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Wenn eine Erkenntnis, eine Weisheit, ein Zusammenhang oder ein schlichter Gedanke die Popkultur erreicht, so ist er in den höheren Sphären der Wahrnehmung angelangt. So verhält es sich zum Beispiel mit der schlichten Tatsache, dass Verbraucher auf Unternehmen Druck ausüben können. Jan Delay machte daraus auf seinem letzten Album den Song „Kommando Bauchladen“. In dem heißt es:

„Tante Emma wurde umgebracht
Vom Onkel H und Onkel M
Doch keine KriPo keine Hundertschaft
ne, alle ham Schiss vor ihrer Gang
vor den Hässlichen Don Aldi und dem Deichmann-Clan
Bruder Kamps und dem blutigen McPaper …

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Ich sage Bomben bringen nix aber Verluste
Und darum sparn‘ wir euch zu Brei
Wir sind gefährlich wenn wir unser Geld nicht nutzen
Und serviern‘ euch rote Zahln‘ zum Frühstücksei…“

Bevor hier die Kommentatoren aufbrüllen, dass dies nun wirklich JEDER wisse, mögen sie mal ihre Eltern fragen. Tatsächlich war das Machtverhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmen über Jahrzehnte hinweg klar geregelt: Unternehmen haben den Hut auf. Unzufriedene Kunden wandern zwar ab, doch meist ist die Auswahl der potenziellen Alternativen überschaubar. Vor allem aber hatten sie wenig Möglichkeiten, ihren Ärger weiterzugeben. Ein unzufriedener Kunde spricht – ja nach Marketingprofessorenmeinung – mit 11, 12 oder 13 anderen Menschen über seine Erfahrung. Dies war für ein nationales, erst Recht für ein global tätiges Unternehmen ein hinnehmbarer Kollateralschaden.

Heute ist das anders – und dabei ist Social Media eben nur ein weiterer Schritt. Tatsächlich war es die seit Anfang der 70er steigende Zahl der Verbrauchermagazine und -sendungen, die den Anfang machten.

Heute wissen Konsumenten nicht nur, dass sie sich über eine misslungene Leistung beschweren können, wie sie dies tun müssen und wo. Nein, viele haben auch die grundlegenden Funktionen der Wirtschaft verinnerlicht. Sie wissen zum Beispiel, dass der Sponsor eines Sportvereins nicht unbedingt ein glühender Anhänger des Clubs ist. Oder, dass der Unterstützer einer Veranstaltung dies meist vor allem aus Marketing-Gründen tut. Somit lässt sich jene Veranstaltung über Bande unter Druck setzen – theoretisch.

Das nun wieder ist neu. Denn die Kommunikation zwischen Kunden und Unternehmen war ja über lange Zeit schwierig. Wo hätte man sein Anliegen vortragen sollen? Demo vor der Zentrale? Liebenswert, irgendwie, aber wenig nachhaltig. Als Anrufer auf der meist kostenpflichtigen Hotline? Beim armen Verkäufer in einem Geschäft? Die Auswahl der Kommunikationswaffen ging gegen Null.

Bis Facebook kam. Nun ist es möglich, sein Über-Bande-Anliegen öffentlich vorzutragen. Unternehmen werden sich massiv darauf einstellen müssen, künftig stärker in die Pflicht genommen zu werden, stecken sie in eine Institution oder eine Veranstaltung ihr Geld. Begeht der Veranstalter einen Fehler, gerät er ins Gerede, vergibt er Preise an fragwürdige Personen oder duldet er ein problematisches Verhalten wird von Verbrauchern immer häufiger versucht werden, Druck über Sponsoren zu erzeugen.

So wie dies in den vergangenen Tagen dies eine große, große Zahl von Menschen auf den Facebook-Seiten von Adidas, Hyundai und Continental versuchte. Diese Konzerne sind Sponsoren der Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen. Und in der Ukraine soll es eine Weisung geben, streunende Hunde zu beseitigen – was mit abscheulichsten Methoden angeblich passiert. Bei Open Source PR können Sie exzellent recherchiert nachlesen, wie sich die digitalen Proteste formiert haben.

Die eingesetzte Methode der Protestierer ist nicht sonderlich kreativ.

Eine Institution bietet Standardtexte, die teilweise massenhaft auf den Seiten gepostet werden. Dies kennen wir schon lange, einst gab es Standard-Postkarten oder Briefe, die an den zuständigen Politiker geschickt werden sollten. Dies nun ist die digitale Version. Dass sie teilweise deutlich dümmlicher wirkt hat, weil blind Texte kopiert werden, fällt nicht auf. So schreiben mehrere Nutzer: „uns liegen detailierte Schilderungen aus der Ukraine vor, nach denen die Massentötungen an Strassenhunden und –katzen unvermindert weitergehen…“ Wer ist „uns“? Anscheinend die Protestseite „EM 2012 ohne Tiermord“. Dass es sehr merkwürdig klingt, wenn eine Privatperson diesen Text verwendet, geht den Protestierern nicht auf.

Und es ist davon auszugehen, dass die meisten von ihnen nicht mehr Wissen über die Situation in der Ukraine haben als das, was auf jener Protestseite oder im Rahmen eines Beitrags des ARD-Magazins „Brisant“ zu sehen ist. Dieser Beitrag benutzt als Hauptquelle dann wieder Youtube-Videos von Tierschützern. Es ist bemerkenswert, wie auch angebliche Qualitätsmedien – nein, damit ist „Brisant“ nicht gemeint – sich allein auf diese Angaben verlassen. Es scheint kein Medium zu geben, dass einen Reporter in die ukrainische Pampa schickt.

Nun will ich definitiv nicht bestreiten, dass es die Hundemassentötungen gibt. Aber: Die mediale Öffentlichkeit darf wirklich nicht behaupten, sie hätte ein verlässliches Bild aus der Ukraine. Würde sich morgen herausstellen, dass jene widerlichen Bilder aus Weißrussland stammen, dürften die meisten sagen: „Wie hätte ich das merken sollen?“ Die Wohlmeinenden trotten wie Lämmer den Leittieren hinterher.

Auch das ist nicht neu. Es gab schon immer die Bereitschaft eine Geschichte zu glauben, weil man sie glauben wollte. Weil sie so erschreckend ist, dass schon wenige Bilder und Indizien reichen, um unsere Empörung auszulösen. Oder weil sie so absurd klingt, dass wir sie gerne weiter erzählen. So entstanden jene Geschichten, die der Autor Rolf-Wilhelm Brednich in Büchern wie „Die Spinne in der Yucca-Palme“ schilderte: moderne Sagen, Urban Legends, wie der Westmünsterländer sagt. Nach dem ähnlichen Prinzip verbreiten sich eben auch Vermisstenmeldungen durch das Netz obwohl die bewusste Person nicht vermisst oder schon gefunden ist. Oder aber jene widerwärtigen Spam-Meldungen,die nur dazu dienen, die Telefone von Polizeidienststellen oder Ärzten lahm zu legen.

Die Grundlagen jener Facebook-Proteste sind also nicht neu. Nur ist ihre Wirkung heute massiver, weil sie sich multiplizieren können und weil es leichter ist, an ihnen teilzunehmen – das musste Nestlé im vergangenen Jahr in der Greenpeace-Kitkat-Affaire erfahren.

Aus dieser haben viele Unternehmen gelernt, doch nicht jeder in gleichem Ausmaß. In Sachen EM2012 sehen wir drei verschiedene Reaktionen. Die weltweite Hyundai-Seite juckte all das gar nicht. Mutmaßlich übersetzt dort einfach niemand deutsche Posts. Das gleiche betrifft die Seite Hyundai Football. Allerdings ist der letzte offizielle Post von August versehen mit dem Hinweis, dass es jene neue Zentralseite gibt. Anscheinend hat Hyundai also die Seite einfach tot liegen lassen, so dass sie langsam vermoost. Ein eher unprofessionelles Verhalten, denn Facebook ließe es ja zu, diese Seite mit einer anderen zu verschmelzen.

Hyundai Deutschland dagegen hat ein Statement abgegeben und anschließend auch die Entscheidung der Ukraine verkündet, dass es keine Hundetötungen geben soll. Seitdem herrscht relative Ruhe. Dabei dürfte es helfen, dass es nicht möglich ist, direkt auf die Pinnwand des Unternehmens zu schreiben. Kommentare sind nur als Reaktion auf Statusmeldungen Hyundais möglich. Somit müssten Nutzer vom Thema abweichen, was bei einer großen Zahl gewisse Hemmungen auslöst – anscheinend sogar, wenn sie so auf Touren sind wie die Tierschützer. Es kann aber auch sein, dass Hyundai sehr schnell und streng moderiert.

Auch Continental hat recht schnell Stellung bezogen und das gut formuliert. Seitdem scheinen die schlimmsten Äußerungen gelöscht zu werden, einigermaßen ordentlich formulierte Kritik bleibt erhalten. Auch hier scheinen sich die Wogen seit heute langsam zu glätten.

Adidas dagegen vertritt eine überraschend, sagen wir, liberale Haltung. Es scheint überhaupt kein Community Management zu geben, selbst übelste Beschimpfungen bleiben stehen. Zum Beispiel das hier:

Überraschen kann das nicht: Es scheint Adidas komplett egal zu sein, was dort alles so steht. Es tauchen nämlich Erotik-Bilder und Spam-Kommentare auf.

Erstaunlicherweise reagiert somit ausgerechnet das Unternehmen am schlechtesten, das sich so gern seiner Social-Media-Aktivitäten rühmt. Adidas liefert ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.

Sicher, laufen Menschen mit so viel Schaum vor dem Mund auf, sind sie zunächst nicht zu bremsen. Aber ein Unternehmen sollte sich bemühen so weit wie möglich den Schwung herauszunehmen – denn die Mehrheit der Nutzer einer Facebook-Seite sind ja die Anhänger der Marke und nicht die Protestierer. Letztere sollten Gelegenheit haben, ihr Anliegen vorzutragen. Doch irgendwann ist die Grenze erreicht, da der Betreiber einer Seite so einschreiten muss wie der Wirt in einer Kneipe, in der aus einem Wortgefecht unter Gästen eine Schlägerei zu werden droht.

Manchmal sind dann auch drastische Maßnahmen nötig, zum Beispiel das Löschen von Kommentaren und das Ausschließen der Autoren sowie deren Meldung bei Facebook. Das hat nichts mit Zensur zu tun. Wer einen Ton anschlägt, der mit „Herumgekotze“ noch gelobt ist, der sollte rausfliegen. Im schlimmsten Fall ist temporär auch die Option, frei auf der Pinnwand zu schreiben, abzuschalten.

Je früher der Wirt jener Kneipe ein Zeichen setzt, desto besser. Die Antizipation solcher Shitstorms ist schon heute wichtig, hier sollten Digital-Verantwortliche Kompetenz entwickeln und diese in Unternehmen auch zeigen. Und bricht dann tatsächlich etwas los, reicht es nicht Dienst nach Vorschrift zu machen. Notfalls muss für eine gewisse Zeit dann auch eine 24-Stunden-Betreuung der Seite geschaffen werden.

Und genau das macht diesen Fall rund um die gequälten Hunde und Adidas und die EM2012 so besonders: Er ist ein Blick in die Zukunft. So massive Digital-Proteste wie hier habe ich bisher noch nicht in Deutschland gesehen. Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen, dass so etwas nun häufiger vorkommt. Deshalb habe ich heute in einem Punkt meine Meinung geändert: Vor einiger Zeit sah ich bei Mashable den Social Media Kontrollraum von Gatorade und dachte: Die Amis müssen aber auch immer übertreiben. Nun sehe ich das anders: Vielleicht ist auf Dauer tatsächlich ein solcher War Room nötig, in dem ein kleines Team schlagkräftiger auf solche Kommunikationskrisen reagieren kann.

Selbst dort aber werden die Verantwortlichen darauf angewiesen sein, dass ihr Arbeitgeber bereit ist, zumindest ansatzweise zu reagieren. Und das ist ja möglich: Im Mai kritisierten die Großsponsoren der Fußball-WM die Fifa öffentlich. Es ging nicht um menschliche Ansinnen, um gequälte Tiere oder leidende Menschen. Es ging um Korruption. Und sie äußerten diese Kritik ohne gefragt worden zu sein, ohne dass ein Kommando Bauchladen vor der Konzernzentrale klingelte. So geht es dann eben auch.


Kommentare


Leo 25. November 2011 um 19:48

„Adidas liefert ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.“

Deine Meinung und mehr oder weniger Besserwisserei. Einfach abwarten bis sich die Meute beruhigt hat, kann aus Unternehmessicht die viel bessere und risikoärmere Taktik sein. Kann, muss nicht. Aber das weiß man sowieso erst hinterher.

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teekay 25. November 2011 um 20:17

Sicherlich ist Deine Sichtweise gut begruendet, aber so wirklich vorstellen will ich mir nicht, dass die Mitarbeiter bei adidas mal einfach so ins Wochenende gegangen sind oder die Agentur die facebook betreut gerade Betriebsausflug ohne Internet macht. Sprich: Adidas weiss, was gerade so gepostet wird. Das koennte auch eine Taktik sein, denn je lauter und unflaetiger ‚geschrien‘ wird, desto unglaubwuerdiger wirkt der Protest. Nicht adidas hat ein Problem, sondern wohl eher Leute wie ‚Deejay Cash‘. Nach dem 39. copy-paste posting der ‚Anklage‘ schalten viele Leute weg und weit hergeholte Beschuldigungen erkennen auch viele als solche. Kaufen morgen weniger Leute ein paar Turnschuhe, weil da irgendwas mit Hunden und Ukraine und Sponsoren im Netz war/ist? Aehnlich wie im Fall Schlecker warte ich auf empirische Belege, dass Umsatz oder Markenimage (von adidas-nicht von Schlecker!) Schaden nehmen. Natuerlich koennte man den ganzen Kram auch loeschen (wird ja sicherlich auch in ein paar Tagen passieren) und dann gaebe es genau die gleiche Frage: Schadet diese ‚Zensur‘ dem Umsatz und der Marke? Grundsaetzlich darf man ‚Shitstorms‘ nicht ueberbewerten und es werden wahrscheinlich mal Doktorarbeiten zu dem Thema geschrieben. Wann ist eine Aktion zu unspezifisch (alle Sponsoren werden mit einem produktfremden Problem konfrontiert) und verpufft, wann ist eine Aktion so speziell (‚Ihre Limonade hat 9% mehr Zucker als angegeben und das finde ich doof‘) und verpufft und wann loest sie eine Reaktion aus, die ausserhalb des Netzes zu Verhaltensaenderungen fuehrt (Nach einer kritischen Reportage ueber einen Textildiscounter kaufen Menschen bei einem anderen Anbieter?) Gerade bei allem rund um das Thema Fussball wollen die meisten nicht wirklich kritisch hinterfragen.

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Thomas Knüwer 25. November 2011 um 20:25

@teekay: Dagegen spricht eben eines: Auf der Pinnwand sehe ich Bikinischönheiten und Werbung für fragwürdige Software. Selbst wenn man der Meinung wäre, dass die Diskussion laufen gelassen wird: Zumindest DAS würde ich mal tilgen.

Generell aber halte ich es nicht für gut, alles laufen zu lassen, denn wer eine solche Seite betreibt ist eben wie jener Wirt. Wer jeden reinlässt und jedes Verhalten duldet muss sich nicht wundern, wenn aus der Kneipe ein Boxring wird – und dann alle sich nicht schlagenden Gäste ausbleiben.

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Rockbottom 25. November 2011 um 22:14

Einspruch! Eine bewährte Methode der Krisen-PR ist das Aussitzen. Gut, das kann man nur wissen, wenn man sich mit der Öffentlichkeitsarbeit fundiert befasst hat…

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Linktipps zum Wochenende: Von Hunden, gegen Schnüffeln und zwei Portionen Wissenschaft | Das Textdepot 26. November 2011 um 19:10

[…] Von Hunden, Lämmern und Spinnen: der Fall Adidas und die EM2012 […]

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RSS-Reader-Roundup | 28. November 2011 | Bastian Dietz 28. November 2011 um 7:05

[…] Von Hunden, Lämmern und Spinnen in Yucca-Palmen: der Fall Adidas und die EM2012 […]

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Blogposting 11/28/2011 « Nur mein Standpunkt 28. November 2011 um 11:31

[…] Von Hunden, Lämmern und Spinnen: der Fall Adidas und die EM2012 […]

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czyslansky » Ein Shitstorm, eine Troll-Frau und ein Jungunternehmer mit Reputationsnöten – Was dabei herauskommt, wenn man mit Würzburger Studenten im Internet spielt … 28. November 2011 um 16:23

[…] Es ging nicht um unzufriedene Kunden oder um kritische Verbraucher, die, wie jüngst beim FIFA-Sponsor adidas, politisch auf das Reputationsopfer Einfluss nehmen wollten. Aber immer wieder werden auch […]

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Florian 6. Dezember 2011 um 12:28

Ich bin ebenfalls nicht der Meinung, dass das Löschen von Postings zielführend ist. Gerade die unreflektiert agierenden Ich-schimpfe-mit Lemminge, schreien sofort Zensur. Und Das wiederum ist das Gegenteil von Demokratisch. Und wenn irgendwas zutiefst demokratisch ist, dann das Internet.

Wichtig ist eine kalre Stellungnahme seitens des Unternehmens. Das hat Adidas im Übrigen getan. Ansonsten kann man darüber nachdenken üble Zoten und 3. Reich-Anspielung zu löschen, aber die grundsätzliche Kritik zu löschen halt ich für dumm, weil sie der demokratischen Grundstruktur des Internets entgegen steht.

Adidas macht das schon richtig. Und die werden den Verlauf des ganzen sicher genau beobachten. Die Herde der Facebook-Wutbürger wird schnell weiterziehen. Substanzielle Kritik wird bleiben, wenn sie angebracht ist. Aber die ist gut und für einen offenen Diskurs auch unbedingt wünschenswert.

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