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Der Wirtschaftsjournalismus trägt eine besondere Verantwortung. Also, eigentlich. Denn was Wirtschaftsjournalisten schreiben hat eventuell weitere Auswirkungen als nur ein Fehlrecherche über angebliche Bundesliga-Transfers oder eine falsche Einschätzung eines Theaterstücks. Denn wenn Wirtschaftsjournalisten einen Fehler machen, können Aktienkurse abstürzen oder nach oben schießen – und das kann nachhaltige Folgen für Unternehmen haben. Und auch Leser könnten direkt betroffen sein, zum Beispiel wenn sie den falschen Recherchen Glauben schenken und danach ihre Geldanlagen richten.

Leider aber verkommt der deutsche Wirtschaftsjournalismus immer mehr zur Meinungsmache. Hektisch werden Thesen gesetzt, denn ohne These geht nichts mehr. Sind Jahreszahlen einfach nur so, wie sie erwartet wurden, so sind sie langweilig. Ständig werden Duelle erschaffen, entweder zwischen Manager oder zwischen Unternehmen. Grundsätzlich wird gekämpft, immer kann es nur einen Sieger geben – die Vorstellung, dass mehrere Unternehmen in einem Markt profitabel koexistieren können, ist unvorstellbar.

Ich kenne inzwischen viele Menschen in der Wirtschaft, die dies ablehnen. Nicht aus Standesdünkel, Arroganz oder Elitismus – sondern einfach weil sie dringend nach nüchternen, präzisen und wohl überlegten Einschätzungen der ökonomischen Gesamtsituation oder ihrer Branche suchen.

Ein besonders erschreckendes Beispiel dieses Thesenjournalismus habe ich gerade bei der „Süddeutschen Zeitung“ gefunden. Es geht um ein Gerücht, ja, um eine sehr gewagte Spekulation. Der Autor behauptet, es werde spekuliert (wer dies wo tut, verschweigt er), dass Siemens und Thyssen Krupp sich vereinen würden. Strippenzieher sei dabei Gerhard Cromme, der Aufsichtsratsvorsitzende beider Unternehmen:

„Und wer Manager wie Figuren auf einem Schachbrett bewegen könne, sagen viele, der könne auch eine Großfusion von zwei Unternehmen – eine Art Renaissance der großen alten Deutschland AG – einfädeln.“

Wer diese vielen sind, wie sie zu Cromme und zum Unternehmen stehen – das schreibt Thomas Fromm nicht. Es gibt auch niemand, der ihm seine Spekulation bestätigen mag. Im Gegenteil: Er holt sich deutliche Abfuhren bei den Unternehmenskommunikatoren:

– Siemens-Chef Löscher spricht von „Spekulationen ohne geschäftliche Grundlage“
– Siemens-Finanzvorstand Käser meint, man habe über viele Namen gesprochen – aber noch nie über Thyssen Krupp.
– Thyssen Krupp sagt offiziell gar nichts, hinter vorgehaltener Hand ist die Rede von „totaler Quatsch“.
– Der Siemens-Betriebsrat hat noch nichts von solch einem Ansinnen gehört.

Das ist jetzt doof. Da hat der Redakteur ne geile These – und keiner will drauf einsteigen. Also muss er mystifizieren. Thyssen Krupp also mag nicht dementieren, so wie viele Konzernpressestellen keine Stellung mehr nehmen zu weit hergeholten Gerüchten. Also ist es „interessant…, wer bei der Sache wie reagiert“. Und dass der Betriebsrat von Siemens noch nichts gehört hat, ist ein Zeichen von Zugeknöpftheit.

Nun kann es ja vielleicht sein, dass tatsächlich irgendwo in Hinterzimmern ein solcher Zusammenschluss geplant wird. Doch bisher hat Fromm nichts als Gerüchte, die er nicht mal an Funktionen („Personen, die mit den Verhandlungen betraut sind“, „Quellen aus dem Konzern“) festmachen kann. Früher hätten Journalisten in solch einem Fall die Klappe gehalten und weiter recherchiert – heute blasen sie wilde Gerüchte auf. Mein Verständnis von Qualitätsjournalismus ist ein anderes.

Nachtrag: Eine Reihe Leser macht mich darauf aufmerksam, dass auch „Wirtschaftswoche“ und „Handelsblatt“ die Geschichte haben – auch hier zumindest online ohne konkretere Quellen.


Kommentare


FF 13. Februar 2012 um 17:32

Der Wirtschaftsteil der „Süddeutschen“ ist ohnehin sehr speziell. Geradezu bizarr finde ich den Videoblog des Herrn Beise, dessen Auftritt bei mir den Eindruck stets hinterläßt, daß der Mann nebenher noch etwa fünf bis zehn Dax-Unternehmen leitet.

Leider weiß die Menschheit die outstanding performance des Herrn Beise mehrheitlich (noch) nicht zu würdigen – zumindest deuten die Abrufzahlen daraufhin, die meist im zweistelligen Bereich verharren.

Was kann die Welt aber auch ungerecht sein… 😉

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Brett 13. Februar 2012 um 17:49

Stand heute auch im Handelsblatt. Das Gerücht haben sich offenkundig weder SZ noch HB ausgedacht. Es wurde gestreut. Nun darfst du mal überlegen, wer so etwas in die Welt setzt? Von allen Unbeteiligten hat nur einer Interesse daran: die Kuppler, also die Investmentbanker. Ich würde auf Goldman Sachs oder Morgan Stanley tippen. Vielleicht ja wieder dieser notorisch zum Korrumpieren neigende Notheis? Oder … Mappus, bist du das wieder?!
Wochenende ist gut, um solchen Quark zu lancieren, da gibt es keine anderen Unternehmensmeldungen. Die machen solche Geschichten, um die Großaktionäre auf Ideen zu bringen. Beziehungsweise um überhaupt das Fusionskarussell ingang zu bringen. Interessant ist, wie leichtfüßig und gotterbärmlich dämlich die Zeitungen sich für diese Strategie vereinnahmen lassen. Die drucken den Blödsinn, obwohl sie ein dickes und glaubwürdiges Dementi auf dem Tisch haben.
Es wäre wünschenswert, als „journalistic governance“ festzulegen, dass Journalisten bei solchen Berichten über Gerüchten dazusagen, wo genau sie das Gerücht herhaben. Hier vermute ich: E-Mail – „aber vertraulich“ 😉

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Thomas Knüwer 13. Februar 2012 um 18:02

Danke für den Hinweis!

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marius 13. Februar 2012 um 19:35

Ich finde Wirtschaft eigentlich spannend, aber Wirtschaftsjournalismus aus den genannten Gründen in der Tat häufig unerträglich. Das einzige Magazin, das ich in der Hinsicht erträglich finde, ist die Brand Eins – nicht ganz das typische Blatt und auch sicher nicht direkt mit Wiwo und Handelsblatt vergleichbar, aber dafür mit angenehm differenzierter Betrachtungsweise und Weitblick.

Ich überlege bei Nachrichten generell, ob es sich noch lohnt, überhaupt tagesaktuelle Nachrichten mehr als nur sporadisch zu verfolgen. Auch hier wird häufig dramatisiert, zugespitzt, vereinfacht und eine Katastrophe nach der anderen beschworen. Das heisst nicht, dass mir das Weltgeschehen egal ist, aber um wirklich etwas verstehen und vielleicht sogar bewegen zu können brauche ich einfach tiefere und z.T. andere Informationen als sie der klassische Journalismus – mit einigen löblichen Ausnahmen – im Allgemeinen so liefert.

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mark793 14. Februar 2012 um 10:35

Solche Geschichten gab es früher doch auch schon. Und wenn ich an dieser Stelle mal meinen persönlichen Klopper aus der guten alten Zeit erzählen darf: Ich habe in den frühen 90ern regelmäßig für ein wöchentliches Wirtschaftsmagazin mit Sitz in Düsseldorf geschrieben. Anno 1994 stand die Entscheidung der EU-Wettbewerbs-Kommission über den geplanten Pay-TV-Zusammenschluss von Kirch, Bertelsmann und Telekom in der Media-Service-Gesellschaft (MSG) an. Nun lag der Termin in Brüssel leider so, dass bei Erscheinen des Heftes die Entscheidung gefallen sein würde, aber der Redaktionsschluss beim besten Willen keinen Spielraum ließ, auf diese Nachricht noch zu warten. Da rief mich der Ressortleiter an und sagte, wir müssen die Geschichte un-be-dingt drinhaben. Auf meine Gegenfrage, wie er sich das denn vorstelle, meinte er, „Sie sind doch der Medienexperte und tief drin im Thema, versetzen Sie sich rein in die Denke des Wettbewerbskommissars, Sie werden schon das richtige treffen.“ – „Und wenn ich falsch liege?“ – „Dann stehen wir alle ziemlich blöd da, also geben Sie sich Mühe, Sie müssens ja nicht detailliert begründen, 10 bis 15 Zeilen auf der Meldungsseite müssen reichen.“ Um die lange Geschichte kurz zu machen: Ich habe (wenn mich die Erinnerung an die genauen Wochentage nicht trügt), Dienstag die Meldung geschrieben über eine Entscheidung, die erst am Mittwoch fallen sollte, damit sie donnerstags im Blatt steht. Gottlob lag ich richtig damit, dass Karel van Miert das Vorhaben nicht genehmigen würde, alles andere wäre schwer zu begründen gewesen. So stand es richtig im Blatt, obwohl es eine technische Unmöglichkeit gewesen wäre, das Ergebnis noch auf regulärem Weg noch mitzunehmen, hat aber nie jemand danach gefragt. Das war ein heftiger Ritt über den Bodensee, von dem ich mir schwor, nie wieder würde ich mich zu so einer Stuntnummer überreden lassen.

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Beratungs-Aufträge 15. Februar 2012 um 2:57

Commerzbank und Dresdner Bank haben im Prinzip auch ein Jahr zu früh fusioniert und so ziemlich überall im WirtschaftsTV wurde eine große Bankenfusion (Kauf der Dresdner als drittgrößte durch Commerzbank oder Deutsche Bank) als quasi unabdingbar dargestellt und geschah dann auch.
Wenn wegen US-Präsidentenwahl ab Mai oder Herbst erst mal das Geld beisammen gehalten und vielleicht Gewinne mitgenommen werden, merken die Börsenkurse das deutlich.
Hatten die Banken nicht auch zu viele Investmentbanker und tausende Entlassungen letzten Dezember und den langfristig zu hohen Personalbestand herunterzufahren ? Da versucht man vielleicht, noch Beratungs-Aufträge zu kriegen bevor eine Rezession kommt und die Kurse sinken.

Das man fertige Stories geliefert kriegt und nur noch seinen Namen drunterschreiben braucht ohne viel recherchieren zu müssen wenn man nicht will, liest man indirekt z.b. bei 6vor9 immer wieder. Über einen längeren Zeitraum sieht man es dann bei allen Sparten und nicht nur bei Autos, Reisen und Pharma.

Da es um Geld geht, ist das übliche Hinterher-Berichten bei Presse (und Hinterher-Regieren bei eigentlich vorhersehbaren Problemen) besonders schlimm. Aber wieso soll Wirtschaftspresse sich anstrengen, wenn die anderen es auch nicht fleissiger sind und man sich für Kritik keine Freunde schafft.

Gute Presse würde den Abonnenten per EMail oder Web-Login Zugriff auf die fertigen Artikel oder nur ein paar davon geben. Am Feedback sieht man dann Verbesserungsmöglichkeiten für die Print-Ausgabe und man spart sich Lektoren. Speziell Wochenzeitungen könnten damit Unschönheiten wie Unklarheiten verringern.

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_Flin_ 15. Februar 2012 um 15:18

Am schlimmsten am Wirtschaftsjournalismus ist, wie Dinge nicht hinterfragt, sondern wiedergekäut werden.
Vor allem in Bezug auf die aktuelle, europäische Wirtschaftskrise. Alleine das brillante Neusprech der „Schuldenkrise“, die keine ist, sondern eine Wirtschaftskrise, das einfach nachgebetet wird, aber nicht hinterfragt.
Wenn S&P halb Europa herabstuft, weil sie befürchten, dass der Sparkurs die Rezession verschärft (zurecht, wie man ja gestern an Griechenland gesehen hat), und Merkel und Schäuble dazu nur sagen, dass der Sparkurs jetzt noch verschärft und die Anstrengungen verstärkt werden, dann fällt das niemandem auf.

Einer der wenigen, die hier angenehm den Überblick haben, ist Wolfgang Münchau. Die Süddeutsche jedenfalls nicht.

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NE 19. Februar 2012 um 20:24

Guten Tag Herr Knüwer,

Ich muss mich meinem Vorposter anschließen: Über die „Qualität“ unseres Wirtschaftsjournalismus habe ich mich heute gerade wieder unglaublich geärgert.

Anlass war die Berichterstattung über den bevorstehenden Streik des Vorfeldpersonals in Frankfurt: In drei Berichten von Mainstreammedien – ich habe bei SpOn, FAZ und Süddeutsche nachgeschaut – habe ich vergebens danach gesucht, wie denn nun die Forderungen der Lotsen, das Angebot der Fraport und der Schlichterspruch aussehen. Es werden zwar die wechselseitigen Beschimpfungen der Tarifparteien ausgiebig kolportiert, aber um eine aktuelle Tarif- und Forderungstabelle anzufragen, hat es offenbar bei keinem der Autoren gereicht.

Und das betrifft nicht nur so ein Frankfurter Lokalthema, sondern z.B. auch Eurokrise und Rettungsschirm: Um zu verstehen, was denn nun konkret beschlossen wurde, musste ich zur Wikipedia gehen – gemessen an deren präziser Recherche ist alles, was der soganannte Qualitätsjournalismus zu diesem Thema bisher liefert, nur Geschwätz.

Nun habe ich ein Problem damit, wenn ich mich bei meiner Meinungsbildung ausschließlich auf die anonyme Wikipedis-Community verlassen muss. Ich wünsche mir stattdessen ein Blatt X, eine Webseite Y, oder einen Blogger/Journalisten Z, bei dem ich zuverlässig Informationen in dieser Vollständigkeit bekomme.

Das wäre mir auch durchaus Geld wert – nur leider gibt es kein solches Angebot.

Oder kennen Sie (oder jemand aus der Community hier) eins?

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Der Skeptiker 29. Februar 2012 um 14:23

Wir wissen doch alle, dass Journalisten viel Wissen von Nichts oder kein Wissen von Vielem haben. Wer einmal einem Journalisten gefolgt ist, der über das eigene Unternehmen oder den eigenen Verein geschrieben hat und weiß, welches Bullshit da immer kommt, der kann das auf alle anderen Ausflüsse der Journaille übertragen.
Und dass die Süddeutsche in dieser Hinsicht ein rotes Kampfblatt ist, weiß der informierte Leser.
Aber das macht alles nichts. Die Leserzahlen gehen eh zurück und überall ließt man Wörter aus den selben Quellen. Ich finde es gut, dass sich diese Herren langsam Sorgen um ihre Jobs machen müssen.

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