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Heute morgen rief  mich ein guter Freund an. Er arbeitet bei einem im Dax30 notierten Konzern alter Prägung. Dieser Freund bat mich um Rat. Gerade umwirbt er eine junge Dame, es ist ihm ernst – ihr, so wünsche ich ihm, auch. Was könnte da romantischer sein, als ihr ein Geschenk zu machen in Form zweier Karten zum Take-That-Konzern, dass im kommenden Jahr in Düsseldorf stattfinden wird? Gut, man muss Take That mögen, aber das ist ja eine Geschmacksfrage.

Der Haken ist: Wenn am kommenden Freitag der Vorverkauf beginnt wird er im Büro sitzen. Und obwohl er eine leitende Position hat, wird er nicht online ordern können. Denn sein Arbeitgeber hat eine ganze Menge Seiten gesperrt – darunter die des Eintrittskartenverkäufers Eventim.

Es ist ein solches Detail, das klar macht, wie sehr Journalisten in Deutschland inzwischen in breiter Menge das Internet hassen. Man muss nur Inter- sagen um offensichtlich kampfhundeske Reflexe auszulösen, die einen Ultimate Fighter beim Gong zur ersten Runde wie einen Babysitter wirken lassen.

(Symbolbild: Journalist bei Erwähnung der Silben In und ter – Shutterstock)

Denn jüngst machte ja eine interessante Studie die Runde, aufgeschrieben haben sie die eigentlich geschätzten Ex-Kollegen von der „Wirtschaftswoche“. Reißerisch warfen sie ein, dass ein Drittel aller Dax-Konzerne Facebook sperren. Meedia gehörte zu den wenigen, die das Ganze herumdrehten: Rund zwei Drittel aller Dax-Konzerne erlauben Facebook. Was die „Wiwo“ nicht fragte: Wieviele der großen Unternehmen so ziemlich alles sperren. Das beginnt bei Eventim und endet bei Spiegel Online – oder Wiwo.de.

In die gleiche Kerbe schlug dann gestern das Werber-Branchenblatt „W&V“: „Social Media? Nein, danke!“ titeln die Münchener.

Im Editorial schwingt Jochen Kalka, Chefredaktion (das steht da so), die große Keule. So habe Syoss einen „Social-Media-Gau“ erlebt. Schock. Was ist passiert? Eine Diskussion auf Facebook geriet etwas heftig, Syoss moderierte und schrieb das auch so. Fazit der Autorin Judith Pfannenmüller: „Für Syoss entstand daraus kein Drama.“ „Kein Drama“ ist für den Chefredaktion ein „Gau“. Wenn Sie, liebe „W&V“-Redakteure also demnächst in das Büro ihres Chefs kommen: Ganz, ganz leise sein – er erschrickt sich schnell.

Tatsächlich ist nicht mal diese Moderation eine Erwähnung wert – sie ist Alltag. Nicht aber für Experten wie Nina Reicke von der Markenberatung Musiol Munzinger Sasserath: „Es ist unglücklich, einen angefangen Dialog zu zensieren“, sagt die Dame und erklärt damit ihre als Minderheitenmeinung einzuordnende Sicht, dass Kommentare nicht moderiert werden sollten. Unfassbar. Musiol Munzinger Sasserath, übrigens betreibt ein Blog, in dem seit Monaten kein Kommentar eingegangen ist. Vielleicht erklärt sich die Haltung daraus.

Nun wollen wir aber doch über die Unternehmen reden, die scheinbar die Schnauze voll haben von Social Media.

Nur…

Die zu finden war scheinbar schwer. Denn tatsächlich nehme ich sowohl bei Kunden wie bei anderen Unternehmensvertretern derzeit die Situation ganz anders wahr: Da sind eine ganze Menge prominenter Marken unterwegs und planen große Dinge mit digitalem Marketing. Sie haben lange gebraucht, große Unternehmen sind oft nicht schnell. Und sie hadern mit den Flash-verliebten Werbeagenturen. Aber: Sie wollen. Und wir werden im kommenden Jahr viel Social Media sehen, genauso wie wir 2012 viel Mobile sehen werden.

Natürlich werfen die Unternehmen nicht das Geld zum Fenster raus. Das heißeste Schwirrwort in diesen Tagen ist „KPI“. Das heißt – für die Leser, die nicht aus der Marketing-Welt kommen – nicht „Kein Plan Insgesamt“, sondern „Key Performance Indicators“. Sprich: Die Verantwortlichen wollen Zahlen sehen, an denen die Reaktion auf Kampagnen ablesbar ist. Doch das ist weder neu noch überraschend.

Die „W&V“ mag das nicht so sehen. Krampfhaft sucht sie nach Anti-Beispielen. RWE muss da herhalten. Wie „W&V“ richtig beobachtet, hat der Energiekonzern nicht einmal einen echten Versuch gewagt – also ein Gegenbeweis für die These, dass zurückgerudert würde. Ohnehin tun sich ja Energiekonzerne angesichts der politischen Großwetterlage schwer. Andererseits ignoriert „W&V“ die nicht ganz so übel laufende Diskussionsplattform Energiedebatte. Die zweite Branche, die „W&V“ als Beleg für die windige These einfällt, sind Banken. Dass die ein Kommunikationsproblem haben, dürfte auch niemand überraschen.

Und sonst? Darf Danone etwa sagen. Der Konzern, der mit den tanzenden Evian-Roller-Babys eigentlich nur einen Werbespot entwarf, der sich viral festbrannte wie kaum ein anderer. Das Ergebnis: Aus den Babys wurde in der nächsten Welle eine Social-Media-Kampagne.

Aber, verdammt nochmal, irgendwer muss doch zitierfähig sein um zu erklären, dass diese blöde Social Media tot ist. Stimmt Christian von Brincken, Geschäftsführer der Mediaagentur Mediacom. Einer von den Marktschreiern. Einer von denen, die Angst haben um ihr Geschäft, weil Social Media Plattformen selbst vermarkten und im Gegensatz zu TV, Radio und Print keine schönen Rabatte geben.

Früher war es die vornehmste Aufgabe eines Branchenmagazins, das Ohr auf der Schiene zu haben. Zu wissen, was die Branche denkt und redet. Der Artikel aus der „W&V“ deckt sich nicht ansatzweise mit dem, was ich zum Beispiel bei Branchentreffs wie dem Marketing-Club Düsseldorf wahrnehme.

Die „W&V“, übrigens, hat innerhalb von zwei Jahren rund 8% ihrer Abos und 68% ihrer Einzelverkäufe verloren. Im vergangenen Quartal verkaufte sie pro Ausgabe noch 94 Hefte am Kiosk.

Disclosure: Ich berate unter anderem Schwarzkopf sowie ein Energieunternehmen, das im Artikel nicht erwähnt wird.


Kommentare


Hardy Prothmann 29. Oktober 2010 um 17:31

Guten Tag!

Da bin ja mal gespannt, was Herr Forster aus dem macht, was ich ihm am Montag eineinhalb Stunden lang erzählt habe.

Es soll um eine Geschichte über hyperlokale Blogs gehen und ich war sehr transparent und auskunftsfreudig und ohne arg.

Beste Grüße
Hardy Prothmann

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Ulrich Voß 29. Oktober 2010 um 17:41

94 Hefte? Echt? Das sind ja wohl 0,x pro Kiosk. Das rechnet sich ja nie im Leben …

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mark793 29. Oktober 2010 um 17:56

@Hardy Prothmann: Ich hoffe, ich begehe keine allzugroße Indiskretion, wenn ich verrate, dass Kollege Forster sich auf Facebook sehr angetan über das Gespräch äußerte.

Das lehrt uns zweierlei: w & v scheint seinen Redakteuren Facebook nicht zu verbieten. Und der geschätzte Kollege Forster (bisweilen auch mein Auftraggeber) hat mit Sicherheit keinen Hass auf das Internet.

Zu guter Letzt: Den etwas bemühten Versuch der Redaktion, den ewigen Social-Media-Jubelarien mal bisschen was entgegenzusetzen, muss man nicht toll finden. Aber man muss das auch nicht gleich zum Hass auf das Internet hochjazzen.

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Hartmut Ulrich 29. Oktober 2010 um 22:32

Ach, die w&v! Dass sie um Gottes Willen nicht irgendwann zerrissen werde von den Gezeitenkräften zwischen Alt und Neu (wie übrigens auch die meisten Agenturen und Verlage).

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Jens Best 30. Oktober 2010 um 15:36

Wenn man so überlegt, mit welchem Affenzahn die w&v dieses Jahr jedem Social Media Thema aus den Jahren 2006-9 Ausgabe für Ausgabe jubelnd hinterhergehechelt ist, war diese Ausgabe wohl ein völlig zu erwartendes Zurückschlagen des Hype-Pendels.

Ich kann nur empfehlen, den Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft hinzu mehr Transparenz, gediegener Teilnahme und weniger Manipulation und Egoismus auch in den auslaufenden Geschäftsbereichen Marketing und „Werbung“ zu fördern.

Allein schon aus dem simplen Grunde, dass die ein oder andere „Werbehure“ (Wortzitat Kassei) sich damit geläutert einen neuen Arbeitsplatz sichern kann (eine innere Karthasis von all den Marketing-Lügentaten vorausgesetzt).

Dennoch wäre es tatsächlich wünschenswert, wenn eine Redaktion sich nicht nur episodisch mit dem Thema Social Media auseinandersetzen würde, sondern die Möglichkeit zu einer differenzunempfindlichen Inklusion, das heißt der gemeinsamen Arbeit an einem Thema trotz unterschiedlicher Auffassungen suchen würde.

Die permanente diskursive Beschäftigung mit dem Begriff Social Media kann so neuen Impulsen des gesamtgesellschaftlichen Wirkungsverständnis einer Branche führen.

Dies wäre durchaus eine kreative redaktionelle Arbeit, die es schaffen könnte einem losen Sammelbegriff handlungsbezogene Anregungen zu geben, die die Komplexität der konkreten Umsetzungen kontextualisiert und so die alten wie neuen Qualitäten einer verkaufsfördernden Kommunikation im Informationszeitalter beschreibt.

Dies setzt allerdings voraus, dass der Dissens nicht primär als Auflagenverkaufsfördermassnahme, sondern als Dienst an der (Fach-)Leserschaft gesehen wird, der durch ständige Synchronisation von Erfahrung und Ideendiskurs einen Begriff weiterentwickelt.

Dies setzt wiederum natürlich eine Neugierde am Fortschritt statt einem angstvollen Festhalten am überkommenen Status Quo voraus. Und hier liegt das eigentliche Dilemma vieler Redaktionen (menschlich verständlich, aber auch enttäuschend erbärmlich).

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Der Kunde ist wenig – oder: @Telekom_hilftnicht at JakBlog 31. Oktober 2010 um 14:16

[…] man will das alles gar nicht so sehr mit diesen Sozialen Netzwerken, hat uns u.a. die „WuV“ jetzt wissen lassen. Weil das eh alles nicht wirklich funktioniere und tendenziell ja überschätzt sei, so wie das […]

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Lesenswerte Artikel 1. November 2010 1. November 2010 um 5:59

[…] “W&V” und der Hass auf das Internet […]

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Gerd Meissner 1. November 2010 um 16:20

Wozu die Aufregung? Der sprichwörtliche deutsche Hass aufs Internet ist wie Hass aufs Wetter, der ändert auch nichts. In beiden „Lagern“ überschätzen die Ex-Kollegen in den älteren Medien und Branchendiensten wie gehabt ihre, negative oder positive, Wirkungsmacht.

Und während die Redaktionsbeamten weiter bräsig das Pro und Kontra von Online Shopping oder Google Street View abwägen, hat sich das Publikum längst gelangweilt abgewandt, vergnügt sich mit dem neuesten iPhone, betreibt florierende Import-Export-Geschäfte auf eBay, oder zieht sich nach Büroschluss vor der Live-Webcam aus, um das Urlaubsgeld aufzubessern. In letzterem Fall vermutlich in der Regel mit mehr Zuschauern als die durchschnittliche deutsche Lokalzeitung Abonnenten hat.

Das ist doch die eigentliche Tragik des journalistischen Verfalls in einem Land, in dem einst der „rasende Reporter“ sprichwörtlich wurde. Die meisten seiner Nachfahren in der Profession hinken ihrem Publikum, das doch womöglich neugierig ist auf die Zukunft, heute Lichtjahre hinterher.

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Nina Reicke 1. November 2010 um 17:06

Hallo Herr Knüwer,

da ich und meine Firma aufgrund des Zitates in der W&V hier so prominente Erwähnung finden, möchte ich Ihren Artikel gerne kommentieren, um hier nicht missverstanden zu werden… Denn tatsächlich finde ich es – als Marken-, nicht als Blog- oder Social Media-Expertin – ganz großartig, dass mittlerweile so viele Unternehmen einen für sie wirklich relevanten und interessanten Weg gefunden haben, Social Media zu nutzen. Ob es nun um Kundenservice, Recruiting, Kommunikation oder einen intensiven Dialog mit dem Kunden geht. Ganz ehrlich finde ich es sogar gut – entgegen der landläufigen Meinung (oh Gott, hoffentlich kriege dafür nicht gleich noch einen auf den Deckel!) – wie die Bahn Facebook clever nutzt, um Tickets an den Mann zu bringen. Was auch viel besser zur Bahn passt, und den Bahnkunden mehr bringt, als im Social Web eine Diskussionszirkel zum Thema kaputte Toiletten einzurichten. Beim Thema Syoss ist die Moderation einer aus dem Ruder gelaufenen Diskussion eine prima Sache – es macht mich nur etwas stutzig, wenn Syoss in diesem Kontext auf Facebook von „löschen“ spricht.

Eine „neuen soziale Nüchternheit“, wie die W&V sie beschreibt, sehe ich eigentlich nicht, sondern beobachte es mit großem Interesse (zum Beispiel auch hier: http://www.slideshare.net/MusiolMunzingerSasserath/telco-trend-report-2010-525861), dass viele Unternehmen es in unglaublich kurzer Zeit geschafft haben, Social Media auf unterschiedlichste Weise in ihre Prozesse zu integrieren. Diese Veränderungen, die Social Media nicht nur für Marken und Marketing sondern das ganze Unternehmen mit sich bringen, sind so bedeutend, dass das Ende dieser Entwicklung (Hype ist ja sowieso ein blödes Wort) ja sowieso noch nicht bevorsteht.

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Thomas Forster 1. November 2010 um 18:53

Schön, wenn sich so viele Menschen um einen sorgen 😉 Ich kann die Herren Knüwer und Prothmann aber beruhigen: Ich beschäftige mich seit 1995 intensiv in Theorie und Praxis mit Digitalen Medien. Ich bin über Twitter und Facebook zu erreichen, der eine oder andere liest ja vielleicht auch meinen Blog. Auch das Smartphone- (iPhone) und Tablet-PC-Zeitalter (iPad) ist schon bei mir angekommen. Also: Alles okay bei der W&V bzw. beim Süddeutschen Verlag. Und Herr Prothmann muss auch nicht in Angst erstarren.

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Stefan Balázs 9. November 2010 um 14:21

Es ist korrekt, dass RWE im Social Web nicht zurueckrudern musste, weil bewusst nicht auf themenoffene Kommunikation in sozialen Plattformen gesetzt wird – aber so steht es ja auch im W&V-Beitrag. Es wurden eine Reihe kleinere themen- und eventbezogene Projekte durch Social Media Kommunikation begleitet – dieser Weg soll weiter verfolgt werden. Dabei lässt sich eine Menge über die Mechanismen lernen und beobachten, die fuer weitere Aktivitaeten relevant sind.

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LeJeck 11. November 2010 um 14:53

Hallo Herr Knüwer,

der W&V-Vorwurf, dass Unternehmen wie RWE jeden Dialog grundsätzlich aus dem Weg gehen , ist nicht 100%-ig richtig. Bereits seit Sept. 2009 betseht ein Twitteraccount der Effizienz GmbH mit knapp 2000 Followern. Dieser Account ist Dialogorientiert und wird seit März 2010 auch ständig betreut. Mich hat es verwundert, dass der W&V-Artikel keinerlei Bezüge zum Account aufgenommen hat.

Übrigens: Von Ihnen haben wir sogar ein schönes TwitPic im Tesla. (NRW Journalistentag 2009) http://twitpic.com/rb99f

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Falk Ebert 2. März 2011 um 1:52

Eben durch Zufall per Google gefunden. Schöner Artikel!
Ich zweifel schon länger, ob ich W&V noch in meinem Feedreader brauche, kann also das Sentiment des Artikels sehr gut nachvollziehen.

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Die Fundraising 2.0 Woche vom 23.10.-29.10.2010 | fundraising 2.0 | Spenden im vernetzten Zeitalter 19. Dezember 2012 um 13:41

[…] Indiskretion Ehrensache: “W&V” und der Hass auf das Internet […]

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