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16. Juli 2008. Die ARD „Tagesthemen“ warnen die deutschen Bürger vor Google Streetview. Ganz auf der Seite der interviewten Datenschützer wird davor gewarnt, der Bürger könne genauestens „ausspioniert“ werden. Kein Hinweis darauf, dass die Bilder Jahre alt sein können. Dass ihr Aufnahmedatum nicht erwähnt wird:

(Gefunden im Google Watchblog)

18. November 2010. Google Streetview geht in Deutschland online. Zahlreiche Häuser sind verpixelt. Die ARD-„Tagesthemen“ berichten über den Kampf gegen den Terror. SWR-Mann Rainald Becker fordert härteste Maßnahmen, härter gar als in den USA, was er aber nicht weiß und deshalb falsch formuliert:

„Was Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Bürger angeht, sollten wir uns an den USA orientieren. Telefonüberwachung, Onlinedurchsuchung, Datenspeicherung und ab und zu ein Fingerabdruck, das ist kein Teufelszeug. Wer das nicht will, kann sich ja zuhause hinter dem Ofen verkriechen.“

Deutschland, die Bundeshysterierepublik. Befeuert vom Staatssender Fox ARD. Nie war Qualitätsjournalismus nötiger – und nie war er so unauffindbar.


Kommentare


Norbert Diedrich (Nordbergh) 19. November 2010 um 17:37

Für wahr, doch leider müssen wir immer wieder feststellen, dass Qualitätsjournalismus nicht immer das Killer-Kriterium im NachrichtenGESCHÄFT ist. Auch ZDF-MoMa Moderator Wulf Schmiese wollte heute Morgen einfach nicht das Mittelmaß zwischen Panik und Gleichgültigkeit erkennen – Mittelmaß verkauft sich nicht.

Der Kenntnisstand zu Google Street View scheint in manch öffentlich rechtlichen Redaktionen nicht mit dem normaler Internet-User Schritt halten zu können. Aber das wissen viele seit Zensursula und den Zeiten, als sich eine ganze Partei auf mangelnder Web-Kompetenz der politischen Elite begründet hat. Auch der Ruf nach einem für deutsche Verhältnisse maßlosen Überwachungsstaat überrascht nicht. Sind das wirklich Indizien eines untergehenden Qualitätsjournalismus? Ist das schlimm?

Ich frage mich, ob solche „Geschichten“ nicht weitaus weniger erschreckend sind als die Vorstellung, wir wären in diesen Zeiten ausschließlich auf das Nachrichten-Niveau hinlänglich quotenstarker Privatsender angewiesen? Nach dem Prinzip, abwechselnd Hysterie zu beschwören und wieder dem allgemeinen Unverständnis preiszugeben, sehe ich in Gedanken Antonia Radost für ihre intime Reportage „Meine Terroristen“ auf dem Co-Pilotensitz einer entführten Passagiermaschine… reden, und anschließend Birgit Schrowange in „Explosiv, Folgen des Terrors“ über einen 50-jährigen alleinstehenden und sexuell fragwürdig veranlagten Hamsterkäufer berichten. In „Welt der Wunder“ testet eine hübsche Soap-Darstellerin die Reichweite diverser selbstgebauter Schrapnellgranaten und N24 zeigt ein 24Stunden-Special über Kampfeinsätze von US-Jetpiloten in Ermangelung eines festangestellten Auslandsreporters.

Nee! Ganz ehrlich, dann lieber im Angebot der Öffentlich Rechtlichen nach zweifellos vorhandenem Qualitätsjournalismus suchen müssen aber wenigstens die Chance habe, ihn auch zu finden. Mein Schlafzimmerfenster ist verhängt, Krankenkassenkarte und Allergieausweis sind sicher deponiert. Wer immer kommt, Google oder der Terror, ich bin schon ein bisschen vorbereitet!

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Richard Gutjahr 19. November 2010 um 18:16

Danke für den Blogpost, Thomas. Ich konnte es kaum glauben, was Du da beschrieben hast, deshalb habe ich mir die TT von gestern, inkl. den Kommentar von Rainald Becker in der Mediathek angesehen. Ich teile Deine Einschätzung: Unfassbare Stimmungsmache, die man so nicht unkommentiert stehen lassen kann.

Deutschland hat gerade erst den biometrischen Ausweis eingeführt, speichert mehr Daten seiner Bürger als die USA. Auch bei der Anzahl der abgehörten Telefonate ist Deutschland Spitzenreiter. Das Problem: solche Zahlen werden den Herren Berlin-Korrespondenten nicht von Offer druckfrisch zur Pressekonferenz gereicht. Solche Zahlen muss man sich mühsam aus den Statistiken des Bundesamtes für Justiz heraussuchen, die dort übrigens auch nicht so ohne weiteres mit ein paar Mausklicks einsichtbar sind.

Zwischen Fox News und der ARD liegen zum Glück Welten, wenn nicht gar Galaxien. Aber wir sollten gewarnt sein und es uns nicht zu gemütlich machen in unserer öffentlich-rechtlichen „Qualitätsjournalismus“-Kuschel-Ecke.

Übrigens: ich selbst arbeite für den Bayerischen Rundfunk, bin also Teil der ARD. Meinen Blogpost zu dem Thema gibt es hier http://gutjahr.biz/blog/2010/11/streetview-gestartet/

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Sebastian Reisinger 19. November 2010 um 18:40

Die Behauptung es handele sich um 3D-Bilder ist so falsch nicht. Zum einen liefern der Laser-Entfernungsmesser in Verbindung mit den aufgezeichneten GPS-Koordinaten der Google-Kameras ein grobes 3D-Modell, zum anderen kann man bei Rechtsklick der Maus auf das Bild über ein Kontextmenü den „3D-Mode“ aktivieren und mit einer Farbfilterbrille einen entsprechenden Effekt beobachten (Anaglyphen-Verfahren).

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Gonzo 19. November 2010 um 19:09

Ich glaube, das Hauptproblem in den öffentlich rechtlichen und auch in den Privat-Medien hat der Schumacher vom Tagesspiegel hier gut beschrieben:

http://stuttgart21.blog.de/2010/11/18/medienmanipulation-heissen-herbst-9995281/

Bei der ARD konnte man bis vor kurzem ja noch sagen, dass je nach Bundesland-Parteifarbe verschiedene Meinungen zum Zuge kamen. Vom Saarländischen Rundfunk konnte man zuverlässig was Linkes erwarten, vom Bayrischen Rundfunk untertänig königlichen Staatsfunk.

Diese ehemalige relative Ausgeglichenheit ist leider verloren gegangen. Ursächlich ist das eine Frage der Personalpolitik. Hat sich da erst einmal eine bestimmte Richtung durchgesetzt, ist die journalistische Unabhängigkeit auf Jahre blockiert, wenn sie denn überhaupt wieder irgendwann eine Chance bekommt.

Das ist auch eine Folge der Kohl/Merkelschen Machtpolitik. Genauso wie brutalstmögliche Klientelpolitik mit Wadenbeißer-Aggressivität durchgepaukt wird, werden die Medien im Sinne der gleichen Klientel transformiert. Auf Ausgleich zielende Politiker wie der Beck ziehen in diesem Spiel immer den Kürzeren. Frechheit siegt.

Die Journalisten, die in den entsprechenden Positionen landen, halten sich selber für unabhängig. Klar, sie sind wohl durchaus überzeugt von dem was sie da erzählen. Leider wird die Zusammensetzung des Personals aber immer stromlinienförmiger.

Um da was zu ändern, muss man die ganz Großen anpinkeln. Die sind verantwortlich. Wie heißt dieser ARD-Vorsitzende? Boudgoust oder so? Das sind die Typen, denen wir die Verflachung des Programms und die Korruption des Journalismus zu verdanken haben.

Der Pleitgen war der letzte unabhängige Journalist auf dem Posten. Und genau so lange gab es einigermaßen qualitativen Journalismus in der ARD.

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G Riedl 19. November 2010 um 19:35

Danke für den Bericht.
Es gibt immer noch viel zu wenige Journalisten, die im Internet zu Hause sind. Was bsp. dazu führt, dass hier in der Strasse die Überzeugung reifte, google street view könne über zweistöckige Häuser hinweg in rückwärtige Gärten blicken – und das live. Ich glaube sowieso , dass mindestens 30 Prozent der Deutschen bei street view an Liveübertragung denken 😉
Dass bing-maps-vogelperspektive dieselben Gärten längst online hat werden die Nachbarn wohl nie erfahren.

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Christian Buggisch 19. November 2010 um 19:38

Der Umgang vieler Medien mit dem Thema Street View strapaziert wirklich meine Nerven. Ein weiteres Beispiel: die Süddeutsche Zeitung, über die ich mich heute wirklich herzlich geärgert habe. Ich konnte nicht anders und musste dazu was bloggen … http://buggisch.wordpress.com/2010/11/19/google-street-view-der-naturliche-feind-der-suddeutschen-zeitung/

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Bundeshysterierepublik Deutschland, präsentiert von den | Alpha 0.7 19. November 2010 um 22:32

[…] Bundeshysterierepublik Deutschland, präsentiert von den. […]

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Sascha Pallenberg 20. November 2010 um 0:00

ich kann es wirklich nicht mehr hoeren, wie lange bleibt denn streetview noch ein thema? schaue ich mir auf google news deutschland die anzahl der artikel an, dann wird mir ganz schummerig.
wenn man keine probleme hat, schafft man sich halt welche und mal ganz ehrlich, ich bezweifle sogar, dass die mehrheit der bevoelkerung der anti-streetview fraktion angehoert, es ist einfach eine reine medien hysterie.

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Richard Gutjahr 20. November 2010 um 2:51

Heribert Prantl 2007 in der NZZ zur Terrorhysterie der Medien und zur Aushöhlung des Rechtsstaates:

„Angst ist eine Autobahn für Sicherheitsgesetze. Der Mechanismus der Angst funktioniert wie eine riesige Orgel: Vor ihr sitzen nicht nur Terroristen, sondern auch Politiker, Chefredaktoren und Chefkommentatoren. Diese Orgel verfügt über eine Klaviatur mit vielen Registern, ein Windwerk und eine Windlade. Und wenn von so vielen kräftig georgelt wird, erbebt und erschauert alles. Dann wird «Sicherheit» zu einem Wert, bei dem das blosse Versprechen das Prädikat «legislativ wertvoll» verdient; «Tauglichkeit» und «Verhältnismässigkeit» neuer Massnahmen, etwa eines Kriegs gegen einen Schurkenstaat, werden gar nicht mehr lang geprüft. Hauptsache, es geschieht etwas.“

Originaltext:
http://www.nzzfolio.ch/www/21b625ad-36bc-48ea-b615-1c30cd0b472d/showarticle/e96315c4-0cba-4db3-b9f4-c68d4d13f1e9.aspx

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Thias 21. November 2010 um 11:41

Ok, der Satz von Becker ist in dieser Zuspitzung mit dieser pauschalen Verunglipmpfung und ohne jegliches sachliche Argument wahrlich keine Sternstunde des Qualitätsjournalismus.

Aber auch wenn sie mittlerweile ihren Arbeitsplatz beim Handelsblatt eingetauscht haben: ein bisschen mehr Sachlichkeit hätte auch Ihrem Beitrag sehr gut getan. Schaut man sich nämlich den kompletten Kommentar in der Mediathek an (und nicht nur den Schnipsel auf Youtube), dann kommt dieser weit weniger radikal herüber als dieser nicht repräsentative Teil Glauben macht. Jemand, der einst mit journalistischem Anspruch schrieb, sollte doch auch bei privaten Meinungseinträgen etwas mehr als 1 Minute Recherche aufwenden…

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Lesenswerte Artikel 22. November 2010 22. November 2010 um 6:28

[…] Bundeshysterierepublik Deutschland, präsentiert von den “Tagesthemen” Das ist wirklich kaum noch steigerungsfähig. […]

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Lisa 22. November 2010 um 12:58

meine Theorie ist ja eh, dass die ganze Hysterie nur Vorwand ist um eben die Vorratsdatenspeicherung durchzubringen! Ganz nach dem hollywood-beispiel: whack the dog (guter Film nebenbei!)

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Welcome to Pixel County » Der Hansecowboy 22. November 2010 um 13:56

[…] Bundeshysterierepublik Deutschland, präsentiert von den “Tagesthemen” […]

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Strabo 22. November 2010 um 14:37

@Sascha Pallenberg:
Das bleibt solange am Kochen bis eine neue Angstsau durchs Dorf getrieben werden kann, die eventuell-möglich-vielleicht-hab-gehört-Terroralarme bezüglich Reichstag mögen dieses neuartige Borstentier sein.

Interessant in dem Zusammenhang: http://www.zeit.de/2008/26/U-Risikowellen

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JesperL 23. November 2010 um 1:49

der Link Nr. 1 funktioniert nicht:
1. Sind-Tagesthemen-Moderatoren-eigentlich-Journalisten?
https://www.indiskretionehrensache.de/2006/11/Sind-Tagesthemen-Moderatoren-eigentlich-Journalisten?/

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Wir haben keine Angst! | Science/Fantasy-Ecke 23. November 2010 um 11:55

[…] Bundeshysterierepublik Deutschland, präsentiert von den “Tagesthemen” Was Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Bürger angeht, sollten wir uns an den USA orientieren. Telefonüberwachung, Onlinedurchsuchung, Datenspeicherung und ab und zu ein Fingerabdruck, das ist kein Teufelszeug. Wer das nicht will, kann sich ja zuhause hinter dem Ofen verkriechen. […]

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K R E K K S O U P 23. November 2010 um 13:51

„Deutschland, die Bundeshysterierepublik. Befeuert vom Staatssender Fox ARD. N…“…

Deutschland, die Bundeshysterierepublik. Befeuert vom Staatssender Fox ARD. Nie war Qualitätsjournalismus nötiger – und nie war er so unauffindbar….

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Matthias W. 23. November 2010 um 19:31

Es sind tatsächlich 3D-Bilder. Per Rechtsklick kann man in eine rot/grün-3D-Version wechseln.

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