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Meine Fähigkeit, den Erfolg von TV-Sendungen vorherzusagen ist ja nun dokumentiert ausbaufähig: Ich hielt „Gottschalk Live“ für einen Hoffnungsträger und senke hierfür mein Haupt in Scham. Zu sehr hatte ich die Dinosaurigkeit des Herren G. unterschätzt, der nur einfach eine Late-Night-Show am Vorabend durchziehen wollte statt als erster das digitale Leben ins Fernsehen zu integrieren.

Genau das, die Verschmelzung der digitalen Welt mit der Television, wollen derzeit einige. Selbst der „Tatort“ musste gestern ohne Mörder auskommen – er darf nun im Netz gejagd werden. „The Voice of Germany“ begleitete ihren Sangeswettstreit schon mit eigener App, häufig wurden Kandidaten nach ihrem Auftritt mit getweeteten Reaktionen konfrontiert. Überhaupt: Twitter. Wie schon in vielen anderen Ländern kristallisiert sich der Kurznachrichtendienst als am besten geeignete TV-Begleitung heraus und mit Couchfunk gibt es schon ein Startup, das sich auf genau diese Kombination von Glotze und Handy spezialisiert hat.

Heute Abend aber startet das ambitionierteste Fernseh-Projekt in Sachen Digital-Integration: die Rundshow des Bayerischen Rundfunks.

Ja. „Innovation“ und „Bayerischer Rundfunk“ waren auch für mich bisher Begriffe die an diametral entgegengesetzten Seite des Medienspektrums standen. Doch der geschätzte Richard Gutjahr, der bisher die Alltags-Nachrichtensendung „Rundschau“ mit-moderiert, hat seine Vorgesetzten überzeugen können. Und so startet nun heute um 23 Uhr ein bemerkenswertes Medienexperiment.

Hinweis: Gut, es könnte auch später werden. Denn zuvor spielen der Karlsruher SC und Jahn Regensburg die Frage aus, wer im kommenden Jahr die Ehre hat, beim SC Preußen Münster auflaufen zu dürfen – Verlängerung und Elfmeterschießen sind möglich.

Die Redaktion will tagesaktuell netzaffine Themen aufbereiten. Einerseits in gebauten Beiträgen, andererseits in Debatten und Interviews. Hier der Besuch der Rundshow bei der Facebook-Party von Horst Seehofer:

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Diese Debatten finden in einem Google-Hangout statt, der immer mal wieder zugeschaltet wird. Außerdem können sich Zuschauer via iPhone-App mit dem bescheidenen Titel „Die Macht“ beteiligen: Einerseits gibt es da Umfragen mit vorgefertigten Antworten (die bisher zu klischeehaft klingen), andererseits einen beständig einsetzbaren Daumen-hoch-oder-runter-Button, der im Studio in Form von Applaus oder Buh-Rufen Gehör findet. Schließlich können Zuschauer auf Fotos und Videos in der App hochladen. Die Redaktion wird diese zwar prüfen – für überraschende primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale reicht die Innovationsfreude des BR dann doch nicht -, die Moderatoren aber wissen nicht, was jeweils auf sie zukommt.

Gutjahr beschreibt im Show-Blog das dann so:

„Wir haben Themen im Auge, die im klassischen Programm selten eine Chance haben. Wir haben Technologien und Workflows am Start, die im herkömmlichen TV-Sendebetrieb bislang nicht zum Einsatz kommen. Wir haben unsere Köpfe geöffnet, Dinge völlig neu zu entwickeln – oder aber auch beizubehalten, sofern uns dies als sinnvoll erschien. Bei diesem Projekt ging es nicht darum, das Fernsehen zu revolutionieren, vielmehr das Medium und seine Möglichkeiten in Kombination mit dem Web spielerisch weiterzudenken.“

Auch in Sachen Redaktionsarbeit ist das Team konsequent: Die Konferenzen werden tagsüber in einem Livestream und im Hangout übertragen, wer will kann reinschauen und mitreden. Man stelle sich das einmal bei der Produktion einer Zeitung vor.

Am vergangenen Freitag beobachtete ich eine Probe im Hangout und es war durchaus spannend. So ein wenig war es noch ADD-Fernsehen, denn rein aus der Seitensicht, die man im Hangout hat, wirkte das Hin und Her zwischen Beiträgen, Moderatoren und Hangout ein wenig hektisch. Ob da jemand, der nur TV schaut noch weiß, was gerade passiert? Das wird maßgeblich von der Spontanität der Moderatoren abhängen. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob es tatsächlich eine gute Idee ist, diese in den vier Wochen, die sich die Rundshow austoben darf, wöchentlich zu wechseln: Nach dem geschätzten Daniel Fiene in der ersten Woche folgt Sascha Lobo und dann Sandra Rieß. Ob eine Woche reicht um sich einzuspielen?

Beantworten lässt sich das sicher nicht nach dem heutigen Abend. Dieses Format ist so neu, dass es sich erst einspielen muss. „Warum wir schon gewonnen haben“, steht über dem Blog-Artikel. Die Tatsache, dass es die Rundshow vier Wochen lang probieren darf ist tatsächlich zunächst ein Sieg. Doch kennen wir die Freundlichkeit der weitesten Teile deutscher Feuilleton- und Medienredakteure klassischer Medien gegenüber diesen Internet-Typen. Und so sind Hohn und Spott selbst bei kleinen Pannen garantiert.

Und deshalb ist mein Rat – machen Sie sich selbst ein Bild. Für mich ist dies das definitiv das interessanteste TV-Experiment des Jahres. Und deshalb: toitoitoi!

Disclosure: Ich kenne einige der Beteiligten des Projektes gut bis sehr gut.


Kommentare


Social TV und Echtzeit Partizipation bei ARD und ZDF | Netzfischer 14. Mai 2012 um 21:29

[…] App wird es Zuschauern ermöglichen, in Echtzeit an der Sendung teilzuhaben, schreibt Thomas Knüwer: …können sich Zuschauer via iPhone-App mit dem bescheidenen Titel “Die Macht” […]

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Konstantin Neven DuMont 14. Mai 2012 um 22:51

Insgesamt trotz nachweisbarer Mängel eine erfolgreiche Premiere.

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Besser als Emails vorlesen 15. Mai 2012 um 1:29

Die schwedische Lokal/Regional-Zeitung „Norran“(?) hat einen Open Newsdesk um relevanter über Themen zu berichten. Dadurch kann man die eigene Relevanz in der Bevölkerung erhöhen. Software ist leider oft teuer und funktioniert oft genug nicht. Daran scheitern dann auch noch viele eigentlich gute Ideen. Das Ziel ist ja weiterhin, dem Einnahmeschwund etwas entgegensetzen zu können.

Das man einzelne Artikel bzw. nur Teile davon zufälligen oder einzelnen Testlesern (Abonnenten) in einer App mit Kommentier- und Nachfrag-Möglichkeit sendet, würde ich als Redaktion (online aber auch print) längst machen.

Mit Schmalband scheint die (angenehm kleine) Rundshow-App nicht zu funktionieren.
Davon abgesehen drängen alles ausser Text (oder Comics) einem die Rezeptionsgeschwindigkeit auf. Daher ist es schade das lieber Gebärdendolmetscher gefeiert werden anstatt kollaboratives Eintippen der Texte zu organisieren und neben jeden Satz (und Teilaussage oder auch Worte) die Prozente/Anzahl der Buh/Juhu-Votes anzuzeigen. Viele (und am Monatsende) haben nur Schmalband.

Vorfiltern muss man. Wirklich gute Beiträge erhält man nur mit Anonymität weil man als Denker seinen Job behalten und nicht repressiert werden will. Dafür gibt es elegant simple Systeme so das die Admins wenig zu tun hätten.
Solch eine Software (oder auch Liquid aber in besser) müsste normal bei allen Fußballvereins-Versammlungen und dann auch bei Parteitagen sein.
Wenn man für EPGs aber schon bezahlen soll oder Lizenzverträge beim Notar abschliessen, spart man sich die private Entwicklung solch einer (eigentlich simplen) Software lieber und wartet bis sowas von GEZ-Gebühren oder US-Investoren programmiert wird. Als ‚Direct feedback‘ (oder wie auch immer benannt) hätte es schon vor 10 Jahren unterm neuen Markt geben können und besser auch sollen. Auch bei Vorlesungen und Reden und Parteitagen sollte sowas schon ewig normal und auch am Handy unter Bluetooth und Symbian-Nokia nutzbar sein.

Hoffentlich schläft das Projekt nicht ein und man kann bald als ÖR-Zuschauer überall per SmartTV mit abstimmen und sich beteiligen. Die Kunst liegt in der Organisation als konstruktive sinnvolle Unterstützung. Pay-Postings und Hate-Foren sind das Negativbeispiel.

Radiosendungen würden vielleicht sogar noch mehr von so etwas profitieren wenn es funktionierende Systeme dafür gäbe oder man Twitter dafür nutzen kann, was dann schnell in HTML5 runterprogrammiert wäre. Die Radiosender könnten sowas in ihre Tools (Apps) zum Radiohören einbauen. Da finden sich aktuell eher „nur“ Lokalnews (wichtig), Lokales Wetter (wichtig) und (auch wichtig) lokale/regionale Verkehrs-Meldungen.
Freie Radios werden vielleicht aufgezeichnet gesendet, aber an ++/+/-/—Schiebereglern per Direct-Feedback während der Sendung oder im Transcript könnte man trotzdem sehen was wie gut ankam.

Besser als Emails oder Tweets von Papier-Ausdrucken vorzulesen ist es allemal.
So langsam setzt sich (laut Spiegel-online-Bericht) auch die (nicht neue) Vision durch, das die Politiker in den Talkshows ipads am Tisch liegen haben und darüber Feedback und Votes erhalten oder auch selber abgeben können und ihre (natürlich limitierten) Gesamt-Redesekunden vorgezählt kriegen und taktisch einsetzen können.
Das man darüber Bundespressekonferenzen abhält und man keine Hallen oder Konferenzsäle mehr teuer mieten und zeitaufwendig hinfahren muss, sollte auch klar sein und könnte sich über Leute mit wenig Geldeinsatz oder nicht grade vollen Pressekonferenzen als Alternative zur klassischen Pressekonferenz und natürlich auf Parteitagen, Konferenzen usw. durchsetzen. Wenn man weiss, wie man nützliche Software schreibt.

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Verbindungsprobleme – Zum Start der Social TV-Sendung “Rundshow” | 13. Stock Online Relations 15. Mai 2012 um 11:51

[…] TV-Sendungen über Twitter und Co. “Das vielleicht größte TV-Experiment des Jahres” bloggte folgerichtig auch Berufshysterikerkommentator Thomas Knuewer im […]

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Über die Zukunft des Fernsehens 15. Mai 2012 um 15:49

[…] Knüwer nannte es “das vielleicht größte TV-Experiment des Jahres”, andere freuten sich einfach nur via […]

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WG029: Nicht verfügbar im Palais d’Amour | Wikigeeks 27. Mai 2012 um 18:24

[…] Thomas Knüwer zur Rundshow […]

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manfredsonjensen 4. Juni 2012 um 23:18

>>Ja. “Innovation” und “Bayerischer Rundfunk” waren auch für mich bisher Begriffe die an diametral entgegengesetzten Seite <<

Space Night, Harald Lesch, quer, Kunst und Krempel etc etc wer hat's erfunden? Genau. Und die anderen Dritten? "Die beliebtesten Trecker des Nordens, Volume 10", "Die 50 schönsten Stadte im Rheinland" endlose Quizformate…Aua.

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