichtungen. Das sollte auch bestimmten Arten des Journalismus offen stehen. Unter anderem investigative Recherche ist überlebenswichtig für eine Demokratie.

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» Panik im Mittelstand oder: Wohin driftet der Journalismus? Wolfgang Michal 23. September 2014 um 10:58

[…] Stiftungen, Internet-Plattformen oder Crowdfunding zu leben. Der Journalist der Zukunft wird so im weitesten Sinne dem Öffentlichen Dienst angehören und als Vermittler von Informationen um größtmögliche […]

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