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Es ist ja schon ein bisschen schwer für Journalisten in diesen Tagen. Die Redaktionen sind dünn besetzt, der DJV warnt vor realen Einkommensverlusten, blöde Blogger sagen den Tod ihrer Arbeitgeber voraus. Und dann müssen sie noch auf eine Veranstaltung dieses digitalen Packs: die Re-Publica.

Verständlich, dass die Bereitschaft zur unvoreingenommenen Berichterstattung überschaubar ist. Das beweisen vier Jahre Re-Publica-Reporting: einige Artikel sind gar nicht mehr online, anderenorts findet sich der Hinweis, dass die Autorin viele böse Sätze über die Konferenz nicht von ihr stammten – und rausgenommen wurden.

Und deshalb habe ich als Dienstleistung für die stöhnenden Ex-Kollegen diese Handreichung: eine vorempfundene Berichterstattung der Re-Publica 11, die in rund einer Stunde eröffnet wird.

„Wer sich als Speerspitze der Menschheit versteht, der feiert sich auch so. Schon die Anreise zelebrierten die Teilnehmer der Re-Publica dieser Tage über ihren Lieblings-Dienst Twitter. „Liebe Reisende, bitte entschuldigen Sie das erhöhte Nerd-Aufkommen in den ICE-Zügen nach Berlin. Zenk ju.“, zitierte eine Nutzerin den Account DeutscheBahn. Dieser ist eine Fälschung und hat außerdem die Nachricht nicht mal geschrieben. So etwas finden Nerds halt lustig.

Aber wer sein eigenes Selbstwertgefühl allein aus der digitalen Bestätigung seiner eigenen Bezugsgruppe bezieht, der muss sich halt selbst Mut zusprechen. 3000 Internet-Freaks trafen sich im Friedrichstadtpalast und der angrenzenden Kalkscheune zum dreitägigen Klassentreffen ihrer Art. Turnschuhträger, Sakkobesitzer, viele in T-Shirts mit aufgedruckten Weltveränderungsforderungen wie: „Menschenrechte für Daten“.

Sie fühlen sich unterhalten, wenn ein bärtiger untersetzter Promi-Blogger einen großen schlanken Promi-Blogger mit zu kurzem Sakko filmt und dabei wiederum von einem Blogger gefilmt wird, der außerhalb der Szene genauso unbekannt ist wie seine beiden Filmpartner.

Mit solch typischen Inhalten wird man nie eine größere Leserschaft von sich überzeugen können. Und so gibt es neben der Menge weitgehend unbekannter Blogs eine zweistellige Zahl prominenter A-Blogs. Diese drehen sich derart raumgreifend um sich selbst, dass für die anderen kein Vorbeikommen ist. Zu ihnen gehört zum Beispiel Sascha Lobo, der von der Community absurderweise als genuiner Blogger begriffen und gefeiert wird.

Wie verzweifelt sich die Re-Publica um Kommerzialität und Refinanzierung bemüht demonstriert, dass ein Düsseldorfer Unternehmensberater zweit Tage lang die Moderation übernahm.

Auch um gesellschaftliche Anerkennung ringen sie und greifen dafür zu Mitteln der Industrialisierung, um sich Gehör zu verschaffen. Am Rande der Veranstaltung gründete Markus Beckedahl, ein Netz-Einflüsterer der Grünen, die Blogger-Gewerkschaft „Digitale Gesellschaft“, einen Art ADAC des Web. Wenn der Netz-Einwohner nicht mehr weiter weiß, gründet er halt einen Verein. Typisch deutsch.

Und in dem träumt er zu schaffen, was die verzweifelten Menschen auf dem Tahrir-Platz erreicht haben: eine Revolution. Nur geht es den Nerds im Friedrichstadtpalast nicht um das Ende von Folterung und Unterdrückung – sondern nur um freies Surfen.

Andere aktuelle Themen lassen sich nicht in solch plakative Forderungen verwandeln. Also spielt beispielsweise die Katastrophe in Fukushima keine Rolle während der drei Tage.

Immerhin arbeiteten die Nerds dem Vorurteil entgegen, sie seien prinzipiell unmodisch. Das Kongress-Programm versprach Mode. Virtuelle Mode natürlich. Und erst ganz am Ende, wenn die Aufmerksamkeit sich ohnehin mehr auf die organisierte Bootstour über die Spree richtet.

Doch langsam setzt ein Umdenken ein. Selbst in ihrem Weltbild unerschütterliche Netzmenschen wie der Berliner Felix Schwenzel, der in seiner Zotteligkeit dem Prototyp des Bloggers ziemlich nahe kommt, kam ins Zweifeln.

Im Netz formiert sich derweil der Widerstand gegen die Organisatoren. Auf Facebook gründeten die Gegner eine Gruppe namens „Republicans Are Idiots And Arguing With Them Is A Waste Of Time!“ Sie zählt bereits über 40.000 Mitglieder.“

Also greifen Sie ruhig zu, liebe Journalisten. Bedienen Sie sich. So wie ich es auch getan habe – bei Ihren Werken aus vier Re-Publica-Jahren. Aber natürlich weiß ich: Am Ende schreiben Sie sowieso, was sie vorher schon wollten.


Kommentare


r:p11.01 — Konstantin Klein 13. April 2011 um 8:27

[…] ist es, wenn einer aus der Bloggergemeinde auch im Jahr 2011 den Gegensatz zwischen old media – sprich: überforderten Journalisten, die zur r:p geschickt … – und doch selbst gelernter und erwiesener Journalist ist. So, wie yours truly […]

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Gonzo 13. April 2011 um 8:41

Super! Solche Texte lese ich immer mit Vergnügen. Jetzt hätte ich nur noch gerne noch ein Foto von dem zotteligen Felix Schwenzel, dann wäre der Artikel perfekt.

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Zeitschriften-Leser 13. April 2011 um 12:59

„Aber natürlich weiß ich: Am Ende schreiben Sie sowieso, was sie vorher schon wollten.“
Das wird bei allen parteilichen Zeitungsberichten, Zeitschriften-Artikeln wie z.B. „Spiegel vs. Energiesparlampe“ oder ÖR-Funk ständig akzeptiert. Nur wenns mal um den eigenen Dackelzuchtverein oder Schützenvereins-Feier oder eigene Dr-Titel-Träger geht, soll mal korrekt berichtet werden und die Reporter sind ach so voreingenommen und böse obwohl praktisch 95% aller Politik-Berichte ständig in der Farbe des Herausgebers gefärbt sind… .
Infosat: Kabel-TV ist schlecht.
Wirtschafts-Zeitschrift: Neoliberalistensprüche.
Mieter-Zeitschriften: Vermieter sind oft kapitalistische Ausbeuter.
Vermieter-Zeitschriften: Mieter sind oft Nomaden.
Da es keine substitutiven Angebote gibt (Blogs&Internet, ist aber zeitaufwendig) verkaufen die weiter ihre Zeitschriften. Oft halt eben nicht wegen der gefärbten Artikel sondern anderer leider Alleinstellungs-Merkmalen (FrequenzListen, Miet-Tabellen, Steuer-Ausfüll-Hilfen, Regionale Zeitungs-Anzeigen,…) welche die Misinformation leider mit Durchschleppen.
Da press is a mess… .

Schade das es vermutlich wie üblich nur Videos und keine Transcripte zum lesen gibt. Hat ja anscheinend jeder WiFi in der Bahn und echte SmartFonFlats…
Gute Diskussionen sind viel wirksamer und nachhaltiger, wenn man sie nachlesen kann.

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manierlich 13. April 2011 um 13:46

merci für den artikel und nur ein kleiner hinweis: laut süddeutsche-artikel ist sascha pallenberg und nicht, wie im obigen text geschrieben, sascha lobo der fehlverstanden-genuine blogger.

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Thomas Knüwer 13. April 2011 um 14:24

@manierlich: Deshalb ist der Name Sascha Lobo auch nicht verlinkt. 😉

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Klardeutsch 13. April 2011 um 15:55

Das ist das Tolle an diesem Blog hier. Sein Autor ist gegenüber allen anderen Journalisten absolut unvoreingenommen; seine Ansichten sind völlig überraschend. Niemals kann man vorausahnen, was er über Verlagshäuser und Printjournalisten zu sagen hat. Nicht eine Sekunde hat man das Gefühl, das alles nicht schon einmal vom gleichen Autor in gleicher Weise an gleicher Stelle gehört zu haben.

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Jürgen 13. April 2011 um 19:27

Ich kann dieses Jahr leider nicht 🙁 Aber im nächsten Jahr bin ich wieder zur republica dabei! Trinkt ne Tasse Bier für mich mit =)

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Linkdump for 14. April 2011 Links synapsenschnappsen 14. April 2011 um 11:00

[…] Re-Publica 11 – vorempfunden – Knüwer fasst vier Jahre re:publica-Berichterstattung zusammen und hat damit ein schönes Sammelsourium journalistischer Ignoranz geschaffen. (Tags: Journalismus Blogs BlogsVsJournalism ) […]

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re:publica 2013: Bunt und schön 9. Mai 2013 um 9:03

[…] die Konferenz abzuwerten als einen Versammlung der Unwichtigen, die sich einreden, wichtig zu sein. So vorhersehbar waren die Attacken, dass die Berichterstattung treffsicher vorempfindbar war. Das hat sich geändert. Auch, weil viel mehr Journalisten tatsächlich an der Konferenz […]

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re:publica 2014 – Handreichung für Journalisten 2. Mai 2014 um 12:53

[…] wollte ich den Ex-Kollegen ein wenig Arbeit ersparen und schrieb eine Handreichung im Vorfeld der re:publica. Diese wurde anscheinend mit Begeisterung angenommen. Und da auch der SWR Nachberichte über […]

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