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Seit einer Woche frage ich mich, ob ich zum Sonderling mutiere. Denn seit dieser Zeit versuche ich die an Rosenmontage im Rheinland erinnernde Begeisterung vieler Menschen aus meinem Umfeld für Google+ zu verstehen. Und gedanklich bastele ich seit dieser Zeit auch an dem Blog-Artikel, den sie gerade lesen. Damit Sie am Ende nicht tief enttäuscht und orientierungslos den Browser-Tab wechseln, warne ich Sie lieber schon mal vor: Am Ende dieses Textes werden Sie keine eindeutige Einordnung des neuen Social-Plattform-Versuchs aus dem Hause Großes G bekommen.

Mehrfach am Tag schaue ich bei G+ vorbei. Und immer denke ich: „Nicht viel los hier“. Knapp über 100 Menschen habe ich bislang in Circles gekreist, über 1000 Menschen haben dies bei mir getan. Diese Differenz erinnert an Twitter. Auch hier ist die asynchrone Kommunikationsmechanik ein großer Charme: Ich kann sehen, was viele Menschen so sagen – aber sie müssen mich nicht ertragen. Oder umgekehrt.

Dies macht G+ in der Handhabung unanstrengender als Facebook. Denn bei Facebook muss ich aktive auf jede Anfrage reagieren. Ansonsten bleibt sie in der Anfragerubrik hängen, was psychologisch einen ähnlichen Reflex hervorruft wie die über einem Mail-Programm schwebende Zahl nicht beantworteter Schreiben: Das schlechte Gewissen treibt den Menschen zum Beantworten.

Das Sortieren der eigenen Kontakte in Circles ist zu Beginn so charmant wie ein Baby-Eichhörnchen. Das Aufpoppen der Profil-Fotos beim Verschieben in die Circles – das ist designtechnisch genialisch. Doch solch ein Effekt schleift sich eben auch schnell ab.

Vor allem aber ist das Sortieren von Freunden ja nicht der Hauptzweck eines Social Networks. Das ist die Kommunikation. Die erinnert derzeit sehr stark an die Anfangszeit von Facebook in Deutschland. Über Wochen, ja Monate, waren die Digital-Vielverdrahteten damals die einzigen Kontakte. Sie schrieben viel über Digital-Vielverdrahteten-Themen und kommentierten fleißig. Dann kam der Rest der Menschen – und die Kommentierung nahm Stück für Stück ab.

So ähnlich sieht es jetzt auch aus. Vor allem Digital-Menschen tauchen in egal welchem meiner Kreise auf und sie reden vor allem über Google+ und Facebook. Mit der Freude an Diskussionen und der Anwesenheit vieler Bekannter aus dem Silicon Valley erinnert G+ mich deshalb nicht an Facebook – sondern an die Fragen-Plattform Quora. Sie wird vor allem von Großkopferten genossen, weil sie eine recht stressfreie und gleichzeitig fachspezifische Kommunikation ermöglicht. Wenn G+ irgendeine andere Plattform „killt“ (Medien neigen ja zum verbalen egoshooten), dann sicherlich Quora.

Ganz tolle finden viele der Extrem-Netzer die Möglichkeit, sich in Video-Gruppenkonferenzen zu treffen, den Hangouts. Einen solchen Hangout zu eröffnen ist sensationell einfach. Es gibt viele, viele Möglichkeiten, was man mit Hangouts anstellen könnte: interne Kommunikation in Unternehmen, Wochenendplanung mit Freunden, purer Zeitvertreib. Ach, so viel wäre möglich. Nur nutzt es, zumindest in meinem Umfeld, kein Mensch.

Das könnte mit dem Ansatz als Gruppen-Chat zu tun haben. Natürlich ist das Bild seelenwärmend, das Google da entwirft: Hangouts seien wie die Terrasse nach vorne (wie in US-Nachbarschaften). Wenn jemand dort sitzt, wäre es unhöflich, nicht wenigstens zu grüßen – doch unter Nachbarn geht man auch mal rüber und plaudert ein wenig. Die Realität sieht derzeit anders aus. Schnell werden aus Hangouts nicht nutzbare Durcheinander mit schlechten Sound-Qualitäten.

Wie langweilig scheint da der Facebook-Konter zu sein. Der Instant Messenger wurde ergänzt durch 1:1-Videogespräche mit anderen Nutzern. Tatsächlich aber scheint mir diese Form der Kommunikation viel alltäglicher zu sein als die WG-Party-Atmosphäre bei Hangout.

So bleiben noch die Sparks, eine Art Neuerfindung von Google News. Die lassen derzeit den Funken noch nicht überspringen. Das Ziel scheint absehbar: Sparks liefern die Inhalte, die an andere verteilt werden und so Gesprächsstoff liefern. Wenn jedoch die Welt so ruhig und unspektakulär wäre, wie es die von mir angelegten Sparks erscheinen lassen – dann wäre Suizid aus Langeweile ein Breitensport.

Nun stehen wir in Sachen G+ noch ganz am Anfang. Es dürfte sicher sein, dass zumindest eine Verknüpfung mit Twitter nur eine Frage der Zeit ist. Unternehmens-Präsenzen wurden bereits angekündigt und irgendwann wird es Werbung geben. Wie die Nutzer auf letztere reagieren, wenn die Inhalte der Werbung sich auf das soziale Umfeld beziehen, ist völlig offen.

So, wie G+ derzeit aussieht, wundert es mich, dass Google es so weiträumig frei geschaltet hat. Denn derzeit ist die Plattform nicht Fisch und nicht Fleisch, besser: Sie ist nicht Facebook und nicht Twitter. Klar, sie ist herausragend programmiert. Doch eignet sie sich weder für die schnelle Information, den Puls des Alltags, noch ist sie eine eher ruhige Nachrichtenquelle des sozialen Umfelds: G+ sitzt irgendwo dazwischen.

Mittelpositionen aber sind auf Dauer immer schwer zu halten. Google wird sich entscheiden müssen, was G+ sein soll. Derzeit mache ich keine rechte Vision aus. Das wird sich vielleicht ändern, kommen neue Funktionen hinzu. Doch Stand heute ist meine Reaktion auf den Dienst sehr schulterzuckig und mein Grundgefühl leicht pessimistisch.


Kommentare


Marnem 8. Juli 2011 um 14:46

Wahrscheinlich gehts vielen „Normalnutzern“ so wie mir:
1. Yeah, Google mach auf Facebook.
2. Wer kann mir nen invite geben?
3. Yeah, Danke für Invite. Alles so schön weiß hier
4. Cool, meine 5 Bekannten die schon auf G+ sind einsortiert
5. Auf Facebook allen anderen sagen, dass ich jetzt auch auf G+ bin.
6. Nach 4 Tagen daran erinnert worden, dass es G+ noch gibt und festgestellt, dass es keinen Spaß macht jeden Bekannten durchzutesten, ob er schon auf G+ ist.
7. Warten bis es sich in ein paar Wochen lohnt nochmal nachzugucken

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Tobias 8. Juli 2011 um 14:50

Oder es geht den Leuten wie mir und meinen Bekannten:
1. Yeah, Google macht ein Facebook.
2. Wie komm ich rein??
3. Ah, hier bewerben und warten.
4. Und warten…
5. Und warten…
6. Und warten…
7. Also ich warte immer noch.

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Heiko 8. Juli 2011 um 14:51

Und noch eine Ergänzung. Auch in Sachen Barrierefreiheit ist Google Plus arg verbesserungsbedürftig. Ich hab dazu kürzlich mal was aus meiner Sicht als blinder Webuser gebloggt: http://blindpr.com/2011/07/01/barrierefreiheit-ein-minus-fur-google-plus/

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Ulrich Voß 8. Juli 2011 um 15:01

Erstmal ein +1 gegeben und Zack ist voll was los in meinem Googleplus 😉

In G+ wird erst was passieren, wenn mehr Leute drin sind und vor allem, wenn das API da ist. Ich bin gerade bei letzterem sehr überrascht, dass Google das nicht direkt im ersten Schritt anbietet. Die Stärke von Facebook war doch nie, dass die ein so tolles soziales Netzwerk sind, sondern dass die ein API hatten und eine Plattform für 1000e von Anwendungen (v.a. Spiele, seit Mittwoch Skype) werden konnten. Twitter ist (wenn natürlich auch sehr viel einfacher) ähnlich: Ohne API wären dort auch viele Streams viel leerer. Gerade diese „Mach einen Tweet, wenn ich was Neues blogge“ Funktion ist essentiell!

Die Basis bei G+ ist aber toll. Mir sind so einige Dinge aufgefallen, bei denen ich nie wusste, warum ich sie bei Facebook doof fand. Jetzt weiss ich es, weil Google es besser gemacht hat.

Spätestens wenn Google in Googleplus Spiele einbaut (im ersten Schritt nicht mehr als man vom Gamecenter bei iOS kennt), hebt das Teil ab. Google hat mit Android >30% des Smartphone-Markts im Rücken und mit Youtube einen großen Teil der Online-Videos. Das wird schon für ausreichend viele interessante Streams sorgen.

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drake 8. Juli 2011 um 15:20

@“Vor allem aber ist das Sortieren von Freunden ja nicht der Hauptzweck eines Social Networks. Das ist die Kommunikation*“ – ja, aber was ist das*? Was meinen die (wirklich) damit? 🙂

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Tom 8. Juli 2011 um 15:49

Wo ist das Problem? Eigentlich ist doch alles klar. G+ ist die konsequente Weiterentwicklung des Google-Profils und der künftige Hub für Googles Applikationen. Genau das hatte ich auch erwartet. G+ kann genauso viel wie Google insgesamt. Picasa kann man schon verbinden. Groups, Reader und YouTube werden hoffentlich folgen.

Endlich kann ich Privatssphäreneinstellungen für meine Profildaten vornehmen. Das allein ist es schon wert. Und ich kann alle meine Daten zentral verwalten und herunterladen. Genau was ich gesucht habe.

Wer natürlich geglaubt hat G+ wäre ein „soziales Netzwerk“, der mag enttäuscht sein. Aber mich für meinen Teil hat der pseudo-soziale Quatsch ohnehin nur genervt. Facebook hat doch mit „sozial“ nichts zu tun. Ich kenne keine Sau von den Typen die in meiner Freundesliste stehen und will mit denen auch nichts zu tun haben. Die bei denen das anders ist, haben meine Skype-Nummer oder andere Kontaktdaten.

Was ich dagegen wirklich brauchte ist ein einfacher Hub um gezielt Daten an bestimmte Zielgruppen zu senden ohne unzählige getrennte Accounts zu verwalten. Urlaubsfotos an die Familie, Arbeitsdokumente an Kollegen, Whitepaper an alle.
Weder Twitter noch Flicker oder andere Dienste konnten das bisher. Die Lücke ist jetzt geschlossen – passt doch!

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drake 8. Juli 2011 um 16:51

@Tom – Danke für die Erläuterung! Was mich an der facebook-Begeisterung irritiert, dass „vor Ort“ (auch auf „offiziellen“ Accounts) tatsächlich so wenig los ist (Diskussion, Meinungsaustausch, Berichte etc. – Fehlanzeige … aber wirklich schöne Fotos! 🙂

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Pot(t)pourri (124) » Pottblog 8. Juli 2011 um 17:23

[…] erlebt habe, doch schon toller finde als beispielsweise Thomas Knüwer, der in seinem Beitrag Google+: Nicht Fisch, noch Fleisch seine Erfahrungen […]

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Turtle 8. Juli 2011 um 18:48

Google+ ist ja grade nicht Facebook. Gott sei Dank, das will ich nämlich nicht.

Sascha Lobo hat ganz gut zusammengefasst was G+ sein kann und vielleicht auch wird: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,772656,00.html

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Armin 9. Juli 2011 um 8:54

Komisch, bei mir sieht der Graph der Inhalte schon jetzt ganz anders aus als Deiner. Zugestanden, relativ agressive Nutzung der „mute this post“ Funktion hilft ein wenig nach, aber vielleicht hast Du nur die falschen Freunde?

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punktefrau » Blog Archive » Google+: Noch ist der Funke nicht übergesprungen » punktefrau 9. Juli 2011 um 19:23

[…] so ging es mir bei Twitter, Rockmelt, Instagram, Diigo, aber nicht bei Google+. Ich kann mich daher Thomas Knüwer nur anschließen: “Seit einer Woche frage ich mich, ob ich zum Sonderling mutiere. Denn seit […]

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Chris 10. Juli 2011 um 19:57

Ich denke, dass jedes Fazit während der halböffentlichen Beta, keine Woche nach Launch, etwas verfrüht ist.

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OliverG 11. Juli 2011 um 8:51

Warum hab ichg nur so ein Deja Vu a la ‚Anfangs fand ich ja Twitter doof aber jetzt…‘. (Bezieht sich nicht (nur) auf dich (ich meine mich an so einen Artikel von Dir zu entsinnen, kann mich aber täuschen) sondern auf diesen generellen Artikeltyp.

Ja, es KANN sein G+ ist das nächste WaveBuzzOrkut. Oder nicht. Ja, es kann sein es bliebt immer kleiner als Facebook. So what? Es ist ein interessantes Konzept 😉

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Thomas Knüwer 11. Juli 2011 um 9:12

@OliverG: Ich find Google+ ja nicht blöd. Nur kann ich die absolute Begeisterung, die viele der Vieldigitalen verströmen nicht nachvollziehen. Und, ja, Twitter fand ich am Anfang lustig, aber unnutzwertig. Das habe ich dann ja später auch korrigiert. Andere Sachen fand ich aber voll toll von Anfang an. Wenn Du also meinst, ich würde alles bemeckern, so halte ich das nicht für gerechtfertigt (wenn ich allerdings etwas lobe, gibt es erstaunlicherweise weniger RetweetsLikesKommentare).

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Thorsten 11. Juli 2011 um 9:56

Am Anfang fanden alle das iPhone von Apple ganz toll, aber dann lernten SIE Android kennen…Am Anfang fanden alle Facebook ganz toll, aber dann lernten SIE Google+ kennen…und jeder der was auf sich hielt machte den Trend mit…Menschen, Marken und Trends…BRAND+

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Ja gut, aber … » Ein Plus für alle? 11. Juli 2011 um 10:25

[…] selbstverständlich sind nicht alle begeistert (vgl. z. B. Thomas Knüwer). Manche lässt es sogar völlig kalt, wie ein Tweet des Komponisten und […]

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OliverG 11. Juli 2011 um 14:14

Neiiiin, Thomas. ich meinte ja explizit nicht dich allein. Das Lob-Mecker-Dilemma hatte ja auch schon Marcel Reich-Dingsbums (sein Buch ‚Lauter Lob‘ verkaufte sich massiv schlechter als das mit lauter Verrissen). Kritisch hingucken ist sicher auch gut.

Aber z.B. schon deine Grafik (jaja, die ist amüsant, unbenommen). Ist wie bei Twitter, hatte ich erst wieder am Samstag in nem Worlshop ‚Das ist doch das woo alle schreiben dass sie Kaffeetrinken‘. Wenn auf Twitter alle Kaffee trinken (und auf G+ zu viele Katzenbilder und zu viele Posts über G+ sind) dann liegt das? … an den Leuten denen man Followt 😉 – oder die man nicht blockt.

Ich verstehe grad jeden Tag das Konzept etwas besser (und frage mich, warum man gar nicht sooo oft in Hangouts ist 😉 ), dasist erstmal spannend. fehlende Featres und das verhalten der Katzenbildfraktion (und schlimmer: der g+vs FB-Cartoon-Fraktion: oh well 😉

En Passant: bei ner nicht repräsentativen Umfrage in meinen Circles wollte KEINER Tweets auch noch in g+ lesen. Buzz, anyone?

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Google+: der Bloggerspiegel » Internet, Kommunikation » HappyBuddha 16. Juli 2011 um 10:07

[…] Indiskretion Ehrensache: “Google+: nicht Fischt, nicht Fleisch“ […]

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richie 26. Juli 2011 um 10:00

Ich sehe bisher in ALLER ERSTER LINIE, dass meine facebook-friendlist sehr zu meiner Zufriedenheit, auf wirklich wesentliche Leute gekürzt wurde. Weniger Rauschen, mehr Info.

Ich nutze nur ein Bruchteil der Möglichkeiten und bin mit dem Erhaltenen zufrieden. Ich habe keine Katzenbilder im Stream und, viel wichtiger, keine Einladungen zu Farmville oder das komplette Tageshoroskop aller Sternzeichen.

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neolog consulting » Google+ wohl doch kein „Twitter-Killer“ 29. Juli 2011 um 7:59

[…] entwickelt, für den es momentan so oft gehandelt wird, und ob die Befürworter oder Kritiker am Ende Recht behalten. In einem Beitrag auf gruenderszene.de werden noch einmal viele Stimmen, u.a. […]

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Google+ Hangout: das unterschätzte PR-Instrument 17. April 2012 um 16:38

[…] Videokonferenzfunktion bleibt weiterhin das einzige, was mich an Google+ reizt (ansonsten gilt meine Meinung vom Sommer vergangenen Jahres weiter). Doch die Möglichkeit ad-hoc und ohne Kosten solche Videokonferenzen zu organisieren […]

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