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Rehfutter, Gummistiefel, Angellizenzen. Weiter hinten Saatgut und Dünger, vor der Tür vier Zapfsäulen. Zwischenstop an einer Tankstelle, eine Stunde sind wir unterwegs auf der Strecke Austin – Houston, dem Ort, von dem wir abfliegen. Und neben Benzin werden hier auch die landwirtschaftlichen Bedürfnisses des texanischen Nestes befriedigt.

Hinter der Windschutzscheibe eine unwirkliche Welt, die doch die reale ist. Tiefes Texas, verfallendes Texas, ein Örtchen besteht zur Hälfte aus maroden, unbewohnten Häusern zwischen denen etwas verläuft, was nur wohlwollend als Straße bezeichnet werden kann. Gun-Shops und BBQ-Restaurants haben die Plakatwände entlang des Highway gebucht. Nach fünf Tagen wirkt das wie ein Quentin-Tarantino-Film ohne Blut. Denn es ist schwer, die SXSW zu verlassen ohne das Gefühl, ein kleines Stück Zukunft gesehen zu haben.

sxsw plakate

Dabei geht es gar nicht darum, dass jedes Panel der mit 30.000 Teilnehmern größten Digital-Konferenz der Welt einen umhaut (es gibt auch viele schwache) oder jeden Moment ein Startup um die Ecke biegt, das die Welt verändert. Viel wichtiger ist das Gefühl, dass Technik in den ersten Schritten ihres Lebenszyklus hier bereits Alltag zu sein scheint.

3d print schuheIm Konferenzzentrum gibt es kein Bohai darum, dass mit dem Mobile-Payment-Dienst Levelup zu zahlen. Auf der Maker-Expo gibt es einen Fruchtgummi zu lutschen, der für einige Minuten den Geschmack verändert und so neue Esserlebnisse beschert (vollkommen natürlich, übrigens, basierend auf der asiatischen Miracle Fruit). Oder natürlich der 3D-Scanner Digitizer von Makerbot, der innerhalb von drei Minuten Formen einliest, damit sie sein brüderlicher Printer ausdrucken kann – und natürlich trägt die Chefin des Konkurrenzunternehmens selbst ausgedruckte Schuhe, die Sie rechts sehen können.

Während die Lichtfeldkamera Lytro noch immer keinen Europavertrieb hat, gibt es sie hier zu kaufen (klicken Sie mal auf das Bild…), bezahlt wird mit Square – was schon fast wie ein alter Hut wirkt.

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Den ersten Prototyp der Spielekonsole Ouya gab es zu sehen, die Musikuntermalung wurde in der Samsung Blogger Lounge mit der Mobile-App-Jukebox Rockbot (toller Dienst, übrigens) gesteuert und auf der Eröffnungsparty per Touchscreen-Wahl entschieden.

Und das alles wirkt so… normal.

fiene paperAuf der SXSW besteht die Zukunft nicht aus Schwarz oder Weiß, wie so häufig in Deutschland. Beispiel Bücher: Es gibt einen Buchstand im Convention Center, ständig ist er bestens besucht, über 100 Signierstunden gibt es. Also keine E-Books? Doch. Aber es gibt nicht dieses typisch deutsche „Eines muss das andere killen“. Jeder darf die Art der Informationsvermittlung wählen, die er bevorzugt. Wichtig ist nur, dass der Kunde die Wahl hat.

Das zeigte sich auch in den Ergebnissen der Studie „Embracing Analog“ von J. Walther Thompson, die in Austin vorgestellt wurde. Da freuen sich 61% der Menschen über 69 Jahren darüber, auf digitalem Weg mehr Musik, Filme und Bücher parat haben zu können, als früher. Gleichzeitig verspüren zwei Drittel der 18- bis 35-Jährigen Nostalgie für physische Gegenstände.

Auch fehlte es nicht an kritischen Stimmen zu verschiedenen Themen. Doch auch hier fanden Debatten in einer ganz anderen Tiefe statt als in Deutschland. Beispiel: Jugend und Facebook.

Wer in Deutschland spricht so differenziert wie Danah Boyd? „Junge Leute sehen sofort, dass Twitter ein öffentliches Forum ist. Mein Problem mit Facebook ist, dass es seine Einstellungen im Hintergrund geändert hat, aber weiter den Eindruck einer privaten Seite vermittelt.“ Boyd ist die weltweit führende Forscherin in diesen Feld, inzwischen ist sie bei Microsoft unter Vertrag. Während in Germany Privatsphäre mit den Einstellungen bestimmter Dienste gleichgesetzt werden, sagt sie: „Darum geht es nicht. Privatsphäre bedeutet, eine soziale Situation kontrollieren zu können. Dafür muss ich sie verstehen können. Facebook hat dieses Verstehen schwieriger gemacht.“

Auch werden die meisten deutschen Medien und „Experten“ nicht hören wollen, wenn sie sagt: „Es gab durch das Internet keinen massiven Anstieg von Mobbing unter Teenagern. Die Wahrnehmung hat sich nur verändert. Wenn früher mit ein Kind mit einem blauen Auge nach Hause kam, wussten Eltern, was passiert war. Wenn ein Kind heute bedrückt ist, nicht. Nun sehen die Eltern, was auf Facebook los ist und neigen dazu, überzureagieren.“

Bodenständig klar auch eine Diskussion über Viral-Videos. Da lobte Bettina Hein, Chefin des Video-Dienstleisters Pixability, das Heineken-Video „The Date“ für seine Kreativität:

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Aber: „84% der Views wurden über Werbeschaltungen generiert. Da ist mir Coke lieber, die mit ihrem OFW-Project-Video zwar nur ein 1,3 Millionen Views erreichten – dies aber vor allem durch eine halbe Million Shares auf Facebook.“

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Oder Groß-Investor Yuri Milner, vielleicht einer der mächtigsten Menschen im Internet, der eine in hier zu Lande vergessene Qualität lobte: die Fähigkeit, ein Unternehmen zu gründen.

„Die Qualitäten, die es braucht, ein Unternehmen zu gründe, werden universal unterschätzt. Es ist eine Entscheidung, die das Leben vollkommen verändert… 

Wenn ein Gründer immer mehr Leute einstellt, transplantiert er seinen DNA in das Unternehmen. Dies setzt sich mit der nächsten Generation fort. 

Die überwältigende Mehrheit der Gründer ist nicht durch Geld motiviert sondern durch eine größere Vision. Und wenn sie größere Summen Geld ausgeben, dann meist, um etwas Gutes zu tun. Der Reichtum, den sie dabei anhäufen, ist ein Nebenprodukt.“

sxsw schlafEtliche Seiten lang sind die Notizen auf Evernote, die ich während der fünf Tage machte. Hinzu kommt Infomaterial, eine Lytro-Kamera, neue Kopfhörer (bin begeistert von der mir zuvor nicht bekannten US-Marke Polk), Visitenkarten, Eindrücke, neue Kontakte. Zu viel, selbst für die dreistündige Fahrt von Austin zum Flughafen Houston.

Draußen wischt schon wieder eine Holzhütte vorbei, die mit dem Verkauf von Feuerwerkskörpern wirbt. Weiß jemand, warum es davon so viele in Texas gibt?

Nein, die SXSW ist nicht die normale Welt. Einmal im Jahr fällt sie in Austin ein, einer wirklich nicht sonderlich schönen Stadt, und spielt Zukunft. Die Realität ist das da draußen, ist ein Ort wie Bastrop. Doch irgendwann wird auch hier ein Teil dessen, was bei der SXSW zu sehen war, Alltag werden. Es dauert nur noch ein wenig.

Wir brauchen halt Geduld. So wie im Schlussvideo des geschätzten Herrn Fiene und mir. Und auch, wenn man Witze nicht erklären soll, ein Hinweis: Die Herrn Fiene schaukelnde Dame arbeitet für AirBnB (und nochmal Dank an die Isarrunde für ihre Ausrüstung).

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Kommentare


Ulrike Langer 21. März 2013 um 16:35

„Draußen wischt schon wieder eine Holzhütte vorbei, die mit dem Verkauf von Feuerwerkskörpern wirbt. Weiß jemand, warum es davon so viele in Texas gibt?“

Wenn Du in einer gottverlassenen Gegend plötzlich eine Feuerwerksbude siehst, bist Du auf Indianerland. Die haben eine Ausnahmegenehmigung zum ganzjährigen Verkauf als Teil der Wiedergutmachungsregelungen. Nicht nur in Texas. Gleiches gilt (außer in Nevada), wenn Du ein Kasino mit riesigem Parkplatz mitten im Nirgendwo siehst.

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Zeddi 24. März 2013 um 18:57

Leider ist unserer Politischen & Wirtchaftlichen Führungselite teilw. nicht klar WIE stark sich die Digitale Welt schon in sämtlicher Bevölkerungs- und Altersschichten in den Alltag integriert hat.

Meine Schwiegermutter in Spe z.B. spielt mit 52 mehrmals täglich Spiele mit dem Handy und schreibt mehr als meine Freundin in WhatsAPP mit all ihren bekannten.
Ich spiele in einem „Funclan“ an einem festen Wochentag Online über TS das Spiel Battlefield 3, wobei dann auch viel geredet und ein paar Bierchen getrunken werden. Viele dort sind Mitte 30, wir haben aber auch einen inzwischen 50-Jährigen dabei. Das ist dann ein wenig wie früher der „Kegelclub“ o.ä.
Das sind nur 2 Beispiele von vielen, das auch in der Generation „unter 60“ das Internet inzwischen komplett eingetroffen ist. Egal ob Reisen, Amazon, Bankgeschäfte,
email oder Zalando. Egal ob mit klassischem PC oder Tablet. Angekommen ist es bei allen.

Und somit verstehen ALLE menschen bis (mindestens) 60 Jahre* nicht, wieso unsere Poltischen Entscheidungsträger einen inzwischen alle betreffenden Lebensbereich derart inkompetent und einschränkend gegenüber stehen.
Warum wir z.B. aus rechtlichen Gründen noch immer keine preislich & vom Angebot her attraktive Plattform haben um Online Sport, Serien und Filme zu schauen.
Das lässt sich natürlich beliebig Fortsetzen

*Das „60“ ist hier von mir relativ willkürlich gewählt, auch die +60-Jährigen entdecken immer mehr PC & das internet, aber so allgemeinverbreitet ist es meiner persönlichen Erfahrung nach noch nicht.

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Die Frage, wie wir mit dem Internet umgehen ist mehr, als die Frage, wie wir mit dem Internet umgehen 13. Juni 2013 um 13:55

[…] Über 1.100 offene Datensätze hat die Verwaltung, die Online-Chefin Rachel Haot im März auf der SXSW berichtete, der größten Digital-Konferenz der Welt: “Proaktiv haben wir alle Datensätze […]

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3D Printing – die wenig bemerkte Revolution 18. November 2014 um 11:25

[…] ersten Mal parkte ich meinen Kopf aber bei der SXSW 2013 um. Dort präsentierten sich mehrere der Druckerhersteller. Und hier war die Rede von gedrucktem […]

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