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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Mehr dazu hier. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Sisu ist verletzt. Der Snowboarder liegt mit gebrochenen Armen auf der Piste. Per Handy ruft er Freunde um Hilfe. Am folgenden Tag findet sich die Meldung über seine Rettung in der niederländischen Tageszeitung „Telegraaf“ – mit einem Hinweis auf eine Homepage, auf der Genesungswünsche übermittelt werden können. Die aber zeigt sein Krankenzimmer. Der Betrachter kann den Raum durchsuchen – und findet Sisus Krankenakte. So begann im Oktober 2000 das Nokia-Game, das bis dahin aufwändigste crossmediale Spiel. SMS, Web, klassische Medien fanden Verwendung – und das in 18 Ländern.

Aber war es ein Erfolg? Eher weniger. Zu kompliziert und vielleicht seiner Zeit voraus. Doch so viel Mut, wie Nokia damals zeigte, würde man anderen Marketing-Abteilungen – und den Finnen selbst – heute auch mal wieder wünschen.

Der Bericht über das Spiel fiel noch unter bunt, verglichen mit dem Rest jener Netzwert-Ausgabe vom 16.10.2000. In ihr drehte sich viel um Geld, nicht immer aber wurde dieses knapp. Denn die Zeit war zerrissen. Einerseits stürzten die Börsen ab, was auch die Titelgeschichte erklärte. Mit dem Kurshoch ging auch die Motivation der Mitarbeiter – denn viele arbeiteten für winzige Gehälter aber große Mengen Aktienoptionen.

Außerdem wurde mancher Zusammenschluss holprig oder unmöglich.

Das britische Online-Auktionshaus QXL verhandelte beim Kauf des deutschen Pendants Ricardo deshalb nochmal nach. Erfolgreich, mit Ricardo verschwand leider auch eines der schönsten deutschen Markenbilder jener Zeit.

Andererseits: Es gab noch Geld. Das berichtete unsere New-York-Korrespondentin Siri Schubert. Allein zwischen April und Juni hatten US-Wagniskapitalgeber 22 Milliarden Dollar in Startups investiert. Nur musste manche Firma einfach das Kürzel wechseln. B2C, zum Beispiel, war out. M-Commerce in.

In Europa gab es derweil Schulungen zum Venture Capitalisten, wie Charles Fleming, der Pariser Korrespondent des „Wall Street Journal“ für Netzwert schrieb. Drei Tage dauerte der Kurs:

„Die Ausbildung… erfordert keine besonders herausragenden akademischen Begabung. Es gibt keine exakten wissenschaftlichen Grundlagen, die man sich aneignen muss. Vielmehr lautet das bewährte Maxime der Branche, dass zum geschulten Risikokapitalgeber nur wird, wer dabei ein paar Mal auf die Nase gefallen ist.“

Wem das nicht passiert ist – oder wer danach reüssierte -, der konnte ganz anderes erleben. Jeden Tag wurden damals, laut „San Francisco Chronicle“ 64 Menschen im Silicon Valley Millionär. Folge: das Sudden Wealth Syndrome grassierte. Plötzlich zu Geld gekommen erlebte mancher einen Konsumrausch und danach den Absturz. Wohin mit dem Leben, wenn man scheinbar nie mehr arbeiten muss? „Viele dieser Leute verbringen 90 Prozent ihrer Zeit mit Arbeit“, erzählte ein Psychologe: „Dann wachen sie plötzlich auf und sind reich.“ Auch der „Ticker-Schock“ griff um sich. Denn mancher war nicht tatsächlich reich, sondern nur auf dem Papier – dank Aktienoptionen. Die heftigen Kursausschläge ramponierten dann die Seele.

Es sind Geschichten, die unfassbar klingen aus heutiger Sicht. Genauso wie die Liste der meistbesuchten Web-Seiten in den USA. Google? Taucht auch da noch nicht auf. Geocities lag noch auf Rang 6, Microsoft auf 5. Ganz vorne aber waren AOL und Yahoo – zwei Riesen von einst, die heute vielleicht fusionieren werden.

„As time goes by“, möchte man da sagen. Und: „Was gestern noch eine Sensation war, ist morgen schon vom Winde verweht.“ Auch diese Worte finden sich in der Netzwert-Ausgabe. Allerdings als Teil einer Anzeige. Nebenbei: 12 Seiten Netzwert waren damals gefüllt mit 10 bezahlten Werbungen – goldene Zeiten. Gleich zwei Anzeigen aber bezahlte eine Messe, die jene Schnelligkeit der Branche besang: die Systems. 2008 war auch sie vom Winde verweht. Bis heute verspricht ihre Homepage ein Wiedersehen im Jahr 2009.

Am kommenden Montag: Unfassbar – Web-Unternehmen verkaufen Satellitenfotos an jedermann.


Kommentare


Giesbert Damaschke 18. Oktober 2010 um 18:01

Ah, das erinnert mich an ein Cover des „Industry Standard“ vom 6.12.1999: „Suddenly rich“. Das zeigte das Fotos einen ehemaligen Print-Kollegen, der zu Yahoo ging und der mir auf diesem Weg unverhofft wieder über den Weg lief.

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