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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Die bunte, flirrende Zeit der New Economy miterlebt zu haben, schafft ein gewisses Gefühl der Nähe. Es ist die Erinnerung an Tage, da selbst noch so grau wirkende Großkonzerne ein wenig lockerer wurden. Die Versicherung Axa, zum Beispiel. Vergangene Woche, beim Deutschen Preis für Onlinekommunikation, begegnete mir nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder Marc-Sven Kopka, heute Kommunikationschef von Xing. Damals war er Frischling bei der Axa Colonia und begleitete dessen Deutschland-Chef Michael Dill zum Interview mit Netzwert.

Damals wir die franko-kölsche Kombination ein Feindbild der Versicherungsbranche – und sogar unter ihren eigenen Außendienstlern. Zum einen hatte die Axa eine Niedrigpreis-Linie auf den Markt gebracht, die eigentlich für den Online-Vertrieb gedacht war – was Versicherungsvertreter hassen. Zum anderen hatte der Konzern eine Vertriebsplattform online gebracht, auf der auch Finanzprodukte von Rivalen verkauft wurden. Dill hinterließ bei uns Eindruck. „Wettbewerb von innen tut einem großen Unternehmen immer gut“, sagte er. Und: „Realistisch haben wir ein Viertel des Weges (ins Internetzeitalter) hinter uns.“ Nur wenige Top-Manager dieser Zeit wirkten so gelassen und gleichzeitig so kundig. Selbst die nun aufkommende Welle des Corporate Journalism sah er voraus: „Versicherer müssen bei einem Internet-Portal mehr als nur Informationen über ihre Versicherungen bieten.“ 2005 ging Dill bei der Axa. Die meisten Traditions-Versicherer sind aber bis heute nicht richtig im digitalen Zeitalter angekommen.

Ein anderer bekannter Name in der Netzwert-Ausgabe vom 9.4.2001 ist Dragon. Schon damals war dies eine der führenden Software-Lösungen für Spracherkennung. Heute gibt es Dragon zum Beispiel auch als richtig gut funktionierende Iphone-App. Es schien ein Markt mit großer Zukunft. „Wenn der liebe Gott gewollt hätte, dass wir in der Hauptsache schriftlich kommunizieren, wären wir mit 40 Fingern geboren worden“, sagte zum Beispiel Ex-RTL-Chef Helmut Thoma. Er beteiligte sich am deutschen Hoffnungsträger Mende Speech Solutions.

BMW arbeitete damals an einer Technik, deren zwischenzeitliche Aufgabe wohl als Fehler betrachtet werden darf: In den 7er sollte Internet-Zugang mit Sprachsteuerung und -ausgabe eingebaut werden. „Geplant ist, dass sich der Fahrer ganze Internet-Seiten vorlesen lassen kann.“ Heute basteln verschiedene Autokonzerne genau daran.

Hinter Dragon aber steckt noch mehr. Damals gehörte die Software zum belgischen Unternehmen Lernhout & Hauspie. Kurz nach dem Erscheinen jener Netzwert-Ausgabe wurden die Gründer wegen Aufblasen der Bilanzen festgenommen – es war einer der größten Unternehmensskandale vor Enron. Im Oktober ginge Lernhout & Hauspie pleite, vor allem Anleger aus Westflandern verloren viel Geld. Dragon wurde von Nuance Communications übernommen: Es dürfte eine gute Investition gewesen sein.

Wer heute eine Internet-Konferenz abhält und einen Kritiker braucht, der lädt sich Andrew Keene ein. Diese Rolle bekleidete vor zehn Jahren einer, von dem man lang nichts mehr gehört hat: Clifford Stoll. Damals forderte der Astronom mit den wirren Haaren, Computer aus Schulen zu entfernen:

„Sie geben uns etwas Lächerliches, Nahrung ohne Gehalt, Informationen ohne Wissen, Wörte ohne Verstehen. Sie versorgen uns mit Antworten ohne Arbeit…

Statt Goethe und seine Werke zu erkunden, gucken Kinder ins Internet und kopieren die Antwort. Der Computer entfernt unsere Kinder vom Denken, hin zum Formatieren, um Arbeiten hübsch und professionell aussehen zu lassen…“

Und die Verlierer des Internet-Zeitalters?

„Menschen, deren Leben am wenigsten mit Computern zu tun hat: Musiker, Künstler, Tänzer, Hausfrauen, Lehrer, Schulkinder oder Arbeiter. Der Computer spart keine Zeit, sondern verschwendet sie.“

Wikipedia weist als Stolls letzten Aufenthalt aus als Stay-at-home dad und Lehrer an einer jüdischen Schule in Kalifornien (auch seine Homepage gibt nicht mehr her). Die Schule aber rühmt sich ihres gut ausgestatteten Computerraums.

Lesen Sie kommende Woche: Als Bernd Ziesemer sich über Paid Content irrte – das aber schon im Jahr 2001.


Kommentare


Ari 19. April 2011 um 19:01

Ja, eine irre Zeit damals. „Die Tastatur ist tot“ und ähnliche Beiträge gab es wirklich oft. Das selbe hab ich mit der Verbreitung von Touchpads (bei Smartphones usw.) auch wieder gelesen und jedesmal muss ich schmunzeln.

Natürlich wird heutzutage viel mit dem Finger angeklickt, mit zwei Fingern gezogen und per Drag&Drop verschoben. Aber nein die Tastatur ist nicht tot, sie ist gerade beim sogenannten Web2.0 (wieder so eine Worthülle) unverzichtbar. Es wird immer mehr Text durch die Nutzer generiert, ob nun als Blog (inkl. Kommentare), Tweet, in Social Networks oder per Chatnachricht. Diese Medien sind in einem großen Maß noch von geschriebenem Text abhängig und ich glaube nicht das sich das in absehbarer Zeit ändert. Schreiben hat viele Vorteile, z.b. das es nicht von der Umgebung und deren Geräusche abhängig ist und nicht jeder alles sofort mitkriegt was man wenn man sich im öffentlichen Raum befindet in ein (mobiles) Gerät tippt. Ich bin froh, über ein Smartphone mit Hardwaretastatur zu verfügen, es tippt und schreibt sich einfach besser. Es lebe die Tastatur 😉

Clifford Stoll:
Nicht der Computer verleitet die Kinder zum kopieren und nicht selber denken. Es ist die Asynchronität des Wissens um die Technik und Inhalte des Internets. Wie ich von (jungen) Lehrern und Schülern höre ist es bei vielen Lehrern immer noch vorhanden. Auf der einen Seite Schüler die das Internet nutzen und kopieren, auf der anderen Seite Lehrer die entweder nicht in der Lage sind ein Referat als Kopie eines Wikipediaartikels zu entlarven oder denen es egal ist. Der Mensch geht den einfachsten Weg! Wenn dies bedeutet das man einfach aus dem Internet kopieren kann und damit durchkommt dann läuft es so. Aber das Internet bietet (wenn man die Schüler entsprechend schult und vorbereitet) auch eine enorme Möglichkeit über das Kopieren hinaus. Recherchieren, Daten sammeln, auswerten und in Kontext stellen. Sie grafisch aufbereiten und zu präsentieren war niemals so einfach wie heute.

natürlich hat er Recht, der Computer und das Internet können extrem ablenken. Nur vorher war es das Radio und dann das Fernsehen, dazwischen noch die Konsolen. Wie oben geschrieben muss man einfach mit der Zeit gehen und die Saat des Wissens sähen und man wird merken das die „Internetgeneration“ mit ihrem Mittel der Wahl sehr viel erreichen kann.

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