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Am Mittwoch Abend saß ich mit zwei Freunden zusammen. Wir sprachen über dieses, jenes und England. Und einer der beiden frage: „Wie lang dauert es wohl, bis sie Social Networks kontrollieren wollen?“

Die korrekte Antwort hätte lauten müssen: Na, so noch rund 12 Stunden.

Tatsächlich erlag Großbritanniens Premier David Cameron am Donnerstag einem Reflex, der bei deutschen Politikern vermutlich noch früher gekommen wäre. Er verwechselt die Organisationsplattform mit der Absicht und glaubt, das Problem – die uferlose Gewalt der Jugendlichen – ließe sich einfach wegzensieren.

Das wird – natürlich -nicht funktionieren. Sinnvoller wäre es im Falle von Krawallen die Mobilfunk-Antennen der betroffenen Nachbarschaft kontrollieren und abschalten zu können. Ich würde dies für legitim halten. Nur gibt es eben einen Haken: Dann könnten Opfer oder Helfer nicht mehr um Hilfe rufen.

Diese Crux offenbart die ganze Idiotie einer solchen Forderung. Social Networks sind genauso böse wie Briefe oder Telefone oder Bücher. Übertragungstechnik hat keine Gefühle. Wer sie abschalten will, wenn auch nur temporär, schadet vor allem jenen, die sich normal benehmen – denn sie sind in der weiten Überzahl.

Noch dazu ist es nicht so einfach zu sagen, wo sich Gewalttäter organisieren. In England ist es überraschenderweise der Blackberry-Chat. Es könnte auch ein Teenager-Chat,  eine Blog-Plattform oder ein Forum sein. Es gibt nicht den einen, bestimmenden Umstürzler-Dienst, denn der Krawallist von Nebenan bevorzugt nutzt. Menschen organisieren sich häufig nicht von der Plattform ausgehend, sondern von der Frage: Wo finde ich Mitstreiter?

Ein schlagendes Beispiel dafür liefert Clay Shirky in seinem tollen Buch „Cognitive Surplus„: 2008 demonstrierten viele Südkoreaner gegen die Aufhebung des Importverbots für US-Fleisch. Eigentlich hätte die Regierung die Oberhand behalten – dann tauchten Teenagerinnen in großer Zahl auf. Sie hatten sich im Fanforum einer Boyband organisiert. Nicht, weil diese Band dazu aufgerufen hatte, sondern weil die Plattform da war und Freundinnen sich dort ohnehin schon tummelten.

Schon immer haben sich Menschen das Organisationsinstrument gesucht, das gerade passte – auch wenn es für etwas anderes gedacht war. Das aber macht das Instrument selbst – ob Buch, Social Network oder Brief – aber nicht zu etwas explizit Bösen.

Und deshalb ist die Forderung Camerons eben pure Idiotie. Wer Social Networks sperren oder filtern will, der müsste konsequenterweise Bücher verbrennen, das Briefgeheimnis aufheben und jedes Telefonat abhören. Wir nennen das dann China.


Kommentare


Chris 12. August 2011 um 7:54

Hallo Thomas,

warum ist das abschalten von Mobilfunkmasten in Ordnung, das zensieren (oder „abschalten“) von Social Media nicht? Ich verstehe Deine Trennung nicht.

Grüße

Christian

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Thomas Knüwer 12. August 2011 um 8:39

Weil es hier um eine lokale Maßnahme geht..

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Hackworth 12. August 2011 um 10:01

Mobilfunkmasten selektiv abschalten? Wie Sie selber schon geschrieben haben, geht das Kernproblem davon nicht weg: dass auch völlig legitime Kommunikation unterbunden wird.

Wer einzelne Buchseiten verbrennt, muss auch ganze Bücher verbrennen, bzw. hat es später argumentativ leichter, die „Notwendigkeit“ des Brandes auf das ganze Buch auszuweiten.

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Besim Karadeniz 12. August 2011 um 10:18

Maile die Überschrift deines Artikels als Tipp der britischen Regierung. Ich bin entsetzlicherweise davon überzeugt, dass sie problemlos auch diese Forderung an den Tag legen würden, wenn die Hütte buchstäblich brennt.

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Frank 12. August 2011 um 11:16

Bei Blogpostings wie diesem frage ich mich immer wieder, wo der größere Sündenfall liegt: Ist es verwerflicher sich missverständlich auszudrücken oder ist es viel schlimmer eigentlich Verstandenes missverständlich zu deuten?

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Kritikus 12. August 2011 um 12:48

Es geht doch nicht um Zensur des ganzen Netzes oder der Dienste per se.
Auch unser Strafrecht kennt seit langem die Möglichkeit, zusätzlich zur verhängten Geld-/Freiheitsstrafe diezur Tat verwendeten „Tatmittel“ (Fahrzeug, Einbrecherwerkzeug, Computer, Mobiltelefone oder sgar den Führerschein!) einzuziehen. Wenn also ein wesentliches Tatmittel Blackberries und Messenger-Dienste waren sollen Gerichte (!) eben die Geräte einziehen und den Tätern individuell den Zugang sperren lassen. Das ist rechstaatlich einwandfrei und muss auch diskutiert werden können ohne gleich Bücherverbrennung, Zensur oder den Untergang des Abendlandes zu bemühen.

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Enrico 12. August 2011 um 13:16

Es ist immer wieder interessant zu sehen wie gesellschaftliche Probleme auf ein ungeliebtes, weil unbekanntes, Medium abgewälzt werden. Heute Morgen stand in der Bild (ja, lacht ruhig) eine Schlagzeile dass das Internet eine junge Frau in die Prostitution gedrängt habe. In GB sind es die sozialen Netzwerke die an den Unruhen schuld sind.

Wie kamen eigentlich früher Aufstände und Zwangsprostitution zu Stande? So ganz ohne Internet? Ging das überhaupt?

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pell 12. August 2011 um 14:22

Statt also einen Dialog zu beginnen, ist es okay, die lokalen Funkmasten abzuschalten? Was genau ist daran weniger Zensur? Wäre es okay, wenn man die sozialen Netzwerke dann für bestimmte IPs aus diesem Raum sperrt oder ist das auch Bücherverbrennung? Ich begreife Deine Logik überhaupt nicht.

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Nur Asoziale machen gern Randale 13. August 2011 um 1:06

Man könnte auch nur EDGE/GPRS und Daten-UMTS unterbinden und halt auch nur öffentlich transparent.

Für tagsüber in Griechenland ist das zu hart. Für nachts in den englischen Randale-Gebieten ist das akzeptabel und wird von der legalen dortigen Bevölkerung vermutlich unterstützt.

Wahre Problemlösungen werden natürlich nicht diskutiert. Man fängt so viele wie man kann und lässt sie arbeiten bis der Schaden bezahlt ist.
Konservative bevorzugen natürlich lieber, eine Handvoll Individuen für 10.000 Jahre wegzusperren. Das schreckt aber weniger ab, als wenn man mit tausend anderen Randalierern ein Jahr lang jeden Sonntag Billigarbeit machen muss, bis der Schaden kollektiv abbezahlt wurde.
Mit den Fußball-Hooligans fängt man an, dann wird jeder schön schnell von Randale wegbleiben. Gefängnis usw. braucht man dafür nicht.

England ist Randale und Plünderungen. Man demonstriert friedlich oder gar nicht. Gewerkschaften können das. ATTAC u.ä. anscheinend nicht.

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General Strategus läßt grüßen | Verwickeltes 13. August 2011 um 7:16

[…] Nachtrag: Thomas Knüwer formuliert etwas drastischer. […]

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Hackworth 13. August 2011 um 9:24

@Kritikus
Der himmelweite Unterschied zwischen „ein bestimmtes Telefon beschlagnahmen“ und „Benutzung jeglicher Telefone verbieten“, bzw. „Verbot, bestimmte Telefonnummern zu wählen“ ist aber schon klar, oder? BVG sei dank, dass dieser Analogieschluss in Deutschland nicht ohne weiteres möglich ist. Stichwort Kernbereich privater Lebensgestaltung usw.

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Der Ruhrpilot | Ruhrbarone 14. August 2011 um 9:40

[…] Social Networks abschalten will, muss auch Bücher verbrennen…Indiskretion Ehrensache […]

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mahrko – co2-neutral durchs web » Links der Woche (KW32): Assi-TV, verpixelte Sportwerbung, ARD-ZDF- Onlinestudie, Trennung von Staat & Kirche 14. August 2011 um 13:49

[…] weltweit* so fordern, wenn sie ratlos sind. Mit dem selben Thema hat sich auch Thomas Knüwer auf indiskretionehrensache.de auseinander gesetzt. Er kommt zum Schluss: “Wer Social Networks abschalten will, muss auch […]

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Dennis 15. August 2011 um 9:08

Falsche Annahme! Wenn ich mich nicht irre, zielte der Vorschlag zur Sperre der Social Networks auf einzelne Nutzer ab. Wer randaliert, dem wird der Zugang zu Twitter gesperrt. So ähnlich wird es bereits außerhalb der Social Media praktiziert: In jedem Polizeiverhör, bei jedem Verdacht, eine Straftat begangen zu haben, wird die Kommunikation des Verdächtigen abgeschnitten. Die Krawallmacher-dürfen-nicht-mehr twittern-Sache ist also in etwa so, als würde man ein Handy beschlagnahmen oder einen Führerschein entziehen. Es war nie die Rede davon, einen Service komplett (für alle) abzuschalten. Das würde schon rein rechtlich nicht gehen.

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Hackworth 15. August 2011 um 22:09

@Dennis
Wer sich die sonstigen Äußerungen und Taten Camerons zur Thematik anschaut, dürfte schnell jede Illusion verlieren, dass es Cameron um Rechtsstaatlichkeit geht, oder darum, hilfreich der Polizei ihre Arbeit zu erklären.

Verdächtigen die Sozialwohnungen kündigen oder Sozialhilfe streichen? Verdächtige auf riesigen Leinwänden in der Innenstadt zur öffentlichen Fahndung ausschreiben? Macht sich am Stammtisch zweifellos gut, verschärft aber die Probleme nur. Immer neue Gesellschaftsschichten sollen gegeneinander ausgespielt werden, damit die simplistischen Antworten der revolutionären Rechten nicht allzu bald hinterfragt werden.

Cameron gibt also den kompromisslosen Hardliner, der glaubt, alle Probleme „seines“ Landes könnten durch Symptombekämpfung gelöst werden. Er spricht davon, die Gesellschaft zu „heilen“, und das ausgerechnet durch noch mehr Überwachung, Kontrolle, Disziplin und Obrigkeitsgehorsam. Die Jugendlichen sind dabei besonders das Ziel der Repression, dabei rückt heute schon fast ein SEK an, wenn ein Jugendlicher höflich, aber bestimmt den 5-Uhr-Tee verweigert.

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Aktuelles 17. August 2011 17. August 2011 um 8:36

[…] Wer Social Networks abschalten will, muss auch Bücher verbrennen “Tatsächlich erlag Großbritanniens Premier David Cameron am Donnerstag einem Reflex, der bei deutschen Politikern vermutlich noch früher gekommen wäre. Er verwechselt die Organisationsplattform mit der Absicht und glaubt, das Problem – die uferlose Gewalt der Jugendlichen – ließe sich einfach wegzensieren.” […]

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Linkliste Ausgabe #31 | Links und Liberal 17. August 2011 um 9:51

[…] 17 August 2011, 9:48 | Category : Aus dem Web gefischt Tags : Links | Teilen   Wer Social Networks abschalten will, muss auch Bücher verbrennen – delicious.com 08/17/2011 Hmmm… more… RSSdoodle by The Lessnau […]

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Brise 1 « kindimwind 27. August 2011 um 18:58

[…] Wer Social Networks abschalten will, muss auch Bücher verbrennen (indiskretionehrensache) Share this:TwitterFacebookLike this:LikeBe the first to like this post. […]

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