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Am Wochenende hat sich auch die Deutsche Telekom in die Reihe der besonders dummen Unternehmen gestellt. Wie Spiegel Online meldete, ließen die Magenta-Gestrigen Produktkritiken für ihren Online-Shop durch den Bochumer Dienstleister Textprovider erfinden – weil ansonsten in diesem Punkt im E-Laden der Bonner wenig los war.

Wieder einmal demonstriert ein deutsches Großunternehmen, dass seine Erinnerungskraft und seine Lernfähigkeit annähernd gegen Null gehen. Denn erinnern wir uns: Wann war das erste Mal in Deutschland so richtig die Rede von User Generated Content und Blogs und Kommentaren? Richtig, das war Ende 2004. Damals schrieb der Spreeblick eine noch heute lesenswerte Attacke gegen den Klingeltonverkäufer Jamba. Dessen Mitarbeiter kommentierten dann verdeckt im Sinne des Arbeitgebers – und flogen dank ihrer IP-Adressen auf. Es folgte einige andere, die ähnlich agierten. Astroturfing ist heute in PR-Kreisen in üblicher Begriff. Weitere Unternehmen flogen bei dieser Praxis auf, darunter bekannte Namen wie Grey, die versuchten ihren Ruhrgebiets-Slogan zu beschönigen oder die Deutsche Bahn, die über PR-Dienstleister wie Allendorf hunderte von Kommentaren fälschen ließ.

Irgendwann sollte klar sein, dass solch ein Verhalten gut gehen kann – aber es ungefähr so sicher ist wie ein Roulettespiel. Da muss nur ein Mitarbeiter den falschen Web-Anschluss verwenden, ein Dienstleister es sich mit einem Ex-Mitarbeiter vergrätzen, auf dass dieser Informationen weitergibt oder der Firmen-Chef die Privatsphäre-Einstellungen bei Amazon nicht kapieren wie Neofonie-Ex-Lenker Helmut Hoffer von Ankershoffen – der dann seinen Posten räumen durfte.

Fälschlicherweise könnte man nun annehmen, die Zahl der Fälle gehe zurück. Weil Unternehmen schlauer werden. Weil sie die zahlreichen Medienberichte über Fälle wie Deutsche Telekom, Deutsche Bahn oder Grey lesen und sich denken: „Da bin ich mal lieber vorsichtig.“

Doch dem ist nicht so. Tatsächlich nimmt die Zahl der versteckten Fälschungen zu: auf Plattformen wie Amazon und Itunes.

Es gehört inzwischen fast zum Handwerkszeug von Buchverlagen, Kritiken beim größten Onlinehändler zu fälschen. Und man gewinnt nicht den Eindruck, dass Amazon selbst großes Interesse an dem Thema zeigt. Noch viel schlimmer aber ist das Problem bei Itunes. Hier entsteht der Eindruck, dass jeder App-Entwickler erstmal munter ein paar Kritiken schönschreibt, sobald eine App rauskommt. Denn fast Minuten nach ihrer Onlinestellung bekommen sich meist fünf bis sechs Kommentatoren gar nicht mehr ein ob der Großartigkeit des Progrämmchens.

Immerhin: Dann setzt ein leichtes Korrektiv ein. Fast immer kommen dann als Rückschlag ein paar richtig negative Stimmen. Die gekontert werden mit den nächsten Jubelpersern. In der Regel lassen sich App-Kritiken bei Itunes erst ab der 12. bis 15. gebrauchen. Und dann wird ohnehin entschieden über die Zukunft der App: Bei guten Abrufzahlen steigt die Zahl der Bewertungen über das fälschbare Ausmaß hinaus – ansonsten bleibt es still und das Ding ist ein Flop.

Letztlich aber reichen solche Korrektive nicht aus. Ich bin kein Freund von immer neuen Gesetzen. In diesem Fall aber frage ich mich schon, ob nicht ein klares Verbot nötig wäre. Erst dann werden zumindest die großen Unternehmen Ruhe geben – die Rechtsabteilung wird es richten.

Ja, hier wäre ein digitales Spielfeld, in dem sich Verbraucherministerin Ilse Aigner tatsächlich profilieren könnte – und dabei Gutes täte. Bisher fällt sie ja eher als PR-Luftnummer im Web auf.

Nur: Würde sie tatsächlich etwas tun wollen, bräuchte sei eine ganze Menge Mumm. Denn sie würde sich anlegen mit einem in der Politik einflussreichen Gegner: der PR-Industrie. Die würde schnell erkennen, dass verstecktes Kommentieren im Web flott auf eine Ebene mit allen Bereichen der Tarn-PR rutschen könnte. Was ist mit redaktionellen Texten, die gemeinsam mit Anzeigenaufträgen geliefert werden? Was mit bequemen Liebesdiensten wie dem Verfassen eines Kommentars des PR-Agentur-Chefs ganz im Sinne des Kunden (und ohne diesen zu erwähnen) wie im Fall von CNC-Mann Siegmar Mosdorf?

Da bräche etwas auf. Änderungen in all diesen Fällen wären absolut im Sinn der Verbraucher – aber nicht im Interesse der PR-Wirtschaft. Und deshalb ist leider zu vermuten: Ilse Aigner wird zu feige sein, das Thema voranzutreiben.


Kommentare


Ralf 11. Oktober 2010 um 15:13

Ich glaube, wir brauchen nicht die Politik sondern gute Bewertungssysteme. Oder zumindest sollte man auf einen Blick sehen, wie viele Bewertungen derjenige schon geschrieben hat. Das macht bspw. Qype. Ich weiß, kann natürlich auch ausgetrickst werden aber wäre mal ein Anfang…

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Fake Berichte waren schon 2000 ein großes Thema, ich habe mal für ein Bewertungsportal gearbeitet

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Mario Max 11. Oktober 2010 um 17:24

Hallo Thomas,

guter Beitrag und beschreibt die aktuelle Realität sehr gut. Kann ebenfalls diese Sorglosigkeit der Konzerne nicht nachvollziehen, da es jeden normal denkenden Menschen klar sein sollte, dass solche Großaktionen einfach nicht geheim bleiben können. in den meisten PR-Agenturen wird dieser Job auch noch von Praktikanten erledigt, die sicherlich nicht im Social Graph unterwegs sind 🙂 – Die Konsequenzen ist ein gutes Stichwort. Verbote aufgrund der Sach- und Rechtslage wie beschrieben nicht zu erwarten. Ein gutes probates Mittel sind die Konsequenzen, die jeder einzelne Nutzer für sich daraus zieht und beim nächsten Kauf berücksichtigt.

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Nerddeutschland 11. Oktober 2010 um 20:34

Warum sollten bei Online-Kommentaren auch andere Regeln gelten als in Fachmagazinen? Es wird geschummelt, dass sich die Balken biegen.

Wie oft schon sind Elektrogeräte, die über bestimmte Lebensmittel- Discounter vertrieben werden, rein zufällig und regelmäßig bereits eine Woche vor deren Verkaufsstart in der jeweils jüngsten Ausgabe einer bekannten Postille für Unterhaltungselektronik als Test- bzw Preis/Leistungssieger gekürt worden? Und das so „pünktlich“, dass man das Testergebnis gleich noch als Referenz mit auf den Werbeflyer der Discounter drucken konnte. Gibt es da etwa eine Verbindung zu den wöchentlichen ganzseitigen Inseraten der Discounter in einer Schwesterpublikation der Postille?

Wieso findet man bei „… … Magazin für Telekommunikation“ in Vergleichstests alles und jedes „doch noch irgendwie gut“, hebt die Stärken jedes Gerätes/Dienstes hervor, geht aber nie wirklich im Detail auf deren Schwächen ein? Warum wird man dort niemals einen direkten Vergleich in Form von „Gerät A von Hersteller B ist in Disziplin X besser als Gerät C von Hersteller D, weil…“ finden? Wieso gibt es dort niemals eine konkrete Kaufempfehlung? Wieso werden dort banale Erkenntnisse, die man als Nutzer bereits nach 1h Betriebszeit gesammelt hätte, über Monate hinweg in sogenannten „Langzeittests“ immer wieder neu ausgewalzt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und das für „verdeckte“ Advertorials halten könnte. Und wer wissen möchte, warum in vielen „Sonderheften“ zu bestimmten Herstellern alles besonders rosig und gülden erscheint, der sollte mal einen kurzen Blick in das jeweilge Anzeigenverzeichnis werfen…

Die besondere Abhängigkeit monothematischer Fachmagazine von der Werbewirtschaft ist ein offenes Geheimnis. Das war früher nicht anders. Allerdings haben sich die Regeln offenbar verschärft.

Den Spagat zwischen einer verbraucherorientierten Berichterstattung und der Vorgabe, nicht die Hand zu beißen, die einen füttert, den bekommen immer weniger Magazine hin.

Als Wertung eine „gute 3“, ein geschickter Kommentar, etwas Skepsis „zwischen den Zeilen“, und schon konnte man sich „früher“ als geneigter Leser seinen Teil denken:

„Aha, eine „gute 3“ „Undankbare“ Wertung. Hat einige Vorschusslorbeeren in den Previews bekommen und es wurden viele Anzeigen geschaltet. Naja, ich weiß bescheid, taugt nichts, aber sie dürfen es nicht wirklich schreiben, da sonst mit Liebesentzug in Form von Anzeigenverlust gedroht werden würde: Die Majors einer Branche haben halt auch die dicksten Etats zu vergeben… Der Test ist aber dennoch „genehmigt“, da man durch die Hintertür ja trotzdem gut informiert wurde.“

Das gibt es heute aber fast nicht mehr. Heute geht man auf der Seite einiger Verlage offensichtlich gar kein Risiko mehr ein und ist „dank“ wirtschaftlicher Zwänge stramm linientreu. Einzig in den offensichtlich unabhängigeren Technik-Ressorts der überregionalen Tagespresse lassen sich noch wirklich kritische Abhandlungen finden, denen man auch noch das Prädikat „hilfreich für die Kaufentscheidung“ vergeben kann.

Der offensichtlich organisierte Nepp bei Kundenrezensionen großer Online-Retailer wie Amazon, und Itunes, oder gar der jetzt aufgeflogene Versuch der Telekom, ihrem Shop über einen Dienstleister Leben einzuhauchen, sollte also niemanden wirklich verwundern. Warum sollten „Viral“ auch andere Gesetzmäßigkeiten gelten?

Angesichts der Kleinbeträge, um die es bei Itunes geht, lässt sich das in Cupertino wohl noch länger ignorieren, (obwohl hier auch schon bei einigen 79-Cent-Titeln viele Nutzer doch sehr verärgert „abrechnen“.)
Für Amazon könnte es aber zu einem Problem werden: Amazon ist gleichermaßen der teuerste und trotzdem der erfolgreichste Online-Retailer im Bereich der Vollsortimenter. Das Bewertungssystem, und direkt daran gekoppelt das System der kollaborativen Filterung, ist neben dem übersichtlichen Interface und der einfachen Kauf- und Retoureabwicklung eine der wesentlichen Säulen des Erfolgs. Wer hier kauft, will die Suche, die Info-also den Vergleich,-die Bewertung&Empfehlung, den Kaufprozess und die Zahlung an EINEM Ort abwickeln, und ist für diese Bequemlichkeit bereit insgesamt mehr für seinen Kauf zu bezahlen. Wenn man den Bewertungen nicht mehr trauen kann, und deshalb noch zusätzlich Preis- und Bewertungsportale abklappern muss, na dann kostet das eh Zeit, und dann kann man gleich nochmal schauen, ob man das Produkt nicht doch noch woanders billiger kauft…
Der geschickte, impulsorientierte, „Flow“ den Amazon hier aufgezogen hat, Suche->Information->Entscheidung->Kauf->Mitnahme-Artikel-Empfehlung->CheckOut wird empfindlich gestört, wenn die Käufer dann nicht zufrieden sind, und sich anschließend fragen müssen, wieso der Artikel eigentlich so gut abgeschnitten hat…

Ein anderer Aspekt, der mir in letzter Zeit vermehrt aufgefallen ist: es werden offensichtlich nicht nur Produkte in den Himmel gelobt oder Mitbewerber-Geräte schlecht gemacht ( das ist z.B. besonders bei Navigations- Geräten erkennbar), sondern auch kritische Rezensionen überproportional oft abgewertet. Sie werden also nicht selten, trotz sachlicher Kritik, unverhältnismäßig oft als“nicht hilfreich“ bewertet. Offensichtlich eine wirksame Methode um Nutzer, die auf ihr Bewertungs-Ranking achten wollen, beim nächsten Mal zu einer weniger kritischen Haltung zu „animieren“.

Es lohnt sich daher, sich im Zuge einer Kaufentscheidung, auch mal die „am wenigsten hilfreichen“ negativen Käuferrezensionen zu überblicken. Die sind manchmal erstaunlich hilfreich…

Btw. Den letzten wirklich relevanten „Smartphone- Vergleichstest“, der mir unter die Finger gekommen ist, las ich überrascht im Juli in der 1€-Gazette „Guter Rat“, beim Friseur. Undankbar.

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robert 12. Oktober 2010 um 10:46

hAHA, als ob unsere liebe Frau Eigner, wüsste was ein web of trust ist. das wäre tatsächlich mal ein sinnvolles betaetigungsfeld für SN wie facebook und co. die verknüpfung über einige ebenen zu vertrauenszwecken zu nutzen. (nat. nicht mehr als 2 ebenen)

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teekay 12. Oktober 2010 um 14:10

Ein so ueberfluessiges Angebot wie das T-Online Shoppingportal kann jede JEDE Form von Werbung gebrauchen…Natuerlich wird auch woanders im Netz gefaked-aber wenn ein Angebot von Usern angenommen wird dann gibt es auch oft/meistens einen guten Eindruck von der Qualitaet eines Produktes…wenn ein Amazon-Marketplace Anbieter 783 positive Bewertungen hat ist das schon ein guter Indikator fuer seinen Service…

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t3n-Linktipps: Top-Marken bei Facebook, „Army of Awesome“, Kommentarfälscher, Gelb im Webdesign und „Project London“ » t3n News 12. Oktober 2010 um 16:58

[…] Okay zugegeben, das dachte wohl kaum jemand, aber dass sich nun auch die Deutsche Telekom, die Deutsche Bahn oder die Agentur Grey dabei erwischen lassen, überrascht schon ein […]

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Wie Qype und Mydays sich die Welt schön fälschen 13. Oktober 2010 um 16:59

[…] den Umsatzfaktor vor den Nutzer zu stellen ist Qype aber nicht allein. Wir erinnern uns an die gefälschten Kritiken der Deutschen Telekom, der Deutschen Bahn und von Neofonie. Mir widerfuhr ein weiterer Fall. Es handelt sich um das Ich-kauf-mir-ein-schönes-Erlebnis-Portal […]

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Henning Krieg 22. Oktober 2010 um 15:38

„Ich bin kein Freund von immer neuen Gesetzen. In diesem Fall aber frage ich mich schon, ob nicht ein klares Verbot nötig wäre.“

Nein, ein neue gesetzliche Regelung ist nicht nötig – weil Astroturfing bereits jetzt gesetzlich verboten ist: § 4 Nr. 3 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) untersagt jede Handlungen, die „den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen verschleiert“.

Das Problem ist in diesem Zusammenhang nicht das Fehlen einer gesetzlichen Regelung, sondern deren Durchsetzbarkeit. („Gute“) Fake-Bewertungen sind ja gerade nicht als solche erkennbar. Und wo ein (potentieller) Kläger den Grund zur Klage nicht erkennt, da wird er auch nicht klagen.

Diesem Problem lässt sich meiner Ansicht nach auch durch neue, weitere gesetzliche Regelungen kaum beikommen. Einziger in meinen Augen möglicher „Lösungsansatz“ wäre eine gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung / Verifizierung der Identitäten von Nutzern, die im Web Produktbewertungen veröffentlichen – und das kann es am Ende wohl kaum sein.

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Astroturfing – rechtliche Probleme bei gefälschten Kundenbewertungen im Internet » kriegs-recht.de 5. November 2010 um 11:56

[…] Am Imageschaden, den die Firma erlitten hat, dürfte Hoffer von Ankershoffens Rückzug jedoch kaum noch etwas geändert haben. Der Skandal um das WeTab zog weite Kreise, und mancherorten wurde daraufhin sogar eine gesetzliche Regelung gefordert, die derartige Fake-Bewertungen verbietet. Thomas Knüwer, früher Ressortleiter und Reporter beim Handelsblatt, schreibt beispielsweise: “Ich bin kein Freund von immer neuen Gesetzen. In diesem Fall aber frage ich mich schon, ob nicht ein klares Verbot nötig wäre. Erst dann werden zumindest die großen Unternehmen Ruhe geben – die Rechtsabteilung wird es richten. Ja, hier wäre ein digitales Spielfeld, in dem sich Verbraucherministerin Ilse Aigner tatsächlich profilieren könnte – und dabei Gutes täte. Bisher fällt sie ja eher als PR-Luftnummer im Web auf. Nur: Würde sie tatsächlich etwas tun wollen, bräuchte sei eine ganze Menge Mumm. Denn sie würde sich anlegen mit einem in der Politik einflussreichen Gegner: der PR-Industrie.” (Quelle) […]

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