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Auch ich wurde mit Wolf Schneider sozialisiert. In meiner Jugend, als ich begann Krankenhausradio zu machen, schenkte mir meine Mutter jedes Jahr ein ein weiteres seiner Bücher. „Deutsch für Profis“, „Deutsch für Kenner“, „Unsere tägliche Desinformation“… Schneider schrieb Bücher am Fließband.

Kurz zur Erklärung für die Nicht-was-mit-Medien-Macher unter den Lesern. Wolf Schneider ist ein seniorer Ex-Journalist, der sich via Büchern wie „Deutsche für Profis“ zum Sprach-Papst hochstilisiert hat. Gern bitten Medien ihn zum Interview, geht es um den vermeintlichen Untergang

a) der deutschen Sprache
b) des Qualitätsjournalismus
c) des Abendlandes oder
d) von allem zusammen.

Dabei steht er dem Sprachstils Thomas Manns näher als dem von Sibylle Berg, oder kurz: er ist stockkonservativ in seinen Ansichten.

Jüngst durfte er Meedia sein Leid klagen. Journalistische Höhepunkte gebe es fast nur in Print, Facebook sei keine Information, die junge Leute wüssten gar nicht, was in der Welt vor sich geht. Wer das anders sieht, der hat keine Ahnung, seine Kritiker hätten nicht seine Erfahrung und seien ihm deshalb unterlegen. Zu lesen sind Sätze, die von unterdurchschnittlicher Bescheidenheit geprägt sind wie: „Niemand kommt so viel herum, kaum einer hat so viel mit jungen Leuten zu tun, und meine rhetorische Präsenz ist ungebrochen.“

Soll noch einer sagen, Blogger hätten ein zu großes Ego.

Nun steht Schneiders Name mal wieder über einem Buch, geschrieben hat er es mit Paul-Josef Raue. Es nennt sich großspurig „Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus“ – und ist ein schockierend schlechtes Machwerk. Hier wird der Online-Journalismus nicht als Chance dargestellt, als weites Feld, in dem sich die Träume all jener erfüllen, die Leidenschaft für diesen Beruf empfinden. Nein, es ist eine Warnung vor dem Internet. Erschreckenderweise wird dieses Ding sogar in einer Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben.

Nun ist es so: Auch ich tauche darin auf. Und die Art, wie dies passiert, beweist wo das eigentliche Problem im deutschen Journalismus liegt. Denn das Buch zitiert mich so:

“Online-Redakteure sind die dummen Textschrubber, die nichts können”, sagt Ex-Handelsblatt-Redakteur Thomas Knüwer. Mit solch einer Arroganz urteilen Zeitungsschreiber nicht selten…“

Nur: Das habe ich so nie gesagt, was leicht nachweisbar ist. Das Zitat stammt aus einem Interview mit dem „Journalist“. Und das steht online. Dort heißt es:

„Aber Onliner sind aus Sicht vieler Printkollegen nur die dummen Textschrubber, die nichts können.“

Das ist mal geschmeidig die ganz andere Richtung. Und deshalb habe ich mich geärgert. Wolf Schneider weist erstmal alles von sich: Diese Passage habe Mitautor Paul Josef Raue verfasst. Was ja erstaunlich ist: Denn wer hat denn bei diesem Buch die Fakten nochmal überprüft? Die Autoren haben sich nicht gegengelesen? Hat das überhaupt jemand? Soll das nicht eigentlich so ein Print-Ding sein, das überprüfen der gelieferten Informationen? Wenn Schneider sich als Papst brüstet, dann sollte er sich nicht im Bett mit einer Dame ertappen lassen – und wenn, sollte er ein wenig mehr Demut üben und nicht behaupten, die sei noch vom Kardinal liegen geblieben.

Jener Paul-Josef Raue ist nicht irgendwer. Der Mann ist aktueller Chefredakteur der „Thüringer Allgemeine“. Derzeit urlaubt er in fernen Landen und hat auf meine E-Mail nicht reagiert.

Glücklicherweise ist das Buch im Hause Rowohlt erschienen und dies ist ein professionelles Haus. Deshalb habe ich mich mit dem Verlag darauf geeinigt, dass es online eine Korrektur geben wird und die Passage in den folgenden Auflagen des Buches (Gott behüte, dass es solche überhaupt geben wird!) gestrichen wird. Eine Schwärzung habe ich nicht durchgedrückt, denn Rowohlt ist in diesem Fall einfach der Verlag, der so blöd war, auf große Namen reinzufallen.

Aber zurück zu Raue. Ein Chefredakteur, der nicht mal in der Lage ist, richtig zu zitieren? Ja, der Journalismus in Deutschland hat ein Problem. Doch es sind nicht die jungen Leute, es ist nicht das Internet und Social Media. Es sind die alten Herren, die sich für das journalistische Geschenk an die Menschheit halten. Die hoffen, die Veränderung der Welt aufhalten zu können, indem sie schreiben, dass sie sich nicht verändere und wenn, dann zum üblen.

Den Volontären, Journalistenschülern und Kommunikationswissenschaftsstudenten im Lande sei geraten, laut aufzuheulen, kommt ihnen jemand mit diesem „Handbuch“. Gut, ist es die eigene Mutter, vielleicht nicht, dann besser das Präsent schweigend entsorgen. Aber bevor es so weit kommt, wünschen Sie sich doch einfach das Buch „Universalcode“ – dies ist tatsächlich ein Fachbuch für den Journalismus der Gegenwart.


Kommentare


Christiane 2. Februar 2012 um 17:05

Ich finde, in einem Wolf-Schneider-Buch falsch zitiert zu werden, ist schon sehr cool. 😉 Jedenfalls besser als richtig…

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drake 2. Februar 2012 um 17:20

„Unsere tägliche Desinformation. Wie die Massenmedien uns in die Irre führen“, Wolf Schneider, Hamburg 1984….gelegentlich sollte man nachlesen, was man selbst geschrieben hat!

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Kein Journalist 2. Februar 2012 um 22:29

Wenn man aufmuckt wird man in Diktaturen abgeholt oder in Demokratien rufen Politiker und Manager an und man tut es nie wieder oder arbeitet dann woanders. Oder man wird abgemahnt und muss Juristen-Kosten bezahlen.

Fast jeder anständige Steuerzahler will (natürlich) eine sichere Festanstellung und daher passt man sich an und betreibt „Bratwurst-Journalismus“ (ich glaube bei Prothmanns Blog aus den Kommentaren) bzw. imitiert Horst Schlämmer und berichtet Unkritisches von möglichst vielen Veranstaltungen mit Freibier und Bratwurst… .

Wenn ich DJV, Verdi(DJU), Journalist oder Fachschaft oder Finanzminister wäre, würde ich – so wie der USA-Professor der gelegentlich von der ct erwähnt wird und dokumentiert, das die Greencard eher Lohngründe hat – eine Lohnaufdeckungs-App/Website betreiben und so lange keine neuen Journalisten ausbilden, bis die Lebenslöhne den von der Gewerkschaft oder dem Kollektiv (google+Gruppe) erwünschten Zielwert erreicht haben. Die vorhandenen Professoren können den Fax-Journalisten aktuelle Computer-Techniken und Online-Journalismus vermitteln. Die Twitter-Regierungs-Sprecher-Presse-Konferenz ist exemplarisch für den deutschen Journalismus: Erst hinterher berichten wenn die Mächtigen ein Fax geschickt haben statt z.B. vorher mal alle DAX-Konzerne zu fragen, ob sie uns durch Ersparnisse wie jedes Wald-Tier für den Winter in der nächsten Rezession garantiert keine Subventionen kosten werden und dafür mit ihren Bonis und Manager-Häusern persönlich haften. Jede Zeitung kann ihr Unternehmens-Rating-System selber erstellen.

Manche Prüfungsordnungen enthalten sowas wie „Studenten dürfen zu zweit eine Diplomarbeit anfertigen wenn – beispielsweise durch Kapitel-Angaben – eindeutig ist, wer welchen Teil geschrieben hat.“. Das sollte für seriöse Sachbücher eigentlich auch gelten.
Bei Biographien (Naddel, Katzenberger,…) weiss man ja inzwischen, das der Lektor oder Co-Author einen Anteil beiträgt.

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FF 2. Februar 2012 um 23:30

Völlig einverstanden. Die Krönung war wohl Schneiders Videokolumne für die „Süddeutsche“. Diese alptraumhafte Besserwisserei. Dagegen wirkte ja selbst Reich-Ranicki in seiner Hochphase selbstzweiflerisch.
Der arme Schneider bot dort das geradezu lächerliche Klischee eines größenwahnsinnigen Dorfschulmeisters, der schon mit zehn erigierten Zeigefingern auf die Welt gekommen ist…

PS.: Kleiner Korrekturvorschlag – auch ich ein Besserwisser! – Zeile 7: „Deutsch für Profis“ statt „Deutsche…“ 🙂

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PR-Beiträge KW 05/2012: Journalistische Kleinkriege | kommunikationsABC.de 3. Februar 2012 um 9:39

[…] “Qualitätsjournalismus” am Beispiel Paul-Josef Raue und Wolf Schneider […]

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Bernd 3. Februar 2012 um 10:49

Der mangelnde Respekt vor der Arbeit eines Online-Journalisten zeigt sich im Alltag durch schamlose Übernahme ganzer Textpassagen, Bilderklau, fehlende Quellverweise oder fehlende Verlinkungen – und das alles sowohl durch Online- als auch durch Printkollegen. Und wenn man länger in dem Business unterwegs ist, akzeptiert man irgendwann als Erklärung nicht mehr die angebliche Arbeitsüberlastung einer Redaktion – Gründe sind vielmehr die pure Raffgier, eine große Portion Neid, Unvermögen (z.T. basierend auf einer schlechten Ausbildung) und die mit diesem Buch offiziel abgesegnete Überheblichkeit.

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engel links, teufel rechts … oder so | Frau_Pö 3. Februar 2012 um 12:08

[…] uns das Internet die Möglichkeit gibt, sich gegen Falschinformation zu wehren (wie zum Beispiel hier) – ob als Kommentar, als Gegendarstellung und in letzter Konsequenz mithilfe von Datenschützern. […]

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Becks 3. Februar 2012 um 14:03

Schöner Text, das Papst/Kardinal-Sprachbild hat mich sehr erheitert.

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Jan Söfjer 3. Februar 2012 um 15:32

Das finde ich schon wieder großartig, wie die Autoren es schaffen, das Zitat komplett umzudrehen und dann auch noch abfällig kommentieren. Das muss man erst mal bringen. Aber warum im Buch streichen statt korrigieren lassen? Das Zitatrecht haben sie ja trotzdem.

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WRunde 3. Februar 2012 um 19:25

Das ist doch mal was für einen zünftigen „Küchenzuruf“ – Danke.

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Linksverkehr KW 05/2012 » YOUdaz.com 4. Februar 2012 um 16:18

[…] “Qualitätsjournalismus” am Beispiel Paul-Josef Raue und Wolf Schneider | Indiskretion E… […]

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Der Papst übt zitieren at JakBlog 4. Februar 2012 um 22:29

[…] Onlineredakteure, die “dummen Textschrubber”? Im Schneider/Raue-Handbuch zum (Online-)Journalismus wird Thomas Knüwer so zitiert. Dieses Zitat war, nun ja, zumindest stark verfremdet — und wird in der nächsten Ausgabe auch nicht mehr auftauchen. Knüwer setzte inzwischen beim rororo-Verlag durch, dass online eine Korrektur vorgenommen und das Zitat in der (zu befürchtenden) nächsten Ausgabe in dieser Form nicht mehr verwendet wird. […]

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Manuel Schubert 5. Februar 2012 um 14:21

Super reagiert und auch noch unheimlich amüsant geschrieben. Hoffentlich ist dies das Ende der Schneider’schen Schreckensherrschaft.

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Journalismus-Bücher (II): Schneider/Raue, Das neue Handbuch des (Online-)Journalismus « datenreise 28. Februar 2012 um 17:01

[…] Studien zu Online-Redaktionen durchführten). Mittels eines Falschzitats wird Thomas Knüwer als Kronzeuge missbraucht: “Online-Redakteure sind [aus Sicht vieler Printkollegen] die dummen Textschrubber, die nichts […]

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J. R. 28. Februar 2012 um 17:18

Hallo, ich bin angehende Journalistin (derzeit im Volo) und habe auch mindestens ein Wolf-Schneider Buch zu Hause liegen. Ich muss sagen: der Mann kann Einiges (wenn auch nicht richtig zitieren) und hat mir in seinen Büchern einige wertvolle Tipps geben können. Aber seine großkotzige, überhebliche, pseudo-witzige Art finde ich bescheiden und alles andere als intelligent. Soziale Intelligenz gleich null.

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Wolf Schneider irrlichtert durch den Online-Journalismus | Online-Journalismus-Blog 9. Oktober 2012 um 20:48

[…] die nichts können” – und diese Haltung prangert er an, wie er auch in seinem Blog […]

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