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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jede Woche, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Spätestens mit der Ausgabe vom 10. Juni 2002 wusste das Netzwert-Team, dass es dem Ende entgegen ging. Der Mindestumfang der Beilage war von Anfangs 12 Seiten auf Wirmüssenmalgucken-wasanAnzeigenkommt zusammengedampft, im konkreten Fall blieben noch magere drei Seiten. Die lange überdachte Rubrikentitel, die dafür sorgen sollten, dass jenes weite Themenspektrum von Unternehmen über Startupfinanzierung bis zu Rechts- und Politikthemen abgedeckt wurden, war Makulatur.

Der Witz aber war: Selbst in diesem dürren Zustand trug sich das Konzept Netzwert, selbst an jenem 20.6. gab es Anzeigen, insgesamt 0,45 Seiten. Das klingt nicht nach viel, bedeutete aber eine Bruttoeinnahme nach Listenpreis von (wenn ich es richtig im Kopf habe) von über 20.000 Euro. Und dass die Online-Abrufzahlen ordentlich waren, dafür sorgte ja das Thema E-Business.

Trotzdem wollte das „Handelsblatt“ das Thema nicht mehr, die Verlagsgruppe gehörte zu jenen Häusern, die glaubten das Internet sei nur eine Modeerscheinung. Trotzig entwickelte sich im Netzwert-Team ein Corpsgeist. Der brach sich einerseits Bahn im Tabubruch. Das Foto einer nackten Frau erregte in der Gesamtredaktion noch immer Entsetzen – nun wurde es bei Netzwert bewusst ausgewählt (und bevor hier es Wut von weiblicher Seite gibt: Vier der sechs Netzwerter waren Frauen).

Der zugehörige Artikel enthält einen Vorgeschmack auf die Zukunft. Denn damals begann die Vermischung redaktioneller mit werblicher Inhalte im Web. Bei Bild.de wurde zum Beispiel der „schnellste Weg ins Netz“ gezeigt: Der führe über T-Online, hieß es, ohne zu erwähnen, dass T-Online mit 37% an Bild.de beteiligt war. Bei Spiegel Online prangte auf der Wirtschaftsseite im Navigationsmenü ein Posthörnchen mit gelb unterlegten Schlagzeilen – und der eher dezenten Nennung des Wortes „Werbung“. L’Oréal dagegen finanzierte diversen Angeboten von RTL New Media ein Frisurenspecial mit Gewinnspiel.

„Schleichwerbung hat im Netz eine neue Qualität angenommen“, kritisierte sogar Volker Nickel, der Sprecher des Werberates: Es müsse ja nicht überall Werbung drüberstehen, aber auch der flüchtige Leser müsse eben erkennen, welche Inhalte bezahlt werden und welche nicht. Ja, das wäre toll. Faktisch aber ist diese Forderung seitdem und bis heute nichts wert. Schlichtes Beispiel: RP-Online am heutigen Tag:

Und dann gab es noch die andere Seite des, sagen wir, zivilen Ungehorsams. Nämlich Geschichten darüber, dass es weitergeht mit dem Netz und dem Geschäft mit E- davor. Zum Beispiel in form eines Interviews mit Star-Investor Vindo Khosla. Oder dem Beschreiben der neuen Normalität in der US-Techszene. Da war zum Beispiel der Börsengang des Schnäppchenhändlers Overstock.com – der erfolgreiche Börsengang sei hinzugefügt. Ironischerweise machte Overstock reichlich Umsatz mit dem Verkauf der Büroeinrichtungen Pleite gegangener Internet-Firmen. Auch Netflix und Paypal gingen zu dieser Zeit an die Börse – und holten sich das Geld um zu einer Macht im Digitalgeschäft zu werden. Dass die meisten Firmen noch Verluste machten schreckte die Anleger nicht mehr.

Derweil überschritt Amazon die Gewinnschwelle und eine Suchmaschine namens Google galt als heißer IPO-Kandidat. Während die deutschen Gründer sich schlimmste Beschimpfungen anhören konnten wurde in den USA die Saat für das gelegt, was einmal Web 2.0 heißen würde. Ein Viertel der an der Börse gelisteten Web-Unternehmen schrieb schon wieder schwarze Zahlen, Hotels.com leistete sich eine 10 Mill. $ schwere Werbekampagne, der Online-Broker E-Trade investierte gar 16,5 Mill. in TV-Spots.

Dies hätte man als Zeichen werten können, dass jenes Internet nicht wieder verschwinden wird. Stattdessen schlossen viele in Deutschland für einige Jahre mit dem Thema ab – und so entstand ein Rückstand, der aktuell nicht aufholbar scheint.


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