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In der vergangenen Woche schrieb ich einen Blog-Beitrag, der eine große Resonanz erhielt. Er handelte davon, wie Social Media schwache Beziehungen zwischen Menschen erst möglich macht und wie sich dadurch unsere Gesellschaft verändert. Wie versprochen folgt nun ein zweiter Teil, in dem ich versuche, die Bedeutung der schwachen Verbindungen für Unternehmen herauszuarbeiten.

Die Gesichter zahlreicher Teilnehmer verzerrten sich leicht irritiert -und leicht angewidert. Ständig kämen Fotos von Menschen, die sich das Jägermeister-Logo haben tätowieren lassen, berichtete Sven Markschläger, damals Digital-Chef des Kräuterlikör-Produzenten beim Online-Marketing-Gipfel im April.

Die Reaktion zeigt: Menschen, die sich ein Markenlogo in die Haut ritzen lassen, sind nicht der Durchschnitt. Wer sich so bindet, empfindet eine starke Beziehung – oder denkt nicht nach (Gut, man weiß nie, wozu sich ein Junggesellenabschied in El Arenal nach dem 23. Jägermeister auf Eis hinreißen lässt).

Für Unternehmen sind schwache Verbindungen schon immer die wichtigeren gewesen. Denn sie stellen das normale Verhältnis zwischen ihnen und den Kunden dar. Die meisten empfinden zu gewissen Marken Zu- oder Abneigung. Mein journalistischer Lehr-Herr Ferdinand Simoneit, zum Beispiel, liebte „Fisherman’s Friends“. Andere schwören auf Softies und würden nie Tempo kaufen. Sehr oft generiert sich eine solche Zuneigung aus einem Wettstreit heraus: Apple vs. Microsoft, Mercedes vs. BMW – Marken dienen eben auch dazu, sich abzusetzen oder sich gegenüber anderen Menschen zu erhöhen.

(Foto: Shutterstock)

Sicher, es gibt die Menschen, die zu Marken oder Produkten eine ganz starke Beziehung haben. Das aber sind die etwas Merkwürdigen. Die, die sich zwei Wochen vor dem Verkaufsstart des Iphone vor den Apple-Laden legen. Die sich für die Hermès-Birkin-Bag verschulden. Die sich das Jägermeister-Logo auf den Rücken tätowieren lassen. Diese Kunden sind zwar umsatzstark – aber auch nicht ganz ungefährlich. Oft stellen sie extrem hohe Erwartungen an ihre Liebe. Wird die Marke dem nicht gerecht, schlägt Enttäuschung in Wut um. Unschön. Ausnahme: Kultur und Sport. Zu U2 oder dem HSV existieren viele Menschen, die eine starke Bindung empfinden.

Da sind sie also wieder, die schwachen Bindungen.

Und wie beim Kontakt zwischen Mensch und Mensch, standen auch Unternehmen in der Kommunikation mit dem Verbraucher einst vor dem gleichen Problem: Wie soll eine schwache Beziehung aufrecht erhalten werden. Das erforderte monetären und/oder zeitlichen Aufwand. Sicher, es gab Dienstleister, die irgendwann behaupteten One-to-One-Marketing betreiben zu können. Doch das hat noch heute mit Eins-zu-Eins so viel zu tun wie ein Flächenbombardement mit einem Scharfschützen. Tatsächlich geht es vor allem darum, möglichst viele real existierende Konsumentenadressen zu ergattern und diese so mit Werbung zu behageln, dass es nicht zu nervig für die Opfer wird.

Und nun ist manches anders. Denn mit einem Mal verdrahten sich Konsumenten freiwillig mit Unternehmen. Das begann mit E-Mail-Newslettern, erreicht aber via Social Media einen Punkt, an dem One-to-One tatsächlich möglich wird. Zum ersten Mal können Verbraucher auf Plattformen wie Facebook auch aktiv und klar erkennbar sagen: Ich möchte mit dieser Marke nicht mehr kommunizieren. Bisher war es schwer genug, sich aus den Adressdatenbanken der Firmen tilgen zu lassen – ob das tatsächlich passierte, konnte niemand überprüfen.

Vielleicht lassen sich deshalb so viele Menschen auf den Dialog mit Unternehmen ein. Die können handfesten Nutzen daraus ziehen. So ist Kundendienst via Twitter definitiv günstiger und effizienter für beide Seiten als eine Hotline. Wie das geht demonstrieren Unternehmen wie Zappos oder die Telekom.

Wer in Digitalien richtig hinhört, der spart sich außerdem seine Fokusgruppen. Denn Facebook, Twitter, StudiVZ und Co. sind auch ein Filter: Wer sich dort als Fan oder Freund einer Marke outet, befindet sich auf jener Skala der Beziehungsnähe nicht am ganz weit entfernten Pol. Er empfindet eine überdurchschnittliche Anziehung. Das zeigt auch eine Studie der US-Beratung Syncapse. Sie ermittelte, dass Facebook-Fans einer Marke mehr Umsatz für diese Marke bringen als Nicht-Fans. Hinzu kommt, dass sie häufiger als andere diese Marke ihren Kontakten empfehlen. Dass die Nachkaufrate höher liegt ist da nur logisch. Facebook-Fans sind die wichtigeren Kunden, die Kernkäuferschaft.

Doch das ist nur der Anfang. Tatsächlich glaube ich, dass die emotionale Nähe zu einer Marke im Lauf der Zeit zunimmt bei jenen, die diese in ihren Social-Media-Garten lassen. Es wird eine hübsche Dissertation in Medienwissenschaften oder Soziologie geben, wenn der erste Wissenschaftler in einer länger dauernden Studie sich fragt, was es mit Menschen macht, wenn in den Facebook-Statusmeldungen erst ein Bild der sieht, dann ein Witz des Lieblings-Bloggers, die neue Variante des Lieblings-Schokoriegels und anschließend das Foto des Neugeborenen eines guten Freundes.

Daraus werden nur in Extremfälle starke Bindungen. Aber: Die gefühlte Nähe nimmt zu. Ganz so wie zwischen Mensch und Mensch.

Und vielleicht werde ich dann in der kommenden Woche noch etwas schreiben zur Bedeutung von schwachen Verbindungen für Journalisten und Medien.


Kommentare


René Gast 8. August 2010 um 14:58

Ich würde die starken Beziehungen nicht derart abschätzig beurteilen. Sicher, die eingangs beschriebene Problematik sollte nicht verkannt werden. Ich beispielsweise bin nicht U2, sondern der Gruppe Depeche Mode zugetan. Ich weiß, wie extrem (negativ) diese Hardcore-Fans reagieren können. Dennoch sind sie nicht zu verachten, wenn es um das Potenzial geht, derartige Anhänger als Tester oder Werbeträger zu verwenden. Gerade hier bietet Social Media neue Perspektiven: Crowdsourcing z.B. funktioniert häufig insbesondere durch starke Beziehungen.

Zudem ist es wohl ein Trugschluss, zu glauben, dass eben jene schwachen Beziehungen nicht ebenfalls schnell gekappt werden können. Zwar fällt dies zumeist nicht derart heftig und damit unmerklich, schleichend aus; dennoch fällt der Stimmungswechsel von einem latenten „Pro“ hin zu einem latenten „Contra“ bei entsprechend hoher Anzahl schwacher Beziehungen nicht selten ungleich dramatischer aus.

Daher ist es sehr wichtig, die Basis (die Hardcore-Anhänger einer Marke) genau zu beobachten. Denn die reagieren sehr schnell, heftig und damit gut messbar, und dringen so auch zu den anderen, schwachen Verbindungen vor. Ich würde heute nicht mehr in „wichtig“ oder „unwichtig“ abgrenzen. Social Monitoring sollte an der Basis beginnen – wie sie reagiert, kann von immens großer Bedeutung sein – und stetig die übrigen, schwachen Anhänger bedienen. Ich sehe, wie die schwachen Bindungen an Relevanz gewinnen – aber sie tun dies gewissermaßen proportional zu den starken. Ich bin mir sicher, dass Unternehmen dieses Verhältnis nicht unterschätzen sollten – mehr denn je sollten sie genau das nicht.

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spltny 9. August 2010 um 4:00

„Diese Kunden sind zwar umsatzstark – aber auch nicht ganz ungefährlich. Oft stellen sie extrem hohe Erwartungen an ihre Liebe. Wird die Marke dem nicht gerecht, schlägt Enttäuschung in Wut um.“

Das erscheint mir nicht schlüssig. Sie sagen also, je stärker die Markenbindung, desto heftiger die negative Reaktion bei einer Enttäuschung. Lässt sich so nicht empirisch bestätigen. Im Gegenteil: Eingeschworene Apple-Jünger lassen ja selbst dann nichts auf ihre Marke kommen, wenn es für den Rest der Welt schon längst nichts mehr an gewissen Flaws wegzudiskutieren gibt.

Wir reden doch wohl hier nicht über einen Stalker, der aus enttäuschter Liebe beginnt, sein Opfer zu hassen. Sondern über den bekloppten Markenfetischisten. Und diese Leute sind eben nicht so einfach von ihrer Überzeugung abzubringen. Im Gegenteil: Bei größerer kognitiver Dissonanz steigt der Rechtfertigungsdruck, es wird noch mehr in die Verteidigung der eigenen verschrobenen Sichtweise investiert.

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Ute Holtmann 11. August 2010 um 16:48

Diese Theorie ist interessant, lieber Herr Knüwer. Ich glaube auch, da ist was dran. Es leuchtet schon ein, dass Soziale Netzwerke geeignet sind, um gerade schwache Bindungen – ob privat oder beruflich – zu nutzen.
Aber m. E., eine neue Erkenntnis ist das nicht. Geht das nicht auf eine Theorie (The strength of weak ties) aus der Soziologie von Mark Granovetter zurück? Aber immerhin gut übertragen.

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Das EHI Blog zu Public Relations im Einzelhandel 11. August 2010 um 17:40

[…] Ganz wie im Web. Übrigens gerade für die schwachen Bindungen eignen sich soziale Netzwerke, wie Thomas Knüwer in seinem Blog beschreibt. (Ich glaube übrigens das geht zurück auf eine Theorie (The strength of […]

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